Analyse
Erscheinungsdatum: 11. Mai 2025

Neue Regierung: Schwarz-Rot ist schneller als die Ampel – bei der Offenlegung erster Bruchlinien

Der Umgang mit dem Begriff der Notlage und der Linken, der Streit über ein Rentenkonzept und Alleingänge in Ministerien legen offen: Die neue Regierung unter Friedrich Merz startete nicht nur denkbar holprig; die nächsten Großkonflikte stehen längst ins Haus.

Nicht mal eine Woche nach der Kanzlerwahl und wenige Tage vor der ersten Regierungserklärung von Friedrich Merz präsentiert die Ampel noch keine Politik aus einem Guss, sondern demonstriert vor allem Konfliktlinien. Das galt für den holprigen Umgang mit dem Begriff der Notlage. Noch viel mehr aber beweisen der jäh aufgebrochene Streit über ein Rentenkonzept der Zukunft und der schwelende Konflikt über den Umgang mit der Linkspartei: Die Themen, die man – um schnell abzuschließen – bei den Koalitionsverhandlungen nicht wirklich anfasste, verschwinden nicht; sie verlangen nach neuen Lösungen. Hier klaffen bedrohlich tiefe Gräben zwischen den Koalitionären. Es fehlt, mindestens bislang, an Zurückhaltung und Zusammenhalt. Nur das Bedürfnis nach Profilierung und Abgrenzung ist deutlich sichtbar.Da ist der Vorstoß von Neu-Sozialministerin Bärbel Bas. Sie verkündete wenige Tage nach Regierungsbildung, dass sie künftig auch Beamte und Selbständige in die Rentenversicherung integrieren will. Neu ist daran aus Sicht einer Sozialdemokratin wenig; ungeschickt aber dürfte das Vorpreschen sein, jedenfalls, wenn man den Koalitionsfrieden nicht sofort testen möchte. Doch genau das geschah. Und insbesondere CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann hielt massiv dagegen. Sei nicht abgesprochen, stehe nicht im Koalitionsvertrag und komme so auch auf keinen Fall in Frage – das sind Sätze, die man vor allem von der Ampel kannte. Das Bündnis ist anders; die Reflexe aber sind die gleichen.Und diese Reflexe funktionieren auch anderswo. Nach der fragilen Kanzlerwahl mühten sich Unionsfraktionschef Jens Spahn und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, die Kurzzeit-Zusammenarbeit mit der Linken nicht als Ende des Unvereinbarkeitsbeschlusses zu beschreiben. Der gelte weiter, nichts habe sich geändert, erklären beide unisono. Sie übersehen oder ignorieren aber, dass die Frage der Mehrheit sie schon bald wieder beschäftigen wird. Jedenfalls dann, wenn sie als Koalition neue Verfassungsrichter bestimmen und mit der SPD wie vereinbart über eine Reform der Schuldenbremse sprechen wollen. Ersteres wartet schon im Sommer, letzteres soll eigentlich bis Jahresende geschehen.Ihr Verhalten jetzt erinnert an den vergangenen Montagabend. Am Abend vor dem ersten Wahlgang für den Kanzler hatte ein kleiner Kreis höchster CDU-Vertreter nach Informationen von Table.Briefings von der Spitze der Bundestagsverwaltung eine Analyse erhalten, was passiert, wenn der erste Wahlgang schief gehen würde – und welche Optionen dann noch blieben. Quasi für jeden zeitlich akzeptablen Schritt (Merz wollte am nächsten Tag als Kanzler nach Paris und Warschau) zeichnete sich die Notwendigkeit ab, mit der Linken zu sprechen. Spahn wusste das, Merz wusste es auch. Und doch hatte niemand den Auftrag erteilt oder erhalten, sich diskret auf diese Kontaktaufnahme vorzubereiten. Die Sprecher wussten nichts; und die allermeisten Spitzenvertreter (Ausnahme Alexander Dobrindt) hatten weiterhin keine Telefonnummer, um erste Drähte zu legen. Dass das wie Chaos aussah, darf niemanden wundern.Wie unterschiedlich dabei die eigenen Ziele und die des Koalitionspartners betrachtet werden, zeigt ein Auftritt von Neu-Kanzleramtschef Thorsten Frei. Bei seinem letzten Auftritt als PGF vor knapp zwei Wochen hatte er erklärt, wie wichtig eine Reform der Sozialversicherungssysteme noch in dieser Legislatur sei – um zugleich zu erklären, dass er sich eine Reform der Schuldenbremse, noch dazu mit den Linken, nicht vorstellen könne. Beides ist vereinbart, das eine wird gepusht, das andere gebremst – man ahnt schon, wie das die Sozialdemokraten bewerten. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch erklärte am Wochenende prompt, dass man die Reform der Schuldenbremse selbstverständlich angehen werde – auch im Gespräch mit den Linken. Überhaupt hat die auch SPD begonnen, munter eigene Merkposten zu definieren. So erklärte Partei-Vize Achim Post beim NRW-Landestreffen am Samstag: „Es wird ein tagtäglicher Kampf.“ Und die SPD werde „alles tun, um diesen täglichen Kampf zu gewinnen“. So sollten die, denen es gut geht, „mehr zum Gemeinwesen beitragen als bisher“. Konkret nannte Post eine um zwei Prozentpunkte höhere Einkommensteuer für die Höchstverdiener. „Wir werden dafür kämpfen, dass das kommt“, sagte er. „Und es wird kommen.“ Parteichef Lars Klingbeil assistierte: „Die Verteilungsfragen sind nicht vom Tisch.“ Begleitet von der Ankündigung: „Wir werden da nicht ruhig sein.“Wie groß die möglichen Zielkonflikte gerade beim Haushalt von Bärbel Bas noch werden können, lesen Sie in der Analyse des Berlin.Table.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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