Plötzlich scheint möglich, was vor der Wahl ausgeschlossen wurde: Friedrich Merz will mit SPD, Grünen und FDP darüber sprechen, welche Möglichkeiten es noch vor Bildung einer neuen Regierung gibt, um zusätzliche Milliarden für Deutschlands Sicherheit aufzutreiben. Angesprochen auf eine Änderung der Schuldenbremse oder die Schaffung eines neuen Sondervermögens, verwies der CDU-Vorsitzende am Montag auf die Handlungsfähigkeit des alten Bundestages. Dort verfügen Union, SPD und Grüne gemeinsam noch über eine verfassungsändernde Mehrheit. Im künftigen Parlament haben AfD und Linke eine Sperrminorität, mit der sie eine Grundgesetzänderung blockieren könnten.
„Ob wir entscheiden sollen oder entscheiden müssen, darüber werde ich mit den Parteien sprechen, die jetzt noch im Deutschen Bundestag mit einem bestehenden Mandat ausgestattet sind“, sagte Merz und nannte SPD, Grüne und FDP. Nach Informationen aus Parteikreisen will er bereits Dienstag mit Lars Klingbeil über Sicherheit und Ukraine reden. Noch vor den offiziellen Sondierungsverhandlungen mit der SPD, die nach Karneval am 6. März beginnen sollen, will Merz ausloten, wie die Finanzierungsfragen geklärt werden können. Er erinnerte daran, dass einst in ähnlicher Situation bereits ein Bundeswehrmandat beschlossen worden war. Gemeint ist, dass 1998 unmittelbar nach der Bundestagswahl und noch vor der Konstituierung des neugewählten Bundestages über die Beteiligung der Bundeswehr am Kosovo-Konflikt entschieden wurde. Damals stand allerdings eine Mehrheit nicht infrage – Anlass für die eilige Bundestagsbefassung war die Dringlichkeit des Beschlusses.
Verfassungsrechtlich gibt es dennoch für eine Befassung des bisherigen Bundestages keine Hindernisse. Florian Meinel, Staatsrechtslehrer aus Göttingen, bestätigte Table.Briefings, dass der Bundestag bis zu seiner Auflösung noch vollständig arbeitsfähig ist, inklusive Gesetzgebung und Verfassungsänderung. Merz wies darauf hin, dass der alte Bundestag bis zur Konstituierung des neuen – voraussichtlich am 24. März – entscheidungsfähig sei.
Eine Verfassungsänderung auf den letzten Metern vor der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestags am 24. März wirkt wie ein kühner Handstreich. Über die politische Klugheit des Vorhabens lässt sich streiten, doch mit den 520 Stimmen von Schwarz, Rot und Grün – die FDP wäre dafür nicht nötig – ließen sich die Schuldenbremse reformieren oder Sondervermögen ins Grundgesetz aufnehmen. Robert Habeck und Annalena Baerbock hatten diese Möglichkeit bereits vor Merz angedeutet. Die Reform der Schuldenbremse sei angesichts der sicherheitspolitischen und technologischen Herausforderungen überfällig. Es sei nötig, diese „jetzt zu beschließen“. Der geschäftsführende SPD-Finanzminister Jörg Kukies hatte umgehend Zweifel an der Durchführbarkeit eines solchen komplexen Vorhabens geäußert. Merz aber will nach den Erfahrungen der MSC eine schnelle und klare Antwort aus Deutschland.Aus den USA kämen – „gerade in den letzten Tagen“ – Signale, dass der Regierung von Donald Trump das Schicksal der europäischen Verbündeten gleichgültig sei.
Falls erst der neue Bundestag darüber entscheidet, würde es komplizierter. Denn dort fehlen Union, SPD und Grünen sieben Stimmen zur Zweidrittelmehrheit, sodass sie auf die Zustimmung der Linken angewiesen wäre. Einem neuen Sondervermögen für die Bundeswehr will die Linkspartei aber nicht zustimmen. Zu einer generellen Aufhebung oder Reform der Schuldenbremse wäre sie nach Angaben von Parteichef Jan van Aken gesprächsbereit. Doch das lehnt die Union ab. Eine mögliche Lösung könnte ein Sondervermögen mit einem anderen Zweck sein, etwa der von den Grünen geforderte Fonds für Investitionen in Infrastruktur und Transformation; dieser würde im regulären Haushalt zusätzliche Mittel freimachen, die dann fürs Militär genutzt werden könnten.
Denkbar wäre auch ein Notlagenbeschluss, für den eine einfache Mehrheit des Bundestages ausreichen würde. Einen solchen „Überschreitensbeschluss“ hatte Bundeskanzler Olaf Scholz vor der Wahl zur Aufstockung der Ukraine-Hilfe angeregt. Allerdings setzt ein solcher Beschluss eine Begründung voraus, die bei möglichen Klagen vor dem Verfassungsgericht Bestand hat. Die Veränderungen in der US-Politik und die neuen Entwicklungen im Ukraine-Krieg könnten diesen Anspruch erfüllen; die Höhe der zusätzlich möglichen Schulden wäre aber voraussichtlich deutlich geringer als bei einem Sondervermögen.
Und wenn alle Wege versperrt sein sollten, könnte Merz versuchen, die Spielräume über die EU-Ebene zu erweitern. Allerdings würde eine Ausnahme von den EU-Schuldenregeln, wie sie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Aussicht gestellt hatte, nicht helfen, da die deutsche Schuldenbremse weiter greift. Im Grunde bliebe Merz nur der Weg über gemeinsame EU-Schulden, etwa in Form von Verteidigungsbonds, wie sie mehrere EU-Staaten fordern. Doch damit begäbe sich ausgerechnet eine CDU-geführte Bundesregierung in die „Schuldenunion“, vor der die Partei stets gewarnt hat.