Analyse
Erscheinungsdatum: 20. Mai 2025

Männer an der Macht – warum der Frauenmangel Schwarz-Rot schaden dürfte

Wer regiert, braucht Verbündete. In der neuen Regierung bedeutet das offenbar: Männer unter sich. Ein Blick auf den Koalitionsausschuss zeigt, wie ernst es Merz und Klingbeil mit Diversität wirklich meinen.

Wer neu in eine Regierung eintritt, hat ein Grundbedürfnis: Sie oder er schart für die Organisation des engsten Umfelds erstmal loyale Verbündete und Mitarbeiter um sich. Das ist nichts Überraschendes, sondern entspricht seit Jahrzehnten gelebter Praxis. Ob Kanzler oder Kanzlerin, ob Ministerin oder Minister – sie brauchen angesichts eines anstrengenden, fordernden Jobs engste Mitstreiter. Deshalb ist es nur normal, dass auch Friedrich Merz und Lars Klingbeil erstmal nach diesem obersten Kriterium ihre Teams ausgewählt haben.

Nur ist das Ergebnis mit Blick auf den Frauenanteil dieses Mal ernüchternd. So sitzen im Koalitionsausschuss, dem wichtigsten Entscheidungs-Gremium der schwarz-roten Regierung, mit einer Ausnahme nur Männer. Friedrich Merz, Carsten Linnemann, Jens Spahn, Thorsten Frei, Markus Söder, Alexander Dobrindt, Alexander Hoffmann, Lars Klingbeil und Matthias Miersch. Die Co-Vorsitzende von SPD-Chef Klingbeil (bis Juni Saskia Esken, dann mutmaßlich Bärbel Bas) wird die einzige Frau sein. Oder auch: Es gibt mehr Männer mit dem Namen Alexander als Frauen im Koalitionsausschuss. Ein unglücklicher Zufall? Nicht ganz.

Fakt ist: Auch in den anderen Machtzentren der Koalition ist der Frauenanteil gering. Das gilt für Merz’ Kanzleramt wie für Klingbeils Finanzministerium. Das engste Umfeld des Kanzlers in Partei und Kanzleramt besteht fast nur aus Männern. Linnemann ist CDU-Generalsekretär und damit Merz’ verlängerter Arm in die Partei. Das Kanzleramt leitet Frei, unterstützt von Jörg Semmler. Der Regierungssprecher sowie beide Stellvertreter (von CSU und SPD ausgewählt) sind ebenfalls Männer. Und dann ist da noch das Büro des Kanzlers. Erstmals seit Jahrzehnten sitzt auch da ein Mann; hierfür hat Merz Jacob Schrot aus seinem Fraktionsbüro mitgebracht. Bleibt noch zu erwähnen, dass mit Günter Sautter, Michael Clauß und Levin Holle auch die Berater für Außenpolitik, Europapolitik und Wirtschaftspolitik allesamt Männer sind.

Schaut man auf das BMF von Klingbeil, sieht es nur ein kleines bisschen anders aus. Seine Parlamentarischen Staatssekretäre heißen Dennis Rohde und Michael Schrodi, seine Beamteten sind Rolf Bösinger, Björn Böhning, Steffen Meyer und – Achtung: erste Frau – Jeanette Schwamberger. Außerdem gehört zu ihm noch Elisabeth Kaiser, Staatsministerin und Ostbeauftragte. Schaut man von außen drauf, dann kann schlichtweg der Eindruck entstehen, dass in der Spitze der neuen Regierung – gelinde gesagt – kein großer Wert auf Diversität gelegt wird. Und das ausgerechnet in Zeiten, in denen ein US-Präsident auch deutsche Unternehmen dazu zwingt, ihre Diversitätsprogramme zu beenden. So geschehen zuletzt beim Softwarekonzern SAP.

Es gab Zeiten, da hätte das einen lauten Aufschrei provoziert. Und jetzt? Öffentlich kritisieren es nur vereinzelte Frauen, von Männern ist so gut wie nichts zu hören. In den Reihen von Union und SPD heißt es zwar, man sehe das Missverhältnis, offen aussprechen will das jedoch kaum jemand. Zumal die Lage in der CDU tatsächlich kompliziert ist. So haben einige Frauen in Vorahnung dieser Entwicklung die Segel gestrichen – und sind schlicht nicht mehr angetreten. Und jene, die da sind, äußern nur hinter vorgehaltener Hand Kritik, weil sie wissen, wie heikel es wäre, jetzt dieses Fass aufzumachen. Außerdem haben sie intern vereinbart, die eigene Regierung zum Start nicht darüber gleich infrage zu stellen.

Offener können deshalb nur andere sprechen, die frühere Bildungsministerin Annette Schavan zum Beispiel. Sie warnt vor den möglichen Folgen und sagte Table.Briefings: „Moderne Unternehmen und große Organisationen wissen, dass man für mehr Kreativität, für erfolgreiche Transformation, für große Innovationen gemischte Teams braucht.“ Diese seien auf den ersten Blick ein bisschen anstrengender, „aber auf den zweiten Blick im Denken viel breiter. Umfassender. Kreativer“. Beiden Koalitionspartnern, so Schavan, stehe „die innerparteiliche Modernisierung noch bevor“.

Auch aus der Opposition hagelt es Kritik: Die ehemalige Vorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, sagt Table.Briefings: „Bei dieser Regierung kann man sich nicht auf viel verlassen. Aber darauf: Dort, wo die wichtigen Entscheidungen getroffen werden, sitzen kaum Frauen am Tisch.“ Lang erklärt, gute Gleichstellungspolitik sei nicht allein Aufgabe von Frauen. „Das ist eine gemeinsame Aufgabe aller. Umgekehrt gilt aber: Wenn Frauen nicht dabei sind, fehlen wichtige Perspektiven.“ Union und SPD sollten sich wirklich überlegen, „ob sie sich – in einer Zeit, in der sowieso viele Frauen das Gefühl haben, die Politik hätte wenig mit ihrer Lebensrealität zu tun – so einen Koalitionsausschuss leisten wollen“.

Werden die Spitzen von Union und SPD auf das Thema angesprochen, verweisen beide Seiten gerne auf eine Reihe von sichtbaren Frauen. Die Bundestagspräsidentin Julia Klöckner zum Beispiel, oder die vielen Ministerinnen auf SPD-Seite. Nur gehört auch zur Wahrheit, dass, mit Ausnahme vom Arbeits- und Sozialministerium, in den zentralen Ressorts (Kanzleramt, Innen, Außen, Verteidigung und Finanzen) am Ende Männer sitzen. Und: Wenn Frauen, dann oft die, die nicht oder nicht mehr ungemütlich werden. Unterdessen geht zumindest Merz bei Männern sehr wohl ins Risiko. Immerhin ist Spahn als Fraktionsvorsitzender nach dem Kanzler zum zweitwichtigsten Mann in der CDU geworden.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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