Analyse
Erscheinungsdatum: 11. März 2024

Russlands Ukraine-Krieg hat gravierende Klimaauswirkungen – zerstörte Infrastruktur und Gebäude haben den größten Anteil an den Emissionen

Über die Klima- und Umweltauswirkungen des russischen Angriffskriegs wird wenig gesprochen. Dabei betreffen sie die ganze Welt.

Militär, Aufrüstung und Flucht dominieren die Berichterstattung über Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Andere Folgen finden bisher kaum Beachtung: die Belastung der Umwelt und die Auswirkungen auf das weltweite Klima.

Lennard de Klerk will das ändern. Er ist Klimaforscher und Hauptautor der halbjährlich erscheinenden Studie „Climate Damage Caused by Russia’s War in Ukraine“. Er und sein Team aus internationalen Forschenden schlüsseln darin Klimaschäden und Treibhausgasemissionen des Krieges auf. Diese sind enorm.

De Klerks Team geht davon aus, dass der Krieg in den vergangenen zwei Jahren für 180 bis 200 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent verantwortlich war. Das ukrainische Ministerium für Umweltschutz und natürliche Ressourcen rechnet mit 150 Millionen Tonnen – mehr als doppelt so viel wie Belgien in einem Jahr verursacht und ein Fünftel der jährlichen Emissionen Deutschlands.

Die Emissionen lassen sich nicht allein auf die unmittelbare Kriegsführung zurückführen. „Panzer, Fahrzeuge und Flieger verursachen zwar Emissionen, aber machen schlussendlich nur ein Viertel des Gesamtausstoßes aus“, erklärt de Klerk im Gespräch mit Table.Briefings. Wesentlich sind zum Beispiel auch Feuer nahe der Frontlinie, die 15 Prozent des Ausstoßes ausmachen.

Doch auch indirekte, weniger offensichtliche Faktoren haben Einfluss. Da wären zum Beispiel Flugumleitungen, nachdem Russland den sibirischen Luftraum sperrte und auch der ukrainische Luftraum für den kommerziellen Verkehr geschlossen wurde. Diese führen zu längeren Flugrouten und höheren Treibhausgasemissionen, die mit zwölf Prozent des Gesamtausstoßes zu Buche schlagen. De Klerks Team bezog zudem die Sabotage an den Erdgaspipelines Nord Stream 1 und 2 im September 2022 in seine Berechnungen mit ein – zehn Prozent der gesamten Emissionen. Fluchtbewegungen verursachen zusätzliche zwei Prozent.

Den größten Anteil der Emissionen – etwa 55 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent – macht aber aus, was größtenteils noch in der Zukunft liegt: der Wiederaufbau der zerstörten Häuser, Infrastrukturen und Industrieanlagen, Transportsysteme, Energie- und Landwirtschaftsanlagen.

Neben den direkten Emissionen verursacht der Krieg auch indirekte: „Konflikte tragen zur Militarisierung anderer Länder und einer weltweiten Aufrüstung bei, die ebenfalls Treibhausgase verursacht. Und sie verhindern, dass ein Land sich auf eine wirkungsvolle Klimapolitik konzentrieren kann“, erläutert de Klerk.

Das bestätigt auch das ukrainische Ministerium für Umweltschutz und natürliche Ressourcen. „Die effektive Umsetzung der staatlichen Klimapolitik wird durch die negativen Folgen des Krieges erschwert“, antwortet das Ministerium auf Anfrage von Table.Briefings. Finanzielle Mittel, die für Umwelt- und Klimaschutz vorgesehen waren, seien anderweitig gebunden.

Der Krieg verursacht zudem verheerende Auswirkungen auf die Umwelt. Er zerstöre ganze Ökosysteme, berichtet das ukrainische Ministerium, was die betroffenen Gebiete und die darin lebenden Menschen anfälliger für Auswirkungen des Klimawandels wie Hitze oder Extremwetterereignisse mache.

Insgesamt dokumentierte das Ministerium in den vergangenen zwei Jahren 4.000 Fälle von Umweltschäden, deren Kosten sich auf umgerechnet 52 Milliarden Euro belaufen. Den Großteil davon, nämlich 28 Milliarden Euro, macht die Verschmutzung von Luft aus, knapp 24 Milliarden Euro die Verunreinigung von Böden. Zudem werden seltene Tier- und Pflanzenarten vernichtet – darunter solche, die im Roten Buch der Ukraine, einer offiziellen Liste gesetzlich geschützter Tiere, Pflanzen und Pilze, aufgeführt sind.

Auch das Center for Environmental Initiatives Ecoaction, eine zivilgesellschaftliche Umweltschutzorganisation, behält durch den Krieg verursachte Umweltschäden im Blick. Die Forschenden registrierten in den vergangenen zwei Jahren mehr als 1.500 Fälle. Die gravierendsten waren die Sprengung des Kachowka- Staudamms im Juni 2023, die Besetzung der Sperrzone von Tschernobyl und des Kernkraftwerks Saporischschja, bei der sämtliche Sicherheitsvorschriften missachtet wurden, und die Flutung von Bergwerken im Donbas, die zu Grundwasserverseuchung und Bodenabsenkung führten.

Dennoch bleibt die Ukraine gewillt, Klima- und Umweltschutzmaßnahmen umzusetzen – auch, weil Politiker wissen, dass eine effektive Klimapolitik maßgeblich für eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union sein könnte. „Wir haben einen Entwurf für eine Strategie zur Entwicklung und Umsetzung der staatlichen Klimapolitik bis 2035 und einen operativen Aktionsplan mit klar definierten Aufgaben entwickelt“, berichtet das Ministerium und betont: „Für die Ukraine ist das Jahr 2024 definitiv das Jahr des Beginns des Klimadialogs!“ Auch für den Großteil der ukrainischen Gesellschaft (95 Prozent) bleibt Umweltschutz trotz der umfassenden Invasion durch Russland wichtig, betont Ecoaction gegenüber Table.Briefings.

Die Realität bleibt aber, dass Schutzmaßnahmen nicht überall umsetzbar sind. So sind mehr als 800.000 Hektar Wald und 514 Schutzgebiete besetzt. Aktuell okkupiert Russland 18 Prozent der ukrainischen Landfläche, inklusive der Krim.

So detaillierte Daten wie im Fall dieses Krieges liegen selten vor. De Klerk zufolge liege das unter anderem daran, dass seit dem Zweiten Weltkrieg viele Konflikte weit weg vom westlichen Blickpunkt stattfanden. „Auch die Ausklammerung des gesamten militärischen Bereichs aus dem Kyoto-Protokoll spielt mit hinein.“ Ein schwerwiegender Fakt, denn Streitkräfte machen insgesamt 5,5 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen aus, wie die Studie von de Klerks Team belegt.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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