Bei einem Terroranschlag auf eine Konzerthalle am Stadtrand von Moskau sind weit über 100 Menschen getötet worden. Die Opfer sind erschossen worden oder starben infolge des Brandes, sagte die Sprecherin des russischen Ermittlungskomitees. Die unbekannten Bewaffneten, die am Vorabend vor einem Rockkonzert in dem Veranstaltungszentrum Crocus City Hall wild um sich geschossen hatten, waren auf der Flucht. Inzwischen sind nach russischen Angaben elf Menschen festgenommen worden.
Präsident Wladimir Putin hat eine Bestrafung der Täter angekündigt und eine Verbindung zur Ukraine gezogen. Wer auch immer diesen Anschlag angeordnet habe, werde zur Rechenschaft gezogen, sagte Putin am Samstag in einer Ansprache an die Nation. Alle vier Attentäter seien gefasst worden. Sie hätten versucht, Richtung Ukraine zu entkommen. Erste Informationen deuteten darauf hin, dass einige Personen auf ukrainischer Seite eine Gelegenheit vorbereitet hätten, um sie von Russland aus über die Grenze zu lassen. Putin sprach vom „internationalen Terrorismus“, der bekämpft werden müsse. Auf Kreml-treuen Kriegspropaganda-Kanälen auf Telegram wird die Ukraine direkt verantwortlich gemacht. Die Ukraine bestritt jegliche Beteiligung oder Verwicklung.
Die IS-Miliz veröffentlichte am Samstag ein Foto, das die vier Attentäter zeigen soll. Der Anschlag stehe im Zusammenhang mit dem „tobenden Krieg“ zwischen dem Islamischen Staat und den Ländern, die den Islam bekämpften, teilte die Nachrichtenagentur Amak, das Sprachrohr der IS-Miliz, auf dem Kurznachrichtendienst Telegram mit. Russland hatte sich 2015 in den syrischen Bürgerkrieg eingeschaltet, um Präsident Baschar al-Assad gegen die Opposition und auch gegen die IS-Miliz zu unterstützen. Terrorexperte Peter Neumann vom King’s College in London hält das Bekennerschreiben für echt. Das bestätigte Neumann auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. „Die Bekennernachricht lief über alle offiziellen IS-Kanäle. Ich und meine Kollegen können das 100%ig bestätigen“, schrieb Neumann zudem auf X. Es gebe „bereits massenweise Fake-News – vermutlich, um das Narrativ zu spinnen, die Ukraine sei für Anschlag verantwortlich“, schrieb Neumann.
Wie die Männer in Tarnuniform und schwer bewaffnet in die Konzerthalle gelangen konnten, war ebenfalls unklar. Die russische Hauptstadt Moskau gilt mit einem Großaufgebot an Sicherheitskräften, mit Überwachungskameras und Metalldetektoren an vielen Stellen als sichere Stadt. Daher warnen kritische Kreml-Beobachter vor leichtfertiger Übernahme der offiziellen Informationen.
Es stellten sich zu viele Fragen, etwa, wie die Attentäter in einer so stark überwachten Stadt unbehelligt in die Konzerthalle eindringen und nach dem Anschlag in einem Kleinwagen 350 Kilometer flüchten konnten, bevor einige von ihnen in der Region Brjanks festgenommen wurden. Alexey Yusopov, Leiter des Russlandprogramms der Friedrich-Ebert-Stiftung, schrieb auf X: „Der Terroranschlag schadet dem Regime mehr als er nützt. Der Kreml braucht nichts, um weitere interne Repressionen oder externe Aggressionen zu rechtfertigen. Aber es braucht auch nicht noch einen weiteren unübersehbaren Beweis für seine Kontrollüberdehnung – mit der Fokussierung auf Regimekritiker, Sabotage, Ukraine-Sympathisanten versäumt es, auf Prigoschin zu reagieren, versäumt es, auf einen solchen Anschlag mit geeigneten Kräften zu reagieren, versäumt es, die Angreifer zu fassen.“
Die in sozialen und russischen Medien verbreiteten Informationen, wonach es sich bei den Verdächtigen um tadschikische Staatsbürger handelten, wurden von der tadschikischen Vertretung in Russland infrage gestellt. Zwei der von russischen Medien namentlich genannten Verdächtigen würden sich in Tadschikistan befinden, das tadschikische Außenministerium veröffentlichte Bilder der beiden Männer, die ihre Personalausweise in die Kamera halten. Bis Samstagnachmittag Moskauer Zeit lagen somit keine zuverlässigen Informationen über die Herkunft der Festgenommen vor.
Die Geheimdienste der USA und anderer westlicher Länder hatten aber Anfang März vor einem drohenden Anschlag gewarnt. Präsident Wladimir Putin tat dies nach seiner Wiederwahl am vergangenen Sonntag als westliche Provokation ab.
Als die Schüsse fielen, rannten die Besucher in dem riesigen Veranstaltungszentrum um ihr Leben, wie Videos zeigten. Zu sehen waren auch einzelne auf dem Boden liegende Tote oder Verletzte. Nach Augenzeugenberichten in sozialen Medien brauchten viele Besucher von Crocus City Hall lange, um aus dem Gebäude herauszukommen. Die Ermittler fanden später Waffen und viel Munition. Tütenweise sammelten die Behördenmitarbeiter leere Patronenhülsen ein.
Bei dem Anschlag geriet das Gebäude auch in Brand. Das russische Zivilschutzministerium nannte eine Fläche von 13 000 Quadratmetern, die in Flammen standen. Löschhubschrauber waren im Einsatz. Das Dach soll eingestürzt sein. In der Crocus City Hall gibt es mehrere Veranstaltungssäle, die auch für Messen genutzt werden. Es ist eine der beliebtesten Freizeitstätten für die Moskauer und die Menschen im Umland der russischen Hauptstadt. Immer wieder sind dort auch Stars aufgetreten. Am Freitagabend hätte es ein Konzert der russischen Rockband Piknik geben sollen.
Die Chefin des Föderationsrats, dem Oberhaus des russischen Parlaments, Valentina Matwijenko, drohte den Drahtziehern des Anschlags mit Vergeltung. „Diejenigen, die hinter diesem fürchterlichen Verbrechen stehen, werden die verdiente und unausweichliche Strafe dafür erhalten“, schrieb sie auf ihrem Telegram-Kanal. Der Staat werde zugleich alles tun, um den Hinterbliebenen zu helfen, kündigte sie an.
Das ukrainische Außenministerium wies den Verdacht einer ukrainischen Verwicklung zurück. Die USA mahnten in einer ersten Reaktion ebenfalls an, keinen Zusammenhang mit der Ukraine herzustellen. „Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Ukraine oder Ukrainer mit den Schüssen zu tun hatten“, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, in Washington. Man könne bisher nicht viel zu den Details mitteilen, rate aber zu diesem frühen Zeitpunkt eindringlich von der Annahme ab, dass es eine Verbindung zur Ukraine gebe.
Auf diese Äußerung aus Washington reagierte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, empört. Es sei vorschnell von den USA, die Ukraine zu entlasten, sagte sie im russischen Fernsehen. „Wenn die USA oder ein anderes Land verlässliche Fakten hat, sollten sie diese der russischen Seite zukommen lassen.“ Wenn es solche Fakten nicht gebe, hätten weder das Weiße Haus noch sonst jemand das Recht, vorab eine Absolution zu erteilen, sagte Sacharowa. dpa/rtr/mw/vf