Analyse
Erscheinungsdatum: 13. Februar 2025

Anschlag in München: Wie die Bundestagswahl von Gewalt überlagert wird  

Zehn Tage vor der Bundestagswahl provoziert der Anschlag mit mindestens 30 teils Schwerstverletzten in München noch heftigere politische Reaktionen als in der ohnehin aufgeheizten Lage im Land üblich.

Mit dem mutmaßlichen Anschlag eines 24-jährigen Afghanen auf Menschen in einer Demonstration gerät die Bundestagswahl nur gut eine Woche vor dem Wahlsonntag in den Sog einer Gewalt, die alle anderen, für das Land ebenfalls wichtigen Debatten zu überlagern scheint. Mindestens 30 Menschen wurden in München zum Teil schwerstverletzt. Auch hier handelte es sich um einen abgelehnten Asylbewerber. Anders als in Aschaffenburg oder Solingen war der mutmaßliche Täter allerdings nicht ausreisepflichtig, er war geduldet, hatte eine Arbeitserlaubnis und war offenbar zuvor nicht als Extremist oder Straftäter aufgefallen. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sagte, es sei bislang nicht zu erkennen, dass die Tat an irgendeiner Stelle hätte verhindert werden können. Bei dem bisherigen Lebenslauf des Täters könne er sich „nicht vorstellen, dass der schon seit Jahren ein Extremist war“.

Der Tathergang und seine bislang bekannten Hintergründe wirken dennoch wie das nächste Glied in einer Kette von Anschlägen, die nach ähnlichem Muster ablaufen. Die zentrale Pflicht des Staates, seine Bürger vor solchen Anschlägen zu schützen, dürfte ins Zentrum der Wahl-Auseinandersetzung rücken.

In ersten Reaktionen verurteilten Vertreter aller Parteien die Tat. In der ZDF-Wahlarena sagte Olaf Scholz am Abend : „Jede einzelne dieser Taten ist unerträglich“. Es nütze nichts, auf „irgendwelche Zahlen“ aus der Kriminalstatistik zu schauen. „Solche Taten machen Angst – sie hinterlassen auch etwas bei mir.“ Der Täter müsse verurteilt und vor Ende seiner Haftstrafe abgeschoben werden. Die Bundesregierung habe bereits viele Gesetze geändert, um möglichen Tätern – beispielsweise durch Recherchen im Netz – „vorher auf die Schliche zu kommen“. Friedrich Merz versprach, im Falle eines Wahlsiegs die Sicherheit der Menschen in Deutschland zur Priorität zu machen. „Jeder muss sich in unserem Land wieder sicher fühlen. Es muss sich etwas ändern in Deutschland”, schrieb der CDU-Chef auf X. Robert Habeck sprach von einer „sinnlosen Tat“, deren Hintergründe so schnell wie möglich aufgeklärt werden müssten. Mit Blick auf das generelle Kriminalitätsgeschehen in Deutschland forderte er eine „Sicherheitsoffensive“, die allein angesichts 14.000 offener Haftbefehle für Gewaltdelikte dringend nötig sei. Alice Weidel erklärte, der Afghane „hätte längst abgeschoben werden müssen“.

Der Terrorexperte Peter Neumann vom Londoner King’s College sieht einen Zusammenhang zwischen Flucht, Migration und Terrorismus.Zwar sei die Anzahl der islamistisch motivierten Taten in Deutschland seit 2016 auf einem sehr niedrigen Niveau. Nur 40 von mehr als zwei Millionen Asylbewerbern hätten eine solche Tat in Deutschland verübt. Aber zugleich seien neun von zehn der islamistisch motivierten Täter Asylbewerber gewesen. „Man kann diese Zahlen auf unterschiedliche Weise lesen. Zu sagen, dass ,alle Flüchtlinge‘ potenzielle Terroristen sind, ist ganz offensichtlich falsch. Genauso falsch liegt, wer behauptet, in diesem Bereich gäbe es keine Probleme“, sagte Neumann Table.Briefings.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Asylbewerber in Deutschland radikalisiert werde, sei zu groß, sagte Neumann. Die meisten Täter hätten sich erst nach der Einreise nach Deutschland radikalisiert. Der Wissenschaftler folgert daraus: „Es braucht eine größere Anstrengung im Bereich Flucht und Asyl. Prävention, Frühwarnsysteme sowie Beobachtung und Repression müssen sich viel stärker auf diesen Bereich konzentrieren.“ Wenn die Zuwanderungszahlen weiter nach oben gehen würden, müssten die Integrationsanstrengungen umso größer sein. Ob das aber überhaupt noch zu schaffen sei, sei die zentrale Frage an die Politik.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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