Am Tag des Sturzes von Baschar al-Assad sind die Konsequenzen für Europa noch schwer abzuschätzen. In Syrien aber und noch mehr im Libanon ist es ein Tag ungekannter Freude. Libanesen mit Kontakten nach Europa schrieben am Sonntag ihren Freunden, dieser Tag sei nichts anderes als ihr 9. November 1989. Knapp fünfzig Jahre nach dem Beginn des syrischen Einmarsches in das Zedernland komme man endlich frei. Das sei ein Tag größten Glücks, ganz gleich, was nun folgen werde. Zumal sich mit Assads Ende eine dramatische Schwächung der Hisbollah verbindet. Nimmt man beide Kräfte zusammen, so haben diese in den vergangenen Jahrzehnten das Land maximal für ihre Weltsicht und Interessen in Geiselhaft genommen.
In Syrien mischt sich das Glücksgefühl mit der Sorge um die Zukunft. Allerdings gehören jene Islamisten, die das Regime jetzt gestürzt haben, exakt zu jenen Oppositionskräften, auf denen zu Beginn des arabischen Frühlings (der einst seinen Ausgangspunkt unter anderem in Syrien genommen hatte) die meisten Hoffnungen auf eine neue Zeit ruhten. Insbesondere ihr Anführer Abu Mohammed al-Golani hat nach allem, was man bislang weiß, den Marsch auf Damaskus nicht nur militärisch, sondern auch politisch so gut organisiert, dass er bis auf Weiteres auch als zentrale Figur für eine Stabilisierung der Lage gelten dürfte. Trotzdem ist in einem in Teilen laizistisch geführten Syrien die Angst groß, dass die Islamisten massiven religiösen Druck auf die Gesellschaft ausüben könnten.
Für die Türkei und Katar sind die Entwicklungen ein großer Erfolg. Die beiden zentralen Schutzmächte der siegreichen Milizen haben damit nicht nur ihren militärischen, sondern auch ihren politischen Einfluss in der Region erheblich gesteigert. Sie sind es, die im Namen des sunnitischen Islam die schiitischen Kräfte und Proxys wie Teheran und die Hisbollah im Libanon massiv geschwächt und eingeschränkt haben. Das könnte Recep Tayyip Erdoğan innerhalb der sunnitischen Welt auch gegenüber Saudi-Arabien und Ägypten weiter stärken. Seinem Traum, Anführer dieses Teils der Welt zu sein, ist Erdoğan mit diesem Erfolg vermutlich sehr viel nähergekommen.
Für Wladimir Putin ist das Ende seines Zöglings eine herbe strategische Niederlage. Dass Assad inzwischen in Moskau ist, wie am Abend Agenturen berichten, wird ihm kein Trost, sondern immer größere Last sein. Mit Verlierern will sich einer wie Putin nicht umgeben. Hinzu kommt etwas, das ihn dauerhaft mehr schwächen könnte. Wenn sich die Dinge entwickeln, wie aktuell zu vermuten ist, dann dürfte Russland auch seinen einzigen Militärstützpunkt im Mittelmeer verlieren. Der Verlust Syriens schmerzt, der strategische Verlust des letzten Zugangs zum Mittelmeer dürfte dem russischen Kriegspräsidenten noch mehr weh tun. Außerdem wirft die rasante und völlig unerwartete Niederlage des Assad-Regimes die Frage auf, ob Russland eben doch überfordert gewesen ist – und der Ukraine-Krieg ihm viel mehr Ressourcen abverlangt, als es ihm lieb sein kann.
Offen ist, welche Folgen der Regime Change für Europa und Deutschland haben wird. Nicht ausgeschlossen ist, dass mit dem Ende des Assad-Regimes manche Flüchtlinge neu über eine Rückkehr in ihre Heimat nachdenken, ob in den Flüchtlingslagern in der Türkei oder auch in Europa. Nicht ausgeschlossen ist aber auch, dass sich zunächst Menschen auf den Weg Richtung Europa machen könnten. Das gilt insbesondere für jene, die dem Assad-Regime nahestanden und jetzt religiöse Unterdrückung fürchten. Welche UN-Resolution jetzt in Syrien wichtig wird, was man in Israel denkt und wie sehr das Ganze Putins Krieg in der Ukraine beeinflussen kann, lesen Sie in einer Spezial-Ausgabe des Security.Table.