Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung um die Konsequenzen aus dem Terrorakt in Solingen standen am Montag die erwartbaren Schuldzuweisungen. Zunächst hatten am Wochenende CDU-Chef Friedrich Merz und NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) die Bundesregierung ins Visier genommen, schnellere Abschiebungen, einen Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan sowie die Möglichkeit von Rückführungen in beide Länder gefordert. Die gibt es bisher nicht.
Am Montag stellte sich dann heraus, dass es offenbar auch in Nordrhein-Westfalen Versäumnisse gegeben hat. Bulgarien, wo der mutmaßliche Attentäter in die EU eingereist war, habe Anfang 2023 eine schnelle Rücknahme zugesagt, erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Dazu kam es jedoch nicht, weil die Ausländerbehörde in Paderborn offenbar nur einen einzigen Versuch unternahm, dem mutmaßlichen Messerstecher die Ausweisung zu übermitteln. Das schlug fehl, der Mann war schlicht nicht in seiner Unterkunft. Einen weiteren Versuch gab es nicht. Von einer „Frage der Rechtsumsetzung“, an der es offensichtlich gehapert habe, sprach Hebestreit – und verortete die Schuldfrage damit zumindest in Teilen auch in NRW.
Reul reichte den Schwarzen Peter erst mal weiter. Während er ihn der grünen Koalitionskollegin und NRW-Familienministerin Josefine Paul zuschob („Da sind Fragen offen“), die auch für Flucht und Integration zuständig ist, äußerte sich Ministerpräsident Hendrik Wüst zurückhaltender. „Wenn da irgendwo was schiefgelaufen ist, muss die Wahrheit auf den Tisch“, sagte er.
Olaf Scholz, der sich am Dienstag mit Friedrich Merz zu möglichen Konsequenzen austauschen will, kündigte bei einem Besuch in Solingen eine „ganz schnelle“ Verschärfung des Waffenrechts an sowie eine schnellere Abschiebung von Flüchtlingen ohne Aufenthaltsrecht. Das hatte er allerdings auch schon vor rund einem Jahr getan, mit bisher bescheidenem Erfolg. Die von den Ländern und auch der Bundesinnenministerin längst forcierte Verschärfung des Waffenrechts hatte bisher die FDP aufgehalten.
Der Polizeiforscher Hermann Groß übt Kritik an der reflexhaften Forderung nach weiteren Verschärfungen. Für Groß, Professor an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung in Mühlheim (Main), gerieten Menschenrechtsstandards aus dem Fokus, außerdem seien die geforderten Maßnahmen ungeeignet, Anschläge zu vereiteln. „Abschiebungen sind keine vorrangigen Ziele, sondern populistische Forderungen, die kriminologisch relativ wenig zur Bekämpfung von Terrorismus beitragen“, sagte er Table.Briefings. Einen Terroristen schrecke die Aussicht auf Abschiebung nicht ab.
Auch Messerverbotszonen seien „ein schwieriges Thema“. Die dazu nötige Kontrolldichte sei kaum zu gewährleisten. Sie dienten zwar als Symbol; wer ein Messer aus einem terroristischen Hintergrund in eine solche Zone schmuggeln wolle, dem gelinge es auch. Groß appelliert dazu, den Islamismus wieder mehr in den Blick zu nehmen. Gute Ansätze seien bereits da; Rechtsänderungen etwa hätten dem BKA dazu verholfen, eigenständig im Auftrag des Generalbundesanwalts zu ermitteln. Ein Polizeiversagen sieht der Forscher in Solingen nicht. Versagt habe im Vorfeld die Ausländerbehörde bei der Abschiebung. Was Groß dennoch bei Polizei und Innenministerium kritisiert, lesen Sie im Interview.
Thorsten Frei schlägt einen nationalen Asylkompromiss vor. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion forderte im Podcast von Table.Briefings einen solchen Kompromiss zwischen Bundesregierung und Union, wie es ihn 1993 schon einmal gegeben hatte. „Das brauchen wir jetzt nochmal. Dazu reichen wir die Hand“, sagte Frei. Konkret sollte das europäische Asyl-System korrigiert und das Drittstaaten-Modell zum europäischen Maßstab gemacht werden. „Eine solche Migrationspolitik wie in Deutschland gibt es in Europa nur noch in Luxemburg. Das Drittstaatsverfahren wäre ein Modell, die Kontrolle über das Migrationsgeschehen zurückzugewinnen“, so Frei.
In diesen Staaten sollte nicht nur das Verfahren erfolgen, sondern auch „die anschließende Schutzgewährung“. Auch Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan müssten möglich sein. Eine solche Politik müsste von „effektiven Grenzkontrollen flankiert werden“. Natürlich könne man die Grenzen schützen: „Wir haben 50.000 Bundespolizisten. Die Binnengrenzen kann man nur einreißen, wenn der europäische Außengrenzschutz gesichert ist.“ Das jedoch sei bislang nicht der Fall. Das Gespräch mit Frei hören Sie ab 6 Uhr hier.