Table.Standpunkt | Staatsreform
Erscheinungsdatum: 21. September 2025

Diese kommunalen Leitplanken braucht der Sozialstaat

Vertritt den Landkreistag in der Sozialstaatskommission: Irene Vorholz (DLT)

Die Sozialausgaben sind eine Hauptursache für das hohe Defizit von Landkreisen, Städten und Gemeinden – auch deswegen braucht es Änderungen, schreibt Irene Vorholz vom Landkreistag.

Der deutsche Sozialstaat bietet ein ausdifferenziertes System verschiedener Leistungen für teils unterschiedliche, teils ähnliche Bedarfe und Personengruppen: von Bürgergeld und Sozialhilfe über Leistungen für Asylbewerber bis zu Wohngeld und BAföG, um nur die wichtigsten der steuerfinanzierten Leistungen zu nennen. Gleichwohl wird das System grundlegend kritisiert: Die Komplexität, die Bürokratie und die wechselseitigen Abhängigkeiten haben ein kaum noch überschaubares Maß angenommen.

Zugleich nimmt der Fach- und Arbeitskräftemangel im Bereich der sozialen Arbeit sowie der Verwaltung weiter zu. Parallel sind die öffentlichen Finanzen so dramatisch schlecht wie noch nie: Landkreise, Städte und Gemeinden hatten im letzten Jahr ein Defizit von historischem Ausmaß: 24,3 Milliarden Euro. Die Sozialausgaben sind hier eine Hauptursache.

Der Deutsche Landkreistag hat die folgenden Erwartungen an die Sozialstaatskommission – dabei ist uns wichtig, auch eine Debatte über kostentreibende Standards und die immer mehr fragliche Finanzierbarkeit des Sozialstaats zu führen:

  • Sozialleistungen müssen so gestaltet und bemessen sein, dass sich Erwerbsarbeit lohnt. Bei Erwerbstätigen sollte die Forderung über Steuerfreibeträge erfolgen

  • Sozialleistungen sind auf bedürftige Menschen zu konzentrieren. Bürger mit (sehr) guten Einkommen oder Vermögen müssen nicht durch steuerfinanzierte Sozialleistungen zusätzlich unterstützt werden

  • Entbürokratisierung ist entscheidend für den zielgerechten Einsatz der Mittel und die Entlastung der Verwaltung. Dokumentationsaufwände und Berichtspflichten müssen reduziert werden

  • Einzelfallgerechtigkeit kann nicht immer und überall erreicht werden. Soweit möglich und sinnvoll, sollten Geldleistungen pauschaliert erbracht werden

  • Sinnvoll wäre die Zerlegung des Einkommensbegriffs in allen Sozialgesetzbüchern in trennscharfe Bausteine und die Hinterlegung der Daten für diese Bausteine auf einer intermediären Datenplattform, auf die alle Leistungsträger zugreifen können

  • Inwieweit Transferleistungssysteme zurückgebaut werden sollten und können, ohne dass neue Schnittstellen und Doppelstrukturen entstehen, muss sorgfältig geprüft werden. Die Kindergrundsicherung war ein Negativbeispiel. Der Kinderzuschlag sollte gestrichen werden, Familien würden dann ergänzend Bürgergeld erhalten oder könnten stärker steuerlich gefördert werden

  • Viele Menschen benötigen eine persönliche und individuell passgenaue Beratung und Unterstützung. Hierfür bietet sich eine kommunale Verankerung bei den Landkreisen und Städten an.

Da die Bundesregierung neben der Sozialstaatskommission mehrere weitere Kommissionen eingesetzt hat, muss eine Verzahnung mit ihnen gelingen. Der Landkreistag drängt auch hier auf grundlegende Änderungen:

Die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen ist mit jährlich über 25 Milliarden Euro einer der größten Ausgabeposten der kommunalen Sozialhaushalte. Die Landkreise fordern vor allem, dass die sogenannten Regelsysteme ihrer Verantwortung nachkommen. Das sind die Pflegekassen für pflegebedürftige behinderte Menschen und die Schulen bei der Unterstützung behinderter Kinder und Jugendlicher im Unterricht. Zugleich hat das Bundesteilhabegesetz den Aufwand stark erhöht, ohne dass dem ein unmittelbarer Nutzen für die behinderten Menschen gegenübersteht.

In der Pflege ist die Versorgung schon heute nicht mehr überall sichergestellt. Zugleich ist die finanzielle Belastung der Menschen im Pflegeheim mit durchschnittlich 3.000 Euro pro Monat deutlich zu hoch. Die Landkreise fordern, die Versorgung zu sichern und Pflegebedürftige finanziell zu entlasten, indem sie zum Beispiel (nur noch) einen nach Bundesländern differenzierten Sockelbetrag übernehmen und darüber hinaus gehende Kosten von den Pflegekassen getragen werden.

Beim Bürgergeld geht die von der Koalition verabredete Straffung der Mitwirkungspflichten in die richtige Richtung. Auch dass Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, kein Bürgergeld mehr erhalten, ist richtig. Was fehlt, ist die Abschaffung der Karenzzeit bei den Unterkunftskosten. Derzeit werden in den ersten eineinhalb Jahren des Leistungsbezugs auch unangemessen hohe Mieten vom Jobcenter bezahlt.

Eine große Baustelle ist schließlich die Rente. Dass der Bund das Rentenniveau bis 2031 auf 48 Prozent festschreiben will, führt zu milliardenschweren Mehrausgaben. Zugleich will er die Mütterrente, eine systemfremde Leistung der Rentenversicherung, ausweiten. Stattdessen braucht es ein generationengerechtes und bezahlbares System. Dazu sollte die Altersgrenze für die Regelaltersrente an den statistisch erfassten Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung um ein Drittel angepasst werden. Dies sollte freilich nicht für Personen gelten, die aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sind, länger zu arbeiten.

Dieser Text ist der vierte Teil einer Reihe zur Zukunft des Sozialstaats. Den ersten Teil finden Sie hier, den zweiten hier und den dritten hier.

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Letzte Aktualisierung: 23. September 2025

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