Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz versicherte am Sonntag erneut, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD geben werde.Auch die Formulierungen im Antrag klingen nach Abgrenzung. „Wer die illegale Migration bekämpft, entzieht auch Populisten ihre Arbeitsgrundlage“, heißt es im Fünf-Punkte-Plan unter Verweis auf die AfD. Dazu schreibt Merz in seiner wöchentlichen Mail: Mit der AfD haben und wollen wir keine Mehrheit. Nur mit Abgeordneten der ehemaligen Ampel-Parteien könne es noch vor der Wahl eine Wende in der Asylpolitik geben. Der CDU geht es darum, zu beweisen, dass sie es mit dem Politikwechsel ernst meint – und, dass man dafür nicht die AfD wählen müsse. Merz erhöht so den Druck auf Grüne und SPD, den Anträgen in dieser Woche zuzustimmen.
Die Grünen sehen darin ein Erpressungsmanöver, das sie empört ablehnen. Merz fordere: „Entweder stimmt ihr zu oder ich stimme mit den Rechtsradikalen“, sagte Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck am Sonntag. „Das ist nicht Mitte, das ist Ideologie.“ Die Grünen wollen sich Gesprächen nicht verschließen, führen aber rechtliche Gründe gegen Merz’ Vorschlag der Zurückweisung an der Grenze an. Der Experte für Migrationsrecht Daniel Thym hält Zurückweisungen für zumindest vorübergehend umsetzbar, aber politisch für hochriskant, wie er im Spiegel schreibt. Cem Özdemir warb gegenüber Table Briefings stattdessen für die Drittstaatslösung, die er als „die am wenigsten schlechte unter den schlechten Lösungen“ bezeichnete. Für die Grünen ist klar, dass die Union sich der Öffnung zu Rechtsextremisten schuldig macht, sollte sie ihre Aussagen nicht schnellstens korrigieren – andernfalls manövriere sich Deutschland alsbald auf österreichische Verhältnisse zu. „Nichts daran ist harmlos“, sagte Habeck.
Wenig Bereitschaft, auf den Merz-Vorschlag einzugehen, ließ auch die SPD erkennen. „Das Grundrecht auf Asyl würde nicht mehr gelten“, sagte Olaf Scholz zu dem Unions-Antrag am Samstag. Es würden nur „praktische Taten helfen und keine Sprücheklopferei”. Die Regierung sei bereits „an die Grenze dessen gegangen, was das Grundgesetz und die europäischen Verträge zulassen“. Ganz ähnlich äußerte sich Parteichef Lars Klingbeil. Im „Bericht aus Berlin” schob Scholz am Sonntag hinterher: „Das Vorgehen der bayerischen Staatsregierung ist peinlich und der Sache nicht angemessen.” Und: „Dieser Täter hätte nicht mehr in Bayern herumlaufen dürfen.”
Plötzlich steht die AfD im Mittelpunkt des Wahlkampfs – und wird nach Einschätzung von Forsa-Chef Manfred Güllner davon profitieren. „Nach unseren Daten ist die Migrationspolitik nicht das wichtigste Thema, sondern die Wirtschaftspolitik“, sagt Güllner. U nd in der Migrationspolitik erwarteten die Wählerinnen und Wähler einen „Konsens in der demokratischen Mitte“. Den habe Merz mit seinem kompromisslosen Vorgehen unmöglich gemacht.
AfD-Chefin Alice Weidel unternahm sofort den Versuch, die Debatte in ihrem Sinne zu nutzen.Sie behauptete, die Brandmauer sei gefallen und die Union habe ihr Angebot angenommen, gemeinsam über die Migrationspolitik abzustimmen. In Halle kritisierte sie Merz deutlich weniger scharf als noch zwei Wochen zuvor beim Parteitag in Riesa. Stattdessen forderte sie ihn zu einer schwarz-blauen Regierung auf. Aus der CDU wirbt bislang aber nur die Brandenburger CDU-Politikerin Saskia Ludwig für eine Koalition mit der AfD.
In der Union ist die Reaktion auf Friedrich Merz’ Strategiewechsel gemischt.In der Schaltkonferenz des Präsidiums vergangene Woche gab es einhellig Zustimmung für den Vorsitzenden. Es habe keine offene Kritik an dem Fünf-Punkte-Plan und einer Abstimmung darüber im Bundestag gegeben. Auch die Landesvorsitzenden Daniel Günther, Kai Wegner und Hendrik Wüst hätten keinen Widerstand geleistet, hieß es. Teilnehmern zufolge habe etwa Baden-Württembergs CDU-Innenminister Thomas Strobl rechtliche Bedenken gegen das Einreiseverbot geltend gemacht, aber dass Aschaffenburg nicht ohne Folgen bleiben dürfte, sei Konsens gewesen.
In der Bundestagsfraktion ist der Unmut größer. 22 Abgeordnete sollen sich nach Informationen aus Fraktionskreisen am Sonntagmorgen zu einer Schalte zusammengeschlossen haben. Die Kritik an Merz’ Vorgehen sei einhellig gewesen, berichtet ein Teilnehmer. Merz habe ohne Not die Debatte mit der AfD aufgemacht. Nun stecke die Unionsfraktion in der Bredouille, da eine Mehrheit mit AfD, BSW-Abgeordneten und der FDP möglich sei. Man habe aber beschlossen, die Kritik nicht öffentlich zu machen. „Im Wahlkampf hat der Spitzenkandidat immer recht“, sagte ein Teilnehmer der Runde. „Die AfD-Debatte werden wir trotzdem jetzt nicht mehr los“, sagte ein dem liberalen Lager zugehöriges CDU-Vorstandsmitglied. „Wir waren schon auf der Zielgeraden, daher ist das jetzt völlig unnötig.“
Die Union will diese Woche bewusst ihren Fünf-Punkte-Plan einbringen und nicht ihr sogenanntes Zustrombegrenzungsgesetz ähnlichen Inhalts. Das war im September im Bundestag bereits in Erster Lesung sowie im Innenausschuss behandelt worden. Die Union teilte Table.Briefings mit, die aktuellen Anträge könnten – anders als ein später in Kraft tretendes oder vom Bundesrat gestopptes Gesetz – von Bundesinnenministerin Nancy Faeser sofort als Verordnung umgesetzt werden. So war es bei Europameisterschaft und Olympischen Spielen, als zahlreiche Einreisenden zurückgewiesen und hunderte Schlepper gefasst wurden.