Der aktuelle Trend für die nächste Bundesregierung heißt Schwarz-Rot. Laut sprechen das nur wenige aus, vorneweg Markus Söder am Wochenende. Aber wenn man genau hinsieht, mehren sich dafür die Indizien. Dazu zählt die Stimmung in der Wirtschaft, bei Arbeitgebern, im Mittelstand, aber auch bei den Gewerkschaften, die den Kontakt zur CDU suchen und zugleich ihre Enttäuschung über die Grünen kaum noch verbergen. Außerdem hören viele Sozial- und Christdemokraten von den Betriebsräten in heimischen Unternehmen, dass diese aktuell von einem Gefühl beherrscht werden: der Angst, Arbeitsplätze zu verlieren. Kurz gesagt: War der Klimaschutz noch vor zweieinhalb Jahren ein zentrales Thema, so steht mittlerweile die Sorge um die Jobs im Mittelpunkt.
DGB und Union suchen das Gespräch. Mit dem Treffen vor wenigen Tagen im Konrad-Adenauer-Haus ist noch keine grundsätzliche Kursänderung der Christdemokraten verbunden. Aber die abendliche Begegnung, die unter Friedrich Merz lange Zeit unmöglich erschien, unterstreicht, dass beide Seiten beginnen, sich auf eine neue Lage einzustellen. In der Union ist – nicht im persönlichen Umgang, aber in den politischen Ergebnissen – die Abneigung gegenüber den Grünen so groß, dass man sich ein schwarz-grünes Bündnis nach der nächsten Wahl kaum vorstellen kann. Gleichzeitig liegen die Liberalen bei aktuell vier bis sechs Prozent. Für eine Koalition wird das schwerlich reichen, zumal sich Union und FDP weitgehend um die gleichen Wähler streiten. Es ist eine Mischung aus Stimmung und nüchternem Kalkül, die in den Rechnungen der Parteien die Lage verschoben hat.
Die FDP zeigt nun, dass sie die für sie gefährliche Stimmung verstanden hat. Und sie reagiert auf dem Parteitag – anders, als viele es erwartet hätten – nicht zuallererst mit einer Distanzierung von der Ampel. Mehrere Redner zeigten das am Wochenende. Obwohl Generalsekretär Bijan Djir-Sarai viel darüber erzählen kann, wie nah sich viele Liberale der Union fühlen, attackierten Parteichef Christian Lindner und Vize Wolfgang Kubicki nicht nur und auch nicht so sehr die Koalitionspartner, sondern besonders hart die Union. Lindner nahm sich das Abstimmungsverhalten der Union beim Klimaschutzgesetz vor, um CDU und CSU mit den Klimaklebern zu vergleichen. Die Klimakleber würden Straßen blockieren, die Union aber hätte mit ihrem Nein sogar Fahrverbote in Kauf genommen. Ergebnis unter den Delegierten: tosender Beifall. Auch die Absage des Parteitages an den Wiedereinstieg in die Atomkraft, die in der FDP nicht unumstritten ist, ist kein Gruß in Richtung CDU/CSU.
Kubicki knöpfte sich Friedrich Merz persönlich vor. Der CDU-Vorsitzende wisse offenbar nicht, dass er an dem einen Tag dies und schon am nächsten etwas ganz anderes sage. So habe er erst die FDP dazu aufgerufen, die Ampel wegen der Grünen zu verlassen, um einen Tag später über ein Bündnis mit den Grünen nachzudenken. Irgendwas stimme da offenbar nicht mit den beiden Hirnhälften und verlässlich sei deshalb gar nichts. Kubicki ist bekannt für seine polemischen Fähigkeiten. Diese Attacke aber war besonders heftig. Weniger scharf, aber nicht minder eindringlich warnte die EU-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann davor, in der Union eine verlässliche, zugewandte Bündnispartnerin zu sehen. Erst vor wenigen Tagen hatte sie der SZ gesagt, der Fokus mancher Liberaler auf die Union sei für sie die „unerklärliche Liebe zu einer Partei, die uns nicht liebt“.
Noch deutlicher wurde die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Sie sagte Table.Briefings: „Wir brauchen die Ampel, sie ist gesellschaftspolitisch auf der Höhe der Zeit.“ Die ehemalige bayrische Landeschefin und Delegierte auf dem Parteitag warnte davor, schwierigen Debatten aus Furcht vor der AfD auszuweichen. „Der Hass als Gift in der Demokratie darf nicht Oberhand gewinnen, deshalb brauchen wir Politik der Ampel mit Empathie.“ Allerdings wecken die Beschlüsse zur Wirtschaftswende auch Erwartungen an die Parteiführung: Er erwarte, „dass die Bundesregierung jetzt alles dafür tut, die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes zu stärken“, sagte NRW-Landeschef Henning Höne Table.Briefings.
Wie der Haushälter Otto Fricke, die ehemalige Fraktionschefin Birgit Homburger, Finanzstaatssekretär Florian Toncar, der Vize-Fraktionschef Lukas Köhler und viele andere Liberale über die Lage denken, lesen Sie in einer Table.Briefings-Umfrage. Außerdem werfen wir einen Blick auf die Entscheidungen, die zwischen den großen Reden und den Forderungen zur Wirtschaftswende kaum beachtet wurden. Was der Parteitag zu Mitgliederbefragungen, Formulierungen zu „Rasse“ und „Geschlecht“ und verpflichtenden Abgaben für Mandatsträger beschlossen hat, lesen Sie in der Analyse.