Analyse
Erscheinungsdatum: 23. März 2023

„Streit ist nichts Schlechtes“

Hier ist die Stimmung noch gut: Julia Verlinden (Grüne) und Lukas Köhler (FDP)
Während ihre Parteispitzen ein zerstrittenes Bild abgeben, ist die Stimmung zwischen den Klimaexpert*innen von Grünen und FDP gut. Trotz teilweise sehr unterschiedlicher Ansätze gehen Julia Verlinden und Lukas Köhler im Doppel-Interview des Berlin.Table davon aus, dass die Streitfragen bei Heizungen, Verbrennungsmotoren und Planungsbeschleunigung bald gelöst werden.

Frau Verlinden, Herr Köhler, vor eineinhalb Jahren ist die Koalition mit großer Begeisterung und fröhlichen Selfies gestartet. Inzwischen wird fast über alle Themen gestritten. Fühlen Sie sich eigentlich noch als Koalitionspartner – oder eher als Koalitionsgegner?

Verlinden: Klar sind wir noch Partner. Der gegenteilige Eindruck entsteht dadurch, dass wir durch den großen Reformstau sehr viel in sehr kurzer Zeit umsetzen müssen. Und dass wir zwei Fraktionen haben, die sich sehr, sehr engagiert in den Ideenwettbewerb einbringen. So würde ich das formulieren.

Wirklich? Dass Sie von der FDP nicht genervt sind, glaube ich Ihnen nicht.

Verlinden: Okay. Ich bin ein bisschen genervt, weil wir tatsächlich einen hohen Bedarf haben, Dinge zu verändern – vor allem, weil die Vorgängerregierungen so vieles verschleppt haben. Etwa beim Gebäudebestand, wo den Menschen jahrzehntelang kein reiner Wein eingeschenkt wurde, dass es ohne Sanierungen und neue Heizungen nicht gehen wird. Deswegen müssen wir jetzt ein hohes Tempo vorlegen, und das geht natürlich mit Reibung innerhalb der neuen Regierung einher.

Köhler: Ich würde schon der Grundthese widersprechen: Streit ist nichts Schlechtes. In einer Demokratie geht es doch darum, um die beste Lösung zu ringen. Mir macht es Spaß, mit meinen Koalitionspartnern darüber zu streiten, was der richtige Weg ist. Ein Problem wäre es nur, wenn wir uns persönlich angreifen würden. Und das erlebe ich nicht.

Vielleicht entsteht der Eindruck von Zerstrittenheit dadurch, dass über Dinge gestritten wird, die eigentlich schon entschieden waren. Dass neue Heizungen künftig zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden müssen, stand für 2025 schon im Koalitionsvertrag, wegen der Energiekrise wurde es dann bei einem Koalitionsgipfel auf 2024 vorgezogen. Trotzdem hat die FDP das entsprechende Gesetz jetzt blockiert.

Köhler: Das Ziel stellen wir nicht in Frage. Es geht darum, wie diese 65 Prozent erreicht werden und welche ordnungsrechtlichen Maßnahmen man dafür braucht. Und wir haben da nichts aufgehalten. Es gibt ja noch gar keinen abgestimmten Gesetzentwurf der Regierung.

Moment. Dass es den noch nicht gibt, liegt doch gerade daran, dass Christian Lindner ihm nicht zugestimmt hat, sondern eine grundlegende Überarbeitung fordert.

Köhler: Natürlich, denn vieles ist ja noch unklar. Insbesondere, welche Technologien künftig eingesetzt werden. Sind das nur Wärmepumpen? Kann auch Wasserstoff genutzt werden? Was wird bilanziell gerechnet? Und wie gehen wir mit alten Heizungen um? Es gibt also noch eine Reihe Details zu klären. Da kann doch niemand erwarten, dass die FDP einfach zustimmt. Das würden die Grünen umgekehrt ja auch nicht machen.

Verlinden: Eigentlich ist die Sache ziemlich klar, wenn man sich die physikalischen Rahmenbedingungen anguckt. Eine Wärmepumpe wandelt Strom sehr viel effizienter in Wärme um, als über Strom Wasserstoff herzustellen und diesen dann zu verheizen. Außerdem wird der Wasserstoff in der Industrie viel dringender gebraucht. Und in bestehenden Gasheizungen kann kein reiner Wasserstoff verbrannt werden, das funktioniert einfach nicht. Darum finde ich es nicht gut, den Menschen eine Perspektive anzudeuten, die in der Realität nie kommen wird.

Und was ist mit den Gebäuden, die für eine Wärmepumpe nicht geeignet sind?

Verlinden: Wichtigste Alternative ist der Anschluss an ein Fernwärmenetz. Und bei jenen Bestandsgebäuden, wo beides nicht möglich ist, sieht der Gesetzentwurf die Option vor, Bio-Methan zu nutzen.

Sehen Sie Chancen für eine kurzfristige Einigung? Bis zum Jahresbeginn ist es ja nicht mehr lange hin, und die Lieferfristen für Wärmepumpen betragen mehrere Monate.

Verlinden: Ich hoffe darauf.

Köhler: Wir haben ja im letzten Jahr bewiesen, dass wir Dinge sehr schnell miteinander umsetzen können. Aber es gibt zwischen unseren Parteien schon eine unterschiedliche Vorstellung davon, ob man Dinge verbietet – oder ob man über den CO₂-Preis dafür sorgt, dass die Ziele eingehalten werden.

Das wäre dann aber schon ein grundlegend anderer Ansatz als im Gesetzentwurf.

Köhler: Aus unserer Sicht wäre es am sinnvollsten, es insgesamt über eine CO2-Bepreisung zu regeln. Aber bei den Heizungen haben wir uns jetzt auf die Vorgabe geeinigt, dass sie 65 Prozent Erneuerbare nutzen müssen, und das werden wir auch umsetzen.

Wirtschaftsminister Habeck hat angekündigt, die finanzielle Unterstützung beim Heizungstausch noch einmal auszuweiten. Aber im Haushalt gibt es jetzt schon zu wenig Geld. Andererseits dürften die Gelder für Strom- und Gaspreisbremse durch die gesunkenen Preise bei weitem nicht ausgeschöpft werden. Läge es da nicht nahe, einen Teil davon umzuwidmen?

Verlinden: Es gibt eine große Nachfrage nach der bestehenden Förderung über den Klima- und Transformationsfonds. Darum habe ich durchaus Sympathie dafür, auch andere Finanzierungsmöglichkeiten dafür zu suchen. Die Preisbremsen-Gelder könnten eine solche Möglichkeit sein.

Köhler: Das 200-Milliarden-Paket, das wir beschlossen haben, hat einen speziellen Zweck, nämlich die Abfederung der hohen Strom- und Gaspreise. Wenn die Kreditermächtigungen dafür nicht komplett gebraucht werden, kann man sie nicht für etwas anderes benutzen. Das gibt das Gesetz nicht her.

Ein Gesetz kann man ja ändern.

Köhler: Ich glaube, es macht schon Sinn, dass wir uns an die getroffenen Vereinbarungen halten. Und ich weiß auch nicht, ob noch mehr Geld an dieser Stelle hilft. Im Moment ist die Nachfrage nach Wärmepumpen ja ohnehin größer als das Angebot.

Ein weiteres großes Streitthema ist das Verbot neuer Verbrennungsmotoren ab 2035. Darauf hatte man sich in der EU längst geeinigt. Doch jetzt will Deutschland plötzlich nicht mehr zustimmen. Warum?

Köhler: Die Einigung besagte, dass es Flottengrenzwerte gibt, die dafür sorgen, dass ab 2035 nur noch neue E-Autos möglich sind – und dass die EU-Kommission parallel dazu einen Vorschlag macht, wie außerhalb der Flottengrenzwerte weiterhin Autos mit Verbrennungsmotoren zugelassen werden können, wenn diese komplett mit E-Fuels betankt werden. Der zweite Teil dieser Einigung ist nicht umgesetzt worden. Darum können wir natürlich nicht zustimmen.

Verlinden: Ich finde es sehr problematisch, wenn Absprachen nicht eingehalten werden. Es war alles geklärt, und in letzter Minute hat Deutschland nicht zugestimmt. Da mache ich mir große Sorgen um das Bild, das wir in Brüssel abgeben. So etwas darf keine zweites Mal passieren. Es einfach der falsche Zeitpunkt, noch mal ganz von vorne anzufangen.

Köhler: Die fehlende Zuverlässigkeit sehe ich nicht bei Deutschland, sondern beim zuständigen EU-Kommissar Frans Timmermans. Der hat immer wieder deutlich gemacht, dass ihn der zweite Teil der Absprache nicht interessiert.

Frau Verlinden, wenn der Elektromotor so überlegen ist, wie die Grünen sagen: Warum braucht man dann eigentlich unbedingt ein Verbot?

Verlinden: Weil die Autoindustrie Planungssicherheit braucht. Die hat sich ja längst auf den Umstieg eingestellt und wünscht sich von der Politik Verlässlichkeit, damit klar ist, wie sie ihre Investitionen ausrichten. Es geht darum, das, was die Industrie vorbereitet hat, politisch abzusichern.

Herr Köhler, wenn jetzt selbst die Hersteller Ihre Blockade des eigentlich schon beschlossenen Verbots kritisieren: Für wen führen Sie diesen Kampf eigentlich?

Köhler: Für mich ist das eine Grundüberzeugung: Wenn es nicht nötig ist, ein Verbot zu machen, ist es nötig kein Verbot zu machen. Der Staat muss das einfach nicht regeln, er muss nur die Rahmenbedingungen vorgeben, also klimaneutrales Fahren. Wenn E-Autos effizienter sind, setzen sie sich durch. Wenn E-Fuels effizienter sind, setzen die sich durch.

Verlinden: Wo sollen denn diese E-Fuels herkommen?

Köhler: Zum Beispiel aus Ländern wie Chile oder Saudi-Arabien, die das wunderbar produzieren können.

Verlinden: Was dort produziert werden kann, brauchen wir für Bereiche, in denen eine direkte Elektrifizierung nicht möglich ist: Industrie, Schiffe und Flugverkehr.

Köhler: Wir werden den Straßenverkehr aber nur klimaneutral bekommen, wenn wir auch dort E-Fuels einsetzen. Denn selbst wenn ab 2035 keine neuen Verbrenner mehr verkauft würden, wären sie ja noch 15 Jahre lang auf den Straßen unterwegs.

Stimmt. Aber wenn Sie nach 2035 noch weitere Verbrenner zulassen, vergrößern sie das Problem doch. Dann gibt es doch noch weniger E-Fuels für die Bestandsflotte.

Köhler: Nein. Denn das erhöht den Anreiz, in die Erzeugung von E-Fuels zu investieren, und durch den Skaleneffekt werden sie dann auch günstiger. Bei der Windenergie hat am Anfang ja auch niemand geglaubt, dass sie mal so billig wird.

Verlinden: Ich schon!

Köhler: Okay, ein paar Leute haben dran geglaubt. Und das ist bei den E-Fuels jetzt auch so – nur ist es diesmal die FDP.

Der Verkehrssektor hat sein Klimaziel auch im letzten Jahr nicht eingehalten, die Emissionen sind sogar weiter gestiegen. Der zuständige FDP-Minister Volker Wissing sagt aber vor allem, was alles nicht geht: Kein Tempolimit, kein Verbrenner-Verbot, kein Stopp beim Autobahnbau. Wie soll das Ziel denn dann im nächsten Jahr erreicht werden?

Köhler: Wir kommunizieren sehr wohl, was alles geht: Es geht, Autos mit E-Fuels zuzulassen. Es geht, schnell Autobahnen zu bauen. Und vor allem: Es geht, in Deutschland schnell einen echten Emissionshandel einzuführen, mit dem wir unsere Klimaziele sicher erreichen.

Verlinden: Neue Autobahnen nützen doch dem Klima nichts, sondern sie schaden ihm – sowohl beim Bau als auch bei der Nutzung. Außerdem müssen wir den Schwerpunkt der Investitionen auf den Erhalt des Bestands richtig – wenn marode Brücken jahrelang gesperrt werden, ist das fatal für die Wirtschaft.

Köhler: Für den klimagerechten Umbau der Industrie und der Energieversorgung brauchen wir gute Infrastruktur. Dazu gehören auch Autobahnen. Die wichtigste Maßnahme ist aber der Emissionshandel. Der sollte schnell auf alle Sektoren ausgeweitet werden; dann ist sichergestellt, dass die Ziele insgesamt erreicht werden. Dann braucht auch nicht jeder Sektor für jedes Jahr ein Ziel. Denn das ist doch gar nicht entscheidend.

Verlinden: Zu sagen, wenn ein Sektor sein Ziel nicht schafft, muss ein anderer eben mehr schaffen, reicht nicht. Denn in gut 20 Jahren müssen alle Sektoren auf null sein. Manches geht dabei nicht so schnell, weil ein PKW eben 15 Jahre fährt, wenn er erst mal angeschafft wird. Darum muss man die Weichen rechtzeitig stellen. Manches ginge aber auch sehr schnell – etwa ein Tempolimit. Dafür bräuchte man nicht mal Schilder. Und wir müssen endlich an die ökologisch schädlichen Subventionen im Verkehrssektor ran – das haben wir im Koalitionsvertrag schließlich beschlossen. Den Emissionshandel weiterzuentwickeln ist richtig, aber es reicht nicht aus.

Köhler: Ein Tempolimit geht nicht schnell, denn wir haben es für diese Legislaturperiode im Koalitionsvertrag ausgeschlossen. Ansonsten widerspreche ich gar nicht. Weil wir nicht von 0 ein neues System aufbauen können, können neben dem Leitinstrument Emissionshandel auch weitere, gut abgestimmte Maßnahmen hilfreich sein.

Das klingt jetzt ja doch einigermaßen versöhnlich. Hält die Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode?

Beide: Ja.

Und finden Sie beim Heizungsgesetz, beim Verbrennerverbot, bei den Autobahnen und beim Haushalt bis zum Sommer eine Lösung?

Köhler: Ja.

Verlinden: Bei den meisten Fragen gibt es ja schon eine Einigung. Wir müssen sie nur endlich umsetzen, statt immer wieder dieselben Sachen zu diskutieren.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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