Analyse
Erscheinungsdatum: 21. Januar 2025

Höckes Aussichten abseits der Thüringer AfD-Spitze

Björn Höcke erwägt offenbar sehr ernsthaft, den Vorsitz in Thüringen 2026 abzugeben. Seinen Abgang als Galionsfigur der äußersten Rechten würde das nicht bedeuten – im Gegenteil. Und auch seine Nachfolge könnte Höcke treu bleiben.

Das bekannteste Gesicht der äußersten Rechten in der AfD könnte von der Thüringer Parteispitze weichen.Björn Höcke tendiert wohl dazu, den Landesvorsitz nach der nächsten Vorstandswahl im Herbst 2026 abzugeben – das erfuhr Table.Briefings aus informierten AfD-Kreisen. Fraktionsvorsitzender bliebe er vorerst, aber machte den Weg frei für die Nachfolge; gern nach seinen Gunsten. Es gehe Höcke um seine „Neuerfindung“ nach mehr als zehn Jahren an der Thüringer Spitze, was ihn zum dienstältesten Landeschef der AfD macht. Seinen Zenit auf dieser Position habe er überschritten, und auch die einflussreichen Flügel-Zeiten sind passé. „Er ist die Rolle leid, immer dagegen zu sein“, sagte ein Weggefährte Höckes, der für die AfD im Bundestag sitzt, Table.Briefings.

Höckes heutige Rolle zeigte sich kürzlich in Riesa klar. „Er wird sich seinen Zampano-Moment im Licht schon holen“, sagte ein AfD-Funktionär vor Beginn über Höcke. Radikale Höcke-Sätze gehörten auf Bundesparteitagen lang zum Inventar der AfD. „Wir bestimmen selbst, wer Extremist ist“ oder „Wir sind die Dissidentenpartei“, tönte er in Riesa – aber nicht im Januar 2025, sondern im Juni 2022. Diesmal bleiben Höckes Auftritte eher als fragmentiert, zerbröselt in Erinnerung: Mal hier ein Einwurf zu Cannabis, mal dort ein Beitrag zur Wehrpflicht. Unter dem Strich hat Thüringens AfD viele Änderungsanträge durchbekommen; doch eben eher Kleineres als große Eigen-Linien wie einst.

Was die Galionsfigur der äußersten Rechten in der ohnehin schon äußerst rechten AfD sagt, passt durchaus noch zur alten Linie. Auch die erstmals deutliche Forderung von „Remigration“ auf der Bühne durch Alice Weidel feiern manche Akteure als einen Erfolg, den Höcke mitverantwortet. Doch es mischen sich vorsichtigere Töne in seine Worte. „Wir stehen hinter euch“, sicherte Höcke der Jungen Alternative (JA) nach deren Einstufung als gesichert rechtsextrem durch den Verfassungsschutz noch zu. Auf dem Parteitag versuchte er es mit einem Ausweichmanöver. Der Bundesvorstand wollte die JA abkoppeln und durch eine neue Jugendorganisation ersetzen, JA und Anhänger kämpften für ihren Fortbestand. Höcke setzte sich für die Vertagung der Entscheidung ein. Man solle diesen „wunderbaren Parteitag“ nicht damit verderben, dass es am Ende Verlierer gibt, sagte er einem verschwörungsideologischen YouTuber im Interview.

Nach Informationen von Table.Briefings hat Höcke versucht, Delegiertenstimmen für seinen Vorschlag zu gewinnen – aber der Bundesvorstand erreichte mit 72 Prozent ein Ergebnis noch über der notwendigen Zweidrittel-Mehrheit für sein Ansinnen. Höcke sei das ein weiterer Beleg dafür gewesen, dass sein altes Netzwerk nicht mehr funktioniert. Besonders mächtig war Höcke, während der später aufgelöste „Flügel“ existierte. Zu Hoch-Zeiten gab es kaum Entscheidungen an dem rechtsextremen Netzwerk vorbei; auch wenn er Schätzungen zufolge über maximal 30 Prozent der Delegierten verfügte, brachte der Flügel es durch Vorabsprachen immer wieder auf mindestens 51 Prozent der Stimmen. Höcke war der Kopf, Ex-Brandenburg-Chef Andreas Kalbitz der Muskel, der Netzwerker, der „Machtarchitekt“, der stundenlang telefonierte, um Leute zu gewinnen und – dem Vernehmen nach – Informationen über potenzielle Gegner zu sammeln. Fähigkeiten, über die Höcke weniger verfügen soll.

Im April 2022 bestätigte ein Gericht erst Kalbitz‘ Parteiausschluss und wies im November seinen Widerspruch dagegen ab; nach der Brandenburger Landtagswahl 2024 hat der längst weitgehend Verstummte seine letzte Funktion eingebüßt, soll sich derzeit im Ausland aufhalten. Ein anderer wichtiger Mitstreiter Höckes ist der rechtsextreme Vordenker Götz Kubitschek in Schnellroda. Kubitschek war erst diese Woche im Thüringer Landtag, bleibt Höcke verbunden. Doch Kubitschek hat Höcke nicht als einzigen Hebel in die AfD-Politik, brauchte ihn schon dringender als heute. Auch mit dem Netzwerk um den einflussreichen Rheinlandpfälzer Sebastian Münzenmaier soll Kubitschek vertraut sein, ein anderes AfD-Mitglied besuchte er kürzlich im Bundestag.

In Thüringen hat Höcke zwar trotz Einstufung seines Verbands als gesichert rechtsextrem das beste AfD-Landtagswahlergebnis 2024 erreicht, die Partei stellt mit 32 Sitzen die stärkste Fraktion und verfügt über eine Sperrminorität. Die Regierung stellt sie gleichwohl zwölf Jahre nach ihrer Gründung noch immer nicht, während das BSW nicht mal ein einziges brauchte.

Im vergangenen Sommer sollen Gedanken über eine „Neuerfindung“ konkreter geworden sein. Monatelang soll Höcke erwogen haben, ob er für den Bundestag kandidiert. Berlins Radikalere hätten das sehr begrüßt, schätzen Höckes Rhetorik in Parlamentsreden. Andere haben ihm geraten, doch nicht sein „Königreich“ in Thüringen gegen das einfache Abgeordneten-Dasein zu tauschen. Im Spätherbst sollen Höcke und Co-Landessprecher Stefan Möller die Bundesspitze in Berlin zum Gespräch besucht haben. Höckes Weggefährten hätten ihn parallel gedrängt, sich festzulegen. Entscheidungen fielen Höcke schwer, sagen manche. Er entschied sich letztlich, nicht nach Berlin zu ziehen. Stattdessen versucht es Möller. Auch er soll eine „Neuerfindung“ anstreben, steht seit 2014 als Co-Sprecher an Höckes Seite.

Möller wirkt in der Thüringen-AfD nach innen. Höcke ist das Gesicht nach außen, kann mit Parteiarbeit kaum etwas anfangen, heißt es. Seine künftige Rolle, so sehen es manche, könnte die eines „Grundsätzlichen“ werden. Einer „Galionsfigur“, die sich um politische Fragen, Schärfe, eine Gegenpositionierung etwa zu weltweitem Freihandel kümmert. „Programmatische Stärke“, sagt man Höcke nach. Sein Landesverband sei „intellektuell agil“ im Vergleich zur Gesamtpartei. Manche in der AfD sollen Höcke auch nahegelegt haben, sich aus der Landesführung zurückzuziehen, um einem Verbot des Thüringer AfD-Verbands entgegenzuwirken; als Beleg für dessen „kämpferische Bestrebung“ gegen das Grundgesetz nennt der Verfassungsschutz immer wieder Höcke, der unter anderem das Holocaust-Denkmal als „Mahnmal der Schande“ bezeichnet hat.

Sollte Höcke den Landesvorsitz 2026 abgeben, kämen mehrere Nachfolger in Betracht. Manche handeln René Aust, der seit vergangenem Jahr die Fraktion im Europaparlament anführt. Allerdings strebe Aust das gar nicht unbedingt an, schwebe eher in Brüsseler Sphären, sei der Thüringer Basis tendenziell entschwunden. Ein Wunschkandidat Höckes könnte Daniel Haseloff sein, der Thüringens AfD-Fraktion angehört. Einflussreich in Thüringen ist auch Wiebke Muhsal, die sich dafür eingesetzt hat, dass erneut Stephan Brandner – und nicht Möller – Thüringens Spitzenkandidat zur Bundestagswahl wird. Alle gehandelten Namen gelten als Akteure des rechten Parteirandes. „Er könnte da jemanden hinsetzen, der mehr Spaß am Administrativen hat“, sagte ein AfDler aus informierten Kreisen Table.Briefings. Auch er beobachtet „gewisse Erschlaffungseffekte”, hieße Höckes Weichen gut. Höcke selbst hat sich auf Anfrage bislang nicht dazu geäußert, ob er seine Spitze räumt.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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