Analyse
Erscheinungsdatum: 03. Oktober 2023

Schwarz-Grün auf Länderebene: Ungleiche Partnerschaften

2023_09_28_SchwarzGrün1
Während die Bundes-CDU ihren Kurs noch sucht, hat sie auf Landesebene längst Richtungen eingeschlagen. Das zeigt etwa das schwarz-grüne Verhältnis in Nordrhein-Westfalen und Sachsen. In beiden Ländern regieren die Parteien zusammen. Doch die Bündnisse könnten kaum unterschiedlicher sein.

Sonntag, 1. Dezember 2019 in Dresden: Drei Monate nach der Landtagswahl überraschen drei Parteien Landes- und Bundespresse. Sachsens erste Kenia-Koalition aus CDU, Grünen und SPD hat sich geeinigt. „Gemeinsam für Sachsen“ verspricht der Koalitionsvertrag.

Donnerstag, 23. Juni 2022 in Düsseldorf: Gut einen Monat nach der Landtagswahl präsentieren Hendrik Wüst und Mona Neubaur den „Zukunftsvertrag“ und damit ein Zweier-Bündnis, das es zumindest in Nordrhein-Westfalen noch nicht gab.

Ein Bündnis, das Schwarz und Grün verbindet, war früher undenkbar. Inzwischen koalieren Union und Grüne in sechs Landtagen. Zu zweit in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg; zu dritt in Brandenburg und Sachsen. Oft hat die gemeinsame Arbeit Friktionen entschärft, Partnerschaft gefördert. Im Dresdner Landtag haben sich die Gräben indes vertieft. Wie also steht es um die Beziehungen zwischen den beiden ungleichen Partnern? Welche Unterschiede gibt es zwischen Ost und West? Und was könnte daraus für die Zukunft folgen? „Vertrauen braucht Wertschätzung, Verlässlichkeit und Ehrlichkeit“, hat Michael Kretschmer bei seiner Festrede zum 33. Tag der Deutschen Einheit gesagt. Wie viel der Worten steckt im realen politischen Miteinander? Ein Blick auf zwei Beziehungen, die beide schwierig sind und doch sehr Unterschiedliches ausstrahlen.

Rund ein Jahr vor der nächsten Landtagswahl in Sachsen ist aus beiden Parteien zu hören: „Wir wollen mit denen eigentlich nicht mehr.“ Bei den Grünen heißt es, die Fraktion habe zu viel aus der CDU schlucken müssen: Im Plenarsaal verhielten sich ältere, männliche CDUler oft herablassend gegenüber Grünen, gerade gegenüber jüngeren Frauen. Äußerungen mancher CDUler, etwa über queere oder geflüchtete Menschen, sind aus grüner Perspektive mit Positionen der AfD oft kompatibler als mit den eigenen Vorstellungen.

Auf einer Regionalkonferenz der CDU zementierte Michael Kretschmer die Aversion kürzlich. „Wir wollen eine Regierung ohne die Grünen bilden", kündigte er als Botschaft für den Wahlkampf an und fügte mit Blick auf die Angesprochenen hinzu: „Ich kann diese Leute vielleicht nicht sonderlich leiden und ich mag ihre Lebensart nicht." Die Grünen antworteten mit einer Kampagne mit dem Hashtag #DieseLeute, an der sich auch die Bundesspitze beteiligte. Sachsens Justizministerin Katja Meier twitterte: „#DieseLeute sind so vielfältig wie Sachsen selbst. Sie gehen wandern, fahren Fahrrad, machen Party, essen Schnitzel, trinken Kaffee mit Kuh- und mal mit Hafermilch". Eine weitere Kooperation, so wirkt es, scheint vielen grünen Abgeordneten mindestens so schwer vorstellbar zu sein wie Kretschmer – und könnte nach der nächsten Wahl doch alternativlos sein.

Wie wenig Lust die CDU in Dresden darauf hat, zeigt sie den Grünen regelmäßig. Sie stoße den Koalitionspartner ständig von sich, klagen Grüne; sie reagiere öffentlich allergisch gegen jegliche Idee, die im Verdacht steht, grün zu sein. Gemeinsame Kompromisse präsentiere die CDU nicht mit Freude über den Erfolg, sondern als leidvolle Unvermeidbarkeit. Die Vorhaben aus dem „Gemeinsam für Sachsen“-Vertrag sind großteils abgearbeitet, trotzdem lasse die CDU das Bündnis nach außen gern dysfunktional erscheinen.

Grund dafür mögen auch die Krisen der vergangenen Jahre sein; eine Zeit, nach der man einander viel zu verzeihen hat. Nur zwei Monate nachdem CDU, Grüne und SPD ihren Koalitionsvertrag vorstellten, legte sich die Pandemie über das Land. Das neue Dreierbündnis führte Sachsen durch die Pandemie, doch es kam verändert heraus. Protestmärsche, oft mit Gewalt, an allen Ecken, ein Ministerpräsident, der zum Verdruss der Grünen das offene Gespräch mit Verschwörungsideologen suchte. Dann der Krieg und die Russlandfrage, die Michael Kretschmer lange Zeit viel Putin-freundlicher beantwortete als die meisten anderen Spitzen-CDUler samt Friedrich Merz – von den Grünen ganz zu schweigen.

Die Koalition brachte trotzdem gemeinsame Vorhaben wie das Transparenzgesetz auf den Weg. Und doch stellte die CDU die Unterschiede ins Schaufenster, nicht die Erfolge. Vom Transparenzgesetz distanzierten sich manche CDUler kurz nach dem gemeinsamen Beschluss sogar öffentlich. Während CDU und SPD in Sachsen schon vor der Wahl koaliert hatten, kamen die Grünen gefühlt als fünftes Rad an den Wagen – das ließ der alte den neuen Partner spüren. Als übereifrig seien sie wahrgenommen worden, erzählen Grüne. Und als Partner, den es nicht auch noch gebraucht hätte. Dass es aus seiner Sicht nach der Wahl 2024 wieder ein Zweierbündnis in Sachsen geben müsse, machte Kretschmer kürzlich auf der Regionalkonferenz klar – und ließ keine Zweifel daran, dass die Grünen auf der Partner-Wunschliste weit unten stehen.

In der CDU im Freistaat hört man, die Grünen seien nun mal der politische Hauptgegner. Das sei besonders deutlich, seit die Ampel im Bund regiert. Die Grünen seien nicht nur ideologisch und großstädtisch, sondern auch abgehoben, elitär, akademisch, weit weg vom „Volk“. In manchen Kommunen, Gemeinden, Landkreisen plädieren örtliche CDU-Funktionäre schon für Unvereinbarkeitsbeschlüsse mit den Grünen statt der AfD. Weiter oben in der Hierarchie der Landespartei stimmt man zumindest damit überein, dass Friedrich Merz bloß bei seiner harten Kante und Rhetorik gegen die Grünen hätte bleiben sollen. Soll heißen: Noch härter als er es auch jetzt immer wieder ist.

Während Hendrik Wüst aus NRW und Daniel Günther aus Schleswig-Holstein ihrem Parteivorsitzenden genau an dieser Stelle widersprachen, stimmte Michael Kretschmer zu. Gefragt, woran derart unterschiedliche Reaktionen liegen könnten, meint ein prominenter CDU-Politiker aus Sachsen, die Grünen würden einander in beiden Landesverbänden ähneln, aber die eigene Partei, die CDU, sei eine ganz andere in Sachsen als an Rhein und Ruhr. In Sachsen dezidiert konservativ und zugleich im schweren Duell mit der AfD; in Nordrhein-Westfalen mit einem starken sozialpolitischen Flügel, einem rheinischen Liberalismus und einer langen Geschichte. In der Tat kann sich das zu sehr unterschiedlichen Weltbildern auswachsen. So ist es zwischen diesen beiden Ländern wohl geschehen.

Hinzu kommen die Zahlen. In Nordrhein-Westfalen hat die CDU zuletzt immerhin 36,7 Prozent erzielt und die Grünen 18,2. Für beide ist das ein Polster, das sie fürs erste ruhiger schläfen lässt. In Sachsen lag die CDU mit 32,1 Prozent nur recht knapp vor der AfD. Und die Grünen sind viel kleiner, erzielten 8,6 Prozent. Ein Jahr vor der nächsten Wahl schneiden in Umfragen beide schlechter ab. Aufgeriebene Nerven verwundern da wenig – noch dazu angesichts eines AfD-Vorsprungs von zuletzt sechs Punkten zur CDU. Mehr Druck, mehr Unsicherheit, weniger Gelassenheit – all das dürfte die allgemeine Anspannung befeuern.

Mit der Ampel sei alles „noch viel schlimmer" geworden, sagt ein sächsischer CDUler. Der Blick seiner Partei auf das Berliner Bündnis und ganz besoners die Grünen könnte kaum kritischer sein. Das Heizungsgesetz fördere Ängste vor Bevormundung, heißt es; niemand wolle derart massiv von einer Regierung belästigt werden, erst recht nicht zuhause. Konsequenterweise lautet die Botschaft für den Wahlkampf im nächsten Jahr: Attacke auf „die katastrophale Ampel“.

Ein bisschen von dem Zorn, den Sachsens CDU in sich trägt, trifft dabei auch die eigene Bundespartei. So ist immer wieder zu hören, dass die sich von den Grünen stärker abgrenzen müsse und zugleich mit dem ständigen Gerede über eine Brandmauer Richtung AfD aufhören solle. In Berlin könne man das leicht sagen, in Sachsen sei man mit deren Angriffen und Konkurrenz direkt konfrontiert.

Die Grünen hat ihre Einordnung als politischer Hauptgegner besonders getroffen, weil auch für sie der Eintritt in die Regierung eine Überwindung und zugleich demokratische Selbstverständlichkeit war. Angesichts der Zahlen und Stärken sei die Auffassung gänzlich absurd, heißt es nicht nur in ihren Reihen. Zugleich gibt es einen Effekt, der sich gegenseitig verstärkt und womöglich manches am Verhalten der CDU erklärt. Wer der AfD leise oder laut zustimmt, verbindet das oft mit offenem Zorn bis Hass gegen die Grünen. In Sachsen gilt das für rund ein Drittel der Menschen. Diese Abgrenzung macht es der CDU, noch dazu der in Sachsen, offensichtlich schwer, sich zu den Grünen zu bekennen; unabhängig davon, ob die Grünen offensiv für Positionen werben oder leise nach gemeinsamen Wegen suchen. Durch die Spaltung im Land fühlen sich viele Christdemokraten zwischen allen Stühlen; auch dann, wenn sie mit der AfD selbst nichts zu tun haben wollen.

Das Ergebnis: In NRW – oder auch in Hessen – profitieren die Koalitionen und ihre Partner davon, wenn sie ihr Bündnis als Erfolg verkaufen und seine Beschlüsse als Gewinne präsentieren. In Sachsen bringe das Bündnis das schon lange nicht mehr zustande. Die Grünen beklagen das; die CDU räumt ein, dass es stimmt. Trotzdem bleibt Konflikt die dominierende Botschaft, hat jedes große Thema das Zeug zum öffentlichen Streit. Und das, obwohl die Partner im Inneren oft vertrauensvoll, mindestens zielgerichtet kooperieren. Nach außen sichtbar ist das nur zu selten; im Bundesrat enthält Sachsen sich regelmäßig, weil sich die Regierung nicht auf eine Linie einigen konnte.

Sachsens Grüne blicken denn auch beinahe wehmütig nach Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein, das mancher als „Paradebeispiel“ sieht. „Es ist keine Liebesheirat“, sagt eine prominente Grüne aus NRW. Aber man arbeite vertrauensvoll miteinander, zolle einander Respekt.

Wie unterschiedlich die CDU-Ministerpräsidenten mit ihrem grünen Koalitionspartner umgehen, zeigt ein Beispiel aus diesem Sommer. Viele Erwartungen lagen auf dem Gipfel der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten, bei dem es um Asylfragen ging. Hendrik Wüst kündigte damals an, dass er bestimmte Linien nicht überschreiten werde – das könne er mit seinem Koalitionspartner, den Grünen, nicht machen. Vertreter aus Sachsen reagierten darauf kopfschüttelnd. Man regiere ja auch selbst mit den Grünen, aber darauf könne man doch nicht dauernd Rücksicht nehmen.

Man kann es auch anders ausdrücken: der eine tut es eben, und die anderen tun es nicht. Das bewies Wüst auch, als sich im Sommer heftige Kritik an seiner grünen Integrationsministerin Josefine Paul entzündete. Wüst hielt trotzdem zu ihr und der integrationsfreundlichen Asyllinie. Ein Maß an Rückendeckung war das, das die Parteikollegin Katja Meier nie erlebt hat – zumindest nicht öffentlich. Erst kürzlich kritisierte Kretschmer, es habe sich nicht bewährt, Europapolitik aus der Staatskanzlei zu nehmen und an Meiers Justizministerium anzugliedern.

Hendrik Wüst, der einst als eher Konservativer in seiner Partei galt, scheint seine Linie gefunden zu haben. Ebenso Daniel Günther in Schleswig-Holstein. Es ist eine neue Generation von Christdemokraten aus dem Westen, deren Stil wenig zu tun hat mit dem eines Michael Kretschmer. Auch der galt mal als progressiver CDUler; als Abgeordneter in Berlin. In Sachsen änderte sich sein Kurs.

Wo das für die CDU und die Grünen endet, ist völlig offen. Sichtbar ist nur, wie unterschiedlich die Ansätze in der CDU sind – und wie sehr die Grünen davon abhängen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
Teilen
Kopiert!