Analyse
Erscheinungsdatum: 01. Mai 2024

Außenpolitik in schweren Zeiten: Das Modell Baerbock und das Modell Steinmeier

Wie macht man das – mit Autokraten reden? Spricht man Klartext? Oder versucht man, sie in ein Miteinander zu ziehen, um sie vielleicht doch für Veränderungen zu gewinnen? Beide Schulen ringen miteinander – und tragen in Berlin zwei Namen: Baerbock und Steinmeier.

Vor wenigen Tagen in Ankara: Zum ersten Mal in seiner mittlerweile siebenjährigen Amtszeit besucht Frank-Walter Steinmeier die Türkei. Dabei steuert der Bundespräsident einen alten Bahnhof an, um an den Start der Gastarbeiteranwerbung zu erinnern; er fährt mit dem Schiff über den Bosporus, um in der Botschafterresidenz einen aus Berlin mitgebrachten Döner anzuschneiden (was mit Abstand am meisten Aufregung verursacht hat). Vor allem aber ist er gekommen, um zwischen Berlin und Recep Tayyip Erdoğan nach Jahren der Krise wieder einen Gesprächsfaden herzustellen. Und weil er aus Höflichkeit während der Pressekonferenz den türkischen Präsidenten als „werten Freund“ anspricht, hagelt es in der Bild-Zeitung Kritik. Wie könne er nur so mit einem reden, der die antisemitische Hamas unterstütze.

Nicht mal eine Woche zuvor ist Annalena Baerbock bei Benjamin Netanjahu zu Gast. Schon ein halbes Dutzendmal ist sie seit dem 7. Oktober in Israel gewesen. Dieses Mal ist sie gekommen, um Israel von einem Gegenschlag gegen den Iran abzubringen. Immerhin zählt Deutschland neben den USA zu den letzten Ländern, die noch einen direkten Zugang zur israelischen Regierung haben. Doch das Ergebnis dieses Mal: ein offener Affront. Netanjahu präsentiert Baerbock Gaza-Bilder mit vollen Marktständen und im Meer badenden Palästinensern. Baerbock antwortet, er solle damit aufhören, weil das nicht die Realität im Gaza-Streifen abbilde; woraufhin Netanjahu der Deutschen an den Kopf wirft, er sei kein Nazi und fälsche anders als die Nationalsozialisten auch keine Fotos aus den Konzentrationslagern. Der diplomatische Zusammenprall – er könnte heftiger kaum sein.

Zwei Bemühungen deutscher Diplomatie in schwierigsten Zeiten, eine Außenministerin und ein Bundespräsident – und zwei Denkschulen, die sich diametral widersprechen, wenn es um die Frage geht, welche Strategie am Ende erfolgreicher ist.

Sie gehört zur Schule der Entschiedenen, die nicht nur eine feste Überzeugung haben, sondern auch der Meinung sind, dass man Schrecknisse, Falschheiten und fundamental andere Überzeugungen aussprechen muss und sich nicht in diplomatischen Floskeln verlieren sollte. Durch Baerbocks zweieinhalb Jahre als Außenministerin zieht sich diese Haltung wie ein roter Faden. Sie hat Russland, den Krieg und den Moskauer Außenminister attackiert; sie hat die chinesische Führung mit einer Diktatur verglichen. Sie hat die Hamas als Terrororganisation angegriffen und sich zuletzt – siehe oben – auch mit dem israelischen Premierminister angelegt. Man kann das mutig nennen und entschieden, in der Hoffnung, das Gegenüber durch Standfestigkeit zu überzeugen.

Steinmeier ist prominentester Vertreter des Gegenmodells, wenn man so will. Zweimal als Außenminister und in der Türkei als eine Art Bundeskanzlerpräsident, der nicht nur über den Dingen segelte, schon mit Erdogan über sehr konkrete Fragen redete. Er hatte sich für die PK mit Erdoğ an zwar scharfe Formulierungen bereitgelegt, hätte der türkische Präsident wie so oft in der Vergangenheit seinerseits rhetorisch attackiert. Tatsächlich aber hatte sich Steinmeier vor der Begegnung eine Strategie zurechtgelegt, die darauf abzielte, über die offenen Kontroversen nur kurz zu sprechen, um mehr Zeit für all jenes zu bekommen, wo man trotz großer Meinungsunterschiede gleiche Interessen haben könnte. Zum Beispiel an einer besseren humanitären Versorgung in Gaza; zum Beispiel an der Verhinderung einer Eskalation zwischen Tel Aviv und Teheran; zum Beispiel an einer allgemeinen Stärkung der Nato, auch durch gemeinsame Rüstungsprojekte. Man kann das als Versuch bezeichnen, Gemeinsamkeiten auch über größte Hindernisse hinweg auszumachen, in der Hoffnung, das Gegenüber auf diese Weise für Kompromisse zu gewinnen.

Welche Schule auf Dauer erfolgreicher ist, lässt sich kaum sagen. Beides hat Vor- und Nachteil e. In Zeiten aber, da die Zahl der Autokraten zunimmt und Deutschland deutlicher als in der Vergangenheit wie ein Besserwisser wahrgenommen wird, ist die Frage, wie man gegenüber Autokraten auftritt, virulenter denn je.

Vorteil der Strategie Baerbock: Engste Verbündete verstehen die Sprache und fühlen sich unterstützt, zum Beispiel die Balten im Duell mit Russland. Außerdem ist gut zu erkennen, dass Baerbock sich zu Hause damit erstmal Respekt und Anerkennung verschaffte, weil sie aussprach, was viele fühlten. Ob im Zorn über Wladimir Putin, in der Sorge vor China, im Entsetzen über die Hamas und in der Verzweiflung über den politisch hartleibigen Netanjahu. Ja, sie kann fast sicher sein, dass der öffentlich gewordene Affront mit Netanjahu ihr durchaus Lob einbringt, weil viele das Gefühl haben, an ihn ohnehin nicht mehr heranzukommen.

Zugleich aber steht die Frage im Raum, was sie gerade jetzt etwa beim israelischen Ministerpräsidenten noch erreichen kann. So schwer es ist, noch immer wollen ihn viele zu mehr Zurückhaltung bewegen. Eingeigelt hat er sich längst, wie also kommt man noch an ihn heran? Hinzu kommen Berichte aus vielen Ländern, nicht nur, aber auch im globalen Süden, die Deutschlands Diplomatie vor allem als Besserwisserei erleben und darauf immer distanzierter reagieren. Sei es der deutsche Wunsch, sich dem eigenen Blick auf den Krieg in der Ukraine anzuschließen; seien es Deutschlands Empfehlungen im Kampf gegen die Klimakrise, die in Afrika, Indien und anderswo zwar als dramatisch erlebt wird: Trotzdem ist Berlins Einfluss – gelinde gesagt – nicht größer geworden.

Ob Steinmeiers Strategie besser wirkt? Auch das ist nicht sicher. Das vielleicht dramatischste Beispiel ist der Atomvertrag mit dem Iran. In seiner zweiten Amtszeit reiste Steinmeier mehrfach nach Teheran und nach Dschidda, und zwar in engster Absprache, wenn nicht sogar im Auftrag des damaligen US-Außenministers John Kerry. Ergebnis war, dass es am Ende auch mithilfe Steinmeiers genügend Vertrauen gab, um den Vertrag zu schließen – bis Donald Trump ihn einseitig kündigte. Heute sieht es wie ein harscher Misserfolg aus, obwohl es zwischendurch wie eine sehr erfolgreiche Annäherung wirkte. Der Preis war klar: Steinmeier wurde zu Hause immer wieder kritisiert, weil er die unterdrückenden Regimes nicht anhaltend öffentlich kritisierte.

Auch am Beispiel Erdoğan kann man noch nicht sagen, ob sein jüngster Trip, als Bundeskanzlerpräsident, der sich mit Olaf Scholz ausgetauscht hatte, viel bringen wird. Einziger Hinweis: Aus 30 geplanten Minuten waren am Ende 90 Minuten Vier-Augen-Gespräch geworden; Steinmeier nahm Nachrichten und Bitten für mehrere Kabinettsmitglieder mit. Jetzt lässt sich nur abwarten, ob da neue Pflänzchen der besseren Kooperation draus erwachsen.

Als Zwischenbilanz bleibt nur eines: Die Welt ist verwundbarer geworden, die Zahl der Autokraten ist gestiegen und der Zwang, sich mit ihnen mindestens hie und da an einen Tisch zu setzen, ist massiv gestiegen. Dabei fällt auf, dass der Kanzler im Umgang mit den beiden Denkschulen erkennbar eine für sich ausgewählt hat: die des Bundespräsidenten.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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