Vor wenigen Wochen wäre das wahrscheinlich undenkbar gewesen. Jetzt aber hat Nancy Faeser in der Asyl- und Sicherheitspolitik eine massive Kehrtwende vollzogen und sofortige Kontrollen an den deutschen Grenzen angeordnet. Nicht nur mit dem Verweis auf sportliche Großveranstaltungen und auch nicht mehr nur an ausgewählten Stellen, sondern an allen Außengrenzen. Auch wenn Faeser von einer „konsequenten Weiterentwicklung“ ihrer Politik spricht – es ist eine nahezu komplette Neuausrichtung.
Der Kurswechsel hat viele Gründe. Ganz besonders ins Kontor geschlagen hat aber das Attentat von Solingen, verübt von einem ausreisepflichtigen, aber nicht abgeschobenen Asylbewerber. In der SPD-Spitze und im Kanzleramt hat sich längst die Überzeugung verfestigt, dass die Probleme im Umgang mit straffälligen Asylbewerbern keine Petitesse mehr sind, sondern ein großes Problem, das die Glaubwürdigkeit des Staates zu untergraben droht.
Der Kanzler verteidigte den Schritt in der Fraktion. Er sei wichtig und angebracht. Zugleich sei aber auch klar, dass „smarte Grenzkontrollen“ keine Grenzschließungen seien. Aus der Fraktion hieß es: „Olaf kämpft! Auf seine leise Art, aber er tut es.“ Fraktionsvize Dirk Wiese unterstützte den Schritt, betonte aber, dass Grenzkontrollen im Schengen-Raum „keine dauerhafte Lösung sein sollten und dürften“. Aus der Grünen-Fraktion hieß es, man habe „differenziert diskutiert“, und manche hätten Bedenken geäußert. Ein Argument: Sorge um Europa; ein zweites: Sorge um Geflüchtete und Migranten, die angesichts der Debatte große Angst hätten. Allerdings war man sich offenbar einig, erstmal nicht laut Nein zu rufen. Niemand will vor der Wahl in Brandenburg als Blockierer erscheinen.
Klares Motiv der SPD-Führung: Auf die CDU zugehen. Scholz und die Genossen wollen in der aktuellen Lage offenkundig lieber mit der Union sprechen statt sich von ihr unentwegt als zu lasch und zu unentschlossen attackieren zu lassen. Faeser betonte, sie habe sich am Montag „sehr vertrauensvoll, sehr gut“ mit Thorsten Frei ausgetauscht. Und sie versicherte: „Wir haben Mittel und Wege für effektive Zurückweisungen gefunden.“ Die werde man morgen gerne erstmal vertraulich CDU und CSU vorstellen, um dann hoffentlich gemeinsam zu einem Konsens zu kommen. Auch Hessen und Niedersachsen werden dann als Vertreter der Länder am Tisch sitzen.
Bis zuletzt galt der Schritt, den Faeser nun geht, als zwingende Voraussetzung der CDU-Spitze für intensivere Gespräche. Friedrich Merz sagte in der Fraktion, er wolle die Entscheidung erstmal schriftlich sehen, bevor er endgültige Entscheidungen treffe. Er gab sich verhalten optimistisch, dass die Ampel auf die Forderungen der Union eingehen könnte. „Wir haben erste Indikationen, dass sich etwas bewegt“, so Merz.
Zugleich blieb die CDU-Spitze betont vorsichtig. Sie trat Meldungen entgegen, man habe sich mit der Koalition schon geeinigt. „So ist es nicht“, hieß es aus der Fraktionsführung. Mancher fühlt sich schon an die Konflikte um die Zeitenwende erinnert, als der Kanzler und die Ampel frühzeitig versucht hätten, die Union schon vor einer Einigung für sich zu vereinnahmen. Dem will man offenkundig entgegentreten. Ob die Union Faesers Einladung fürs Gespräch am Dienstagnachmittag annimmt, ließ sie deshalb bewusst offen.