Table.Briefing: Security

Pistorius’ Kriegsrhetorik + IG Metall für militärische Standortpolitik + BMVg dementiert Rückzug von FCAS

Liebe Leserin, lieber Leser,

ist Deutschland “kriegstüchtig”? An diesem von Verteidigungsminister Boris Pistorius verwendeten Wort hat sich eine neue Diskussion in Deutschland entzündet. Mit einem grundlegenden Missverständnis in dem Disput räumt Thomas Wiegold in seiner Analyse auf und erläutert, worum es eigentlich geht.

Für mehr Aufmerksamkeit beim Thema Wehrfähigkeit trommelt auch die IG Metall. Die Gewerkschaft plant kommende Woche Aktionen an den Standorten deutscher Rüstungsbetriebe, die nach Meinung der IG Metall mehr Aufträge aus dem Sondervermögen der Bundeswehr bekommen sollten. Es ärgert die Gewerkschaft, dass ausländische Produkte bevorzugt werden. Markus Bickel hat mit dem Vize-Chef der Arbeitnehmervertretung, Jürgen Kerner, gesprochen.    

Ob ein sehr wichtiges, europäisches Rüstungsprojekt – das Future Combat Air System (FCAS) – scheitert, ist ebenso eine Frage von wirtschaftspolitischen Interessen. Nana Brink berichtet, was da aktuell der Stand ist.

Und noch ein Hinweis: Falls Sie nicht sowieso schon den kostenfreien Berlin.Table abonniert haben, möchten wir ihn heute sehr empfehlen. Die Kolleginnen und Kollegen beschäftigen sich in der aktuellen Ausgabe mit dem Vizekanzler Robert Habeck, der mit seiner bemerkenswerten Rede gegen den Antisemitismus viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat.  

Eine informative Lektüre

Ihr
Viktor Funk
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Analyse

Pistorius und das 100-Milliarden-Missverständnis

Boris Pistorius fordert eine “kriegstüchtige” Gesellschaft – und verunsichert mit dem Begriff.

Die Worte, die der Verteidigungsminister am vergangenen Sonntagabend in der ZDF-Sendung “Berlin direkt” gebrauchte, gingen über die üblichen Aussagen zu Haushalt oder Zustand der Bundeswehr weit hinaus. “Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte, und das heißt, wir müssen kriegstüchtig werden, wir müssen wehrhaft sein und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen”, warnte der SPD-Politiker.

Vor allem der Begriff “kriegstüchtig” schreckte auf. “Das Gerede von der ‘Kriegstüchtigkeit ist überzogen und trifft nicht den richtigen Ton’, kritisierte der Politikwissenschaftler Johannes Varwick im Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter). “Es ist mehr Eigen-PR zur weiteren Erhöhung des Verteidigungshaushalts als eine sachliche Bestandsaufnahme.”

“Darauf sind wir mental nicht eingestellt.”

Das allerdings verkennt offensichtlich die Absicht, die Pistorius mit seinen aufrüttelnden Worten verfolgen wollte. In mehreren weiteren Interviews legte der Minister nach. Auch mehr als eineinhalb Jahre nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine werde die “Kriegsgefahr in Europa durch einen Aggressor” unterschätzt, warnte der Minister: “Darauf sind wir mental nicht eingestellt.” Deutschland müsse “in der Lage sein, einen Krieg, einen Abwehrkrieg, einen Verteidigungskrieg führen zu können, damit wir es am Ende nicht müssen”, erläuterte er im Deutschlandfunk.

Was für die Öffentlichkeit neu und alarmierend klingen mag, hatte Pistorius schon zuvor ebenso deutlich, aber unbeachtet geäußert. “Wir haben keine Streitkräfte, die verteidigungsfähig sind gegenüber einem offensiven Angriffskrieg”, hatte er bei einer Veranstaltung der SPD-Bundestagsfraktion im Februar gewarnt, ein Jahr nach Beginn der russischen Invasion. Besonderen öffentlichen Widerhall fand das nicht. Auch die immer wieder aufflackernde Debatte über eine Reaktivierung der Wehrpflicht wird weniger als Frage nach deutscher Verteidigungsfähigkeit verstanden, sondern als Diskussion über gesellschaftliches Engagement.

Was er sagt und was er meint

Pistorius’ großes Problem: Jede Warnung des Verteidigungsministers wird als Forderung des Wehrressorts im Ringen um den nächsten Haushalt verstanden – aber nicht als Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte. Der SPD-Politiker hat, das wurde kaum wahrgenommen, weit mehr gefordert als mehr Geld und mehr Ausrüstung für die Bundeswehr.

Der Verteidigungsminister “versucht bewusst zu machen, dass sich die Zeiten tatsächlich geändert haben, dass Deutschland eben nicht mehr nur von Freunden umgeben ist und zur Verteidigung bereit sein muss”, sagt Nicole Deitelhoff, Leiterin des Leibniz-Instituts für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt am Main. “Mit dem Signalwort ‘kriegstüchtig’ setzt er dabei auch auf eine bewusste Provokation.”

Vielleicht auch deshalb, weil die von Bundeskanzler Olaf Scholz im Februar vergangenen Jahres ausgerufene “Zeitenwende” über die Streitkräfte hinaus wenig Wirkung zeigte. Mit dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, mit teuren Bestellungen wie neuen F-35-Kampfjets schien das Wichtigste erledigt zu sein. Doch über die Bundeswehr hinaus fühlten sich in der Gesellschaft wenige zu einer solchen Zeitenwende aufgerufen.

Falsche Reizworte in einer verunsicherten Gesellschaft

Dabei ist nicht zu erwarten, dass die gefährliche weltpolitische Lage sich auf den Zustand vor dem russischen Angriffskrieg zurückdrehen lässt. Die Vorbereitung in allen Bereichen des Lebens auf eine Situation, wie sie Westeuropa und damals die Bundesrepublik Deutschland während des Kalten Krieges vor dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes vor Augen hatten, ist kaum ein Thema. Selbst die Jahre der Auslandseinsätze deutscher Streitkräfte haben fast gar nicht dazu geführt, dass sich die Öffentlichkeit mit der Frage auseinandersetzt, wie eine deutsche Sicherheitspolitik eigentlich aussehen soll.

“Die Politik muss aussprechen, wie sich Deutschland mittel- und langfristig aufstellen will”, sagt die Konfliktforscherin Deitelhoff. “Verteidigungsfähigkeit ernst zu nehmen heißt auch, Prioritäten im Bundeshaushalt anders zu setzen. Das ist eine wichtige Debatte, die wir führen müssen.”

Allerdings hat Pistorius mit dem Reizwort “kriegstüchtig” nicht unbedingt den richtigen Ton getroffen. “Das ist ein Reizwort, das auf eine Gesellschaft trifft, die ohnehin Angst hat angesichts von Krieg gegen die Ukraine, der Gefahr einer nuklearen Eskalation und jetzt auch noch des Kriegs im Nahen Osten”, warnt Deitelhoff. “Das hat er ein bisschen verkannt.” Damit die vom Verteidigungsminister angeschobene Debatte nicht wieder folgenlos verpufft, sollten jetzt andere Regierungsmitglieder einspringen: “Vielleicht würde das was bringen.”

  • Bundeswehr
  • Deutschland
  • Russland

News

IG-Metall-Vorsitzender Kerner lehnt Kriegsproduktion als “zu martialisch” ab

Jürgen Kerner IG Metall Vorsitzender

Der Zweite IG-Metall-Vorsitzende Jürgen Kerner spricht sich gegen die Einführung einer Kriegsproduktion in Deutschland aus. “Ich halte diesen Begriff der Kriegsproduktion für zu martialisch”, sagte er im Interview mit Table.Media. Zugleich forderte er die Ampel zu einer stärkeren Standortpolitik für die militärische Luftfahrtindustrie in Deutschland auf. “Um sich selbst verteidigen zu können, muss man eben auch in der Lage sein, die Ausrüstung dafür in Deutschland und in Europa herzustellen.”

Rund 23.000 der etwa 100.000 Beschäftigten der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie sind im militärischen Teil der Branche tätig. Die IG Metall macht ab kommenden Montag mit einer “Aktionswoche für unsere Sicherheit” auf die Lage der Branche aufmerksam, die vom Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) vertreten wird. Kerner forderte die Arbeitgeberseite auf, “der Politik nicht länger Produkte zu verkaufen, die noch nicht richtig ausgereift” seien. “Zur neuen Ehrlichkeit der Zeitenwende gehört eine neue Qualität seitens der Industrie dazu”, so Kerner, der auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall im Oktober erstmals in den Vorstand der größten Einzelgewerkschaft Deutschlands gewählt wurde. Er beobachte “eine Offenheit” für das Thema, die es erlaube zu diskutieren, “wie wir Kern-Know-How in der militärischen Luftfahrtindustrie erhalten wollen”.

Die IG Metall kritisiert, dass vom Sondervermögen Bundeswehr Dutzende Milliarden Euro für Aufträge in die US-Rüstungsindustrie flössen, insbesondere in den Kauf des F-35-Kampffliegers. “Gerade im Verhältnis mit Verbündeten muss man fragen, ob es nicht besser ist, auf dem eigenen Kontinent zu produzieren und zu kaufen, statt Schlüsselindustrien versanden zu lassen”, kritisierte Kerner. mrb

  • BDLI
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Deutschland dementiert Rückzugspläne bei FCAS

Großbritannien, Japan und Italien haben Mitte der Woche in Rom angekündigt, zum Ende des Jahres einen Vertrag zur Entwicklung des Global Combat Air Programme (GCAP) zu unterzeichnen. Nach dem Treffen erklärte Italiens Verteidigungsminister Guido Crosetto, GCAP werde ein “trinationales Projekt sein, das Kosten und Vorteile gleich aufteilt”. Einem Bericht der britischen Times zufolge könnte sich Deutschland an dem Projekt beteiligen.

GCAP – früher unter dem Namen Tempest bekannt – soll den Eurofighter Typhoon ablösen und den Kampfjet der sechsten Generation entwickeln. Es gilt als Konkurrenzprojekt zum deutsch-französisch-spanischen Future Combat Air System (FCAS). Zwischen Deutschland und Frankreich hatte es in der Vergangenheit große Differenzen über die Arbeitsteilung gegeben. Laut der Times erwäge Bundeskanzler Olaf Scholz einen Ausstieg aus FCAS, da er keinen Sinn in der parallelen Entwicklung von zwei ähnlichen Systemen in Europa sähe.

Airbus Defence and Space, der deutsche Rüstungspartner von FCAS, hat sich bislang zu den veröffentlichten Spekulationen über einen Austritt Deutschland aus dem Projekt nicht geäußert. Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums dementierte gegenüber Table.Media solche Pläne. “Deutschland hält am gemeinsamen Projekt mit Frankreich und Spanien fest. Medienberichte dahingehend, dass Deutschland aussteigt, sind falsch.”

Aus der französischen Botschaft in Berlin kommen kritische Töne. Sollte das stimmen, wäre es “ein Aukus für FCAS”, heißt es auf Nachfrage von Table.Media. 2021 hatte Australien kurzfristig ein lukratives U-Boot-Geschäft mit Frankreich aufgekündigt und war stattdessen das Sicherheitsbündnis Aukus, das als Akronym für die Partnerländer Australien, Vereinigtes Königreich und USA steht, eingegangen. Großer Profiteur waren die Briten.

Bei FCAS drangen zuletzt eher harmonische Signale nach außen. Erst letzte Woche hat das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) einen sogenannten nationalen Studienvertrag in Höhe von 260 Millionen Euro unterzeichnet. Das BAAINBw beauftragte damit unter anderem Airbus Defence and Space, die technologischen Herausforderungen eines vernetzten Systems wie FCAS zu erforschen.

Die Spekulationen über das Ende von FCAS deuten darüber hinaus auf einen heftigen Konkurrenzkampf im europäischen Rüstungssektor hin. Grund hierfür sind nicht allein die neuen Kampfjet-Systeme FCAS und GCAP, sondern der Export von Eurofightern nach Saudi-Arabien. Großbritannien möchte 48 Stück vom Typ “Typhoon”, der von Deutschland, Großbritannien, Spanien und Italien hergestellt wird, liefern. Deutschland hat dies bislang blockiert. Laut Times würde Deutschland dem Eurofighter-Export im Gegenzug zu einer Aufnahme in das GCAP zustimmen. nana/bub

  • AUKUS
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Rüstungsexportkontrollgesetz: Noch kein Eckpunktepapier, aber Giegold ist optimistisch

Der für die Ausarbeitung des Rüstungsexportkontrollgesetzes zuständige Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klima, Sven Giegold, hat gestern Vertreter von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und aus der Wissenschaft über den Stand des Gesetzes informiert. Das Gesetz soll erstmals die Rüstungsexportkontrolle der Bundesregierung gesetzlich festschreiben.

Nach Informationen von Teilnehmenden habe sich Giegold durchaus optimistisch gegeben, dass das im Koalitionsvertrag vorgesehene Gesetz kommen werde. Auf ein Datum, wann das deutlich hinter dem Zeitplan liegende Vorhaben fertig sei – die Eckpunkte für das Gesetz sollten von den Ministerien bereits Anfang des Jahres finalisiert sein – habe er sich aber nicht festlegen wollen.

Zwischen den Ministerien gebe es Uneinigkeit, wohl über den Grad der Europäisierung der deutschen Exportpolitik. Deshalb sei auch noch kein Eckpunktepapier fertig. Die deutsche Exportpolitik ist restriktiver als die von europäischen Partnern wie Frankreich oder Großbritannien. Mehrere der rund 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmer hätten darauf hingewiesen, dass es wegen der größer werdenden Zahl internationaler Konflikte eine große Notwendigkeit für ein solches Gesetz gebe. Besonders NGOs hatten sich in den letzten Jahren für ein Rüstungsexportkontrollgesetz engagiert.

Die deutsche Rüstungsindustrie drängt auf eine Lockerung der Exportpolitik. Auch ausländische Partner üben Druck aus. So soll Großbritannien vehement von der Bundesregierung fordern, den Export der gemeinsam produzierten Eurofighter-Kampfjets nach Saudi-Arabien zu genehmigen. bub  

  • Rüstung

Ransomware-Angriffe und Missbrauch von KI derzeit größte Bedrohungen

Claudia Plattner, Präsidentin des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik BSI, und Nancy Faeser SPD, Bundesministerin des Inneren und für Heimat.

Die Bedrohungslage bei der IT-Sicherheit ist groß wie nie zuvor – und könnte durch Missbrauch von KI weiter ansteigen. Angriffe mit Ransomware stellen momentan das größte Sicherheitsrisiko dar. So beschreibt es der aktuelle Lagebericht vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Claudia Plattner, seit Juli als BSI-Präsidentin im Amt, stellten ihn am Donnerstagmorgen gemeinsam vor und sahen akuten Handlungsbedarf.

Es brauche eine strategische Neuaufstellung für mehr Cybersicherheit. Wichtig sei vor allem eine geregelte Zusammenarbeit zwischen BSI und Ländern, vergleichbar etwa dem Verhältnis von BKA und Landespolizeien. Laut Koalitionsvertrag soll das BSI eine bundesweite Zentralstelle für Cybersicherheit werden. Und das “alleine schon, um ein bundeseinheitliches Lagebild zu erstellen”, sagt BSI-Präsidentin Plattner. Es brauche eines, nicht 17 Lagebilder. Doch bislang konnte Bundesinnenministerin Faeser ihre Amtskollegen in den Ländern nicht von der dafür notwendigen Grundgesetzänderung überzeugen. Aus der Wirtschaft kommt Zustimmung für den Plan: “Cyberkriminalität orientiert sich nicht an unseren föderalen Strukturen”, meint Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst. Er plädiert zudem für mehr Präsenz von Polizei und Strafverfolgungsbehörden im Cyberraum und eine passende Ausstattung der Behörden.

Problematisch ist laut Bericht auch die wachsende Professionalisierung der Angriffe. Ransomware könne beispielsweise ganze Wertschöpfungsketten beeinträchtigen. Cyberspionage diene oft politischer und gesellschaftlicher Einflussnahme. Durch Missbrauch von KI-Anwendungen, zum Beispiel um gefälschte Texte, Stimmen oder Bildmaterial zu schaffen, steige die Gefahr von Desinformation und Fake News.

Ein Viertel mehr Sicherheitslücken als im Vorjahr

Zwischen Juni letzten und Juli dieses Jahres registrierte das BSI täglich rund 250.000 neue Varianten von Schadprogrammen, sowie 70 neue Sicherheitslücken pro Tag, von denen jede zweite als hoch oder kritisch eingestuft wird – eine Steigerung von 24 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Plattner will dem wachsenden Problem unter anderem dadurch entgegenwirken, dass möglichst früh in der Lieferkette von Software oder Produkten mit digitalen Elementen besser auf Cybersicherheit geachtet wird – Angriffe hier würden deutlich zunehmen.

Plattner, die findet, Deutschland müsse sich als Cybernation verstehen, betonte nachdrücklich, sie wolle so viele Sicherheitslücken wie möglich so schnell wie möglich schließen. “Für mich sind Hintertüren nicht akzeptabel, egal von wem”, so die BSI-Präsidentin. Die Innenministerin entgegnete, es gebe durchaus hochsensible Bereiche, für die es Ausnahmen brauche, “das will ich in aller Deutlichkeit für die Sicherheitsbehörden sagen.”

Kritik an den Ergebnissen des Berichts kam aus der Opposition: “Bei der Frage nach einer aktiven Cyberabwehr darf sich die Ampel nicht mehr aufgrund interner Streitereien wegducken und sich lediglich in einen wachsweichen Prüfauftrag flüchten”, so der digitalpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Reinhard Brandl. Und auch vom Koalitionspartner Grüne heißt es: “Echte politische Handlungen sind überfällig.” Und: “Das Kritis-Dachgesetz muss schnellstmöglich kommen.” asc

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Erster “KI-Sicherheits-Gipfel” in Großbritannien: Wettrennen um globale Regulierung

Bei der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) rückt zunehmend die Frage nach einer globalen Regulierung ins Zentrum – und hier wollen die USA die führende Rolle einnehmen. Davon zeugte der erste “AI Safety Summit” am 1. und 2. November, den der britische Premierminister Rishi Sunak ins Leben gerufen hatte.

Zum Abschluss der Konferenz verkündete Sunak, dass sich mehrere teilnehmende Staaten darauf verständigt hätten, neue Formen von KI künftig staatlich zu testen. Zu der Gruppe gehörten die USA, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Japan und die EU. China, das durch den Vizeminister für Technologie, Wu Zhaohui, repräsentiert war, zählte nicht dazu.

Zuvor hatten hochrangige Vertreter von 27 Staaten und der EU die “Bletchley Declaration” verabschiedet, die auf die Chancen, aber auch auf die Gefahren von KI hinweist: Diese habe das Potenzial, “ernsthaften, wenn nicht gar katastrophalen Schaden anzurichten”. Alle Unterzeichner bekräftigen die Notwendigkeit, diesen Gefahren durch internationale Zusammenarbeit begegnen zu wollen. Zu den Teilnehmern des Gipfels gehörten US-Vizepräsidentin Kamala Harris sowie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.

Insbesondere potenziell militärische Anwendungen von KI bereiten Regierungen in aller Welt Sorgen. Sie veranlassten die US-Regierung zu Schritten, um China vom Zugang zu hochleistungsfähigen Computerchips der neuesten Generation abzuschneiden.

USA und China investieren hohe Summen in die Forschung

Das “Wettrennen” um die stärkste KI wird, gemessen an Investitionen, vor allem von den USA und China bestritten. Andere Staaten hinken weit hinterher. Laut einer Studie des International Institute for Strategic Studies (IISS) betrugen die Investition in KI zwischen 2012 und 2022 in den USA 361 Milliarden US-Dollar, in China etwa 198 Milliarden Dollar und in Großbritannien 25 Milliarden Dollar. Deutschland lag mit 16,8 Milliarden Dollar auf Rang vier.

Den Gipfel in Großbritannien nutzte US-Handelsministerin Gina Raimondo, um die Gründung eines amerikanischen Instituts für KI-Sicherheit anzukündigen. Zuvor hatte bereits Sunaks Regierung Pläne bekannt gegeben, ein internationales “AI Safety Institute” aufbauen zu wollen.

Mit einer Exekutivorder für “sichere, vertrauenswürdige KI” hatte US-Präsident Joe Biden jüngst deutlich gemacht, dass die USA nicht nur bei Forschung, Entwicklung und Anwendung, sondern auch bei der Regulierung von KI weltweiter Vorreiter bleiben wollen. Diese Botschaft bekräftigen amerikanische Vertreter in Bletchley Park, wo während des Zweiten Weltkriegs Forschende, darunter der Mathematiker und Computerpionier Alan Turing, den geheimen Nachrichtenverkehr der Wehrmacht entschlüsselten. hh

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Mit Munition aus Nordkorea sichert Russland den Status quo an der Front

Die Befürchtungen scheinen sich zu bewahrheiten: Weil Russland zu wenige eigene Kapazitäten für die Herstellung von Artilleriegeschossen hat, importiert es Munition im großen Stil aus Nordkorea. Mehr als eine Million Artilleriegeschosse soll Pjöngjang in den vergangenen drei Monaten bereits an Moskau geliefert haben. Die Informationen gehen auf den südkoreanischen Geheimdienst zurück, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg. Laut dem Bericht setzt die russische Armee die nordkoreanischen Geschosse bereits ein.  

Deutliche Hinweise für diese Lieferungen brachten auch Satellitenaufnahmen vom nordkoreanisch-russischen Grenzübergang mit einer Bahnverbindung nahe Tumangang. Die Bilder zeigten große Geschäftigkeit und eine Erweiterung der Anlage. Ebenso soll der Wasserweg für den Transport von Munition aus Nordkorea nach Russland genutzt werden, berichtete das Royal United Services Institute (Rusi) bereits Mitte Oktober. Moskau soll für die Waffenhilfe Geld und Technologiehilfe für militärische Zwecke sowie Hilfe beim Starten von Satelliten angeboten haben.

Der Nachschub für die Artillerie verschafft Russland einen Vorteil an der Front in der Ukraine. Erst Anfang Oktober hatten Nato-Vertreter darauf hingewiesen, dass es inzwischen zu einem Munitionsmangel in den Depots der Bündnismitglieder komme. Laut dem ukrainischen Oberkommandierenden Walerij Saluschnyj steuern die Ukraine und Russland zudem auf einen Stellungskrieg zu, wie er diese Woche im Interview mit dem Economist sagte. In fünf Monaten Offensive war es der Ukraine gelungen, 17 Kilometer vorzurücken. Mit viel neuer Artilleriemunition und wegen großflächiger Minenfelder, sowie einsetzender Regenperiode dürfte es Russland vorerst schaffen, den Status quo an der Front zu halten. vf

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Nach Minusma-Abzug – Aufständische Tuareg nehmen zentralen Stützpunkt in Nordmali ein

UN Soldat

In Mali haben aufständische Tuareg nach eigenen Angaben den ehemaligen Stützpunkt der United Nations Multidimensional Integrated Stabilisation Mission in Mali (Minusma) in Kidal eingenommen. Es war einer der wichtigsten Standorte der UN-Mission. Die malische Militärregierung von General Assimi Goita, die sich 2021 an die Macht geputscht hatte, warf der Minusma vor, den Stützpunkt nicht wie abgesprochen übergeben zu haben. In regierungsnahen lokalen Medien war von einem “Verrat” der internationalen Truppen die Rede. 

Kidal befindet sich rund 350 Kilometer vom Camp der Bundeswehr in Gao entfernt. Die Bundeswehr teilte auf Anfrage von Table.Media mit, das deutsche Einsatzkontingent in Gao sei nicht von Kampfhandlungen betroffen. Inwiefern sich die aktuellen Entwicklungen auf die Rückverlegung auswirken könnten, sei noch nicht absehbar.

Die Minusma zog sich vor dem Hintergrund der verschärften Sicherheitslage zwei Wochen früher als ursprünglich geplant aus Kidal zurück. Acht UN-Soldaten wurden laut Minusma verwundet, als der Konvoi auf dem Weg nach Gao auf eine Mine fuhr.

Die UN hat damit acht ihrer 13 Basen in Mali geräumt. “Die Bedingungen für den Abzug aus all diesen Stützpunkten waren äußerst schwierig”, hieß es in einer Mitteilung der Minusma. Die malische Regierung hatte weder für den Minusma-Abzug aus Kidal, noch für den Minusma-Abzug aus den Basen in Aguelhok und Tessalit den Luftweg erlaubt. Die Minusma zerstörte nach eigenen Angaben zahlreiches sensibles militärisches Material, da es für einen Transportkonvoi ebenfalls keine Erlaubnis gegeben habe.

Die Stadt Kidal gilt als Hochburg der bewaffneten Gruppen, die bereits 2012 die Unabhängigkeit von der Zentralregierung in Bamako wollten und 2015 einen Friedensvertrag unterzeichnet haben. “Mit Blick auf den Abzug der Minusma aus Mali war Kidal immer einer der schwierigsten Punkte. Wir haben gesehen, wie die Übergangsregierung beziehungsweise das malische Militär versucht haben, jedes freiwerdende Camp direkt mit Truppen zu besetzen oftmals im Konflikt mit den bewaffneten Gruppen im Norden”, so Christian Klatt, Leiter der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung gegenüber Table.Media. lw

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Presseschau

The New York Times: Does a 2-State Solution, Long Discounted, Still Have a Future? US-Präsident Joe Biden spricht sich dafür aus, Rishi Sunak und Emmanuel Macron ebenfalls: die Zweistaatenlösung – wenn auch nur, weil eine realisierbare Alternative fehlt. In dem Beitrag kommen Diplomaten zu Wort, die glauben, dass der Krieg im Gazastreifen der dreißig Jahre alten Idee neues Leben einhauchen könnte.

Dernières Nouvelles d’ Alsace (DNA): “Die Offensive kann nicht länger als zwei Monate dauern.” Der israelische Einmarsch im Gazastreifen dürfte sehr verlustreich für beide Seiten werden, sagt der französische Historiker Michel Goya, ehemals Oberst der Marinetruppen.

Meduza: “Even a broken clock is right twice a day.” Russland Krieg gegen die Ukraine begleiten viele Telegram-Propagandisten. Einige stehen dem Verteidigungsministerium oder russischen Politikern nahe, andere sind privat. Einer, der sich die Mühe macht, die Propaganda-Flut zu analysieren, ist Iwan Fillipow. Dem russischen Exil-Medium Meduza hat er erklärt, welche wichtigen Informationen er darin findet und welches Risiko die Kriegsbefürworter für den Kreml selbst darstellen.

Die Zeit: Israel – Jetzt eine Waffenruhe wäre ein Unrecht. Die UN-Generalversammlung verabschiedete vorige Woche mit Zweidrittelmehrheit eine Resolution zum Krieg im Gazastreifen, die eine humanitäre Waffenruhe fordert. Während es richtig sei, von Israel die Einhaltung des Kriegsvölkerrechts zu erwarten, ziele die Forderung nach einem Waffenstillstand darauf, das Land wehrlos zu machen, findet Jan Roß.

Heads

May-Britt Stumbaum – Sicherheitsexpertin mit Mathe-Talent

May-Britt Stumbaum forscht am Center for Intelligence and Security Studies (CISS) der Universität der Bundeswehr München. Sie ist Expertin für den Indopazifik mit Schwerpunkt auf China.

Auf die Frage, warum sie sich für Sicherheitspolitik interessiert, antwortet May-Britt Stumbaum mit einem Lächeln: “Ich war immer recht gut in Mathe.” Worauf Stumbaum anspielt: Als sie Anfang der 1980-er Jahre zur Grundschule geht, müssen die Schüler regelmäßig Evakuierungsübungen für den atomaren Notfall mitmachen. Doch bei 1.200 Schülern und nur 100 verfügbaren Plätzen im Atombunker “war schnell klar, dass nicht alle hineinpassen würden”, sagt Stumbaum. Ein Anstoß, aus dem sich mit der Zeit eine Faszination für Politik und für die Frage entwickelt, die sie noch heute beschäftigt: warum Menschen welche Entscheidungen treffen. Ihr Interesse führte sie schließlich an das Center for Intelligence and Security Studies (CISS) der Bundeswehr Universität München.

Stumbaum studiert zunächst Politikwissenschaft und European Studies, bevor sie von 2002 bis 2008 zur Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) geht. Dort verbindet die Wissenschaftlerin ihre Interessen für Asien und für Sicherheitspolitik miteinander. Nach ihrer Promotion zieht es sie für ihren Postdoc weiter nach Harvard, auch weil sicherheitspolitische Aspekte bis vor wenigen Jahren in der Forschung in Europa nur schwer unterzubringen waren. Seitdem arbeitete sie in einer Reihe renommierter Thinktanks und Forschungsgruppen und ist nun seit März 2023 am CISS aktiv.

Anders noch als für ihre Eltern, die sich in der Friedensbewegung engagierten, steht für Stumbaum fest, dass man Soldaten braucht, um den Frieden zu bewahren – in der Hoffnung, sie am Ende eben nicht zu brauchen. Seit 2012 ist sie daher auch Oberstleutnant der Reserve bei der Luftwaffe. Zum einen, um Zugang zu Informationen und ein besseres Verständnis für Entscheidungsprozesse in der Bundeswehr zu bekommen; zum anderen auch, um Deutschland für die vielen Möglichkeiten, die sie bekommen hat, “effektiv etwas zurückzugeben”.

Mehr wissen, um besser zu entscheiden

Man muss sich auf einen Krieg vorbereiten, um ihn zu verhindern, sagt Stumbaum, besonders wenn man sich der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) gegenübersieht, die in einem Umfeld der Gewalt entstanden ist. Außerdem müssen wir dringend “mehr über China wissen, um besser entscheiden zu können”, sagt die Sicherheitsexpertin. Dabei gehe es keineswegs darum, die Politik der KPCh zu rechtfertigen – sondern darum, chinesische Entscheidungen nachvollziehen zu können.

In China gebe es zum Beispiel keine Unterscheidung zwischen einer zivilen oder militärischen Nutzung von Technologie wie hierzulande, weswegen der Export von Dual-Use-Gütern genau zu überprüfen sei. Andererseits müsse man auch genau zwischen der zivilen Bevölkerung in China und dem Willen der KPCh trennen. An ihrem neuen Posten am CISS will Stumbaum diese Expertise aufbauen, unter anderem mit nachrichtendienstlichen Studien und militärischen Planspielen. Diese soll als Business Intelligence auch für deutsche Unternehmen verfügbar gemacht werden.

Dabei sei es wichtig, die deutschen Interessen von vornherein zu definieren und die Naivität gegenüber der KPCh abzulegen. Denn spätestens seit 2012 – mit den Exportbeschränkungen für Seltene Erden seitens China gegenüber Japan und der Veröffentlichung des Dokuments Nr. 9 im Jahr darauf – sei zunehmend klargeworden, dass vom China unter der KPCh mehr Bedrohungen als Möglichkeiten ausgehen. Clemens Ruben

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Security.Table Redaktion

SECURITY.TABLE REDAKTION

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    ist Deutschland “kriegstüchtig”? An diesem von Verteidigungsminister Boris Pistorius verwendeten Wort hat sich eine neue Diskussion in Deutschland entzündet. Mit einem grundlegenden Missverständnis in dem Disput räumt Thomas Wiegold in seiner Analyse auf und erläutert, worum es eigentlich geht.

    Für mehr Aufmerksamkeit beim Thema Wehrfähigkeit trommelt auch die IG Metall. Die Gewerkschaft plant kommende Woche Aktionen an den Standorten deutscher Rüstungsbetriebe, die nach Meinung der IG Metall mehr Aufträge aus dem Sondervermögen der Bundeswehr bekommen sollten. Es ärgert die Gewerkschaft, dass ausländische Produkte bevorzugt werden. Markus Bickel hat mit dem Vize-Chef der Arbeitnehmervertretung, Jürgen Kerner, gesprochen.    

    Ob ein sehr wichtiges, europäisches Rüstungsprojekt – das Future Combat Air System (FCAS) – scheitert, ist ebenso eine Frage von wirtschaftspolitischen Interessen. Nana Brink berichtet, was da aktuell der Stand ist.

    Und noch ein Hinweis: Falls Sie nicht sowieso schon den kostenfreien Berlin.Table abonniert haben, möchten wir ihn heute sehr empfehlen. Die Kolleginnen und Kollegen beschäftigen sich in der aktuellen Ausgabe mit dem Vizekanzler Robert Habeck, der mit seiner bemerkenswerten Rede gegen den Antisemitismus viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat.  

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    Pistorius und das 100-Milliarden-Missverständnis

    Boris Pistorius fordert eine “kriegstüchtige” Gesellschaft – und verunsichert mit dem Begriff.

    Die Worte, die der Verteidigungsminister am vergangenen Sonntagabend in der ZDF-Sendung “Berlin direkt” gebrauchte, gingen über die üblichen Aussagen zu Haushalt oder Zustand der Bundeswehr weit hinaus. “Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte, und das heißt, wir müssen kriegstüchtig werden, wir müssen wehrhaft sein und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen”, warnte der SPD-Politiker.

    Vor allem der Begriff “kriegstüchtig” schreckte auf. “Das Gerede von der ‘Kriegstüchtigkeit ist überzogen und trifft nicht den richtigen Ton’, kritisierte der Politikwissenschaftler Johannes Varwick im Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter). “Es ist mehr Eigen-PR zur weiteren Erhöhung des Verteidigungshaushalts als eine sachliche Bestandsaufnahme.”

    “Darauf sind wir mental nicht eingestellt.”

    Das allerdings verkennt offensichtlich die Absicht, die Pistorius mit seinen aufrüttelnden Worten verfolgen wollte. In mehreren weiteren Interviews legte der Minister nach. Auch mehr als eineinhalb Jahre nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine werde die “Kriegsgefahr in Europa durch einen Aggressor” unterschätzt, warnte der Minister: “Darauf sind wir mental nicht eingestellt.” Deutschland müsse “in der Lage sein, einen Krieg, einen Abwehrkrieg, einen Verteidigungskrieg führen zu können, damit wir es am Ende nicht müssen”, erläuterte er im Deutschlandfunk.

    Was für die Öffentlichkeit neu und alarmierend klingen mag, hatte Pistorius schon zuvor ebenso deutlich, aber unbeachtet geäußert. “Wir haben keine Streitkräfte, die verteidigungsfähig sind gegenüber einem offensiven Angriffskrieg”, hatte er bei einer Veranstaltung der SPD-Bundestagsfraktion im Februar gewarnt, ein Jahr nach Beginn der russischen Invasion. Besonderen öffentlichen Widerhall fand das nicht. Auch die immer wieder aufflackernde Debatte über eine Reaktivierung der Wehrpflicht wird weniger als Frage nach deutscher Verteidigungsfähigkeit verstanden, sondern als Diskussion über gesellschaftliches Engagement.

    Was er sagt und was er meint

    Pistorius’ großes Problem: Jede Warnung des Verteidigungsministers wird als Forderung des Wehrressorts im Ringen um den nächsten Haushalt verstanden – aber nicht als Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte. Der SPD-Politiker hat, das wurde kaum wahrgenommen, weit mehr gefordert als mehr Geld und mehr Ausrüstung für die Bundeswehr.

    Der Verteidigungsminister “versucht bewusst zu machen, dass sich die Zeiten tatsächlich geändert haben, dass Deutschland eben nicht mehr nur von Freunden umgeben ist und zur Verteidigung bereit sein muss”, sagt Nicole Deitelhoff, Leiterin des Leibniz-Instituts für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt am Main. “Mit dem Signalwort ‘kriegstüchtig’ setzt er dabei auch auf eine bewusste Provokation.”

    Vielleicht auch deshalb, weil die von Bundeskanzler Olaf Scholz im Februar vergangenen Jahres ausgerufene “Zeitenwende” über die Streitkräfte hinaus wenig Wirkung zeigte. Mit dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, mit teuren Bestellungen wie neuen F-35-Kampfjets schien das Wichtigste erledigt zu sein. Doch über die Bundeswehr hinaus fühlten sich in der Gesellschaft wenige zu einer solchen Zeitenwende aufgerufen.

    Falsche Reizworte in einer verunsicherten Gesellschaft

    Dabei ist nicht zu erwarten, dass die gefährliche weltpolitische Lage sich auf den Zustand vor dem russischen Angriffskrieg zurückdrehen lässt. Die Vorbereitung in allen Bereichen des Lebens auf eine Situation, wie sie Westeuropa und damals die Bundesrepublik Deutschland während des Kalten Krieges vor dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes vor Augen hatten, ist kaum ein Thema. Selbst die Jahre der Auslandseinsätze deutscher Streitkräfte haben fast gar nicht dazu geführt, dass sich die Öffentlichkeit mit der Frage auseinandersetzt, wie eine deutsche Sicherheitspolitik eigentlich aussehen soll.

    “Die Politik muss aussprechen, wie sich Deutschland mittel- und langfristig aufstellen will”, sagt die Konfliktforscherin Deitelhoff. “Verteidigungsfähigkeit ernst zu nehmen heißt auch, Prioritäten im Bundeshaushalt anders zu setzen. Das ist eine wichtige Debatte, die wir führen müssen.”

    Allerdings hat Pistorius mit dem Reizwort “kriegstüchtig” nicht unbedingt den richtigen Ton getroffen. “Das ist ein Reizwort, das auf eine Gesellschaft trifft, die ohnehin Angst hat angesichts von Krieg gegen die Ukraine, der Gefahr einer nuklearen Eskalation und jetzt auch noch des Kriegs im Nahen Osten”, warnt Deitelhoff. “Das hat er ein bisschen verkannt.” Damit die vom Verteidigungsminister angeschobene Debatte nicht wieder folgenlos verpufft, sollten jetzt andere Regierungsmitglieder einspringen: “Vielleicht würde das was bringen.”

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    IG-Metall-Vorsitzender Kerner lehnt Kriegsproduktion als “zu martialisch” ab

    Jürgen Kerner IG Metall Vorsitzender

    Der Zweite IG-Metall-Vorsitzende Jürgen Kerner spricht sich gegen die Einführung einer Kriegsproduktion in Deutschland aus. “Ich halte diesen Begriff der Kriegsproduktion für zu martialisch”, sagte er im Interview mit Table.Media. Zugleich forderte er die Ampel zu einer stärkeren Standortpolitik für die militärische Luftfahrtindustrie in Deutschland auf. “Um sich selbst verteidigen zu können, muss man eben auch in der Lage sein, die Ausrüstung dafür in Deutschland und in Europa herzustellen.”

    Rund 23.000 der etwa 100.000 Beschäftigten der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie sind im militärischen Teil der Branche tätig. Die IG Metall macht ab kommenden Montag mit einer “Aktionswoche für unsere Sicherheit” auf die Lage der Branche aufmerksam, die vom Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) vertreten wird. Kerner forderte die Arbeitgeberseite auf, “der Politik nicht länger Produkte zu verkaufen, die noch nicht richtig ausgereift” seien. “Zur neuen Ehrlichkeit der Zeitenwende gehört eine neue Qualität seitens der Industrie dazu”, so Kerner, der auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall im Oktober erstmals in den Vorstand der größten Einzelgewerkschaft Deutschlands gewählt wurde. Er beobachte “eine Offenheit” für das Thema, die es erlaube zu diskutieren, “wie wir Kern-Know-How in der militärischen Luftfahrtindustrie erhalten wollen”.

    Die IG Metall kritisiert, dass vom Sondervermögen Bundeswehr Dutzende Milliarden Euro für Aufträge in die US-Rüstungsindustrie flössen, insbesondere in den Kauf des F-35-Kampffliegers. “Gerade im Verhältnis mit Verbündeten muss man fragen, ob es nicht besser ist, auf dem eigenen Kontinent zu produzieren und zu kaufen, statt Schlüsselindustrien versanden zu lassen”, kritisierte Kerner. mrb

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    Deutschland dementiert Rückzugspläne bei FCAS

    Großbritannien, Japan und Italien haben Mitte der Woche in Rom angekündigt, zum Ende des Jahres einen Vertrag zur Entwicklung des Global Combat Air Programme (GCAP) zu unterzeichnen. Nach dem Treffen erklärte Italiens Verteidigungsminister Guido Crosetto, GCAP werde ein “trinationales Projekt sein, das Kosten und Vorteile gleich aufteilt”. Einem Bericht der britischen Times zufolge könnte sich Deutschland an dem Projekt beteiligen.

    GCAP – früher unter dem Namen Tempest bekannt – soll den Eurofighter Typhoon ablösen und den Kampfjet der sechsten Generation entwickeln. Es gilt als Konkurrenzprojekt zum deutsch-französisch-spanischen Future Combat Air System (FCAS). Zwischen Deutschland und Frankreich hatte es in der Vergangenheit große Differenzen über die Arbeitsteilung gegeben. Laut der Times erwäge Bundeskanzler Olaf Scholz einen Ausstieg aus FCAS, da er keinen Sinn in der parallelen Entwicklung von zwei ähnlichen Systemen in Europa sähe.

    Airbus Defence and Space, der deutsche Rüstungspartner von FCAS, hat sich bislang zu den veröffentlichten Spekulationen über einen Austritt Deutschland aus dem Projekt nicht geäußert. Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums dementierte gegenüber Table.Media solche Pläne. “Deutschland hält am gemeinsamen Projekt mit Frankreich und Spanien fest. Medienberichte dahingehend, dass Deutschland aussteigt, sind falsch.”

    Aus der französischen Botschaft in Berlin kommen kritische Töne. Sollte das stimmen, wäre es “ein Aukus für FCAS”, heißt es auf Nachfrage von Table.Media. 2021 hatte Australien kurzfristig ein lukratives U-Boot-Geschäft mit Frankreich aufgekündigt und war stattdessen das Sicherheitsbündnis Aukus, das als Akronym für die Partnerländer Australien, Vereinigtes Königreich und USA steht, eingegangen. Großer Profiteur waren die Briten.

    Bei FCAS drangen zuletzt eher harmonische Signale nach außen. Erst letzte Woche hat das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) einen sogenannten nationalen Studienvertrag in Höhe von 260 Millionen Euro unterzeichnet. Das BAAINBw beauftragte damit unter anderem Airbus Defence and Space, die technologischen Herausforderungen eines vernetzten Systems wie FCAS zu erforschen.

    Die Spekulationen über das Ende von FCAS deuten darüber hinaus auf einen heftigen Konkurrenzkampf im europäischen Rüstungssektor hin. Grund hierfür sind nicht allein die neuen Kampfjet-Systeme FCAS und GCAP, sondern der Export von Eurofightern nach Saudi-Arabien. Großbritannien möchte 48 Stück vom Typ “Typhoon”, der von Deutschland, Großbritannien, Spanien und Italien hergestellt wird, liefern. Deutschland hat dies bislang blockiert. Laut Times würde Deutschland dem Eurofighter-Export im Gegenzug zu einer Aufnahme in das GCAP zustimmen. nana/bub

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    Rüstungsexportkontrollgesetz: Noch kein Eckpunktepapier, aber Giegold ist optimistisch

    Der für die Ausarbeitung des Rüstungsexportkontrollgesetzes zuständige Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klima, Sven Giegold, hat gestern Vertreter von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und aus der Wissenschaft über den Stand des Gesetzes informiert. Das Gesetz soll erstmals die Rüstungsexportkontrolle der Bundesregierung gesetzlich festschreiben.

    Nach Informationen von Teilnehmenden habe sich Giegold durchaus optimistisch gegeben, dass das im Koalitionsvertrag vorgesehene Gesetz kommen werde. Auf ein Datum, wann das deutlich hinter dem Zeitplan liegende Vorhaben fertig sei – die Eckpunkte für das Gesetz sollten von den Ministerien bereits Anfang des Jahres finalisiert sein – habe er sich aber nicht festlegen wollen.

    Zwischen den Ministerien gebe es Uneinigkeit, wohl über den Grad der Europäisierung der deutschen Exportpolitik. Deshalb sei auch noch kein Eckpunktepapier fertig. Die deutsche Exportpolitik ist restriktiver als die von europäischen Partnern wie Frankreich oder Großbritannien. Mehrere der rund 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmer hätten darauf hingewiesen, dass es wegen der größer werdenden Zahl internationaler Konflikte eine große Notwendigkeit für ein solches Gesetz gebe. Besonders NGOs hatten sich in den letzten Jahren für ein Rüstungsexportkontrollgesetz engagiert.

    Die deutsche Rüstungsindustrie drängt auf eine Lockerung der Exportpolitik. Auch ausländische Partner üben Druck aus. So soll Großbritannien vehement von der Bundesregierung fordern, den Export der gemeinsam produzierten Eurofighter-Kampfjets nach Saudi-Arabien zu genehmigen. bub  

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    Ransomware-Angriffe und Missbrauch von KI derzeit größte Bedrohungen

    Claudia Plattner, Präsidentin des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik BSI, und Nancy Faeser SPD, Bundesministerin des Inneren und für Heimat.

    Die Bedrohungslage bei der IT-Sicherheit ist groß wie nie zuvor – und könnte durch Missbrauch von KI weiter ansteigen. Angriffe mit Ransomware stellen momentan das größte Sicherheitsrisiko dar. So beschreibt es der aktuelle Lagebericht vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Claudia Plattner, seit Juli als BSI-Präsidentin im Amt, stellten ihn am Donnerstagmorgen gemeinsam vor und sahen akuten Handlungsbedarf.

    Es brauche eine strategische Neuaufstellung für mehr Cybersicherheit. Wichtig sei vor allem eine geregelte Zusammenarbeit zwischen BSI und Ländern, vergleichbar etwa dem Verhältnis von BKA und Landespolizeien. Laut Koalitionsvertrag soll das BSI eine bundesweite Zentralstelle für Cybersicherheit werden. Und das “alleine schon, um ein bundeseinheitliches Lagebild zu erstellen”, sagt BSI-Präsidentin Plattner. Es brauche eines, nicht 17 Lagebilder. Doch bislang konnte Bundesinnenministerin Faeser ihre Amtskollegen in den Ländern nicht von der dafür notwendigen Grundgesetzänderung überzeugen. Aus der Wirtschaft kommt Zustimmung für den Plan: “Cyberkriminalität orientiert sich nicht an unseren föderalen Strukturen”, meint Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst. Er plädiert zudem für mehr Präsenz von Polizei und Strafverfolgungsbehörden im Cyberraum und eine passende Ausstattung der Behörden.

    Problematisch ist laut Bericht auch die wachsende Professionalisierung der Angriffe. Ransomware könne beispielsweise ganze Wertschöpfungsketten beeinträchtigen. Cyberspionage diene oft politischer und gesellschaftlicher Einflussnahme. Durch Missbrauch von KI-Anwendungen, zum Beispiel um gefälschte Texte, Stimmen oder Bildmaterial zu schaffen, steige die Gefahr von Desinformation und Fake News.

    Ein Viertel mehr Sicherheitslücken als im Vorjahr

    Zwischen Juni letzten und Juli dieses Jahres registrierte das BSI täglich rund 250.000 neue Varianten von Schadprogrammen, sowie 70 neue Sicherheitslücken pro Tag, von denen jede zweite als hoch oder kritisch eingestuft wird – eine Steigerung von 24 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Plattner will dem wachsenden Problem unter anderem dadurch entgegenwirken, dass möglichst früh in der Lieferkette von Software oder Produkten mit digitalen Elementen besser auf Cybersicherheit geachtet wird – Angriffe hier würden deutlich zunehmen.

    Plattner, die findet, Deutschland müsse sich als Cybernation verstehen, betonte nachdrücklich, sie wolle so viele Sicherheitslücken wie möglich so schnell wie möglich schließen. “Für mich sind Hintertüren nicht akzeptabel, egal von wem”, so die BSI-Präsidentin. Die Innenministerin entgegnete, es gebe durchaus hochsensible Bereiche, für die es Ausnahmen brauche, “das will ich in aller Deutlichkeit für die Sicherheitsbehörden sagen.”

    Kritik an den Ergebnissen des Berichts kam aus der Opposition: “Bei der Frage nach einer aktiven Cyberabwehr darf sich die Ampel nicht mehr aufgrund interner Streitereien wegducken und sich lediglich in einen wachsweichen Prüfauftrag flüchten”, so der digitalpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Reinhard Brandl. Und auch vom Koalitionspartner Grüne heißt es: “Echte politische Handlungen sind überfällig.” Und: “Das Kritis-Dachgesetz muss schnellstmöglich kommen.” asc

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    Erster “KI-Sicherheits-Gipfel” in Großbritannien: Wettrennen um globale Regulierung

    Bei der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) rückt zunehmend die Frage nach einer globalen Regulierung ins Zentrum – und hier wollen die USA die führende Rolle einnehmen. Davon zeugte der erste “AI Safety Summit” am 1. und 2. November, den der britische Premierminister Rishi Sunak ins Leben gerufen hatte.

    Zum Abschluss der Konferenz verkündete Sunak, dass sich mehrere teilnehmende Staaten darauf verständigt hätten, neue Formen von KI künftig staatlich zu testen. Zu der Gruppe gehörten die USA, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Japan und die EU. China, das durch den Vizeminister für Technologie, Wu Zhaohui, repräsentiert war, zählte nicht dazu.

    Zuvor hatten hochrangige Vertreter von 27 Staaten und der EU die “Bletchley Declaration” verabschiedet, die auf die Chancen, aber auch auf die Gefahren von KI hinweist: Diese habe das Potenzial, “ernsthaften, wenn nicht gar katastrophalen Schaden anzurichten”. Alle Unterzeichner bekräftigen die Notwendigkeit, diesen Gefahren durch internationale Zusammenarbeit begegnen zu wollen. Zu den Teilnehmern des Gipfels gehörten US-Vizepräsidentin Kamala Harris sowie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.

    Insbesondere potenziell militärische Anwendungen von KI bereiten Regierungen in aller Welt Sorgen. Sie veranlassten die US-Regierung zu Schritten, um China vom Zugang zu hochleistungsfähigen Computerchips der neuesten Generation abzuschneiden.

    USA und China investieren hohe Summen in die Forschung

    Das “Wettrennen” um die stärkste KI wird, gemessen an Investitionen, vor allem von den USA und China bestritten. Andere Staaten hinken weit hinterher. Laut einer Studie des International Institute for Strategic Studies (IISS) betrugen die Investition in KI zwischen 2012 und 2022 in den USA 361 Milliarden US-Dollar, in China etwa 198 Milliarden Dollar und in Großbritannien 25 Milliarden Dollar. Deutschland lag mit 16,8 Milliarden Dollar auf Rang vier.

    Den Gipfel in Großbritannien nutzte US-Handelsministerin Gina Raimondo, um die Gründung eines amerikanischen Instituts für KI-Sicherheit anzukündigen. Zuvor hatte bereits Sunaks Regierung Pläne bekannt gegeben, ein internationales “AI Safety Institute” aufbauen zu wollen.

    Mit einer Exekutivorder für “sichere, vertrauenswürdige KI” hatte US-Präsident Joe Biden jüngst deutlich gemacht, dass die USA nicht nur bei Forschung, Entwicklung und Anwendung, sondern auch bei der Regulierung von KI weltweiter Vorreiter bleiben wollen. Diese Botschaft bekräftigen amerikanische Vertreter in Bletchley Park, wo während des Zweiten Weltkriegs Forschende, darunter der Mathematiker und Computerpionier Alan Turing, den geheimen Nachrichtenverkehr der Wehrmacht entschlüsselten. hh

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    Mit Munition aus Nordkorea sichert Russland den Status quo an der Front

    Die Befürchtungen scheinen sich zu bewahrheiten: Weil Russland zu wenige eigene Kapazitäten für die Herstellung von Artilleriegeschossen hat, importiert es Munition im großen Stil aus Nordkorea. Mehr als eine Million Artilleriegeschosse soll Pjöngjang in den vergangenen drei Monaten bereits an Moskau geliefert haben. Die Informationen gehen auf den südkoreanischen Geheimdienst zurück, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg. Laut dem Bericht setzt die russische Armee die nordkoreanischen Geschosse bereits ein.  

    Deutliche Hinweise für diese Lieferungen brachten auch Satellitenaufnahmen vom nordkoreanisch-russischen Grenzübergang mit einer Bahnverbindung nahe Tumangang. Die Bilder zeigten große Geschäftigkeit und eine Erweiterung der Anlage. Ebenso soll der Wasserweg für den Transport von Munition aus Nordkorea nach Russland genutzt werden, berichtete das Royal United Services Institute (Rusi) bereits Mitte Oktober. Moskau soll für die Waffenhilfe Geld und Technologiehilfe für militärische Zwecke sowie Hilfe beim Starten von Satelliten angeboten haben.

    Der Nachschub für die Artillerie verschafft Russland einen Vorteil an der Front in der Ukraine. Erst Anfang Oktober hatten Nato-Vertreter darauf hingewiesen, dass es inzwischen zu einem Munitionsmangel in den Depots der Bündnismitglieder komme. Laut dem ukrainischen Oberkommandierenden Walerij Saluschnyj steuern die Ukraine und Russland zudem auf einen Stellungskrieg zu, wie er diese Woche im Interview mit dem Economist sagte. In fünf Monaten Offensive war es der Ukraine gelungen, 17 Kilometer vorzurücken. Mit viel neuer Artilleriemunition und wegen großflächiger Minenfelder, sowie einsetzender Regenperiode dürfte es Russland vorerst schaffen, den Status quo an der Front zu halten. vf

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    Nach Minusma-Abzug – Aufständische Tuareg nehmen zentralen Stützpunkt in Nordmali ein

    UN Soldat

    In Mali haben aufständische Tuareg nach eigenen Angaben den ehemaligen Stützpunkt der United Nations Multidimensional Integrated Stabilisation Mission in Mali (Minusma) in Kidal eingenommen. Es war einer der wichtigsten Standorte der UN-Mission. Die malische Militärregierung von General Assimi Goita, die sich 2021 an die Macht geputscht hatte, warf der Minusma vor, den Stützpunkt nicht wie abgesprochen übergeben zu haben. In regierungsnahen lokalen Medien war von einem “Verrat” der internationalen Truppen die Rede. 

    Kidal befindet sich rund 350 Kilometer vom Camp der Bundeswehr in Gao entfernt. Die Bundeswehr teilte auf Anfrage von Table.Media mit, das deutsche Einsatzkontingent in Gao sei nicht von Kampfhandlungen betroffen. Inwiefern sich die aktuellen Entwicklungen auf die Rückverlegung auswirken könnten, sei noch nicht absehbar.

    Die Minusma zog sich vor dem Hintergrund der verschärften Sicherheitslage zwei Wochen früher als ursprünglich geplant aus Kidal zurück. Acht UN-Soldaten wurden laut Minusma verwundet, als der Konvoi auf dem Weg nach Gao auf eine Mine fuhr.

    Die UN hat damit acht ihrer 13 Basen in Mali geräumt. “Die Bedingungen für den Abzug aus all diesen Stützpunkten waren äußerst schwierig”, hieß es in einer Mitteilung der Minusma. Die malische Regierung hatte weder für den Minusma-Abzug aus Kidal, noch für den Minusma-Abzug aus den Basen in Aguelhok und Tessalit den Luftweg erlaubt. Die Minusma zerstörte nach eigenen Angaben zahlreiches sensibles militärisches Material, da es für einen Transportkonvoi ebenfalls keine Erlaubnis gegeben habe.

    Die Stadt Kidal gilt als Hochburg der bewaffneten Gruppen, die bereits 2012 die Unabhängigkeit von der Zentralregierung in Bamako wollten und 2015 einen Friedensvertrag unterzeichnet haben. “Mit Blick auf den Abzug der Minusma aus Mali war Kidal immer einer der schwierigsten Punkte. Wir haben gesehen, wie die Übergangsregierung beziehungsweise das malische Militär versucht haben, jedes freiwerdende Camp direkt mit Truppen zu besetzen oftmals im Konflikt mit den bewaffneten Gruppen im Norden”, so Christian Klatt, Leiter der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung gegenüber Table.Media. lw

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    Presseschau

    The New York Times: Does a 2-State Solution, Long Discounted, Still Have a Future? US-Präsident Joe Biden spricht sich dafür aus, Rishi Sunak und Emmanuel Macron ebenfalls: die Zweistaatenlösung – wenn auch nur, weil eine realisierbare Alternative fehlt. In dem Beitrag kommen Diplomaten zu Wort, die glauben, dass der Krieg im Gazastreifen der dreißig Jahre alten Idee neues Leben einhauchen könnte.

    Dernières Nouvelles d’ Alsace (DNA): “Die Offensive kann nicht länger als zwei Monate dauern.” Der israelische Einmarsch im Gazastreifen dürfte sehr verlustreich für beide Seiten werden, sagt der französische Historiker Michel Goya, ehemals Oberst der Marinetruppen.

    Meduza: “Even a broken clock is right twice a day.” Russland Krieg gegen die Ukraine begleiten viele Telegram-Propagandisten. Einige stehen dem Verteidigungsministerium oder russischen Politikern nahe, andere sind privat. Einer, der sich die Mühe macht, die Propaganda-Flut zu analysieren, ist Iwan Fillipow. Dem russischen Exil-Medium Meduza hat er erklärt, welche wichtigen Informationen er darin findet und welches Risiko die Kriegsbefürworter für den Kreml selbst darstellen.

    Die Zeit: Israel – Jetzt eine Waffenruhe wäre ein Unrecht. Die UN-Generalversammlung verabschiedete vorige Woche mit Zweidrittelmehrheit eine Resolution zum Krieg im Gazastreifen, die eine humanitäre Waffenruhe fordert. Während es richtig sei, von Israel die Einhaltung des Kriegsvölkerrechts zu erwarten, ziele die Forderung nach einem Waffenstillstand darauf, das Land wehrlos zu machen, findet Jan Roß.

    Heads

    May-Britt Stumbaum – Sicherheitsexpertin mit Mathe-Talent

    May-Britt Stumbaum forscht am Center for Intelligence and Security Studies (CISS) der Universität der Bundeswehr München. Sie ist Expertin für den Indopazifik mit Schwerpunkt auf China.

    Auf die Frage, warum sie sich für Sicherheitspolitik interessiert, antwortet May-Britt Stumbaum mit einem Lächeln: “Ich war immer recht gut in Mathe.” Worauf Stumbaum anspielt: Als sie Anfang der 1980-er Jahre zur Grundschule geht, müssen die Schüler regelmäßig Evakuierungsübungen für den atomaren Notfall mitmachen. Doch bei 1.200 Schülern und nur 100 verfügbaren Plätzen im Atombunker “war schnell klar, dass nicht alle hineinpassen würden”, sagt Stumbaum. Ein Anstoß, aus dem sich mit der Zeit eine Faszination für Politik und für die Frage entwickelt, die sie noch heute beschäftigt: warum Menschen welche Entscheidungen treffen. Ihr Interesse führte sie schließlich an das Center for Intelligence and Security Studies (CISS) der Bundeswehr Universität München.

    Stumbaum studiert zunächst Politikwissenschaft und European Studies, bevor sie von 2002 bis 2008 zur Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) geht. Dort verbindet die Wissenschaftlerin ihre Interessen für Asien und für Sicherheitspolitik miteinander. Nach ihrer Promotion zieht es sie für ihren Postdoc weiter nach Harvard, auch weil sicherheitspolitische Aspekte bis vor wenigen Jahren in der Forschung in Europa nur schwer unterzubringen waren. Seitdem arbeitete sie in einer Reihe renommierter Thinktanks und Forschungsgruppen und ist nun seit März 2023 am CISS aktiv.

    Anders noch als für ihre Eltern, die sich in der Friedensbewegung engagierten, steht für Stumbaum fest, dass man Soldaten braucht, um den Frieden zu bewahren – in der Hoffnung, sie am Ende eben nicht zu brauchen. Seit 2012 ist sie daher auch Oberstleutnant der Reserve bei der Luftwaffe. Zum einen, um Zugang zu Informationen und ein besseres Verständnis für Entscheidungsprozesse in der Bundeswehr zu bekommen; zum anderen auch, um Deutschland für die vielen Möglichkeiten, die sie bekommen hat, “effektiv etwas zurückzugeben”.

    Mehr wissen, um besser zu entscheiden

    Man muss sich auf einen Krieg vorbereiten, um ihn zu verhindern, sagt Stumbaum, besonders wenn man sich der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) gegenübersieht, die in einem Umfeld der Gewalt entstanden ist. Außerdem müssen wir dringend “mehr über China wissen, um besser entscheiden zu können”, sagt die Sicherheitsexpertin. Dabei gehe es keineswegs darum, die Politik der KPCh zu rechtfertigen – sondern darum, chinesische Entscheidungen nachvollziehen zu können.

    In China gebe es zum Beispiel keine Unterscheidung zwischen einer zivilen oder militärischen Nutzung von Technologie wie hierzulande, weswegen der Export von Dual-Use-Gütern genau zu überprüfen sei. Andererseits müsse man auch genau zwischen der zivilen Bevölkerung in China und dem Willen der KPCh trennen. An ihrem neuen Posten am CISS will Stumbaum diese Expertise aufbauen, unter anderem mit nachrichtendienstlichen Studien und militärischen Planspielen. Diese soll als Business Intelligence auch für deutsche Unternehmen verfügbar gemacht werden.

    Dabei sei es wichtig, die deutschen Interessen von vornherein zu definieren und die Naivität gegenüber der KPCh abzulegen. Denn spätestens seit 2012 – mit den Exportbeschränkungen für Seltene Erden seitens China gegenüber Japan und der Veröffentlichung des Dokuments Nr. 9 im Jahr darauf – sei zunehmend klargeworden, dass vom China unter der KPCh mehr Bedrohungen als Möglichkeiten ausgehen. Clemens Ruben

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    Security.Table Redaktion

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