Analyse
Erscheinungsdatum: 01. August 2024

Ein folgenschwerer Gefangenenaustausch: Deutschland gibt den Tiergarten-Mörder frei 

Der Austausch verurteilter Krimineller wie dem Tiergarten-Mörder von Berlin gegen willkürlich Inhaftierte löst gemischte Reaktionen aus: Während etwa Yulia Nawalnaya die Freilassung der Geiseln aus russischer und belarussischer Gefangenschaft bejubelte, fehlt es anderen an Ebenbürtigkeit zwischen den Verhandlungspartnern.

Politische Oppositionelle, ausländische Journalisten und einfache Bürger auf der einen Seite – Spione und mindestens ein nach rechtsstaatlichen Maßstäben überführter Mörder auf der anderen: Russland, Belarus und mehrere westliche Staaten haben am Donnerstag insgesamt 26 Gefangene ausgetauscht. Es war eine der umfangreichsten Austauschaktionen seit dem Ende des Kalten Kriegs.

Unter den aus dem Westen ausgelieferten Personen ist laut dem türkischen Geheimdienst MIT auch der sogenannte Tiergartenmörder und FSB-Spion Vadim Krassikow. Am Abend bestätigte auch die Bundesregierung den Austausch und sprach von 15 Freilassungen aus Russland und Belarus. Ein Teil des Austauschs lief über die Türkei. Ankara unterstreicht damit die eigene Bedeutung in internationalen Verhandlungen.

Krassikow sollte schon vor Monaten gegen den im Februar unerwartet verstorbenen russischen Oppositionellen Alexey Nawalny ausgetauscht werden. Nawalnys Witwe Yulia Nawalnaya begrüßte den Austausch. Auf welcher Grundlage Deutschland Krassikow nun ziehen lässt, bleibt offen und dürfte politische Debatten nach sich ziehen. Eine Begnadigung durch den Bundespräsidenten ist nicht bekannt. Eine Überstellung zur Verbüßung der Resthaft in Russland scheint wahrscheinlicher. Klar ist indes, dass Krassikow wohl von Wladimir Putin eher geehrt als weiter inhaftiert wird.

Man habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, teilte die Bundesregierung am Abend mit. Dem staatlichen Interesse an einer Vollstreckung der Freiheitsstrafe eines verurteilten Verbrechers „seien die Freiheit, das körperliche Wohlergehen und – in einigen Fällen – letztlich auch das Leben unschuldig in Russland inhaftierter Personen und zu Unrecht politisch Inhaftierten” gegenübergestanden. „Unsere Schutzverpflichtung gegenüber deutschen Staatsangehörigen sowie die Solidarität mit den USA waren wichtige Beweggründe”, so die Bundesregierung.

Laut The Insider liefen die Vorbereitungen für den Austausch seit 2022. Demnach habe der Kreml Krassikow nur gegen den US-Journalisten Evan Gershkovich austauschen wollen. Dass am Ende so viele, teils sehr einflussreiche russische Oppositionelle freikamen, zeugt vom Verhandlungsgeschick westlicher Diplomaten. Das könnte dazu führen, dass es weitere Gespräche geben wird, die womöglich auch das Thema Ukraine umfassen.

Alexey Yusupov, Leiter des Russland-Programms des Friedrich-Ebert-Stiftung, ist skeptisch: „Einerseits ist jede Kooperation nach Absprache ein Fortschritt. Wenn Verabredetes umgesetzt wird, dann stärkt das die Beziehungen“, sagt Yusupov Table Briefings. Darauf könne man aufbauen, weil sich die Unterhändler kennen. „Andererseits ist der Austausch wohl nur möglich geworden, weil die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen realpolitischer geworden sind. Hier wird ja noch nicht einmal der Eindruck eines ebenbürtigen Austauschs erweckt. Wir reden von Menschen, die von Russland übergeben werden, defacto von Geiseln.“ Yusupov sagt deshalb: „Die Beziehungen wenden sich weniger zum Kooperativen. Sie werden klarer. Es geht um Interessen, die gegeneinander verhandelt werden. Das heißt nicht, dass die Beziehungen entspannter werden.“

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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