Analyse
Erscheinungsdatum: 12. Mai 2025

Israel und Deutschland: Warum diese Beziehung komplizierter geworden ist

Sechzig Jahre nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen kann auch das sehr enge Verhältnis zwischen den beiden Staatsoberhäuptern nicht verdecken, dass die besonderen Beziehungen wieder heikler werden.

Vom ersten Tag an, jenem 12. Mai 1965, ist dieses Verhältnis einzigartig. Offizielle diplomatische Beziehungen zwischen dem Land der Täter und der Fluchtburg der Opfer – das erschien lange Zeit ausgeschlossen, wurde durch größten Pragmatismus doch noch möglich und gilt bis heute als außergewöhnliche Erfolgsgeschichte. Im Research.Table lesen Sie, wie Wissenschaftsdiplomatie damals zur echten Diplomatie wurde. Sechzig Jahre später aber kann auch das sehr enge Verhältnis zwischen den beiden Staatsoberhäuptern Izchak Herzog und Frank-Walter Steinmeier nicht verdecken, dass die besonderen Beziehungen wieder heikler werden. Ein gefährlich anwachsender Antisemitismus in Deutschland, dazu ein auch in Israel harsch kritisierter Krieg in Gaza – innere und äußere Umstände nehmen immer stärker Einfluss auf die Grundlagen des Verhältnisses.

Israels ehemaliger Botschafter Shimon Stein nennt vor allem zwei Entwicklungen, die das Fundament angreifen. „Israel entfernt sich schneller von der liberalen Weltordnung und nähert sich immer mehr einem populistisch-autokratischen System“, klagt Stein im Gespräch mit Table.Briefings. Das bleibe nicht folgenlos. Auch nicht in Deutschland. Zugleich hätten die Flüchtlingskrise 2015 und das Erstarken der AfD die Gesellschaft auch hierzulande verändert. Die Entwicklungen hätten zu Reibungen geführt und die Haltungen gegenüber Israel und Juden verändert. „Die Bedeutung der Erinnerung schwindet, Aufrufe zu einem Schlussstrich werden lauter, auch bei einem großen Teil der jüngeren Bevölkerung.“ Dazu kämen neue Debatten über den Post-Kolonialismus; das stelle bei manchem „die Einzigartigkeit der Shoa in Frage“.

Armin Laschet treiben gleiche Sorgen um. Der Unions-Politiker sagte Table.Briefings, heute gebe es vier Quellen des Antisemitismus. Darunter sei der rechte, der auch nach 1945 nie verschwunden sei. Hinzu komme der linke, der auch schon länger da sei. Der migrantische Antisemitismus trete mit immer größerem Selbstbewusstsein auf. Und der vierte – das habe man nach dem 7. Oktober neu gelernt – sei ein akademischer Antisemitismus. „Der speist sich daraus, dass er auf Grundlage postkolonialer Theorien Israel zur Kolonialmacht erklärt. Und der erschüttert mich vielleicht am meisten.“ So etwa, wenn 25-jährige Studenten der FU Berlin vor dem Auswärtigen Amt skandierten: „Befreit Palästina von deutscher Schuld – free Palestine from German guilt!“ Das sei „Höcke von links: Schlussstrich und Ende des ‚Schuldkults‘, wie sie es nennen“.

Stein beschreibt, wie konträr sich der Blick aufeinander in beiden Ländern entwickelt hat. In Deutschland seien die engen Beziehungen zu Israel zu einem Elitenprojekt geworden. Einer Elite, die sich der historischen Verantwortung weiter verpflichtet fühle. „Für die breite Bevölkerung ist es keine Liebesbeziehung.“ Ja, es habe eine Euphorie nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 gegeben. „Aber die nahm bald ab; die Stimmung wurde kritisch bis indifferent.“ Zwischen der Elite und der breiten Bevölkerung klaffe ein Graben – und weil Politik immer demokratische Legitimation brauche, gerade wenn die Probleme nicht aufhörten, werde es für die deutsche Politik heikler, diffiziler.

Auch Laschet konstatiert diese Spaltung. Und warnt Politik und Gesellschaft davor, der Illusion zu verfallen, „dass achtzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein Bewusstsein für das, was damals geschehen ist, von selbst da ist“. Der wachsende Israel-Hass zeige, „dass jede Generation neu lernen muss, was der Unterschied ist zwischen Kritik an einer Regierung und Antisemitismus“. Um eine weitere Abwendung von Israel und ein weiteres Erstarken von Antisemitismus zu verhindern, müsse das immer wieder aufs Neue erklärt werden, nicht zuletzt bei Besuchen von Schulen.

In Israel sei es genau umgekehrt. Die große Mehrheit der Bevölkerung sei sehr Deutschland-freundlich eingestellt, während die Regierung Netanjahu von Berlin eine „nahezu bedingungslose Unterstützung“ einfordere. Bekomme sie die nicht, stünden sofort Vorwürfe von Antisemitismus im Raum. „Diese Schärfe ist sehr besorgniserregend“, so Stein. Er hofft, dass es zwischen dem neuen Kanzler und dem Premier zu einem offenen und kritischen Dialog kommt, „in dem Deutschland nicht die Schlagzeilen sucht, sondern uns ernsthaft Fragen stellt, um uns zu helfen, unseren Kurs zu überdenken“. Und um weiter nach gemeinsamen Interessen zu suchen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, kulturellen, militärischen. „Wir brauchen das dringend.“

Die Beschreibungen zeigen, was auf die neue Regierung im Umgang mit diesem besonderen Freund zukommt. Eine Erwartung hegen Stein und Laschet allerdings nicht: dass Berlin aktuell größeren Einfluss nehmen könnte. Der ehemalige Botschafter sagt auf die Frage, was möglich sei: „Nichts. Gar nichts.“ Deutschland und die EU seien momentan irrelevante Akteure. Seine Hoffnung beruhe allein darauf, dass Israel „endlich Entscheidungen über seine Zukunft trifft“. Sein Ziel: Dass Israel versuche, als demokratischer und jüdischer Staat in Sicherheit in der Region zu leben. „Solange wir das als Gesellschaft nicht schaffen, werden wir auch alle anderen Probleme nicht lösen können.“

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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