Für das Oberverwaltungsgericht Münster ist der Fall klar: Die AfD hat sich verfassungsfeindlicher Bestrebungen verdächtig gemacht. Das Gericht erkannte „herabwürdigende Begriffe gegenüber Flüchtlingen und Muslimen“ und „Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen“, also die Verletzung von Artikel 1 des Grundgesetzes. Damit sei die Einstufung als rechtsextremistischer Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtens. Auch gegen die Hochstufung des inzwischen aufgelösten AfD-’Flügel’ zur „erwiesen extremistischen Bestrebung“ durch den Verfassungsschutz hatte das Gericht keine Einwände.
Die AfD ihrerseits versucht nun, das Urteil als Beleg für ihre Erzählung zu nutzen: Die Bundesregierung missbrauche staatliche Institutionen, um der Opposition zu schaden. In diese Deutung ordnete die Partei die Einstufungen des Verfassungsschutzes ein, ebenso wie die Anschuldigungen gegen einen Mitarbeiter des Europa-Spitzenkandidaten Maximilian Krah und Vorwürfe der Korruption zugunsten Russlands und Chinas.
Einer der Hauptgewinner des Urteils hingegen frohlockte: Der CDU-Bundestagsabgeordnete und frühere Ost-Beauftragte der Bundesregierung Marco Wanderwitz. „Ich habe die Hoffnung, dass Menschen zum kritischen Hinterfragen angeregt werden, wenn sie diese Rote Karte gezeigt bekommen“, sagte Wanderwitz nach dem Urteil zu Table.Briefings. Mit dem Urteil wird eine Sache wahrscheinlicher, die die AfD existenziell fürchten muss: ein Verbotsverfahren.
Wanderwitz kritisierte nach dem Richterspruch Bundesregierung und Bundesländer. Von den zuständigen Kabinettsmitgliedern Nancy Faeser und Marco Buschmann sei zum Verbotsverfahren „leider eher Bedenkenträgerei“ zu hören gewesen. Mit den Ministerpräsidenten sei er in Gesprächen. „ Daniel Günther scheint mir wesentlich offener als die Landeschefs von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Eigentlich paradox.“ Nun bestehe die Chance, die „hanging fruit“ zu ernten: „Man kann die AfD zerstören. Damit haben wir überhaupt erst wieder eine Chance, Menschen zurückzugewinnen, weil sie nicht mehr von früh bis spät verhetzt werden, sondern Tausende ihr Brot dann wieder anders verdienen müssten und sozusagen nur noch im Hobby Rechtsextremismus verbreiten könnten.“
Politischen Profit zieht aus dem Urteil nach Einschätzung von Wanderwitz vor allem Sahra Wagenknecht. „Sie ist das Auffangbecken abgeschreckter AfD-Wähler“. Sie sei „genauso populistisch, in vielen Punkten genauso radikal, aber eben nicht in den entscheidenden“, wenn es um den Verfassungsbogen gehe.
AfD-intern ist man wenig überrascht über das Urteil. Vergleichsweise gemäßigte Mitglieder zeigten sich gegenüber Table.Briefings „traurig“, weil sie selbst nichts mit dem rechtsextremen Spektrum der Partei anfangen könnten, wie sie sagen. In dem Zusammenhang nennen sie den aktuellen Austritt des langjährigen Berliner Parteichefs Georg Pazderski, der seit 2013 dabei gewesen war. Ob sie den Gang zum Bundesverwaltungsgericht nach Leipzig gehen will, ließ die AfD-Führung zunächst offen. „Die AfD ist gefährlicher als die NPD es jemals gewesen ist“, sagt Wanderwitz. „Das Urteil wird auf das Konto des Verbotsverfahrens einzahlen.“ Franziska Klemenz