Mit Umfragewerten um die fünf Prozent geht es dem BSW derzeit nicht gut. Die von Sahra Wagenknecht und ihrer Partei erhoffte Sensation, als Newcomer sofort in den Bundestag einzuziehen, ist bedroht. Noch vor wenigen Wochen stand Wagenknechts Truppe bei einem Höchstwert von 8,3 Prozent. Was ist passiert? Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte kommt zu dem Schluss: „Die drei Ostwahlen haben eine verzerrte Öffentlichkeit für die Bundesrepublik provoziert. Der Ost-Bonus, den sie vor allem gegen die dortige Linke eingesetzt haben, ist konsumiert.“ Soll heißen: Die besondere Lage im Osten lässt sich nicht aufs ganze Land übertragen.
Eine weitere Erklärung: Sahra Wagenknecht war in den letzten Wochen nicht so präsent wie bei den drei Wahlen im Osten. Der turbulente Aufstieg ihrer Partei und ihre vielen Auftritte könnten ihr mehr abverlangt haben, als es zunächst den Anschein machte. Zudem geht dem BSW das Geld aus: Die Großspenden sind aufgebraucht; die staatlichen Zuschüsse, auf die das Bündnis mit seinem Einzug ins Europaparlament und drei Landtage Anspruch hat, fließen erst nach der Bundestagswahl. Hallenmieten im Winterwahlkampf sind teuer. Die Partei musste Kredite aufnehmen. Womöglich auch deshalb starten die Groß-Events erst im Februar.
Thematisch lebt das Bündnis bislang von einer Zuspitzung auf den Ukraine-Krieg. Hat die Kernforderung, man müsse mit Putin verhandeln (auch wenn dieser das in Wahrheit nie zuließ), noch bis vor kurzem verfangen, wirkt sie mit dem Ausblick auf Donald Trumps Amtsantritt veraltet. Viele Wähler gehen davon aus, dass er tatsächlich mit Putin verhandeln wird. „Damit ist die Dringlichkeit für die Wähler verloren gegangen“, sagt Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Am Parteitag am Sonntag wurden die wenigen Auserwählten, die bislang eine Mitgliedschaft ergattert haben, zwar noch mit Friedensparolen angetrieben. Trotzdem war ein Strategiewechsel Richtung Wirtschaftsthemen unverkennbar.
Durch das Ende der Koalition steht das BSW außerdem vor einem Glaubwürdigkeitsproblem. Korte sagt: „Das Ampel-Aus lässt Protestwähler ohne Gegner zurück.“ Schaut man sich den Verlauf der Umfragewerte genauer an, bemerkt man einen deutlichen Knick nach unten. Begonnen hat der aber schon Ende Oktober. Also vor dem Ende der Ampel. Ein möglicher Grund: Die Thüringer Landeschefin Katja Wolf setzte sich in diesen Tagen gegen den BSW-Bundesvorstand durch und begann die Koalitionsverhandlungen mit CDU und SPD. Mögliche Konsequenz: Die Protestpartei verlor ihre Glaubwürdigkeit als Gegnerin des Establishments. Seitdem sinken die Umfragewerte.
Auf dem Parteitag hat sich das BSW auf ihren neuen Hauptgegner eingeschworen: die AfD. Bislang warben Wagenknecht Co um Verständnis für die Anhänger der AfD und warnten davor, aus zu viel Dogmatik eines übersensiblen Zeitgeistes nicht mit ihnen zu sprechen. Nun sind sie in den Angriffsmodus übergegangen. Ihre Kampfformel: Die Blauen würden Klientelpolitik für Reiche betreiben, Weidel sei ein „Musk-Fangirl“, das AfD-Wahlprogramm müsse deshalb „Aufrüsten für Donald“ heißen. Das BSW propagiert Antiamerikanismus und inszeniert sich als Partei der kleinen Leute, als Stimme der Vernunft, die die – vor allem wirtschaftlichen – Sorgen der Menschen ernst nehme.
Der Versuch, der AfD Wähler abzuwerben, ist eine Reaktion auf die Bedrängnis. Ob die eine Protestpartei der anderen erfolgreich Wähler abjagen kann, ist offen. Laut einer Studie, über die der Stern zuerst berichtete, entschied sich bei den Wahlen 2024 eine erhebliche Zahl an Wählern für das BSW, die früher etablierte Parteien und zwischendurch die AfD gewählt hatten. Ohne solche Wähler dürfte es schwer werden am 23. Februar. Ursula Münch erinnert daran, dass die Nähe der Fünf-Prozenthürde abschreckend wirkt.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass man sich auf dem Parteitag demonstrativ selbst gefeiert hat. Oskar Lafontaine erzählte, dass er Sahra am Frühstückstisch oft daran erinnere, wie beachtlich der rasante Aufstieg des BSW sei. Klappt der Bundestagseinzug nicht, wäre das für beide ein besonders herber Rückschlag.