Analyse
Erscheinungsdatum: 20. August 2023

Annalena Baerbock: „Den Inselstaaten Alternativen zu China bieten“

News Bilder des Tages Annalena Baerbock Buendnis 90/Die Gruenen, Bundesaussenministerin, spricht zu mitreisenden Journalisten und Journalistinnen nach dem erneuten Defekt an der Regierungsmaschine A340 waehrend der Rueckkehr nach Abu Dhabi, 15.08.2023. Durch einen unplanmaessigen Stopp in Abu Dhabi aufgrund eines technischen Problems an den Landeklappen des Flugzeugs verzoegerte sich die Weiterreise bereits um einen Tag. Das Flugzeug sollte Aussenministerin Baerbock zu einer mehrtaegigen Delegationsreise nach Australien, Neuseeland und Fidschi bringen. Abu Dhabi Vereinigte Arabische Emirate *** Annalena Baerbock Buendnis 90 Die Gruenen , German Foreign Minister, speaks to journalists traveling with her after another defect on the government plane A340 during Copyright: xFlorianxGaertnerx
Die grüne Außenministerin darüber, wie eng Geopolitik und Klimapolitik zusammenhängen – und warum der Westen und die Inselstaaten sich gegenseitig zum Schutz des Klimas brauchen. Denn traditionell gehören Staaten wie Fidschi zum G77-Block mit China. Dort hat Deutschland jetzt eine Botschaft als „Klimabrücke“, wie Annalena Baerbock sagt.

Frau Ministerin, welcher Schaden ist der deutschen Außen- und Klimapolitik dadurch entstanden, dass Sie Ihre Reise nach Ozeanien abbrechen mussten?

Das schmerzt richtig. Seit 2011 war kein deutscher Außenminister mehr in Australien. Und auf den kleinen pazifischen Inselstaaten waren wir bislang gar nicht mit einer deutschen Botschaft vertreten. Da bringt es dann wenig, unsere Freundschaft in Sonntagsreden zu erklären. Freundschaft zeigt sich in der Diplomatie eben auch dadurch, dass man eine sehr lange Reise von über 20.000 Kilometern antritt. Um den Menschen und den Regierungen dort deutlich zu machen: Für uns hat eure Region im 21. Jahrhundert eine große Bedeutung. Sicherheits- und klimapolitisch. Das können wir von Berlin aus an einem regnerischen Donnerstagnachmittag eben nicht so gut wie vor Ort in Neuseeland, Australien oder Fidschi. Deshalb eröffnen wir als Teil unser Klimaaußenpolitik-Strategie, aber auch als Teil unserer China- und Indopazifik-Politik endlich eine Botschaft in Fidschi – unsere erste in einem kleinen pazifischen Inselstaat überhaupt.

Sie wollten im Indopazifik ja auch zeigen, wie Klima-, Außen- und Geopolitik zusammengehen sollen. Wie haben wir uns das vorzustellen?

Geopolitik ist Klimapolitik, und Klimapolitik ist Geopolitik. Das ist Fachleuten seit Jahren bekannt, das hat man schon bei der Klimakonferenz 2015 in Paris gesehen. Warum war es so unglaublich schwierig, überhaupt ein globales Klimaabkommen zu verhandeln? Weil dahinter natürlich große geopolitische Fragen stehen – Technologieführerschaft bei erneuerbaren Energien, alte Reichtümer der fossilen Industrie, wer zahlt für Klimaschäden. Also alles enorme Machtfragen von Finanzpolitik, Einfluss und globaler Gerechtigkeit. Wenn ein kleiner Inselstaat zum x-ten Mal von einem Wirbelsturm getroffen wird, dann kann er irgendwann den Aufbau seiner Schulen, seiner Krankenhäuser nicht mehr bezahlen. Wenn wir bei Fragen, wer diesen Staaten dann unter die Arme greift, nicht da sind, dann bietet natürlich gerne China Hilfe an. Oftmals aber nicht ohne Gegenleistung. Das muss gar nicht so sehr ein Knebelkreditvertrag sein. Sondern im Zweifel auch das Abstimmungsverhalten bei der nächsten internationalen Konferenz.

Welche Rolle spielt die neue Botschaft in Fidschi dabei?

Die neue Botschaft in Fidschi ist unsere Klimabrücke in einen Hotspot der Geopolitik, der unglaublich weit weg, uns aber gerade geopolitisch so nah verbunden ist. Fidschi wirbt mit uns für stärkere CO2-Minderungsziele auf den Klimakonferenzen. Fidschi ist das Zuhause des Pacific Islands Forum, zu dem neben Australien und Neuseeland auch ein gutes Dutzend kleine pazifische Inselstaaten gehören. Diese teilen auch unsere Werte in anderen internationalen Fragen. Sie alle haben in der Generalversammlung der UNO gegen den russischen Angriffskrieg gestimmt. Das heißt, die Klimapolitik öffnet gerade auch Türen für geostrategische Fragen. Aber wenn wir nicht klimapolitisch präsent sind, schließen sich diese Türen auch.

Sie erhoffen sich dadurch also bessere Verhandlungsergebnisse, etwa bei den UN-Klimakonferenzen?

Wir arbeiten etwa mit den Marshallinseln, Vanuatu und auch Fidschi schon sehr eng im Klimabereich zusammen. Natürlich wollen diese Inselstaaten nichts sehnlicher als dass wir die globalen CO2-Emissionen endlich gegen Null bekommen. Da werben wir auf Klimakonferenzen oft gemeinsam für. Aber wenn es dann gerade zwischen alten Industriestaaten und aufstrebenden globalen Kräften wie China, aber auch den Golfstaaten zum Schwur kommt, dann stehen die Inselstaaten nicht automatisch auf der Seite der EU, auch wenn wir klimapolitisch eigentlich ambitionierter sind.

Bisher sind diese Länder aber Teil der informellen „G77“-Gruppe, der Schwellen- und Entwicklungsländer mit China. Wollen Sie strategisch diese Länder bei Fragen der Klimapolitik auf Ihre Seite ziehen?

Genau diese alten Blöcke müssen wir aufbrechen. Denn die Klimakrise ist längst keine Blockfrage mehr. Wir kriegen die Klimakrise nur als Welt gemeinsam in den Griff oder gar nicht. Daher ist es so wichtig, dass diejenigen, die klimapolitisch wirklich etwas erreichen wollen, sich zusammentun. Egal ob Nord oder Süd, ob Schwellenland, kleiner Inselstaat oder europäische Industrienation. Und die Länder des Indopazifiks, wo viele der besonders vulnerablen Staaten liegen, spielen dabei eine wichtige Rolle. Daher gehört zu unserer China-Strategie eben nicht nur die Frage, wie wir unsere Beziehungen zu China in diesen geo- und klimapolitisch so heißen Zeiten neu justieren, sondern gerade auch, wie wir unsere Zusammenarbeit im Indopazifik ausbauen.

Teil Ihrer China-Strategie ist ja das „Derisking“ – also weniger strategische Abhängigkeit. Aber bei der Klimapolitik sind alle abhängig von China. Wie funktioniert „Derisking“, wenn Sie einerseits Konfrontation und andererseits Kooperation brauchen?

Sie kennen den Dreiklang aus der China-Strategie: Wir sind Wettbewerber, Systemrivale, aber eben auch Partner mit China. Wir wollen mit China zusammenarbeiten. Aber wir wollen faire Zusammenarbeit. Und wenn das nicht möglich ist, müssen wir uns schützen. Etwa wenn China zum eigenen Wettbewerbsvorteil unfair an Technologie-Know-How herankommen möchte. Also: Zusammenarbeit mit China überall dort, wo möglich, insbesondere im Klimabereich. Und „Derisking“, also strategische Souveränität Europas, wo nötig, weil ansonsten unsere Sicherheitsinteressen gefährdet sind.

Chinas Stärke ist ja zum Teil auch die Schwäche des Westens: Gerade bei der Klimafinanzierung wird den Industriestaaten zurecht vorgeworfen, dass sie ihre Versprechen nicht einhalten – die nicht erreichten 100 Milliarden Dollar bis 2020 sind das schlechte Beispiel. Wie soll denn da dieses Vertrauen der ärmeren Staaten in den Globalen Norden wachsen?

Wenn wir unsere eigenen Versprechen zur Klimafinanzierung nicht erfüllen, machen wir es Ländern wie China natürlich sehr einfach, denen es nicht nur um Klimapolitik, sondern auch um systemische Abhängigkeiten geht. Das Versprechen der jährlichen 100 Milliarden Dollar bei der Klimafinanzierung zu halten, ist deswegen in unserem ureigenen Interesse. Und auch bei der Bewältigung von Verlusten und Schäden durch die Klimakrise voranzukommen, um denen zu helfen, die zu der Krise am wenigsten beigetragen haben. Deswegen hat der „Loss and Damage“-Fonds für mich solche Priorität. Deutschland jedenfalls steht zu seinen finanziellen Zusagen. Wir dürfen aber auch bei der Klimafinanzierung nicht naiv sein. Die klassischen Industriestaaten waren über Jahrzehnte für die Masse der globalen Emissionen verantwortlich. Wir haben unseren wirtschaftlichen Erfolg darauf aufgebaut. Deshalb müssen wir auch die nötige Anpassung, die Bewältigung von Schäden und Verluste finanziell unterstützen. Mit dem Umschwenken auf Erneuerbare haben wir ja zum Glück einen neuen Kurs eingeschlagen. Aber andere betreiben den Kohleausstieg eben nicht so intensiv wie wir. China ist mittlerweile der größte Emittent und hauptverantwortlich für gegenwärtige und kommende Schäden. Das müssen wir auch gegenüber kleineren Staaten deutlich machen: wenn ihr wollt, dass euch geholfen wird, dann stehen wir zu unserem Wort – aber ihr müsst auch Länder wie China oder die Golfstaaten mit in die Verantwortung nehmen.

Welchen Ruf hat denn Deutschland bei Ihren Gesprächspartnern in der Welt der Klimapolitik? Wir waren mal „Home of the Energiewende“, aber inzwischen sind andere schneller und entschlossener.

Nachdem Deutschland die Energiewende ja sozusagen erfunden hat, hat der gute Ruf in den Jahren danach massiv Schaden genommen. Weil es ja eine Phase der Großen Koalition gab, in der sie dem Ausbau der Erneuerbaren jegliche Steine in den Weg gelegt haben und auch vom Kohleausstieg nichts wissen wollten. Das hat uns leider auch die Solarindustrie gekostet, die nach China abgewandert ist. Und dann hatten wir diese riesige Abhängigkeit vom russischen Gas. Für die damalige Bundesregierung galt eine Gaspipeline ja stets als rein wirtschaftliches Projekt und weder geopolitisch noch klimapolitisch als problematisch. All das hat natürlich an unserem bisherigen guten deutschen Ruf als Klimavorreiter genagt und deswegen war es uns als neuer Bundesregierung so wichtig, deutlich zu machen: Klimapolitik hat jetzt Priorität. Klimaschutz ist keine reine Umweltfrage, sondern Klimaschutz ist Industriepolitik, Klimaschutz ist Sicherheitspolitik, Klimaschutz ist Gesundheitsschutz und damit eine Querschnittsaufgabe einer jeden modernen Regierung.

Im Dezember bei der COP28 in Dubai könnte ein Kompromiss ja sein: Ein globales Ziel für Erneuerbare, mehr Energieeffizienz, eine Reduktion beim Methan und dafür das Versprechen, die 100 Milliarden Klimafinanzen zu schaffen – und einen fossilen Ausstieg zu organisieren mit viel CCS-Technologie, was die Ölländer wünschen. Wäre das ein Erfolg?

Wir brauchen bei der Weltklimakonferenz in Dubai eine Kurskorrektur. Denn wir sind nicht auf dem Pfad, um 1,5-Grad in Reichweite zu halten. Und zugleich wissen wir, solche Konferenzen sind kein „Wünsch Dir was“. Gerade die Einigkeit bei der weiteren, so dringenden CO2-Reduktion wird schwer. Erst recht, weil einige CCS (Carbon Capture and Storage), also die Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoff, als Wunderwaffe für alles sehen. Ich habe daher beim Petersberger Klimadialog dieses Jahres ein neues globales Ziel, nämlich eine Verdreifachung der globalen Kapazität der Erneuerbaren vorgeschlagen. Das müsste begleitet werden von einer Verdopplung der Energieeffizienz, dem Ausstieg aus unverminderten fossilen Energieträgern, Unterstützungsangeboten für Entwicklungsländer. Und wir brauchen internationale Finanzinstitutionen, die in der Lage sind, Investitionen in diese globale Transformation zu unterstützen. Unsere Solidarität mit den besonders vulnerablen Staaten, insbesondere den Inselstaaten, braucht Fortschritte beim „Loss-and-Damage“-Fonds. Wir müssen genau sehen, wie weit wir zu diesem Idealziel kommen und welche Weichen dahin zu stellen sind. Denn die gesamte Welt, auch gerade die Golfstaaten, haben verstanden: Technologisch sind die Erneuerbaren die Zukunft. Deshalb fahren Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate, aber auch Katar oder Saudi-Arabien alle zweigleisig. Die machen natürlich weiter ihr Geschäft mit Öl und Gas, bauen parallel aber die modernsten Solarkraftwerke der Welt und setzen auf den Export von grünem Wasserstoff. Und sie schieben die Verantwortung für die Unterstützung der vulnerablen Entwicklungsländer uns zu.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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