Analyse
Erscheinungsdatum: 04. Mai 2023

Patrick Graichen – Staatssekretär im Zwielicht

Patrick Graichen spielt im Bundeswirtschaftsministerium eine Schlüsselrolle. Er ist Robert Habecks Mann für die Energiewende. Nun werden Zweifel an seiner Amtsführung laut. Eine Bestandsaufnahme.

Normalerweise stehen Staatssekretäre nicht allzu sehr im Rampenlicht. Bei Patrick Graichen ist das derzeit anders: Der Spitzenbeamte im Wirtschaftsministerium sieht sich aktuell mit Klüngel-Vorwürfen und Rücktrittsforderungen konfrontiert. Der designierte Kandidat für den Vorsitz der Geschäftsführung der Deutschen Energie-Agentur (Dena), Michael Schäfer, ist Graichens Trauzeuge. Graichen war an dem Auswahlprozess für den Dena-Vorsitz beteiligt, obwohl er frühzeitig von Schäfers Bewerbung wusste. Graichen spricht von einem „Fehler, den er sehr bedauert“. Er hätte sich aus der Findungskommission zurückziehen müssen, als Schäfer Kandidat wurde, sagt er.

Die Opposition im Bundestag wittert einen Skandal. CSU-Generalsekretär Martin Huber sprach von „Vetternwirtschaft“. Graichen sei als Staatssekretär nicht mehr haltbar. Die AfD sprach sogar von „grünen Clan-Strukturen“.

Die Kritik ist umso lauter, weil der Fall Schäfer nicht die einzige enge Verknüpfung Graichens ist. Graichens Amtskollege als Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) ist Michael Kellner, sein Schwager. Der ist verheiratet mit Graichens Schwester Verena – die wiederum wie sein Bruder Jakob als Energieexpertin für das Freiburger Öko-Institut arbeitet. Dem Beratungsinstitut erteilt auch die Bundesregierung Aufträge. Diese familiären Verbindungen sind allerdings seit Dezember 2021 bekannt und wurden vom Ministerium transparent gemacht.

Das BMWK sicherte damals zu, es werde Verfahren einrichten, um Interessenkonflikte zu verhindern. Tatsächlich hat die Anzahl der Aufträge für das Öko-Institut und die gezahlten Summen seit Amtsantritt der Ampel abgenommen, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet. 2022 wurden demnach fünf Aufträge im Wert von 3,6 Millionen Euro erteilt. Im letzten Merkel-Jahr, 2021, waren es acht Aufträge (Volumen 2,5 Millionen Euro) und 2019 sogar elf Aufträge mit einem Volumen von 9,5 Millionen Euro. Auch ist Graichen an Vergabeverfahren mit Beteiligung des Öko-Instituts, des BUND – Verena Graichen sitzt dort im Vorstand – oder Agora Energiewende – seinem vorherigen Arbeitgeber – ausgeschlossen.

Graichen ist ein zentraler Ideengeber und Manager der Habeck'schen Energie- und Klimawende – und somit auch der Kopf hinter einigen anstehenden Härten für Verbraucher und einige Industriesektoren. Ob bei der Wärmewende, dem Klimaschutzgesetz, der Energiewende oder dem Gas-Krisenmanagement nach dem russischen Angriff auf die Ukraine – Graichen ist für viele der zentralen Projekte des BMWK verantwortlich. Auch das medial und von einigen Interessengruppen stark kritisierte Gesetz zur Förderung von Wärmepumpen und dem Austausch alter Heizungen geht auf Graichen zurück.

Rücktrittsforderungen an Graichen treffen also immer auch Habeck und seine teils unbeliebten Pläne für die Energie- und Wärmewende. Graichen selbst lehnt einen Rücktritt ab. Sein Chef hält bisher an seinem Spitzenbeamten fest. Habeck versucht, die Vorwürfe gegen Graichen mit einer Überprüfung des Auswahlverfahrens für den Dena-Vorsitz zu entschärfen. Es könnte zu einer kompletten Wiederholung des Verfahrens kommen, so der Aufsichtsratsvorsitzende der Dena, Stefan Wenzel.

Auch wenn Graichen kein direktes Fehlverhalten nachgewiesen werden konnte, bleibt der Anschein von Interessenkonflikten. Die Opposition wird wohl in Zukunft bei ihrer Kritik an der Energiewende auch auf die enge Bande zwischen Graichen und anderen wichtigen Interessenvertretern verweisen.

Graichen hat – wie für politische Beamte nicht unüblich – Regierungen unterschiedlicher Couleur gedient. Von 2001 bis 2006 war er Referent für internationalen Klimaschutz im Bundesumweltministerium. Zunächst unter dem grünen Minister Jürgen Trittin, später unter Sigmar Gabriel von der SPD. Anschließend wurde er sogar Referatsleiter für Grundsatzangelegenheit Klimaschutz. Diesmal hieß der Umweltminister Norbert Röttgen – ein CDUler.

2012 verließ Graichen den politischen Betrieb zwischenzeitlich und baute mit dem ehemaligen Staatssekretär des BMU und Weggefährten Rainer Baake die Denkfabrik Agora Energiewende auf. Als Baake erneut zum Staatssekretär berufen wurde, übernahm Graichen als Exekutivdirektor und Geschäftsführer die Leitung des Thinktanks. Der studierte Volkswirt und Umweltökonom fungierte in dieser Zeit eher als Watchdog und Kommentator von der Seitenlinie.

Damals setzte sich Graichen dafür ein, den Kohleausstieg und den gleichzeitigen Erneuerbaren-Ausbau durch Druck von außen zu forcieren. Schon 2015, noch bevor das Pariser Abkommen unterzeichnet war, wies er auf die notwendige Reform des Energiemarktdesigns hin, wonach klimafreundliche Energieträger effizient gefördert und klimaschädliche entsprechend bepreist werden müssen. Nico Beckert/Lukas Scheid

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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