Analyse
Erscheinungsdatum: 21. November 2024

Die Freien Wähler und Hubert Aiwanger: Neue Angst vor einem Rechtsruck

Bei den Freien Wählern fürchten viele, dass schrille Töne ihres Chefs im Bundestagswahlkampf der Partei bei den bayerischen Kommunalwahlen 2026 schwer schaden könnten.

Seit das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung zum neuen Wahlrecht die sogenannte Grundmandatsklausel bestätigt hat, fühlt sich Hubert Aiwanger, Bundes- und bayerischer Landeschef der Freien Wähler, wieder im Aufwind. Aiwangers Traum ist es, mit seiner Partei in den Bundestag einzuziehen und dort Minister zu werden. In einer „bürgerlichen Koalition“, wie er das gerne nennt, zusammen mit Union und FDP. Und auf jeden Fall ohne die Grünen, denn die bekämpft Aiwanger noch schriller als CSU-Chef Markus Söder.

Mit Hilfe der Grundmandatsklausel müsste Aiwanger für seinen Traum nicht mal die Fünf-Prozent-Hürde überspringen. Drei gewonnene Direktmandate würden reichen. Eines davon will er in Niederbayern selbst holen. Drei weitere, aus seiner Sicht aussichtsreiche Direktkandidaten, hat er vor wenigen Tagen präsentiert: Zwei amtierende Landräte und einen Bürgermeister. Drei Direktmandate zu holen, „das wird nach allen Einschätzungen gelingen“, gibt sich Aiwanger siegessicher.

Doch Aiwangers Euphorie wird längst nicht von allen in der Partei geteilt. Wer sich länger mit Florian Streibl, dem Fraktionschef im Bayerischen Landtag unterhält, gewinnt den Eindruck: Viel Herzblut werden die Freien Wähler in Bayern nicht in den Bundestagswahlkampf stecken. Streibls Logik klingt plausibel: Was sollte einen direkt gewählten Landrat oder Bürgermeister daran reizen, nach Berlin zu wollen und dort dann selbst im Erfolgsfall Teil einer einflusslosen Splittergruppe zu werden? Da hätte man doch im kommunalen Amt weit mehr Gestaltungsmöglichkeiten.

Wer sich Aiwangers voller Stolz präsentierte Kandidatenliste anschaut, kann Streibls Skepsis nachvollziehen. Die Freien Wähler stellen in Bayern 14 Landräte und zahlreiche Bürgermeister. Aber von denjenigen, die fest im Sattel sitzen und mit ihrer Wiederwahl rechnen können, hat sich Aiwanger offenbar diverse Absagen abgeholt.

Die beiden Landräte, die Aiwanger gewonnen hat, sind ein Sonderfall. Der Landshuter Landrat Peter Dreier hatte schon vorher angekündigt, bei den Kommunalwahlen 2026 nicht erneut zu kandieren. Indra Baier-Müller, Landrätin des Landkreises Oberallgäu wiederum gilt zu Hause als umstritten und müsste um ihre Wiederwahl fürchten. Der Landkreis Oberallgäu, jahrzehntelang fest in CSU-Hand, ist bei der vergangenen Kommunalwahl 2020 nur deshalb an die Freien Wähler gefallen, weil die CSU mit dem damals noch amtierenden Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes, Alfons Hörmann, einen umstrittenen Kandidaten aufgestellt hatte. Und der dritte Bewerber auf Aiwangers Kandidatenliste, der Bürgermeister der schwäbischen Kleinstadt Gersthofen Michael Wörle, taugt nicht gerade als überzeugter Kämpfer gegen alles Rote und Grüne. Er ist parteilos und 2014 als gemeinsamer Kandidat von SPD und Freien Wählern ins Amt gekommen. Nach einer schlagkräftigen Truppe sieht das nicht aus.

Die Bundestagswahl ist vor allem eine persönliche Obsession Aiwangers, die auch in der eigenen Partei vielen ein Rätsel ist. Denn die Bundesebene ist für die seit Jahrzehnten in der Kommunalpolitik fest verankerten Freien Wähler im Grunde ein Fremdkörper. Schon die Entscheidung, an Landtagswahlen teilzunehmen, fiel 1997 auf einer turbulenten Landesversammlung nur mit knapper Mehrheit. Zweimal scheiterten die Freien Wähler danach in Bayern. Erst 2008 gelang ihnen der Einzug in den Landtag, für die Nachdenklicheren in der CSU eine Folge der rabiaten Reformpolitik Edmund Stoibers nach dessen Sieg mit Zweidrittelmehrheit bei der Landtagswahl 2003. Bei der Bundestagswahl vor drei Jahren holten die Freien Wähler mit Aiwanger als Spitzenkandidat magere 2,4 Prozent.

Viel wichtiger für die Freien Wähler sind die nächsten Kommunalwahlen in Bayern im Frühjahr 2026. Wie viele Landräte und Bürgermeister man dort gewinnt: Diese Frage beschäftigt die Basis weit mehr als die Bundestagswahl. Denn das entscheidet darüber, ob die Partei ihr Fundament in Bayern weiter verbreitern kann. Die Vorbereitungen für diese Wahl laufen bereits, mit denkbaren Kandidaten für die diversen örtlichen Listen werden schon Gespräche geführt.

Was in diesem Prozess nicht gebraucht wird, ist eine wieder aufflammende Debatte über den politischen Standort der Partei. Bei der Landtagswahl 2023 hatte Aiwanger für die Freien Wähler mit 15,8 Prozent ein Rekordergebnis geholt und sich dabei in den Bierzelten erfolgreich als Opfer einer Medienkampagne wegen eines antisemitischen Flugblattes aus seiner Schulzeit inszeniert.

Zugleich hat Aiwanger seine Partei mit seinen rabiaten Auftritten in der öffentlichen Wahrnehmung deutlich nach rechts gerückt. Dort sieht sich die Mehrheit der Freien Wähler aber überhaupt nicht. „Im rechten Spektrum tummeln sich viele. Da wird man nicht gebraucht“, sagt Fraktionschef Streibl. Was dagegen im Parteienspektrum fehle, sei eine liberale Kraft.

Streibl ist deshalb besorgt, dass eine schrille Kampagne von Aiwanger im Bundestagswahlkampf die Freien Wähler erneut in die rechtspopulistische Ecke bugsiert. „Ein Rechtsschwenk hätte massive Auswirkungen auf die Kommunalwahl. Das würde viele im Wahlkampf massiv behindern“, sagt er. Und steht damit nicht allein. Sein Landtagskollege Roland Weigert formuliert es ähnlich. Weigert hatte 2023 neben Aiwanger das zweite Direktmandat für die Freien Wähler gewonnen. Aber weil er seinen Parteichef häufiger kritisiert hatte, wurde er nicht wieder ins Kabinett berufen. „Dieses überzogene Ampel-Bashing ist für uns definitiv eine schwere Hypothek für die Kommunalwahl“, sagt Weigert.

Mahnungen, sich zu mäßigen, wurden Aiwanger mehrfach übermittelt. „Er hört die Signale“, sagt Streibl. Aber ob er sie auch beherzigen wird? Sein Auftritt beim Bundesparteitag im fränkischen Geiselwind am vergangenen Wochenende zeigte eher das Gegenteil. Aiwanger zog dort in gewohnter Manier vom Leder. Deutschland ist für ihn seit der Ära Merkel auf dem Weg nach unten. „Wirtschaftlich erledigt, politisch gespalten, parteipolitisch radikalisiert.“ Am Thema Migration arbeitet er sich mit Tönen ab, die genauso gut von der AfD kommen könnten. „Wenn sie keinen deutschen Pass haben: rein ins Flugzeug und ab nach Hause“, sagte er über straffällig geworden Ausländer.

Den Grünen attestierte Aiwanger bei der Vorstellung seiner drei Direktkandidaten „linksradikales Gedankengut“ und gab bei dieser Gelegenheit auch der FDP eins mit, obwohl er doch mit den Liberalen koalieren möchte. Dass die FDP diesen Kurs in der Ampel so lange mitgemacht habe, könne man vielleicht mit dem „Stockholm-Syndrom“ erklären, sagte er. „Wir werden sehen, ob die FDP noch resozialisierbar ist.“ Nach Mäßigung hört sich das nicht an. Aiwanger, sagen Leute, die ihn schon lange kennen, sei absolut beratungsresistent. „Der sieht nur sich“. Doch Söders Coup, den Präsidenten des Bayerischen Bauernverbandes für die CSU ins Rennen zu schicken, könnte Aiwangers Plan, mit derber Rhetorik die Wähler auf dem Land zu mobilisieren, durchkreuzen. Das habe der CSU-Chef „taktisch äußerst geschickt gemacht“, heißt es aus der Freie-Wähler-Fraktion.

Ob nach einem Scheitern bei der Bundestagswahl in Bayern die Diskussion um Aiwangers Kurs wieder aufflammen wird, ist ungewiss. Anfang des Jahres hatte sich nach diversen verbalen Ausrutschern schon einmal Unmut gegen Aiwanger aufgebaut. Es sollte ein liberaler Kreis als Gegengewicht zu Aiwanger gebildet werden. Doch daraus wurde dann nichts. Auf Bundesebene sitzt Aiwanger im Moment fest im Sattel, auf dem Parteitag wurde er eben erst mit 93 Prozent als Vorsitzender bestätigt.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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