Analyse
Erscheinungsdatum: 04. März 2025

Hilfsorganisationen: „Eine nie dagewesene Situation"

Mit der Zerschlagung der US-Hilfsagentur USAID hat Donald Trump die humanitären Helfer weltweit geschockt. Von einem Tag auf den anderen fehlen über 40 Prozent der Mittel. Die Entscheidung dürfte für Millionen von Menschen absehbar den Tod bedeuten.

Zigtausende von Mitarbeitern entlassen, weltweit Hilfsflüge gestrichen, Schiffe mit Nahrungsmitteln, die nicht mehr entladen werden, HIV-Infizierte, die keine Medikamente mehr erhalten – und noch schlimmer: Im Sudan und Äthiopien, im Kongo, in Kolumbien und einer Reihe weiterer Länder werden in Kürze Millionen von Menschen zu hungern beginnen. Die Anordnung des US-Präsidenten Donald Trump an die weltweit größte Hilfsorganisation USAID, das Personal zu beurlauben, alle Tätigkeiten zu stoppen und den Geldverkehr einzustellen, hat globale Schockwellen ausgelöst. Daran hat auch das Urteil des Supreme Court vor wenigen Tagen nichts geändert, der 1,5 Milliarden Dollar erst einmal wieder freigegeben hat: Offizielle Ausnahmen hat es auch bisher schon gegeben, geflossen ist trotzdem kein Geld.

Über 40 Prozent der weltweiten Mittel für Humanitäre Hilfe kamen bisher aus den USA. Die Amerikaner gaben bis zuletzt mehr Geld, als die nächsten zehn Geber zusammen. Zahlreiche internationale Organisationen – auch deutsche – haben mit diesen Zuwendungen gearbeitet und Nahrungsmittel, Gesundheitsprojekte oder Wasserversorgung über die US-Gelder finanziert. Mit einem Schlag – die Anordnung trat sofort in Kraft, wurde überprüft und für rechtens befunden – ist nun alles vorbei. Weltweit wurden in den letzten Wochen Projekte gestoppt, Lieferungen eingestellt, Flüge gestrichen, Dienstreisen storniert. Auch kommunizieren sollen die Organisationen, die am Tropf von USAID hängen, nicht mehr.

Die Philosophie dahinter markiert eine Zeitenwende der besonderen Art. Finanziert wird nur noch, „was die USA sicherer, stärker und wohlhabender macht“, wie es im Weißen Haus heißt. America first, heißt die Devise, und „Make America Great Again". Globale Verantwortung und humanitäre Prinzipien sind ein Relikt aus der Vergangenheit. „Die USA haben die Weltnachkriegsordnung aufgekündigt“, sagt Ralf Südhoff vom Berliner Think Tank Centre for Humanitarian Action (CHA). Er beobachtet eine weltweite „Schockstarre und große Ratlosigkeit“.

Die Schrittfolge ist absehbar. Erst werden Versorgungsstellen und Gesundheitsstationen geschlossen, die Ausgabe von Medikamenten und Saatgut gestoppt – und mit einiger Verzögerung wird dann das leise Sterben beginnen. Absehbar und weltweit. Mit zwei bis vier Millionen Toten allein auf ihrem Kontinent durch Rückschritte in der Gesundheitsversorgung rechnet bereits die afrikanische Gesundheitsbehörde CDC.

Länderübergreifend schlagen die Organisationen, nationale und internationale, inzwischen Alarm. Das weltweit tätige Danish Refugee Council (DRC) will ein Viertel aller Stellen abbauen, auch das größte norwegische Hilfswerk, die Flüchtlingshilfe (NRC), denkt über massive Stellenkürzungen nach. Von einer „nie dagewesenen Situation“ spricht Corina Pfitzner vom deutschen International Rescue Committee (IRC). „Das ganze System wankt“, sagt CHA-Expertin Sonja Hövelmann. „Mehr als dramatisch“ nennt Åsa Månsson, Geschäftsführerin von Venro (Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisationen), die Lage. Düster blickt auch BMZ-Chefin Svenja Schulze in die Zukunft. „Weder Deutschland noch die EU können die riesigen Lücken füllen, die die USA als weltweit größter Geber hinterlassen. Die Folgen werden menschlich schwer zu ertragen sein“, sagte sie Table. Briefings.

Aber die Folgen zeichnen sich bereits ab. Wochenlang rangen Hilfsmanager darum, wenigstens die zigtausende Tonnen von Nahrungsmitteln zu retten, die in Schiffen zu verrotten begannen, weil USAID keine Logistikkosten mehr übernehmen wollte und kein Geld mehr vorhanden war, um die Ware zu löschen. Immerhin, ein Teil der Ladung erreichte am Ende doch noch die Bedürftigen.

UNHAS, der Humanitäre Flugdienst der Vereinten Nationen, mit seinen Dutzenden von Flugzeugen und Helikoptern, hat den Betrieb weitgehend eingestellt. UNHAS fliegt in Krisenregionen wie dem Sudan, Südsudan oder Tschad, in Afghanistan oder Haiti, wo sonst niemand mehr fliegt. Die Piloten und ihre Maschinen transportieren normalerweise Mediziner und Techniker, Beatmungs- und Dialysegeräte, das Personal dazu und bringen obendrein oft auch Flüchtlinge in ihre Heimat zurück. Nicht zuletzt das Personal von „Ärzte ohne Grenzen“ hat sich vielfach auf UNHAS verlassen.

In Äthiopien etwa, so meldet die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung, ist der Kampf gegen Aids massiv betroffen. 500.000 Menschen werden dort derzeit mit Anti-Virus-Medikamenten versorgt. Demnächst nicht mehr. Caritas International hat in Äthiopien Ernährungs- und Gesundheitsprogramme für 1,8 Millionen Menschen gestoppt. Auch im benachbarten Kenia wurde Tausenden von Mitarbeitern im Gesundheitswesen gekündigt. Die Folge: Keine Behandlungen mehr, keiner mehr, der Medikamente ausgibt, keiner, der aufklärt oder den Zusammenhang zwischen Mangelernährung bei Kindern und Spätfolgen erklärt. Es ist nicht nur der afrikanische Kontinent, der betroffen ist. Es ist Süd- und Zentralamerika, es ist Syrien und es ist Südostasien. Und es ist nicht zuletzt die Ukraine. Gerade in der Ukraine war USAID einer der größten Geber in den Bereichen Nahrungsmittelhilfe und Gesundheitswesen.

„Die Humanitäre Hilfe wurde in gestreckten Galopp aus dem Sattel geschossen“, formuliert drastisch der Deutschland-Direktor des Welternährungsprogramm (WFP), Martin Frick. Er kann die akute Notlage mit Zahlen unterfüttern: Ende 2019 gab 135 Millionen Menschen, die akut Hunger litten. Bis 2025 ist die Zahl auf 343 Millionen Hungernde angewachsen. WFP erreichte 2024 rechnerisch knapp die Hälfte von ihnen. Noch ist unklar, wie umfassend die WFP-Operationen betroffen sind, aber: „Ohne die US-Mittel werden es weit weniger sein“, sagt Frick.

Auch in Syrien war USAID bis vor Kurzem einer der größten Geber. Auch dort kollabieren nun absehbar die Strukturen. Und nicht wenige Experten erinnern daran, dass die Rebellion 2011 ausbrach, als insbesondere auf die Land die Armut zunahm, die Preise stiegen und sich just in dieser Phase die Geber zurückzogen.

Der Kollaps von USAID kommt zu einem Zeitpunkt, an dem auch die großen europäischen Geber auf dem Rückzug sind: Belgien, die Niederlande, Schweden, Großbritannien, die Schweiz – alle haben unter eigenem massivem finanziellen Druck angekündigt, im Jahr 2025 weniger für Humanitäre Hilfe ausgeben zu wollen. Auch Deutschland, lange einer der weltweit größten Geber, spart kräftig: Das Auswärtige Amt, das 2022 noch 3,2 Milliarden Euro für die Humanitäre Hilfe zur Verfügung hatte, hat dafür in seiner Etatplanung für 2025 nur noch 1,04 Milliarden Euro vorgesehen. In der Hoffnung und gestützt von der vagen Zusage, dass das Finanzministerium bei überraschenden Krisen doch noch überplanmäßige Mittel bereitstellt.

Viele Folgen werden erst nach und nach sichtbar werden. Frühwarnsystemen, die auf absehbare Dürren oder anhaltende Regenfälle hinweisen, geht das Geld aus. Websites und Apps, die Landwirte mit regionalen Empfehlungen und Tipps versehen, werden nicht mehr aktualisiert oder ganz stillgelegt. Weil die USA auch aus der Weltgesundheitsorganisation ausgetreten sind, werden Diagnose und Therapie von Krankheiten wie Ebola, Mpox oder Vogelgrippe flächendeckend ausfallen – mit Folgen insbesondere auch für das US-Gesundheitssystem. Und natürlich werden sich, wenn sie nichts mehr zu essen und keine Perspektive haben, auch wieder Menschen auf den Weg machen. In Amerika genauso wie auf dem afrikanischen Kontinent.

Eine weitere Gefahr: Mit dem Ausstieg der Amerikaner werden Strukturen zerstört, die sich so leicht nicht wieder reparieren lassen. „Unsere Logistikketten funktionieren wie ein Schweizer Uhrwerk“, sagt WFP-Mann Martin Frick. Und er mahnt: „Mit diesen Kürzungen verlieren wir auch infrastrukturelles Wissen.“ Wie man Liefer- oder Kühlketten auch im Krisenfall aufrecht erhält, wie man Lagerhaltung in entlegenen Regionen organisiert, wie man potenzielle Konflikte zwischen Flüchtlingen und lokaler Bevölkerung entschärft – es sind lauter Herausforderungen, die sich regelmäßig vor Ort stellen und die ohne Expertise und erfahrungsgesättigtes Wissen nicht zu bewältigen sind.

Und die Bundesregierung? Ohnehin gerade in Auflösung hat sie noch keine Strategie für eine adäquate Antwort auf das Vakuum gefunden. Jahrelang war Deutschland einer der weltweit größten Geber. Umso aufmerksamer blicken Nehmerländer, aber auch andere Geber nun nach Berlin. „Deutschland hat sich einen Ruf erarbeitet“, sagt Frick. „Auch weil es das deutsche System immer wieder geschafft hat, in extrem schwierigen Situationen da zu sein.“ Klar ist aber auch: Die Lücke, die die Amerikaner gerissen haben, kann niemand füllen, Deutschland nicht und auch die EU nicht. „Das geht an die Knochen“, sagt Ina Heusgen, im AA Beauftragte für die Humanitäre Hilfe, und spricht von einem „Systemschock“. Es brauche nun „eine Neustrukturierung des Systems“ und eine Neupriorisierung der Bedarfe.

Das ist noch hinreichend vage. Umso deutlicher formulieren jetzt Experten und Hilfsorganisationen ihre Erwartungen an die Bundesregierung. „Es braucht eine europäische Lösung – Deutschland kann die Lücke nicht füllen, auch wenn wir mehr Verantwortung übernehmen könnten“, sagt Venro-Geschäftsführerin Månsson. So sieht es auch BMZ-Chefin Svenja Schulze: „Die Antwort auf das, was uns täglich aus Washington erreicht, kann nur europäisches Teamwork sein." Europa sei „eines der politischen Kraftzentren der Welt.“ Aber nicht nur das. Geostrategisch geht ihr Blick bereits weiter: „Deutschland ist jetzt mehr denn je auf neue Partner in der Welt angewiesen. Und anderen Ländern – im Norden und im Süden – geht es ähnlich", sagt sie. „Da ist eine Chance zu neuer Vernetzung, über traditionelle Blöcke hinweg."

„Brauchen wir das Sondervermögen wirklich nur für die Bundeswehr? Müssen wir das Thema nicht wie in der Nationalen Sicherheitsstrategie deutlich breiter denken?“ fragt CHA-Chef Ralf Südhoff – und mahnt dringend an, auch das humanitäre Engagement einzubeziehen. Mit vergleichsweise überschaubaren Beträgen lasse sich viel bewegen. So argumentiert auch WFP-Direktor Frick und weist darauf hin, dass Deutschland 2024 weniger als 0,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Krisenbewältigung und Humanitäre Hilfe ausgegeben hat.

Auch er hat Erwartungen an die Bundesregierung: „Sie muss jetzt Verantwortung übernehmen“ – Verantwortung als internationaler Player. Zugleich verweist er auf den Sahel, wo ohne internationale Hilfe das Chaos droht. „Wenn der Sahel kollabiert“, mahnt Frick, „kriegen wir eine Instabilität, die wir in ihrer Dimension noch gar nicht übersehen.“ Deutschland habe vom Multilateralismus immer profitiert. Nun sei ein Teil der Spielregeln aufgekündigt worden, und bei möglichen Friedensverhandlungen für die Ukraine seien die Folgen bereits offensichtlich: „Wir sehen doch, was es heißt, wenn wir nicht mit am Tisch sitzen.“

In der Szene und auch unter den Fachleuten hat unterdessen eine ganz andere Debatte begonnen: Nämlich die, ob die im Wahlkampf von der Union favorisierte Zusammenlegung von AA und BMZ in dieser Situation der richtige Schritt ist, um den neuen Herausforderungen zu begegnen. Noch ist der Vorschlag bei den Sondierungen zwischen Union und SPD kein Thema. Aber der Umbau von Ministerien – das gilt auch für Zusammenlegungen – geht immer mit erheblichen Kollateralschäden und Anpassungsschwierigkeiten einher. „Dafür haben wir jetzt keine Zeit und keine Ressourcen, die Welt schaut nach Deutschland und erwartet eine angemessene Reaktion auf die dramatischen Entwicklungen“, sagt Venro-Frau Åsa Månsson. „Wichtig ist jetzt ein deutliches Signal, dass wir den Fokus auf eine starke Entwicklungszusammenarbeit und effiziente humanitäre Hilfe legen.“

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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