Analyse
Erscheinungsdatum: 16. Mai 2024

Die Grünen im Mai: Auf der Suche nach Sinn und Kraft

An der Malaise der Ampel sind die Grünen sicher nicht alleine schuld. Aber die ewige Kompromisssuche und die fehlenden Erfolge zerren an den Nerven. Das schwächt den Anführer und verunsichert die Truppe wie schon lange nicht mehr.

Das ist wohl das Ampel-Paradoxon: Während die Koalition ständig auseinander zu streben scheint und immer neue Konflikte eskalieren, sind deren Führungsleute ständig beschäftigt, Brücken zu bauen und Kompromisse zu finden. Nach Darstellung grüner Spitzenleute waren Robert Habeck und seine engsten Vertrauten am Himmelfahrtswochenende besonders aktiv, um den drohenden Knall rund um das Rentenpaket II zu verhindern. Habeck vertritt schon lange die Überzeugung, dass sich Regierungsfähigkeit in Koalitionen genau an solcher Stelle beweist – als gewissenhafte Suche nach dem besten gemeinsamen Weg.

Doch Habecks vermittelndes, kompromissorientiertes Vorgehen stößt in der Koalition bekanntermaßen immer wieder an seine Grenzen und in der eigenen Partei zunehmend auf Skepsis. Seine Erfolgsbilanz ist bislang dürftig. Zum einen, weil die grünen Erfolge lange nicht so groß sind, wie sich das viele in der Partei wünschen. Zum anderen, weil es zu häufig passiert ist, dass Vereinbarungen, die der Vizekanzler aus den Runden mit Olaf Scholz und Christian Lindner mitbringt, von anderen grünen Spitzenleuten infrage gestellt werden.

Über allem liegt nicht nur die offene Frage der nächsten Kanzlerkandidatur, sondern die grundsätzlich ungeklärte Machtfrage in der grünen Partei. Zwar hat Habeck auf dem letzten Parteitag in Karlsruhe eine Rede gehalten, die der eines Kanzlerkandidaten entsprach – und aus seiner Sicht auch genau das signalisieren sollte. Aber genau das, was er in den bevorstehenden Verhandlungen bräuchte, nämlich das uneingeschränkte Bekenntnis der wichtigsten Grünen, dass er ihr Anführer ist, wollen oder können sie ihm nicht geben. Was nach Innen verständlich sein mag, schwächt ihn gegenüber Olaf Scholz und Christian Lindner erheblich.

Dieses Trio hat zu Beginn der Verhandlungen zum Haushalt 2025 verabredet, die Eckpunkte des Finanzplans einzuhalten – das Verfassungsgerichtsurteil zur Schuldenbremse zwingt zu schmerzhaften Entscheidungen, zur Prioritätensetzung, zur Konzentration auf das Wesentliche, zur Kürzung der Einzeletats.

Es ist leicht erkennbar, dass dieser Grundsatzbeschluss, für den Habeck wirbt, nicht akzeptiert wird. Das gilt nicht nur in den grünen Häusern, auch die SPD-Ministerien sind auf den Barrikaden. Aber die Anmeldungen von Annalena Baerbocks AA bis Lisa Paus ‘ BMFSFJ missachten die verabredeten Leitplanken so deutlich, dass schon wieder die Frage im Raum steht: Hat „der Robert“ die uneingeschränkte Unterstützung? Die Wünsche liegen deutlich über dem, was die Eckwerte für 2025 zulassen. Prompt heißt es, Habecks „Streberliste“ sei zurückgewiesen worden.

In der Partei beklagen manche sehr regelmäßig, ihm fehle es an Härte. Statt in der ersten Runde einfach mal „Nö“ zu sagen, sei er stets bereit, mit Verständnis auf die Gegenseite zuzugehen. Wenn Lindner einen 20-Punkte-Plan vorlegt, denke Habeck gleich darüber nach, wo er dem FDP-Chef entgegenkommen könne. Gleichzeitig raunt mancher in der Partei, Kritik an Habeck oder Baerbock komme Gotteslästerung nahe, bemängelt fehlende Kritik- und Reflexions-Kultur der beiden Spitzen-Grünen. Oft habe Habeck von seiner Partei erwartet, Vertrauensvorschüsse für notwendige Entscheidungen zu erhalten, sich nicht ausreichend für Rückendeckung interessiert, sie schlicht vorausgesetzt.

Was Habeck von den Spitzenrunden aus dem Kanzleramt mitbringt, gilt in der mehrheitlich weiblichen Sechser-Runde der Grünen aus Partei-, Fraktions- und Kabinettsführung als etwas, „was drei Jungs miteinander ausgemacht haben“ – und damit noch lange nicht als verbindlich für den grünen Teil des Kabinetts. Einerseits betont man dann zwar auch in Hintergrundrunden gerne Habecks Errungenschaften um den Klimaschutz; andererseits hat es bis in die Spitzenebene der Partei Ärger ausgelöst, dass sich Winfried Kretschmann so klar für Habeck als Kanzlerkandidaten 2025 ausgesprochen hat.

Habeck erduldet den Zustand bisher stumm, ja fast stoisch. Offenbar hofft er, dass Ruhe und Kompromissfähigkeit irgendwann doch eher als Stärke denn als Schwäche interpretiert werden.

Die roten und gelben Koalitionspartner haben freilich schon mehrfach die Erfahrung gemacht, dass Verabredungen mit Habeck nicht immer Bestand haben. Wenn die Grünen feststellen, dass der Vizekanzler den Koalitionspartnern zu weit entgegengekommen ist, muss Habecks Chefin des Vizekanzleramts, Anja Hajduk, in der Dreierrunde mit Wolfgang Schmidt und Steffen Saebisch Nachverhandlungen einfordern. Das macht Habecks Zusagen an Scholz und Lindner weniger belastbar. Sein Wort hat an Gewicht verloren.

In seiner Partei hat Habeck in der Regel zwar die Unterstützung der Parteiführung, Ricarda Lang und Omid Nouripour. Sie gelten als „Roberts Geleitschutz“. Mit der Fraktionsspitze, Katharina Dröge und Britta Haßelmann, ist es dagegen deutlich komplizierter. Der Abstimmungsbedarf ist bei den Grünen schon traditionell hoch. Doch Habeck reagiert darauf bis jetzt nicht mit verstärkten Bemühungen der Einbindung, sondern steht noch immer in dem Ruf, zu wenig nach innen zu kommunizieren. Böse Zungen meinen, er produziere seine populären Insta-Videos und betrachte diese zu oft als ausreichende Botschaften an Partei und Fraktion.

Dröge und Haßelmann stehen einer Fraktion vor, die weniger deutlich in Linke und Realos strukturiert und somit auch weniger leicht organisierbar ist als früher. Damals waren die Konfliktlinien zwischen den Flügeln erkennbar und dadurch auch verhandelbar. Die aktuellen MdBs gelten zwar als mehrheitlich links; das gilt besonders für die vielen Jüngeren, die mit dem letzten Wahlerfolg ins Parlament kamen. Aber das hat innerhalb des tendenziell linken Flügels nicht mehr die disziplinierende Wirkung wie zu Jürgen Trittin s besten Zeiten.

Auf der Realo-Seite von Partei und Fraktion fehlt Habeck eine verlässliche Machtbasis. Er hat sich anders als der letzte grüne Vizekanzler Joschka Fischer – und sei es damals durch Arroganz und Brüllerei – vor allem in der Fraktion zwar Freunde, aber keine absolut loyale Unterstützertruppe aufgebaut, die ihn auch in der Krise stützt. Stattdessen haben ihn die meisten engen Verbündeten direkt mit ins Ministerium eskortiert. Sei es der frühere Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, der frühere Wahlkampfchef, der frühere Büroleiter. Aus diesem Grund heißt es nicht nur bei Kritikern, Habeck gehe es nur gut, solange er liefere. Und das tut er aktuell nicht in ausreichendem Maße.

Der ganz große Durchbruch beim Klimaschutz ist ausgeblieben. In der Sonntagsfrage ist die Partei auf ihren Kernwählerstamm zurückgeschrumpft – Tendenz: sinkend. Sie ist bei einem großen Teil der Bevölkerung so unbeliebt wie lange nicht. Und auch Habecks persönliches Ansehen ist seit dem Ärger ums Heizungsgesetz nur noch mittelmäßig. Auch selbsternannte „Robert-Fans“ in der Partei zeigen sich bis heute enttäuscht über den Fall Patrick Graichen, werfen Habeck Naivität bei der Auswahl von Personal vor. Er hätte von Anfang an klare Linien ziehen, sich wegen der Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Graichen und Kellner entscheiden müssen, klagen sie bis heute. Dass Habeck mit Naivität und Dickköpfigkeit statt Bedacht vorgegangen sei, habe nachhaltig Zweifel an seiner Kompetenz gesät.

Im grünen Teil der Ampel dominieren wegen der unklaren Kräfteverhältnisse und der Vielzahl mühsamer und wenig beglückender Kompromisse Stillstand und Sinnsuche. Man spielt auf Zeit und vermeidet schmerzhafte Entscheidungen – etwa für einen selbstbestimmten Abschied von der Kindergrundsicherung. Auch an Lisa Paus ist aus den eigenen Reihen Kritik zu hören. Dass eine Ministerin zwischenzeitlich nicht benennen konnte, wie viel ihr wichtigstes Projekt denn kosten soll, sorgt immer noch für Kopfschütteln.

Einziger Vorteil, der die aktuelle Schwäche der Grünen einigermaßen kaschiert: Auch die anderen Partner der Koalition spielen – aus unterschiedlichen Gründen – auf Zeit. Und auf Halten. Das Rentenpaket wird ein paar Tage geschoben. Auch bei den Haushaltsterminen drängt niemand, selbst wenn Habeck zuletzt mit Boris Pistorius einen Schulterschluss gesucht hat. Vor der Europawahl will es keiner knallen lassen.

Für die Grünen bedeutet das Verhalten der Koalitionspartner im Bund auf der einen und die Erwartungen ihrer drei Landesverbände mit Wahlen im Herbst auf der anderen Seite umso mehr Gezerre, Erklärungs- und Verhandlungsbedarf. Spätestens im Herbst kommt der Moment der Entscheidung. Dann ist wieder die Fähigkeit zur Kompromissfindung gefragt – womöglich aber auch die Kraft, final nein zu sagen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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