Analyse
Erscheinungsdatum: 24. November 2024

Sachsen: Kretschmers wackelige Wiederwahl

Michael Kretschmer will Mitte Dezember vom Landtag erneut zum Ministerpräsidenten gewählt werden. Selbst von den Abgeordneten seiner geplanten Minderheitsregierung aus CDU und SPD dürften ihm zunächst nicht alle Stimmen sicher sein. Wenn es ihm vier Monate nach der konstituierenden Sitzung nicht gelungen ist, stehen Neuwahlen an.

„Es gibt keinen Grund, Michael Kretschmer zu wählen“, sagt Katja Meier, die als als Sachsens grüne Justizministerin fast fünf Jahre lang mit ihm zusammen regiert hat. Die Landtagswahl ist knapp drei Monate her. Viele Stunden Sondierungen von CDU, SPD und BSW mündeten am 6. November in das Scheitern des Brombeer-Plans. In der Folgewoche entschieden sich CDU und SPD dafür, Koalitionsverhandlungen für eine Minderheitsregierung aufzunehmen. Im Vergleich zu Thüringen, das parallel gewählt hat und wo es besser lief zwischen CDU und BSW, sitzt Sachsen die Zeit ungleich stärker im Nacken.Vier Monate nach der konstituierenden Sitzung des Landtags muss der Landtag seinen Ministerpräsidenten gewählt haben. Heißt: Bis Ende Januar. Ansonsten gibt es Neuwahlen.

Michael Kretschmer hat sich einen Zeitplan vorgenommen, der einigen recht sportlich vorkommt. Am 17. oder 18. Dezember soll der Landtag ihn erneut zum Ministerpräsidenten wählen. Am selben Tag sollen die Ministerinnen und Minister der Minderheitsregierung ihre Ernennungsurkunden erhalten. Kretschmer will, dass die Regierung noch vor den Weihnachtsferien steht. Damit er zumindest ein wenig Stabilität signalisieren kann, über die Feiertage. Dem Vernehmen nach befinden sich die schwarz-roten Verhandlung aber noch lange nicht an dem Punkt, an dem über die Vergabe der Ressorts entschieden wird. Es sei sogar denkbar, dass Kretschmer Ressorts zusammenlegt. Bevor er an Programmen spart, soll er intern verkündet haben, werde er an Posten sparen. An Staatssekretären oder sogar Ministerinnen.

Bei einer ganzen Reihe von Punkten haben sich SPD und CDU geeinigt. Dass sie weiter miteinander regieren wollen, war ohnehin längst im Wahlkampf absehbar, nicht umsonst hat die SPD Plakate gedruckt, auf denen ihre Spitzenkandidatin Petra Köpping zusammen mit Kretschmer zu sehen war – wenn auch unabgesprochen mit der CDU. Während der Verhandlungen mit dem BSW konnten CDU und SPD weitere Punkte abklopfen. Am Freitag haben die Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse zusammengefasst, kommende Woche wollen die Verhandler in die Endabstimmung gehen. Uneinigkeit gibt es nach Informationen von Table.Briefings derzeit vor allem noch über die Schuldenbremse, das Polizeigesetz für Sachsen und die Quellen-TKÜ – die Überwachung von Telefongesprächen.

Sich mit der ausgesprochen regierungswilligen SPD auf ein Programm zu einigen, dürfte kein größeres Problem für Kretschmer darstellen. Eher muss er darum bangen, ob er als Ministerpräsident genug Stimmen für seine Wiederwahl erhält. Allgemein – auch in der CDU – rechnet man damit, dass Kretschmer mehrere Anläufe brauchen wird.Im ersten Wahlgang benötigt er die absolute Mehrheit, das sind 61 von 120 Stimmen. Damit ist kaum zu rechnen.

Die Grünen hat Kretschmer im Wahlkampf mit seinen Frontal-Angriffen so vergrault, dass sehr viel Gras wachsen muss, um die verbrannte Erde zu verdecken. „Wir sind nicht Steigbügelhalter einer Politik, die offensichtlich vor allem auf den Erhalt von Macht ausgerichtet ist und eben gerade keine verantwortlichen Mehrheiten und dafür notwendige Gespräche sucht“, begründete Katja Meier das Nein für Kretschmer am Samstag beim Grünen-Landesparteitag. Sie wirft Kretschmer unter anderem vor, dass er sich mit AfD-Landeschef Jörg Urban zum Gespräch getroffen hat: „Mit den Feinden der Demokratie, mit der AfD, setzt man sich nicht außerhalb der parlamentarischen Gremien zusammen.“ Die Grünen stellen sieben Abgeordnete.

Ob und wie viele der 15 BSW-Stimmen Kretschmer erhält, ist unklar. Die Partei kündigte an, ihr Stimmverhalten vom Koalitionsvertrag abhängig zu machen. Der sechs Stimmen der Linken ist man sich bei der CDU relativ sicher. Parteiübergreifend ist man überzeugt, dass Neuwahlen nur der AfD nutzen würden. Die Linke hat es ohnehin nur denkbar knapp in den Landtag geschafft (ebenso wie die Grünen); sie müssten erneut um ihren Wiedereinzug bangen und wollen dem Vernehmen nach Neuwahlen unbedingt verhindern.

Aus AfD-Kreisen hat Table.Briefings erfahren, dass man wahrscheinlich geschlossen gegen Kretschmer stimmen werde, auch wenn die innerfraktionelle Endabstimmung dazu noch aussteht. Die AfD fühlt sich von der CDU abgestoßen, heißt es. Nach dem Platzen der Brombeer-Verhandlungen flammte bei der AfD Hoffnung auf, die CDU könnte eine Minderheitsregierung ohne die SPD stellen und mit der AfD kooperieren. Dazu könnte es zwar weiterhin kommen; die Beteiligung der SPD hat die Aussicht gleichwohl getrübt.

Auch die eigenen Leute werden im ersten Wahlgang sehr wahrscheinlich nicht geschlossen für Kretschmer stimmen, wie aus CDU-Kreisen zu hören ist. Zwar konnte Kretschmer den Großteil seiner Leute von einer Minderheitsregierung mit der SPD überzeugen; einige drängten aber nach dem Platzen der Brombeer-Koalition erneut auf eine Minderheitsregierung ohne Partner – darunter nach Informationen von Table.Briefings Vize-Fraktionsvorsitzende Sandra Gockel. Sie argumentierten, dass die CDU, wenn schon aus der Minderheit, die Staatsregierung wenigstens alleine stellen sollte.

Einige aus der Partei munkeln, dass die gesamte Fraktion gerade „mit offenen Fenstern“ schlafe, um den Ruf für einen Ministerposten nicht zu verpassen. Vor allem aber treibt die Abweichler eine Sehnsucht nach Rechtsaußen an. Sie verübeln Kretschmer das Bündnis mit der SPD. Wie Table.Briefings aus AfD-Kreisen erfuhr, hat Landeschef Jörg Urban mit einer Reihe von CDUlern in „konstruktiven Gesprächen“ bereits geplant, wie Kooperationen zwischen der AfD und einer allein regierenden CDU aussehen könnten.

Ab dem zweiten Wahlgang braucht Kretschmer keine absolute Mehrheit mehr, sondern nur noch mehr Ja- als Nein-Stimmen. Sollten in diesem oder zumindest einem späteren Wahlgang CDU und SPD geschlossen für ihn stimmen, hätte er 51 Stimmen. Wenn die AfD geschlossen gegen ihn stimmt, kommen 40 Stimmen zusammen. Hinzu kommen wahrscheinlich sieben Grüne-Nein-Stimmen. Bei der Ministerpräsidenten-Wahl im Dezember könne es „von uns Grünen aus heutiger Sicht nur ein Nein geben“, sagte Katja Meier am Samstag. Und es sei wie im echten Leben, bekräftigt sie auf Nachfrage: „Nein heißt nein!“ Wenn die Linke tatsächlich geschlossen mit Ja stimmen sollte, wäre Kretschmer bei 57 Ja-Stimmen. Dann kommt es erneut auf das BSW an.

Sollte es Kretschmer in keinem Wahlgang gelingen, mehr Ja- als Nein-Stimmen zu erhalten, stünde ihm noch eine weitere Tür offen. Katja Meier erklärte auf Nachfrage, dass ihr Nein, „aus heutiger Sicht“ bedeute: „Wenn er mit uns spricht und es eine koalitionäre Zusammenarbeit gibt, dann gibt's auch unsere Stimme.“ Aber auch mit der Fortsetzung der Kenia-Koalition hätte Kretschmer keine absolute Mehrheit im Landtag, sondern erst 58 von 120 Stimmen. Bei einer Minderheit würde es bleiben, noch dazu stemmen sich einige bei der CDU wesentlich vehementer gegen die Grünen als gegen die AfD. Nur mit einem Vierer-Bündnis, das auch die Linken einschließt, gäbe es eine Mehrheit ohne AfD und BSW.

Abgesehen von diesen Optionen und von Neuwahlen bliebe Kretschmer im Falle einer gescheiterten Wahl nur noch der Weg nach rechtsaußen: Die AfD, die der Verfassungsschutz in Sachsen als gesichert rechtsextrem eingestuft hat. So groß die Sehnsucht in Teilen seiner Partei ungeachtet dessen ist, verspricht der Ministerpräsident doch immer wieder, dass diese Tür geschlossen bleibe. Manche munkeln, Kretschmer könnte hinter den Kulissen die Flucht nach Berlin vorbereiten und dort ein Ministeramt auf Bundesebene anstreben. Nach Informationen von Table.Briefings ist das nicht sein Plan. Ob er allerdings die Legislaturperiode bis zum Ende durchziehen will, hat er dem Vernehmen nach noch nicht entschieden. Klar ist: Würde der Spitzenkandidat der CDU jetzt gehen, wäre das Signal verheerend.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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