Historische Entscheidung im Bundestag: Die einen sehr erleichtert, die anderen fast wütend

Noch mit dem alten Bundestag haben Union, SPD und Grüne in einer denkwürdigen Abstimmung das viel diskutierte Sondervermögen beschlossen.

LS
18. März 2025

Die grüne Fraktionsspitze musste leise um die Geschlossenheit bangen. Viele MdBs stimmten nur zähneknirschend – aber letztlich eben doch – zu. Ihre Spitzenleute mühten sich in ihren Reden um eine Balance zwischen dem noch nicht verrauchten Ärger über Merz im Wahlkampf und der trotzdem notwendigen Unterstützung des mit ihm gefundenen Kompromisses. Britta Haßelmann kritisierte Merz für sein Argument, erst der 27. Februar mit der Trump’schen Demütigung von Wolodymyr Selenskyj habe seinen Sinneswandel hervorgerufen. Aus Grünen-Sicht war längst vorher klar, dass auch Merz zur Verteidigung Deutschlands und Europas Schulden würde machen müssen. Trotzdem stimmte die Fraktion nahezu geschlossen für die Finanzpakete.

Bei der AfD war die Stimmung nach Sitzungsende verhalten. Aus Fraktionskreisen hieß es gegenüber Table.Briefings, man habe sich ein wesentlich knapperes Ergebnis erhofft. Doch wie die Ergebnisliste zeigt, stimmte aus den drei Fraktionen jeweils nur ein MdB dagegen: Jan Dieren (SPD), Mario Czaja (CDU) und Canan Bayram (Grüne). Czaja und Bayram werden dem 21. Bundestag nicht mehr angehören.

Hier die wichtigsten Zitate:

  • Lars Klingbeil erinnerte daran, dass angesichts der neuen Weltlage „Europa seine Hausarbeiten“ machen und stärker werden müsse. „Wir müssen für unsere eigene Sicherheit sorgen.“ Deutschland komme dabei eine Führungsrolle zu, für die die GG-Änderung wichtig sei. Der Gesetzentwurf sei zudem das Ergebnis einer seit Jahren andauernden Debatte, die zu Blockade und dem Zusammenbruch einer Regierung geführt habe. Die Mehrheit aus Union, SPD und Grünen sei ein „historischer Kompromiss.“

  • Friedrich Merz unterstützte „ausdrücklich“ Klingbeils Satz „Geld allein löst noch kein Problem“ und fügte an: „Eine steigende Verschuldung löst steigende Zinsen aus und ruft auch nach Tilgungsplänen. Damit stehen der Bund, die Länder und die Gemeinden in den nächsten Jahren unter erheblichem Konsolidierungsdruck.“

  • Franziska Brantner rief dem Kanzler in spe zu: „Herr Merz, das könnte für Sie ein Adenauer-Moment sein“. Sie beendete ihre Rede mit dem Appell: „Deutschland ist ein tolles Land – machen Sie was draus.“

  • Christian Görke erinnerte daran, dass seine Partei in Person von Dietmar Bartsch schon 2009 vor der Schuldenbremse gewarnt hatte. Trotz des Urteils aus Karlsruhe kritisierte er das GG-Änderungsverfahren, das überfallartig „zwischen Frühstück und Gänsebraten“ beraten worden sei. „Sie nennen es Staatsverantwortung, liebe SPD, wir nennen es Staatsverachtung“, sagte er.

  • Alexander Dobrindt zeigte sich dankbar gegenüber SPD und Grünen: „Ja, es ist ein Kompromiss, den wir gemeinsam gefunden haben, aber es ist auch noch mehr: Es ist eine gemeinsame Kraftanstrengung aus der Mitte des Parlaments. Und für diese Kraftanstrengung sind wir einen weiten Weg gegangen.“

  • Thorsten Frei widersprach dem AfD-Vorwurf der Unrechtmäßigkeit: „Bevor Sie über legitim sprechen, sollten Sie lieber über legal sprechen. Und legal ist es, was wir hier machen. Alles ist legal.“

  • Christian Dürr nutzte seinen vorerst letzten Auftritt im Parlament für eine Verteidigung der Schuldenbremse: „Statt einer Großen Koalition haben wir jetzt eine Schuko – eine Schulden-Koalition“. Er warf Merz Ambitionslosigkeit vor: „Wenn viel Geld da ist, dann ist der Reformdruck nicht mehr da. Das heißt: Viel Geld, keine Reformen. Das wird Ihre Kanzlerschaft prägen.“

  • Auch Sahra Wagenknecht hielt fürs Erste ihre letzte Bundestagsrede und wetterte gegen die „kriegsverrückten Grünen“, derentwegen Deutschland mit einem zusätzlichen Waffenpaket die Ukraineverhandlungen „torpediere“. Zum Schluss kündigte sie an: „Wir kommen wieder.“

  • Frank Schäffler zeigte clever, wie man es schafft, mit einer persönlichen Erklärung sprichwörtlich das letzte Wort zu haben. Und das nutzte er, um an dessen neuntem Todestag Guido Westerwelle zu zitieren: „Schulden sind die Ketten der Unfreiheit für die nächsten Generationen.“

  • Das allerletzte Wort hatte dennoch die scheidende Bundestagspräsidentin Bärbel Bas: „Ich verabschiede mich mit einem Glückauf 2.0.“

Obwohl Bärbel Bas als Bundestagspräsidentin zu „demokratischer Begeisterung“ aufrief, zeigten sich Union, SPD und Grüne nach der Verkündung des Ergebnisses eher erleichtert als beglückt. Ihr zaghafter Applaus signalisierte vor allem eines: Erschöpfung. Mit 513 Ja-Stimmen lag das Ergebnis immerhin deutlich über der erforderlichen Zweidrittel-Mehrheit von 489 Stimmen. Die 207 Nein-Stimmen entsprechen ziemlich genau der Stärke der anwesenden Kritiker aus AfD, FDP, BSW, Linken und Fraktionslosen. Besonders froh zeigten sich Friedrich Merz und Lars Klingbeil, für deren geplante Koalition ein Scheitern fatal gewesen wäre. Beide wissen, dass dieser Erfolg nur der erste Schritt ist auf dem immer noch langen Weg zu einer Koalition.

Und wer kam dann? Gregor Gysi. Er testete schon mal den Stuhl der Präsidentin. Am kommenden Dienstag wird er als Alterspräsident die konstituierende Sitzung leiten, bis die designierte neue Präsidentin Julia Klöckner gewählt ist.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025