Ein anonymer Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin des Jobcenters Dortmund hat einen „Brandbrief“ geschrieben, der am Sonntag öffentlich wurde. Wie sollte die Politik reagieren?
Sie muss zuhören. Was erzählen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, was sind die größten Probleme? Die Politik wird natürlich sagen: Wir hören ja zu und gehen in die Jobcenter. Das lasse ich nicht gelten, weil diese PR-Besuche vorbereitet sind. Da ist immer alles schön, wenn die Politiker da sind. Aber die Realität ist eine andere – nämlich die, die in diesem Brandbrief beschrieben ist: Personalknappheit, ein schlechter Betreuungsschlüssel, Probleme bei der Umsetzung der Bürgergeld-Reform. Die Jobcenter hatten zu wenig Zeit, sich darauf vorzubereiten, es gab zum Beispiel zu wenige Schulungen.
Von verschiedenen Bundestagsabgeordneten hört man, in ihren Wahlkreisen laufe es gut.
Ja, das hängt immer von der Region ab. Das hat auch damit zu tun, ob es eine Optionskommune ist oder nicht. Mehr als 100 Kommunen sind alleine für ihre Jobcenter zuständig, die anderen betreiben sie zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit. Erstere haben mehr Gestaltungsmöglichkeiten bei der Umsetzung ihrer eigenen Vorstellungen. Das können individuelle Maßnahmen sein oder die Entscheidung: Wie begleite ich Erwerbslose? Entscheidend ist auch, welche Region es ist. Im Ruhrgebiet, wo der aktuelle Brief herkommt, gibt es viele Leistungsberechtigte. Da ballt sich das natürlich mehr als in einer Kleinstadt, wo es etwas entspannter abläuft.
Sie haben vor zehn Jahren einen „Brandbrief“ geschrieben. Was hat sich seitdem getan?
Die Sanktionsregelung hat sich entspannt. Daran haben viele Akteure mitgearbeitet. Zum Beispiel Erwerbsloseninitiativen wie Tacheles, die Linke – für die ich in der Hamburger Bürgerschaft saß – Sozialverbände, Erwerbslose und der Kläger, der vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg hatte. Das hat 2019 entschieden, dass man als Sanktion nicht mehr 100 Prozent der Leistungen kürzen darf. Trotzdem ist jede Sanktion, eine zu viel und kürzt das Existenzminimum. Positiv ist die Bürgergeld-Reform mit der Abschaffung des Vermittlungsvorrangs: Das heißt, dass man nicht mehr um jeden Preis sofort in Arbeit vermittelt werden darf. Eine positive Entwicklung ist auch der neue „Kooperationsplan“, den das Jobcenter in enger Absprache mit den Leistungsberechtigten gestalten soll. Das gilt aber erst ab dem 1. Juli. Man muss also abwarten, ob das tatsächlich so umgesetzt wird.
Sie haben gute Kontakte in Jobcenter. Was hören Sie von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über die Bürgergeld-Reform?
Aus größeren Städten und Mittelstädten höre ich, dass die Schulungen sehr schleppend vorankommen und sie von Änderungen zum Teil erst aus den Medien erfahren. Die Weisungen der Bundesagentur für Arbeit erfolgen zum Teil sehr kurzfristig. Die für den „Kooperationsplan“ kam gerade erst – zwei Wochen vor dem 1. Juli. Das alles müssen die Mitarbeiter neben ihrer täglichen Arbeit noch lesen und lernen. Dass sie darüber stöhnen, ist verständlich.
Personalräte von Jobcentern haben in einem Brief an die Bundesregierung gewarnt, mit der geplanten Kindergrundsicherung drohe eine „sozialpolitische und verwaltungsökonomische Katastrophe“. Ist das so?
Ich habe die Feststellung gemacht, dass wenn die Jobcenter-Personalräte einen Brandbrief schreiben, sie in der Regel recht haben. Sie kennen die Praxis und informieren sich immer sehr gut, bevor sie so etwas machen. Meine Erfahrung ist, dass die Personalräte immer ins Wespennest gestochen haben. Das Traurige ist nur, dass das die Bundesagentur für Arbeit oft nicht interessiert.
Die Personalräte kritisieren, es würden Doppelzuständigkeiten und komplexe Schnittstellen zwischen Familienkassen und Jobcentern geschaffen. Wie sehen Sie das?
Ich berate Privatpersonen und habe öfter Fälle auf dem Schreibtisch, bei denen es um die mangelnde Kommunikation zwischen Familienkasse und Jobcenter geht. Letztere können nicht auf die Daten der Familienkasse zugreifen. Sie müssen dort dann immer anrufen, wenn das Kindergeld nicht ausbezahlt wird, weil es irgendwie klemmt. Gleichzeitig zieht das Jobcenter das Kindergeld als Einkommen vom Bürgergeld ab, auch wenn es noch gar nicht bei den Leuten angekommen ist. Eine Schnittstelle, über die das besser geregelt werden könnte, gibt es bisher nicht. Das heißt, es gibt jetzt schon Probleme, weil es digital in den Jobcentern bisher nur wenig vorangeht.