Analyse
Erscheinungsdatum: 26. Februar 2025

Neue AfD-Fraktion: Vorerst euphorisch, aber mit absehbarem Konfliktpotenzial

Statt wie bisher 77 stellt die AfD künftig 152 Bundestagsabgeordnete. Bedingt durch regionale Ergebnisse, alte und neue Seilschaften dürfte sich die Machtarchitektur bei den äußerst Rechten verschieben.

Während andere Fraktionen ihre bitteren Verluste verschmerzen oder die Sondierungen vorbereiten, trifft sich die AfD am Dienstagnachmittag zum „fröhlichen Besäufnis“, wie manche jubilieren. Die Flure des Bundestags sind verlassen, im Käfer-Restaurant auf der Plenarsaal-Ebene wimmelt es dafür von neuen und scheidenden Abgeordneten des rechten Rands. Sie wirken euphorisiert vom Wahlerfolg. Gerade hat die Fraktion sich konstituiert, 152 statt zuletzt 77 Mitglieder sitzen für die AfD jetzt im Bundestag – knapp vorbei an den 25 Prozent, die zur Einberufung eigener Untersuchungsausschüsse nötig ist. Keine Fraktion ist so männlich und so alt wie die AfD: Nur 11,8 Prozent sind Frauen, das Durchschnittsalter beträgt 50,2 Jahre. 60 bisherige MdB gehören dem 21. Bundestag an, 92 kommen neu hinzu.

Das Spitzenduo aus Alice Weidel und Tino Chrupalla ist mit 95 Prozent wiedergewählt worden, ihre Vizes sind es auch. Doch schon auf ihrer Ebene zeigen sich Zeichen der Veränderung. Zu den bisherigen vier gesellt sich nun ein Fünfter: Markus Frohnmaier aus Baden-Württemberg. Neben radikalen Aussagen und Russland-Kontakten ist Frohnmaier vor allem für seine Weidel-Nähe bekannt. Weidel schwebt schon eine Weile auf dem bisherigen Zenit ihrer Macht. Während sie und Chrupalla zu Beginn der letzten Legislaturperiode noch auf einer Ebene standen, ist sie längst der weitgehend unangefochtene Star, die Galionsfigur der Partei. Weidel-Verbündete besetzen an allen Stellen relevante Posten in der AfD. Und nun noch einen weiteren unter den Fraktions-Vizes.

Ein anderer Fraktionsvize, Stefan Keuter aus Nordrhein-Westfalen, musste sich seine Wiederwahl härter erkämpfen als seine Kollegen. Der Bundesvorstand Kay Gottschalk, ebenfalls aus NRW, kandidierte gegen Keuter. Am Vorabend hatte es beim Landesgruppen-Treffen bereits mehrfach Streit gegeben. NRW-Chef Martin Vincentz wollte Gottschalk als Landesgruppenchef verhindern, doch sein Kandidat Hauke Finger scheiterte. Außerdem wollte Vincentz verhindern, dass die Gruppe wie auch die Fraktion Matthias Helferich aufnehmen – beides erfolglos. Am Montagabend versuchten große Teile der Landesgruppe, Gottschalk von einer Kandidatur gegen Keuter um den Posten als Fraktions-Vize abzubringen; allein um das Image von NRW zu wahren, nicht gleich die Zerstrittenheit nach außen zu präsentieren. Gottschalk versuchte es trotzdem, unterlag mit einem Drittel der Stimmen und zog von dannen, schloss sich der Fraktionsfeier nicht an. Kein Landesverband gilt als so zerstritten wie der größte: NRW. Das nagt am Machtpotenzial der Landesgruppe.

Der zweitgrößte Verband Bayern gilt als noch größerer Problemfall innerhalb der AfD. Mehrere „Strammis“, wie es parteiintern heißt, seien für Bayern nun in den Bundestag gezogen. Von einer „Schmuddel-Truppe“ spricht einer gegenüber Table.Briefings, von einem „Schrott-Flügel“. Als besonders radikal gelten etwa Rainer Rotfuß und Tobias Teich. Innerhalb der Landesgruppe soll großes Misstrauen herrschen. Aus Spitzenkreisen heißt es über den bayerischen Verband, ihm fehle der Wille, sich zu professionalisieren, Machtkämpfe zu beenden.

Wegen der Zerstrittenheit von Bayern und NRW könnte Baden-Württemberg mit seinen 19 Abgeordneten nun die stärkste Gruppe sein. Auch im Verband von Alice Weidel tobten früher erbitterte Machtkämpfe, die nun weitgehend beigelegt sind. Auf die Liste schaffte es kaum jemand, der sich gegen die Chefin stellt. Frühere Kritiker hatten keine Chance auf chancenreiche Listenplätze, Dirk Spaniel oder Jürgen Braun etwa gehören der neuen Fraktion nicht mehr an. Sie hätten es nicht geschafft, sich einzureihen, heißt es.

Als gestärkt geht auch Rheinland-Pfalz aus der Wahl hervor. Der Verband um Sebastian Münzenmaier, einflussreicher Netzwerker und Fraktionsvize, holte eines der besten West-Ergebnisse für die Partei: Mit 20,2 Prozent entspricht es fast dem Bundesschnitt. Geschwächt geht dagegen etwa Hessen aus der Wahl hervor, in dem sich viele mehr als 17,8 Prozent erhofft hätten. Zwar gilt das einst furchtbar verkämpfte Hessen als der intern friedlichste Landesverband, allerdings diagnostizieren einige, dass es nicht kämpferisch genug aufgetreten sei. Das niedrigste Ergebnis holte mit 10,9 Prozent Hamburg – überrascht hat das aber kaum.

Das beste Ergebnis von 38,6 Prozent der Zweitstimmen holte Thüringen. Höcke-Leute stellen künftig fast die halbe Landesgruppe: Sein bisheriger Co-Sprecher Stefan Möller, der bisherige Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Torben Braga, und der Höcke besonders nahestehende Robert Teske. Besonders groß ist der Thüringer Einfluss gleichwohl nicht: Sie stellen nur acht von 152 Abgeordneten.

Der sächsischen Gruppe gehören einige neue und viele bekannte Abgeordnete an, die nicht bei allen Kollegen Begeisterung auslösen. Carolin Bachmann oder Steffen Janich fielen schon vor ihrem Einzug in den Bundestag 2021 mit ihrem „Engagement“ für damals verbotene Corona-Demonstrationen auf. Doch das stört Kritiker weniger. Vor allem gelten sie als vergleichsweise stramm ideologisch und dafür intellektuell weniger motiviert als andere in der Fraktion. Manche aus der sächsischen Landesgruppe haben nach Informationen von Table.Briefings zudem zuletzt Unmut über ihren Chef Chrupalla geäußert; er sei zu professionell und abgehoben geworden, soll etwa Kooperationen mit den Freien Sachen kritisiert haben – eine Splitterpartei, deren Spitzenpersonal etwa mit Holocaustleugnung auffiel.

Die prominentesten Querschläger der neuen Bundestagsfraktion sind zweifelsohne Maximilian Krah und Matthias Helferich. Von beiden war nicht sicher, ob die Fraktion sie aufnehmen wird. Krah war trotz vorheriger Spitzenkandidatur 2024 aus der Fraktion des Europaparlaments ausgeschlossen worden, was er als heftige Demütigung empfunden haben soll. Helferich war im 20. Bundestag nie in die Fraktion aufgenommen worden. Die Liste der Vorwürfe gegen sie ist lang – den Nationalsozialismus haben beide schon verharmlost. Krah zog mit 44,2 Prozent per Direktmandat im Chemnitzer Umland ein, Helferich über den sicheren Listenplatz 6 in NRW. Auch er geht gestärkt aus der Wahl hervor. Trotz seiner bekannten Radikalität lag sein Erststimmen-Ergebnis in Dortmund II sogar noch leicht über den Zweitstimmen.

Gesteigertes Störenfried-Potenzial bergen noch weitere Abgeordnete. Radikale Positionen sind dabei kein Problem für die Spitze, sie gehören zur Identität der Fraktion. Aber Aufmüpfigkeit nach oben, öffentliche Machtkämpfe und zu heftige Grenzüberschreitungen werden nicht gerne gesehen. Im Wahlkreis Elbe-Elster-Oberspreewald-Lausitz etwa konnte sich die politisch bereits tot geglaubte frühere Brandenburg-Vorsitzende Birgit Bessin durchsetzen, enge Vertraute des vorherigen Landesvorsitzenden Andreas Kalbitz, der wegen seiner verschwiegenen Mitgliedschaft in der verbotenen neonazistischen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ aus der AfD ausgeschlossen wurde. Eine Personalie, die viele in der AfD mit Argwohn zur Kenntnis nehmen. Bessin konnte sich bei der Kandidatenaufstellung im Wahlkreis gegen Norbert Kleinwächter durchsetzen, einen nach AfD-Maßstäben vergleichsweise Gemäßigten. Dessen Listenplatz zog nicht. Von „Skandalpotenzial“ ist auch im Hinblick auf den Bessin-Vertrauten Rainer Galla die Rede. In Prenzlau bewarb er sich mit einer völkischen Rede.

Auch andere erfolgreiche Direktkandidaten sehen manche AfD-Leute ungern in ihrer Fraktion. Die scharfe Weidel-Kritikerin Christina Baum hatte man nach ihrer gescheiterten Landeslisten-Kandidatur in Baden-Württemberg für besiegt erklärt. Sie wechselte das Bundesland, zog für den Harz direkt ein und gehört nun der Landesgruppe Sachsen-Anhalt an. Baum galt lange als Höcke-Vertraute. Die Direktkandidaturen von ihr und anderen wie etwa Kay-Uwe Ziegler hatte der Landesvorstand um den MdB Jan-Wenzel Schmidt zu verhindern versucht – erfolglos. Die AfD holte alle Direktkreise in dem Bundesland.

Über Lars Haise und Ruben Rupp aus Baden-Württemberg heißt es, sie würden sich aufgrund ihrer Art schnell Feinde machen. Haise gilt zwar als gemäßigt, dealte jedoch mit Rechtsaußen, um einen guten Listenplatz zu ergattern. Rupp sagt man einen gesteigerten Hass auf Moslems nach, was sich wiederum nicht mit der aktuellen Linie von Krah und anderen verträgt. „Jugendsünden“ attestieren manche Dario Seifert, der für Greifswald in den Bundestag zieht. Übersetzt bedeutet „Jugendsünden“: Seifert bringt eine jahrelange Vergangenheit bei der Jugendorganisation der früheren NPD mit – den Jungen Nationalisten. Die NPD selbst steht auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD, frühere Mitglieder nimmt die Partei nicht auf. Doch Forderungen nach einer Aufweichung dieser Liste werden immer wieder laut in der AfD. Für Mitarbeiter der Abgeordneten zählt die Liste ohnehin nicht. Die etwa 600 Leute, die in den Büros der AfD-Abgeordneten arbeiten werden, dürften mitunter noch radikalere Hintergründe mitbringen.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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