Sie haben zwei Jahre lang mit TSMC darüber verhandelt, ob der Halbleiterhersteller nach Dresden kommt. Welche Kompromisse sind Sie letztlich eingegangen?
Bei ihrem Investment ging es nicht um Kompromisse. TSMC stellte zuletzt Fragen, die hätten sie vor anderthalb Jahren nicht gestellt. In den USA haben sie zuletzt negative Erfahrungen gemacht. Nicht alles, was versprochen wurde, hielt dort dann der Realität stand. Dadurch war TSMC kritischer gestimmt, fragte sicherheitshalber in den Gesprächen lieber noch einmal etwas konkreter nach.
Was konnten Sie zusichern, das andere nicht konnten?
Die Verantwortlichen von TSMC wollten verständlicherweise alle Fragen vorab klären. Es gab nicht das eine Totschlagargument oder bestimmte Punkte, die uns besonders nervös gemacht hätten. Drei Aspekte waren von zentraler Bedeutung: Zulieferindustrie, Genehmigungsprozesse und Fachkräfte.
Zulieferindustrie heißt konkret?
TSMC ist ein Unternehmen, das in der Produktion an der Weltspitze unterwegs ist. Die haben andere Anforderungen an die Materiallieferanten; von den technischen Gasen bis zur Chipherstellung. Gerade wirbt TSMC auf einer Messe in Taiwan um Unternehmen, die sie nach Sachsen begleiten sollen. Mit BASF in Schwarzheide und ähnlichen chemischen Herstellern sind auch große deutsche Unternehmen, die wir in den Prozess einbinden können, nicht weit von Dresden entfernt.
Erleichtert der Beschluss der Bundesregierung, zu entbürokratisieren, den zweiten relevanten Aspekt, die Genehmigungsverfahren?
Es geht da bei TSMC um komplexe immissionsschutzrechtliche Verfahren. Man muss sowohl in der Firma als auch in der Genehmigungsbehörde exzellente Teams haben, damit man massiv ehrgeizige Termin-Ketten noch mal deutlich unterbieten kann. Die Diskussionen auf Bundesebene sind wichtig, helfen aber eher Mittelständlern, die nicht unbedingt das Expertenteam an der Hand haben.
Und woher kommen die 2.000 Fachkräfte, die TSMC in Dresden braucht?
Die Taiwaner wollen eine größere dreistellige Anzahl an Expertinnen und Experten mitbringen. Ansonsten hat die Bosch-Ansiedlung gezeigt, dass eine hohe Expertise in der Region vorhanden ist. Bosch konnte beispielsweise in der ersten Zeit ausschließlich Leute mit mindestens zehn Jahren Halbleitererfahrung einstellen.
Bei Bosch sprechen wir von einer geringeren Größenordnung. Wie kann die Region auch TSMC genug Fachkräfte bieten?
Ein Ausbildungszentrum für Elektrotechnik ist zusammen mit Infineon ohnehin geplant. Jetzt ist die Frage: Reichen unsere geplanten Kapazitäten für 300 Auszubildende pro Jahrgang aus? Außerdem wird es Kooperationen mit der TU Dresden und weiteren Universitäten geben. Die sind deshalb ganz bewusst von Anfang an in die Gespräche involviert.
Aber warum sollte ich, wenn ich aus einem anderen Land komme, nicht Hamburg, Berlin, München oder die Messestadt Leipzig vorziehen?
Wenn ich aus Bangalore in Indien komme, kenne ich diese Städte im Zweifel überhaupt nicht. In der amerikanischen Dimension sind wir sowieso alle Nachbarn. Am Ende des Tages ist für Fachkräfte die Frage wichtig: Wie werden sie aufgenommen?
Dresden hat viel dafür getan, international als Stadt mit Rassismus-Problem zu gelten. Sachsen noch mehr. Nachdem Pegida groß wurde, sind reihenweise internationale Wissenschaftlerinnen weggezogen, weil sie sich nicht mehr sicher gefühlt haben.
Ich werde das nie und nimmer verniedlichen, bei jedem Einzelereignis stellen sich mir die Nackenhaare auf. Aber in wie vielen westdeutschen Städten gibt es Übergriffe und Probleme? In Frankreich brennen bei schweren Konflikten ganze Vorstädte. Man muss auch nicht immer wieder daran arbeiten, das Klischee des braunen Ostens zu verstärken. Das ist oberflächlich und ungerecht, weil es an der Lebenswirklichkeit vorbeigeht. Ich bin viel in der Stadt unterwegs und erlebe sehr viele Leute, die sich engagieren für Integration und ein offenes gesellschaftliches Leben. Dresden bietet allen Menschen eine hohe Lebensqualität.
Sie würden also behaupten, dass Dresden kein Rassismus-Problem hat.
Ich widerspreche, dass wir ein Rassismus-Problem haben, was in Größenordnungen über das Problem jeder anderen deutschen Großstadt hinausgeht.
Auch Sachsen macht regelmäßig mit rechtsradikalen Skandalen von sich reden.
Das ist zweischneidig. Indem wir immer wieder die wenigen Totalausfälle und nicht die zahlreichen Leute in den Mittelpunkt stellen, die sich wahnsinnig für eine offene Gesellschaft engagieren, prägen wir weiter die Stigmatisierung des Ostens.
Sie halten das Image eines rassistischen Sachsens also nicht für hausgemacht. Mal abgesehen von rechtsextremen Skandalen: Wahlergebnisse bestätigen das Bild.
Wir müssen uns selber an die Nase fassen. Solange der Argumentation Futter gegeben wird und keine besseren Antworten geliefert werden, tragen wir ebenso eine Verantwortung dafür. Man soll nicht so tun, als wäre es nur ein Problem vom Osten. Die bundesweiten Prognosen sprechen da eine deutliche Sprache. Ich bin manchmal erschüttert über Meinungsbilder, die ich in Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen höre – härter als mancher AfD-Jargon.
Gerade sprechen wir aber über das internationale Image von Dresden. Die US-Botschaft hat zu Pegida-Hochzeiten vor Reisen gewarnt, weil Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe Anfeindungen erfahren haben.
Blicken wir doch mal in Städte wie New York. In Brooklyn oder der Bronx wird jeden Tag ein Mensch umgebracht. Natürlich macht mir Sorgen, wie Populisten an Zuspruch gewinnen. Aber die Lösung lautet nicht: Ich lenke von meinen eigenen Problemen ab und stigmatisiere den Osten.
Konstruktiv gefragt: Was kann eine Stadt zu einem offeneren Klima beitragen?
Wer heute kommt, hat es schon viel leichter als vor sechs, sieben Jahren. Ich bin ein großer Freund von gesellschaftlichem Engagement. Es hat keinen Sinn, das hauptsächlich mit Fördermitteln zu machen. Vietnamesen, Russen, Tschechen haben hier schon lange große Communities. Auch Menschen aus Syrien, Afghanistan, Iran, jetzt der Ukraine sind stärker vertreten. Wir haben assistiert, damit sie Plattformen aufbauen, wo die eigene Kultur gepflegt wird. Wir haben interreligiöse Begegnungsangebote wie ein islamisch-jüdisches Neujahrsfest geschaffen. Ehrenamtler gehen in sprachlichen Austausch. Das sind Puzzleteile von einem Unterstützungsnetzwerk, was im Wesentlichen bürgerschaftlich getragen ist. Das ist das Beste, was einem passieren kann.
2.000 neue Fachkräfte bedeuten, dass Dresden konkrete Grundbedürfnisse bedienen und somit Fakten schaffen muss: Wohnungen, Kitaplätze, Infrastruktur.
Unabhängig von TSMC werden in den nächsten fünf Jahren allein in dieser Branche 10.000 Arbeitsplätze entstehen und damit etwa 20.000 zusätzliche Leute zusätzlich in der Stadt wohnen. Habe ich genügend Wohnraum auf dem Markt? Nein. Habe ich genügend Quartiere mit Baurecht? Ja, wir haben nur in diesen Stadtbezirken 16.000 Wohneinheiten, die sofort oder in Kürze gebaut werden können. Bei den Kitas sieht es gut aus. Bei der Schule ist es enger – um das zu lösen, sind wir in Gesprächen mit Nachbargemeinden.
Wie gewährleisten Sie, dass Kinder nichtweißer Hautfarbe auf der Straße oder in der Schule keine Diskriminierungserfahrungen machen? Würden Sie ihnen empfehlen, lieber gleich die International School zu besuchen?
Das würde ich nicht machen. Die Frage stellt sich in einem anderen Kontext. Ich würde die International School empfehlen, wenn Familien international weiterziehen wollen. Für Taiwaner werden wir Angebote für Mandarin und Taiwanesisch schaffen. Wir nutzen hier auch die Erfahrungen vergangener Großinvestitionen, als wir bereits ein großes Joint Venture zwischen Qimonda, Nanya und Winbond hatten.
Wie baut man dann aber wieder Brücken innerhalb der Stadtgesellschaft?
Da ist ganz wesentlich das Unternehmen selbst gefragt, indem es Partnerschaften aufbaut zwischen Familien, die schon länger hier leben, und denen, die zugezogen sind. Das begleiten wir aus dem Rathaus. Ich war beispielsweise mit 70 Taiwanern in der Sächsischen Schweiz wandern, sowas ist für uns Standardwerk.
Können denn durch diese neuen Menschen, die es dazukommen, auch die Fehler der Vergangenheit abgemildert werden?
Was meinen Sie?
Wie so viele Städte läuft auch durch Dresden ein Riss. Geflüchtete und Geringverdiener in den äußeren Plattenbauvierteln, wohlhabende Akademikerkreise in anderen.
Solche Aufgaben können nicht neue Fachkräfte lösen. Wir werden hunderte Millionen Euro in die Stadtteile mit Entwicklungsbedarf investieren. Es hat in diesen Stadtteilen eine Entmischung stattgefunden. Uns darf nicht passieren, was in manchen Vorstädten Frankreichs los ist. Das haben wir sehr genau im Blick.
Reicht Ihr Optimismus so weit, dass Sie Sachsen prognostizieren, durch Ansiedlungen wie von TSMC internationaler zu werden?
Natürlich. Dresden wird seit Jahren immer internationaler. Das ist grundsätzlich eine positive Entwicklung. Mit jedem weiteren Projekt, jedem neuen Institut, bekomme ich internationale Spitzenkräfte und die werden weitere nachziehen. Das macht ein Stadtgefüge viel interessanter.
Und Sie meinen, dass eine entscheidende Mehrheit darauf auch Lust hat?
Nicht 100 Prozent der Menschen. Aber das Gros: Ja. Veränderungsprozesse – und davon gab es im Osten in den zurückliegenden drei Jahrzehnten einige – sind nie einfach. Kennenlernen macht viel aus. Das kann im Sportverein sein, im Handwerk, in der Nachbarschaft, bei Festen, bei einem Ehrenamt oder im Musizieren der Jugend. Da fiebern vielleicht der AfD wählende Papa und der Geflüchtete gemeinsam ihren Kindern zu. Das integriert und das bringt Menschen zusammen, weil so das Verständnis füreinander wächst. Das ist mühsam und geht nicht auf Knopfdruck. Wir muten unseren Menschen in relativ kurzer Zeit große Veränderungsprozesse zu. Als vor 40, 50 Jahren Gastarbeiter aus Italien und der Türkei in den Westen kamen, gab es ähnliche Diskussionen. Vor 20 Jahren lag die Ausländerquote in Dresden bei 2,5 Prozent. Mittlerweile sind wir schon beim Fünffachen.
Große Unternehmen haben sich zuletzt häufiger für Niederlassungen in ostdeutschen Bundesländern entschieden. Was ziehen Sie aus dem Austausch mit Ihren Amtskollegen aus Magdeburg oder Grünheide?
Ich höre häufig: Wieso läuft das bei euch so geräuschlos ab, während es anderswo schwieriger ist? In Grünheide und Magdeburg ist die infrastrukturelle Anbindung schwierig. Uns hilft die Erfahrung.