Analyse
Erscheinungsdatum: 02. September 2024

Kampf um die Mittelklasse: Warum nur drei Staaten über den neuen Präsidenten entscheiden

Offiziell werden mehr als 160 Millionen Amerikaner in 50 Bundesstaaten und der Hauptstadt Washington, DC zur US-Wahl abstimmen. Entscheidend ist die Wahl in den Swing States. Seitdem 2016 Donald Trump erstmals die drei Industriestaaten Michigan, Wisconsin und Pennsylvania für die Republikaner gewinnen konnte, gelten diese Staaten als entscheidend. Verlieren die Demokraten hier, haben sie kaum eine Chance.

Kamala Harris fühlt sich auf der Siegerstraße, doch in den klassisch demokratischen Staaten Michigan, Wisconsin und Pennsylvania holte Donald Trump 2016 seinen Sieg. Auch jetzt könnte die weiße Arbeiterschicht in den Staaten wahlentscheidend sein.

Das Rennen um die US-Präsidentschaft nähert sich der heißen Phase an. In der kommenden Woche, wenn die Amerikaner den Labor Day feiern, beginnt der inoffizielle Endspurt. Und Kamala Harris will den Startschuss nicht verpassen. Am kommenden Montag wird sie gleich zwei Wahlkampfauftritte absolvieren – zunächst in Detroit im US-Bundesstaat Michigan, dann, begleitet von US-Präsident Joe Biden, in Pittsburgh, Pennsylvania.

Die Reiseziele sind kein Zufall: Schließlich deckt Harris mit dem Trip gleich zwei der drei wichtigsten Swing States ab, in denen die Wähler am 5. November über den künftigen Bewohner von 1600 Pennsylvania Avenue entscheiden. Kampflos will Harris‘ Gegenkandidat Donald Trump der Vizepräsidentin das Feld gleichwohl nicht überlassen. Auch der Ex-Präsident hielt zuletzt wieder mehrere Kundgebungen ab – vor allem in den Rust-Belt-Staaten, die über den Wahlausgang entscheiden werden.

Offiziell sind mehr als 160 Millionen Amerikaner in 50 Bundesstaaten und der Hauptstadt Washington, DC, am Wahltag aufgerufen, über das 47. Staatsoberhaupt abzustimmen. Doch angesichts des Wahlsystems dürften am Ende die Stimmen einiger zehntausend Wähler in sieben Swing States den Ausschlag geben.

Insbesondere drei Staaten werden entscheidend sein: Michigan, Wisconsin und Pennsylvania. Gewinnt Harris hier, dann ist ihr das Weiße Haus kaum noch zu nehmen. Ein Selbstläufer ist das nicht. Zwar lag sie in vielen jüngst veröffentlichten Umfragen vorne, allerdings denkbar knapp. Sicher ist der Sieg für die Vizepräsidentin damit noch lange nicht. Harris muss kämpfen.

Dass es eine Demokratin in den Rust-Belt-Staaten schwer haben würde, wäre noch vor nicht allzu langer Zeit kaum vorstellbar gewesen. Michigan, Pennsylvania und Wisconsin galten über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, als Brandmauer der Partei. Als Blue Wall. Seit den 1980ern hatte hier kein republikanischer Präsidentschaftskandidat mehr gewonnen, bevor Donald Trump die Staaten 2016 denkbar knapp in sein Lager zog. Vier Jahre später reüssierte hier wieder Joe Biden, doch auch seine Siege fielen hauchdünn aus.

Dem Zufall wollen die Demokraten in diesem Jahr deshalb nichts überlassen, pumpen massiv Ressourcen in diese drei Swing States. Wenn Harris am Labor Day in Detroit spricht, dann ist das bereits ihr sechster Besuch in dem Staat in diesem Jahr. In Pennsylvania wird es gar ihr neunter Auftritt sein. Ihr Vize-Kandidat Tim Walz tritt am selben Tag in Milwaukee, Wisconsin, auf – und dass nur wenige Tage, nachdem auch Harris dort gesprochen hat. Doch warum muss die Partei in ihren traditionellen Hochburgen plötzlich zittern?

Die drei Staaten verbindet einiges. Sie sind traditionelle Zentren der Schwerindustrie, die in den vergangenen Jahrzehnten stark gelitten hat. Und: Der weiße Bevölkerungsanteil ist deutlich höher als im US-Durchschnitt. Damit waren die Rust-Belt-Staaten für die Demokraten lange freundliches Territorium. Schließlich fungierte die Partei lange als Verbündete der Gewerkschaften, kümmerte sich um die Belange der Arbeiterklasse. Doch in den vergangenen Jahrzehnten hat sich da etwas verschoben. Unter den Präsidenten Bill Clinton und Barack Obama rückten die Demokraten wirtschaftspolitisch zunehmend in die Mitte, öffneten sich dem Freihandel, distanzierten sich von den Gewerkschaften. Gleichzeitig wurde die Partei immer mehr zur politischen Heimat für Minderheiten. Diese Kombination schreckte immer mehr weiße Wähler ab – insbesondere solche ohne Universitätsabschluss.

Der Einfluss dieser Gruppe auf den Ausgang der Präsidentschaftswahl lässt sich kaum überbetonen. Zwar nimmt ihr Anteil an der Wahlbevölkerung seit Jahrzehnten rasant ab – 1980 stellten sie 69 Prozent der Wähler, 2020 noch 39 Prozent – doch in den Industriestaaten des Rust Belts sind sie immer noch stark vertreten. Das hat es den Demokraten in der Vergangenheit so schwer gemacht, hier Wahlen zu gewinnen. Welche Konsequenzen das haben kann, lässt sich etwa in Iowa oder Ohio beobachten. Beide Staaten stimmten 2008 und 2012 für den Demokraten Obama. Heute sind sie fest in der Hand der Republikaner.

Dabei hat die Partei diesen Wählern durchaus etwas anzubieten. Eine Studie des Clinton-Veteranen Mike Lux in von Schwerindustrie geprägten Landkreisen des Rust Belts kam im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, dass die wirtschaftspolitische Agenda der Demokraten in diesen Landstrichen durchaus populär ist. Der Schutz der gesetzlichen Rentenversicherung und der Krankenversicherung für Senioren, die Einrichtung von Aus- und Weiterbildungsprogrammen, die Investitionen in die öffentliche Infrastruktur: All das kommt an der Basis hervorragend an. Doch es reicht nicht, um die Vorbehalte gegenüber der Partei abzubauen. „Beunruhigend ist, dass die Wähler in den Factory Towns glauben, die Demokraten hätten keinen Wirtschaftsplan und würden ihr Leben nicht verstehen“, schreibt Lux. Die Partei werde als abgehoben wahrgenommen, als schwach und inkompetent – und gleichzeitig als „zu extrem“.

Das schlägt sich in den Zahlen nieder. 2016, als Michigan, Wisconsin und Pennsylvania republikanisch wählten, gewann Trump weiße Wähler ohne Collegeabschluss mit einem Vorsprung von 36 Prozentpunkten. Vier Jahre später, als Biden die Staaten für die Demokraten zurückeroberte, lag er immer noch bei 32 Prozentpunkten. Angesichts dieses Defizits gilt es als ausgeschlossen, dass die Demokraten diese Wählergruppe in absehbarer Zeit zurückerobern. Doch die beiden Zahlen zeigen auch, dass es nur kleine Verschiebungen braucht, um die Republikaner vom Weißen Haus fernzuhalten. Anders als die Demokraten muss die GOP in diesem Wählersegment haushoch gewinnen, um eine Chance auf den Wahlsieg zu haben. Die Demokraten hingegen dürfen nur nicht zu hoch verlieren, um die Präsidentschaft zu erobern.

Deshalb kämpfen beide Parteien um dieses Wählersegment. Dass Joe Biden als Präsident etwa an den Strafzöllen festhielt, die Donald Trump auf Waren aus China verhängt hatte, lässt sich so erklären. Ökonomisch mag Trumps Handelskrieg eine Katastrophe für das Land gewesen sein, doch politisch war er ein Gewinner – insbesondere im Rust Belt. Auch das Infrastrukturpaket des Präsidenten und der Inflation Reduction Act hatten die Interessen der weißen Arbeiterschicht genau im Blick.

Dass Harris an dieses Vorgehen anknüpfen will, signalisierte sie etwa durch ihre Entscheidung für Tim Walz als Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten. Walz, der Gouverneur von des Rust-Belt-Staats Minnesota, übersah die Verabschiedung eines progressiven und populären Wirtschaftsprogramms. Gleichzeitig strahlt er als ehemaliger Soldat, Highschool-Lehrer und Football-Coach eben nicht die Abgehobenheit aus, die viele weiße Wähler ohne College-Abschluss mit den Demokraten verbinden. Gelingt es ihm und Harris so, das Ergebnis von Biden in Michigan, Wisconsin und Pennsylvania in diesem Wählersegment leicht zu verbessern, dann dürfte ihnen der Wahlsieg nahezu sicher sein.

Lesen Sie hier alle Beiträge der Serie „Trump 2.0 - und dann?“

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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