Analyse
Erscheinungsdatum: 19. August 2024

Attacken auf Harris: Wie Trump die Wahl zur Abstimmung über die Migration machen will  

Migration ist Umfragen zufolge für die amerikanischen Wähler das größte Problem, eine Mehrheit unterstützt den Bau einer Grenzmauer. Die Republikaner wollen das Meinungsbild für sich nutzen: Deren Wahlprogramm strotzt vor martialischen Maßnahmen, mit denen die vermeintliche „Invasion“ an der Südgrenze gestoppt werden soll.

Kurz vor Beginn des Parteitags der Demokraten verschärfte das Trump-Team den Ton noch einmal. „Kamala Harris ist direkt verantwortlich für die Vergewaltigungen, Morde und Überfälle auf unschuldige Frauen, die von illegalen Ausländern begangen werden, die sich aufgrund der Politik der offenen Grenzen in unserem Land aufhalten“, verkündete die Kampagne des Ex-Präsidenten am Wochenende. Die angebliche „Epidemie der Migrantenkriminalität“ müsse gestoppt werden – und die einzige Chance dazu sei „die Wahl von Präsident Donald Trump“.

An solche Attacken wird sich Kamala Harris in den Wochen bis zur Wahl gewöhnen müssen. Denn auf kaum einem anderen Politikfeld bietet die Biden-Administration den Republikanern mehr Angriffsfläche als beim Thema Migration und dem Schutz der US-Südgrenze zu Mexiko. Das hat Gründe. Seit Jahren hat sich in der Bevölkerung der Eindruck verfestigt, die Regierung habe die Kontrolle über die Einwanderung verloren.

Allein im Dezember 2023 registrierte die Grenzschutzbehörde Customs and Border Patrol (CBP) fast 250.000 undokumentierte Übertritte an der Südwestgrenze – ein Rekord in diesem Jahrtausend. Seit 2021, als seit dem Amtsantritt von Joe Biden, griffen amerikanische Grenzschützer rund zehn Millionen undokumentierte Migranten auf. Während der vier Jahre Trump lag diese Zahl nur bei rund drei Millionen. Die steigenden Zahlen belasteten nicht nur die Grenzgemeinden in Staaten wie Texas, Arizona und Kalifornien, sondern stellten Städte im ganzen Land vor Probleme. Selbst in liberalen Hochburgen wie New York regt sich Widerstand. Die Migrationskrise werde seine Stadt „zerstören“, warnte etwa Bürgermeister Eric Adams im vergangenen Herbst. Der Unmut war in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Im Frühjahr stellte das Meinungsforschungsinstitut Gallup fest, dass die Einwanderungspolitik inzwischen die Wirtschaft als das Thema abgelöst habe, das die Amerikaner am meisten beschäftige.

Heute steht die Wirtschaftspolitik wieder im Vordergrund. Doch für Kamala Harris ist die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem Grenzmanagement nach wie vor ein Problem. Denn das Thema Migration fiel – zumindest teilweise – in ihren Verantwortungsbereich.

2017, kurz nachdem die Biden-Administration ihre Arbeit aufgenommen hatte, beauftragte der Präsident seine Stellvertreterin damit, die diplomatischen Beziehungen zu den zentralamerikanischen Ländern zu koordinieren, um die „Ursachen“ der Migration in die USA zu bekämpfen. Eine ähnliche Rolle hatte Biden als Vizepräsident in der Obama-Administration inne. Harris war also nicht für den Grenzschutz zuständig. Diese lag und liegt beim Heimatschutzministerium. Aber Harris‘ Aufgabe erlaubte es den Republikanern, sie für die Probleme mit undokumentierter Einwanderung verantwortlich zu machen. Die GOP hängte ihr bald das Etikett der „Grenzzarin“ an und erklärte sie damit zur Hauptverantwortlichen für die Situation. Das stimmt zwar nicht, aber es hat gewirkt. Kein Wunder, dass das Team Trump auch im Wahlkampf auf diese Taktik setzt.

Harris, so die Botschaft der Republikaner, ist für jedes spektakuläre Verbrechen verantwortlich, das ein undokumentierter Einwanderer in den USA begeht. Und angesichts der großen Zahl von Menschen, die in den letzten Jahren ohne Papiere in die USA gekommen sind, mangelt es auch nicht an Beispielen grausamer Gewaltverbrechen, die sich so instrumentalisieren lassen. Das lässt sich im Wahlkampf nutzen – auch wenn es keine Belege für die These gibt, dass undokumentierte Migranten krimineller sind als US-Bürger.

Laut einer Studie der Stanford University haben Einwanderer „ein um 60 Prozent geringeres Risiko, inhaftiert zu werden“ als Amerikaner. In Texas, dem einzigen Bundesstaat, der strafrechtliche Verurteilungen und Verhaftungen nach Einwanderungsstatus erfasst, ist die Wahrscheinlichkeit, wegen eines Verbrechens verurteilt zu werden, für Einwanderer ohne Papiere um 37,1 Prozent geringer als für den Rest der Bevölkerung, ergab eine Analyse des libertären Cato Institute. Eine Auswertung des Marshall-Projekts aus demselben Jahr kam zu dem Schluss, dass es „keinen kausalen Zusammenhang zwischen Einwanderung und Kriminalität in den USA“ gebe.

In weiten Teilen der Bevölkerung dringen solche Einsichten aber kaum noch durch. Die Situation an der Südgrenze hat den amerikanischen Migrationsdiskurs nach rechts verschoben. Und die Politik ist ihm gefolgt. Anfang des Jahres legte eine überparteiliche Gruppe von Senatoren einen Gesetzentwurf vor, der es Migranten deutlich erschwert hätte, in den USA Asyl zu beantragen. Der Kompromiss sah Maßnahmen vor, die viele Demokraten noch vor wenigen Jahren kategorisch abgelehnt hätten. Unter dem Druck der Öffentlichkeit signalisierten jedoch zahlreiche Abgeordnete der Präsidentenpartei im Repräsentantenhaus ihre Zustimmung. Dennoch scheiterte das Vorhaben.

Denn Ex-Präsident Trump wollte Biden in Sachen Grenzsicherheit keinen Erfolg gönnen. Kurz nach der Veröffentlichung des Gesetzestextes rief er seine Parteifreunde auf, ihm die Zustimmung zu verweigern. Die Republikaner stellten sich gegen den Vorschlag. Im Juni erließ das Weiße Haus dann eine Executive Order, die zahlreiche Maßnahmen aus dem Gesetzentwurf übernahm, etwa die automatische Schließung des Asylsystems, wenn die Zahl der illegalen Grenzübertritte auf mehr als 2.500 pro Tag steigt. Seitdem werden kaum noch neue Anträge angenommen. Die Zahl der Neuankömmlinge ist seither massiv gesunken. Derzeit sind sie so niedrig wie seit September 2020 nicht mehr, als im Zuge der Pandemie nur wenige zehntausend Menschen illegal die Grenze überschritten.

Politisch zahlt sich dieser Erfolg für die Demokraten allerdings noch nicht aus. Eine aktuelle Umfrage im Auftrag von AP kommt zu dem Ergebnis, dass nur 36 Prozent der Bevölkerung Harris zutrauen, in der Migrationsfrage einen besseren Job zu machen als Trump. Der Republikaner kommt hier auf 46 Prozent. Das ist nicht überraschend. Eine Mehrheit der Amerikaner befürwortet heute strikte Maßnahmen, um die Einwanderung stark zu begrenzen, sagt das Meinungsforschungsinstitut Gallup. Selbst der Bau einer Grenzmauer – ein Wahlkampfklassiker von Donald Trump seit seiner ersten Kandidatur – wird heute von einer Mehrheit der US-Bevölkerung unterstützt. Das war in der Vergangenheit nie der Fall.

Kein Wunder also, dass Trump seinen Wahlkampf mit Härte führt. Auf dem Parteitag der Republikaner im vergangenen Monat in Milwaukee ließ das Trump-Team Schilder mit der Aufschrift „Massenabschiebungen jetzt“ verteilen, das Wahlprogramm der Republikaner strotzt vor martialischen Maßnahmen, mit denen die vermeintliche „Invasion“ an der Südgrenze gestoppt werden soll.

Damit würde eine zweite Trump-Administration dort weitermachen, wo die erste aufgehört hat. In seinen vier Jahren im Weißen Haus hatte Trump einen harten Kurs gegen die Einwanderung eingeschlagen, die Einreise aus zahlreichen – vor allem muslimischen – Ländern vorübergehend gestoppt, Kinder von Einwanderern ohne Papiere an der Grenze zeitweise von ihren Eltern getrennt. Ähnliche Maßnahmen könnten sich wiederholen, sollte der Republikaner im kommenden Jahr wieder ins Oval Office einziehen. Und auch der Bau der Grenzmauer könnte wieder aufgenommen werden. Es gibt noch viel zu tun. Nur ein knappes Drittel der mehr als 3100 Kilometer langen Grenze zwischen den USA und Mexiko ist derzeit durch eine Sperranlage gesichert. Die meisten Barrieren stehen schon seit vielen Jahren. Unter Trump wurden zwar viele Anlagen modernisiert und erweitert, neue Zäune oder gar Mauern kamen aber kaum hinzu. Lediglich auf einer Strecke von rund 83 Kilometern wurden während der Präsidentschaft des ehemaligen Bauunternehmers neue Sperranlagen errichtet.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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