Analyse
Erscheinungsdatum: 15. Januar 2024

Deutschland verliert sich beim Schutz seiner maritimen Infrastruktur in Details

Gesprengte Pipelines, durchgeschnittene Unterwasser-Datenkabel: Die Nato braucht ein besseres Bild davon, was in Nord- und Ostsee passiert. Beim Treffen der Verteidigungsminister im Februar soll es konkrete Vorschläge geben – in Deutschland verliert man sich derzeit aber in Details.

Die Zahl der Schäden an Pipelines und Unterseekabeln in Nord- und Ostsee ist seit der Vollinvasion Russlands in der Ukraine signifikant gestiegen. 25 Prozent der transatlantischen europäischen Datenkabel seien seit Februar 2022 nicht mehr funktionsfähig, konstatierte Roderich Kiesewetter (CDU), Experte für Außenpolitik, kürzlich unter Berufung auf den deutschen General Christian Badia, stellvertretender Oberkommandierender des Allied Command Transformation der Nato in Norfolk, Virginia.

Weil ein flächendeckender Schutz maritimer Infrastruktur vor Unfällen und Sabotage nicht möglich ist, arbeitet die Nato daran, ein möglichst genaues Bild davon zu haben, welche Schiffe sich wann wo in Nord- und Ostsee aufhalten. „Wir wollen verdächtiges Verhalten von Schiffen real detektieren, um dann eine Attacke einem Akteur zuordnen zu können“, sagte Hans-Werner Wiermann, ehemaliger Generalleutnant der Bundeswehr, auf der Maritimen Konferenz in Bremen im September.

Seit Anfang 2023 baut Wiermann auf deutsch-norwegische Initiative und als Reaktion auf die Anschläge auf die Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee eine Koordinierungszelle in Brüssel auf. Sein Ziel: alle Akteure aus dem Bereich Unterwasser-Infrastruktur in den Nato-Ländern an einen Tisch zu bringen – Betreiber, Industrie sowie Regierungen. Beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister im Februar soll er dann den Mitgliedstaaten konkrete Handlungsempfehlungen für den Schutz der maritimen Infrastruktur aussprechen.

Dabei gehe es weniger um das Verhalten russischer Kriegs- oder Forschungsschiffe, diese hätten die Nato-Länder bereits gut im Blick, sagte Wiermann in Bremen. Es gehe um zivile Schiffe mit militärischen Fähigkeiten, die über Wasser Angriffe auf Unterwasser-Infrastruktur vorbereiten könnten und ihr eigentlich verpflichtendes Automatic Identification System (AIS) ausgeschaltet hätten.

Ein solches Lagebild, bestehend etwa aus Satelliten-, Radar-, Sensor- und Sonardaten, würde es ermöglichen, Anschläge direkt einem Akteur zuschreiben zu können. Das treibe den Preis für den Angreifer in die Höhe und würde einen Angriff unrentabel machen – Abschreckung durch Attributierbarkeit, so die Argumentation.

Ein wichtiger Baustein dieses Netzwerks: Die Mitgliedstaaten sollen einen zentralen Ansprechpartner für ihre maritime Kritische Infrastruktur etablieren und der Nato benennen. Gerade in Deutschland mit seiner Verantwortungsdiffusion zwischen verschiedenen Ressorts hatten sich auch die Betreiber von Offshore-Anlagen einen verlässlichen Ansprechpartner gewünscht. Wo dieser angesiedelt ist, welche Informationen (insbesondere über länderspezifische vulnerable Knotenpunkte) darüber mit wem in der Nato geteilt werden, und wie der Schutz auf See geregelt wird, bleibt Sache jedes einzelnen Mitgliedslandes.

In Deutschland bleibt es weiter Gegenstand von Debatten zwischen den Ressorts. Für den Schutz von Pipelines, Kabeln und Offshore-Anlagen ist das Innenministerium zuständig, die Landeslandespolizeien haben die Exekutivgewalt in den Küstengewässern, die Bundespolizei dagegen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone. Das Verkehrsministerium ist verantwortlich für Schifffahrtsstraßen und Häfen, hat allerdings keine Mittel, diese zu schützen, was daher die Bundespolizei übernimmt. Die Marine – kein Einsatz im Inneren – kann der Bundespolizei nur per Amtshilfeverfahren beispringen.

Einig sind sich die Ressorts wohl aber inzwischen darin, dass ein von der Marine betriebenes Lagebild Über- und Unterwasser das Verteidigungsministerium schlussendlich am besten für die Rolle des „Point of Contact“ in der Nato qualifizieren würde. Stellt die Marine verdächtiges Verhalten fest, könnte sie Informationen an die Bundespolizei und die Betreiber Kritischer Anlagen weitergeben, die dann entsprechende Maßnahmen ergreifen müssten. Trotzdem tue man sich schwer mit der finalen Meldung an die Nato, noch stünden Details im Weg, sagen Experten. Die ursprüngliche Meldedeadline war am 30. November verstrichen.

Die Marine, die über weitergehende Fähigkeiten zur Lagebilderstellung verfügt als die Bundespolizei, will diese noch ausbauen, wie der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Jan Christian Kaack, auf der Historischen-taktischen Tagung der Marine in Linstow vergangene Woche bekräftigte: „Wir werden den weiteren Ausbau unserer Fähigkeiten im Lagebildaufbau Über- und Unterwasser – „from seabed to space“ – fortsetzen und uns als nationaler Expertiseträger in der maritimen Sicherheit etablieren.“

Im Dezember hatte die Marine bereits einen Beschaffungsvertrag über elf mobile Systeme zur verdeckten Unterwasser-Aufklärung und -Lagedarstellung, finanziert aus dem Sondervermögen, unterzeichnet. Bislang hatte sie drei dieser Systeme, die per Sonarbojen vor allem U-Boote detektieren. „Bestehend aus drei Containern ist es grundsätzlich auf allen Booten und Schiffen der Deutschen Marine nutzbar, ohne dass es zuvor speziell verbaut oder systemseitig integriert werden muss“, heißt es in einer entsprechenden Mitteilung.

Zudem soll die Aufklärungsdrohne MQ-9 „Sea Guardian“ von General Atomics zusammen mit dem Aufklärungsflugzeug P-8 Poseidon mehrere Monate getestet werden, sagte Kaack auf der Tagung. Unklar ist derzeit, mit welchen P-8-Flugzeugen die „Sea Guardian“ getestet werden soll: Keiner der bewilligten acht U-Boot-Jäger ist schon da. Laut Hersteller kann die „Sea Guardian“ bis zu 30 Stunden via Satellitennavigation in der Luft bleiben und – je nach Konfiguration – für die U-Boot-Bekämpfung bewaffnet werden.

„Im Anschluss wollen wir auch der Heron TP eine Chance geben“, sagte Kaack. Der Bundestag hatte im April 2022, nach fast zehnjähriger Debatte, der Bewaffnung der Heron TP zugestimmt, fünf Drohnen und vier Bodenstationen sollen von Israel geleast werden. Die Luftwaffe plant, die Drohnen in Jagel in Schleswig-Holstein zu stationieren und sie zunächst über der Nordsee zu erproben.

Allerdings haben sich die Anforderungen drastisch geändert: Während sich die Heron TP eher zum Schutz der Truppen am Boden bei Auslandseinsätzen wie in Afghanistan oder in Mali eignete, braucht es nun Fähigkeiten zur Landes- und Bündnisverteidigung – und zur Aufklärung über See. Im „Kursbild Marine 35+“, nennt der Marineinspekteur bis 2035 die Beschaffung von sechs Drohnen für den Seekrieg Über- und Unterwasser und die Aufklärung.

Perspektivisch gesehen könnten neben den Daten von Schiffen, Drohnen und Seefernaufklärern auch Kamera- und Sensordaten von Betreibern Kritischer Anlagen, von der Bundespolizei und weiteren sicherheitsrelevanten Akteuren dezentral in ein Lagebild der Marine eingespeist werden. Dies zeigen Forschungsansätze etwa am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Dargestellt werden dem Empfänger allerdings nur die Informationen, zu deren Nutzung er rechtlich befugt ist.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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