Der Paragraf 110 des Berliner Hochschulgesetzes von 2021 sollte Postdocs verbindliche Anschlusszusagen für eine Dauerstelle ab 2023 bringen. Doch nachdem es zunächst eine Verschiebung auf 2025 gegeben hatte, will der schwarz-rote Senat nun ganz „von der Regelung Abstand nehmen “. Das erklärte die Senatswissenschaftsverwaltung auf Anfrage von Table.Briefings.
Offenbar haben Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra und Staatssekretär Henry Marx Sorge, dass die Regelung rechtlich gekippt werden könnte. Eine Rolle spielt dabei die geplante Novelle des WissZeitVG. Nachdem dort anscheinend die Befristungsregelungen für Postdocs im Wesentlichen erhalten bleiben sollen, hätte aus Sicht der Senatsverwaltung nur eine Länderöffnungsklausel geholfen. Doch diese soll wohl auf Widerstand aus den Ländern stoßen. Das berichtete Marx auf dem Forum „Gute Arbeit an Berliner Hochschulen“ in der vergangenen Woche, wie Teilnehmende berichten. Dort sprach Marx dann laut ver.di auch von einer Aufweichung des § 110 (6).
Der rot-rot-grüne Senat wollte im Jahr 2021 Vorreiter sein und Postdocs auf einer Qualifizierungsstelle für eine Professur verbindliche Anschlusszusagen für eine Dauerstelle machen. Das wurde im Paragraf 110 (6) des Berliner Hochschulgesetzes festgehalten.
Doch bereits im selben Jahr gab es heftige Diskussionen um den Gesetzentwurf. Während Gewerkschaften und Personalräte genauso wie die #IchBinHanna-Bewegung die neue Regelung begrüßten und als Vorbild für andere Länder wahrnahmen, gab es Widerstände in den Hochschulleitungen. Diese wiesen darauf hin, dass die aktuellen Strukturen nur mit den bis dato geltenden Befristungsmöglichkeiten funktionierten.
Die damalige HU-Präsidentin Sabine Kunst trat sogar wegen dieser Neuregelung zum Jahresende 2021 zurück. Im Dezember 2021 reichte die HU beim Bundesverfassungsgericht ihre Verfassungsbeschwerde gegen das Hochschulgesetz ein. In einer Mitteilung begründete sie dies mit der fehlenden Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin im vorliegenden Fall. Diese liege vielmehr beim Bund.
Dieser Einschätzung schloss sich beispielsweise auch Christian von Coelln im Verfassungsblog an. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive sehe sich speziell die Entfristungsregelung erheblichen inhaltlichen und formellen Bedenken ausgesetzt, schrieb er Ende 2021. Zu einer solchen Regelung sei das Land Berlin nach Art. 72 I GG nur befugt, solange und soweit der Bund von seiner Kompetenz nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht habe. Eben dies sei aber durch das WissZeitVG der Fall, argumentiert von Coelln.
Doch andere Juristen kommen zu anderen Urteilen und halten die Regelung für verfassungskonform. Darauf verweisen nun auch die Gewerkschaften. Sie zeigen sich empört über die neuen Aussagen der Senatsverwaltung für Wissenschaft. „Die Haltung der Senatsverwaltung ist ein glatter Wortbruch zu allen ihren vorherigen Aussagen“, sagt Martina Regulin, Berliner GEW-Vorsitzende. Alle Hochschulen hätten sich bereits an die Konzepte zur Umsetzung der neuen Regelung gesetzt und diese erarbeitet.
Das sieht auch Steffi Nickel, Personalrätin an der TU Berlin und aktiv bei ver.di, ähnlich: „Die Hochschulen haben belastbare Vorschläge zur Umsetzung von § 110 erarbeitet. Bei einer Abschaffung der verbindlichen Entfristungsregelung, war diese Arbeit für den Papierkorb. Das – und der Umgang mit uns als Beschäftigtenvertretungen im Forum – ist respektlos “, erklärt Nickel in einer Mitteilung von ver.di.
Die Reaktionen der Hochschulleitungen fallen unterschiedlich aus: Der § 110(6) versuche, Sicherheiten zu geben, verbaue aber auch Chancen und Gestaltungsmöglichkeiten und schaffe ja auch keine neuen Stellen, sagte FU-Präsident Günter M. Ziegler auf Anfrage von Table.Briefings. „Es war immer fraglich, ob der § 110(6) angesichts der Regelungen des WissZeitVG überhaupt verfassungsgemäß ist. Daher begrüßen wir, dass die Senatsverwaltung vom § 110(6) Abstand nehmen wird – und arbeiten um so härter an der Ermöglichung und Gestaltung von verlässlichen Karrierewegen in der Wissenschaft.“
Geraldine Rauch, Präsidentin der TU Berlin zeigt sich hingegen enttäuscht : „Wissenschaftliche Exzellenz erfordert verlässliche und planbare Karrierewege. Die verbindliche Anschlusszusage ist die viel beworbene Berliner Antwort drauf. Ohne Verbindlichkeit ist dieser wichtige Meilenstein gefährdet – und das ohne Grund, denn ein Urteil des Verfassungsgerichts liegt nicht vor.“