Analyse
Erscheinungsdatum: 12. Juli 2024

Europas neue Rolle in der Nato

Europa kommt eine immer wichtigere Rolle innerhalb der Nato zu. Das ging durch die wackeligen Auftritte von US-Präsident Joe Biden auf dem Gipfel etwas unter.

Die europäischen Nato-Länder nehmen in dem Verteidigungsbündnis eine zunehmend wichtigere Rolle ein. „Kopernikanische Revolution“ nannte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in seiner Abschlusspressekonferenz am Donnerstag die Zustimmung für sein Konzept des europäischen Nato-Pfeilers in der Allianz.

Viel wurde über Geld gesprochen, die Ukraine-Hilfen, Donald Trump, Joe Bidens Fitness – weniger über die militärischen Veränderungen. „Wir sind gerade wirklich dabei – ohne viel darüber zu sprechen – eine Nato zu schaffen, die fähiger, reaktiver und europäischer wird“, sagt Camille Grand vom European Council on Foreign Relations (ECFR) und früherer stellvertretender Nato-Generalsekretär zu Table.Briefings.

Die Nato-Pläne, 300.000 Soldaten in hoher Bereitschaft zu halten, von denen die meisten Europäer sind, sei „schon eine starke Veränderung“, so Grand. Wie die europäischen Nato-Länder ihre Verteidigungsausgaben erhöht haben, sei „enorm“.Der Politikberater sieht in der EU einen aktiver werdenden Akteur, der mehr Geld – „meiner Meinung nach noch nicht genug“ – für Entwicklungen zur Verfügung stelle. Das diene auch Nato-Interessen.

Nicht alle sehen das so. Bei den US-Republikanern will man ein Europa, das mehr Geld für Verteidigung ausgibt. Die Mittel sollen aber am besten in die USA fließen, der konservative Kommentator Nile Gardiner sagte, dass Macrons strategische Autonomie „Gift“ für die Nato sei.

Den Nato-Gipfel wollte US-Präsident Joe Biden auch aus innenpolitischen Gründen zu einem Erfolg machen. „Insbesondere in den USA haben wir es mit einer Domestizierung von Außen- und Sicherheitspolitik zu tun“, sagt Michael Werz von der Münchner Sicherheitskonferenz und vom Demokraten-nahen Thinktank Center for American Progress. Deshalb sei es für Joe Biden wichtig, „diesen Nato-Gipfel zu einem Erfolg zu machen, weil die Bedeutung der Nato innerhalb der Vereinigten Staaten begründet werden muss“.

Überschattet wurde der Abschlusstag des Gipfels von Bidens wackeligen Performance. Am Donnerstagabend kündigte er den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als „President Putin“ an, korrigierte sich nach einem Moment dann aber selbst. Unter den US-Demokraten verliert er zunehmend an Rückendeckung. Aber auch in den Abschlusspressekonferenzen ausländischer Politiker kan es zu Fragen, wie sie Bidens Gesundheitszustand wahrnähmen. Abgesehen vom ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der sich laut mehreren Medienberichten nach dem Gipfel mit Donald Trump treffen wollte, dürften sich die wenigsten europäischen Staatschefs eine Wiederwahl des republikanischen US-Präsidenten wünschen.

Schon gar nicht Deutschland. Berlins Standing in den USA ist gut wie lange nicht. „Im Weißen Haus steht zwischen Europa und Berlin ein Äquivalenzzeichen. Die deutschen Leistungen werden wahrgenommen“, sagt Werz. Das betonte auch Bundeskanzler Olaf Scholz, der zum Abschluss sagte, er habe in den Tagen des Gipfels „viel Anerkennung“ für Deutschlands Rolle im Bündnis erlebt. Härter geht man in den USA mit Frankreich ins Gericht, das bei der Ukraine-Unterstützung weit hinter Deutschland steht.

Nur ob die Nato den Fokus in den Indopazifik verlagert, ist nicht ganz klar geworden. Was in Europa passiere, sei für Asien relevant und umgekehrt, sagte Generalsekretär Stoltenberg zum Abschluss. des Gipfels Macron betonte, die verstärkte Kooperation mit Ländern im Indopazifik werde „auf keinen Fall“ aus der Nato eine Verteidigungsallianz machen, die Truppen in die Region entsenden müsse. Trotz der deutlichen Worte in Richtung China in der Abschlusserklärung der Nato-Staaten bleiben Fragezeichen über die Rolle Europas im Indopazifik. „Die Amerikaner sagen nicht klar, was sie von den Europäern erwarten“, so Grand. „Sie sagen, dass die Europäer sich mehr Sorgen wegen China machen sollen, aber sie sagen nicht, ob sie konkrete Hilfe im Indopazifik brauchen, oder ein verstärktes Engagement in Europa, um den Amerikanern dort den Rücken freizuhalten.“

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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