Analyse
Erscheinungsdatum: 18. November 2024

Nach Bidens Raketen-Freigabe: Warum der Druck auf Scholz und Deutschland wächst

Auch am 1000. Tag des Ukraine-Kriegs hält der Streit um Waffenlieferungen an. Während die USA grünes Licht für ATACMS-Raketen geben, bleibt Deutschland bei Taurus zurückhaltend. Doch der Druck auf Kanzler Olaf Scholz steigt.

Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine vor 1.000 Tagen wiederholt sich immer wieder das gleiche Muster: Im Westen wird lange über bestimmte Hilfe gestritten, bis sie gewährt wird. Moskau hat genügend Zeit, sich darauf einzustellen und ist damit stets einen Schritt voraus. So nun auch beim Thema westlicher Raketen, die gegen Ziele in Russland eingesetzt werden können.

Mindestens 245 militärisch relevante Ziele befinden sich im Westen Russlands in Reichweite der US-amerikanischen Kurzstreckenraketen ATACMS, so der US-Thinktank Institute for the Study of War. Viele Flugplätze sind dabei, die im russischen Krieg gegen die Ukraine eine wichtige Rolle spielen. Zwar greift die Ukraine diese Ziele regelmäßig mit Drohnen an, aber sie haben nicht die Schlagkraft von ATACMS, Storm Shadow/Scalp oder des deutschen Marschflugkörpers Taurus. Dieser hat eine noch größere Reichweite als die US-Waffen. Nachdem US-Präsident Joe Biden nun Medienberichten zufolge sein Okay für den Einsatz von ATACMS mindestens in der russischen Region Kursk gegeben hat und offenbar auch Großbritannien und Frankreich nachziehen, steigt der Druck auf Bundeskanzler Olaf Scholz, sein prinzipielles Nein zu Taurus-Lieferungen zu überdenken.

Am Montag ließ Scholz erklären, dass er das nicht tun werde. Rückendeckung erhielt er aus der SPD-Fraktion. „Manche im politischen Berlin haben scheinbar das Ziel, anlässlich tausend Tage seit Beginn des russischen Angriffskrieges zum tausendsten Mal die Lieferung deutscher Taurus-Marschflugkörper zu fordern“, sagte Fraktionsvize Gabriela Heinrich Table.Briefings. Für die deutsche Sozialdemokratie sei klar, „dass unser Land nicht in den Krieg verwickelt werden darf. Und deshalb liefern wir nicht.“

Die FDP-Politikerin und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im EU-Parlament, Marie-Agnes Strack-Zimmermann kritisierte Scholz scharf. „Starrsinn ist keine Besonnenheit, sondern ist grenzenlos naiv und kostet vielen Menschen in der Ukraine das Leben“, sagte die Politikerin Table.Briefings. Sie ist soeben von einer Ukraine-Reise zurückgekehrt. Scholz blende aus, dass „alle europäischen Nationen nur gemeinsam den Aggressor Putin isolieren – und gleichzeitig die Ukraine humanitär, wirtschaftlich und militärisch unterstützen sollten“, so Strack-Zimmermann.

In Brüssel treffen sich am Dienstag die EU-Verteidigungsminister, um über die weitere Unterstützung der Ukraine zu beraten. Der Einsatz von Raketen mit großer Reichweite wird auch Thema sein. Zwar sind Waffenlieferungen nationale Angelegenheiten, gleichwohl dürfte der Druck auf Deutschland steigen, Taurus-Marschflugkörper in die Ukraine zu schicken. Polen etwa fordert das und auch das EU-Parlament.

In jedem Fall ist die Art der Hilfe für die Ukraine längst Wahlkampfthema in Deutschland. FDP-Chef Christian Lindner deutete an, dass seine Partei einen Antrag für Taurus-Lieferungen im Bundestag einbringen könnte. Die Union würde dem wohl zustimmen. Und die Grünen würden es am liebsten auch. Ihr Kanzlerkandidat Robert Habeck machte seine grundsätzliche Position dazu deutlich. Aber erklärte am Sonntagabend im ZDF auch, dass er noch einer Koalition angehöre – und sich so lange auch koalitionstreu verhalten werde. Hier werden die Zeitabläufe interessant. Nach einer verlorenen Vertrauensabstimmung im Parlament nämlich könnte sich ein Fenster auftun. Wie die EU-Außenminister das Thema debattieren, lesen Sie im Europe.Table.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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