Dieser Satz sorgte in der Gesundheitsbranche für die größte Überraschung. Union und SPD haben sich darauf verständigt, ein „verbindliches Primärarztsystem bei freier Arztwahl durch Haus- und Kinderärzte“ einzuführen. So steht ohne Vorbehalte und Prüfaufträge im Koalitionsvertrag – obwohl weder Union noch SPD das im Wahlprogramm so konkret gefordert hatten.
Für gesetzlich versicherte Patienten heißt das: Wer zu einem Facharzt will, muss sich von seinem Hausarzt dorthin überweisen lassen. Alternativ geht das unter der zentralen Anlaufstelle mit der Rufnummer 116 117 der Kassenärztlichen Vereinigung. Wer mit Rückenschmerzen bislang direkt zum Orthopäden gegangen ist, kann das dann nicht mehr tun. Ausnahmen soll es lediglich für Gynäkologen und Augenärzte geben.
Ziel der Reform: Patienten sollen nicht mehr ewig auf einen Facharzttermin warten müssen. Im Koalitionspapier ist konkret von einer „Termingarantie“ die Rede. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sollen verpflichtet werden, den Facharzttermin innerhalb eines festgelegten Zeitraums zu vermitteln. Gelingt das nicht, sollen Patienten stattdessen einen Facharzt im Krankenhaus aufsuchen können.
Dass es eine Notwendigkeit gibt, Patienten besser durchs Gesundheitssystem zu lotsen, belegen Abrechnungsdaten der GKV. Demnach besucht jeder fünfte Versicherte pro Jahr sechs oder mehr verschiedene Arztpraxen. Experten haben schon lange diejenigen Patienten als Hauptproblem identifiziert, die von Arzt zu Arzt tingeln, ohne dass dies aus medizinischer Sicht zwingend notwendig wäre. Sie sollen von den Hausärzten künftig ausgebremst werden und die Facharztpraxen entlasten. Das zumindest ist die Hoffnung.
Für den künftigen Gesundheitsminister oder die Gesundheitsministerin dürfte die Umsetzung der Reform hart werden. Denn während Krankenkassen und Ärzteverbände das Vorhaben begrüßen, ist der Plan bei Patienten unpopulär. Das zeigt eine Umfrage des Instituts für Mikrodaten-Analyse im Auftrag der IK Innovationskasse und der bayerischen Fachärzte, deren Ergebnisse Table.Briefings exklusiv vorliegen. Demnach beurteilen zwei Drittel der Befragten ein verbindliches Primärarztsystem insgesamt negativ (siehe Grafik). Die Patienten rechnen außerdem nicht damit, dass die Versorgung im Gesundheitssystem besser bzw. schneller wird.
Ralf Hermes, Chef der IK Innovationskasse, befürchtet einen Rückschritt der medizinischen Versorgung. „Viele Versicherte haben das Vertrauen in ein völlig überlastetes Gesundheitssystem verloren. Der Wegfall der freien Arztwahl würde einen weiteren Verlust von Selbstbestimmung bedeuten“, sagte er Table.Briefings. Zudem weist er darauf hin, dass die Reform die Finanzprobleme der GKV nicht löse. Es brauche daher andere Maßnahmen, an denen alle Akteure beteiligt werden müssten. Hermes schlägt dazu etwa eine „Sofortbremsung“ der Arzthonorare, die Wiedereinführung der Praxisgebühr, eine Eigenbeteiligung an Krankenhausaufenthalten von 20 Euro pro Tag sowie Verdopplung der Zuzahlung zu Arzneimitteln von 5 auf 10 bzw. 10 auf 20 Euro vor.