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Erscheinungsdatum: 15. April 2024

Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft: Erstarktes antidemokratisches Denken verlangt entschiedenes Entgegentreten – auch von der Wissenschaft

Das wieder erstarkte antidemokratische Denken und der ungenierte Antisemitismus mitten in Deutschland verlangen auch von der Wissenschaft eine entschlossene Haltung. Unsere Rolle in der demokratischen Gesellschaft und unsere historische Verantwortung zeigen die Richtung dafür klar auf, schreibt DFG-Präsidentin Katja Becker.

Als unlängst die Interdisziplinäre Kommission für Pandemieforschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) nach mehr als dreieinhalbjähriger Tätigkeit ihren Abschlussbericht vorlegte, richtete sich der Blick noch einmal ganz gezielt auf eine Frage. Diese Frage ist die nach der Preparedness: Was lässt sich aus dieser Krise lernen, um noch besser auf die nächsten Krisen vorbereitet zu sein?

Die nächste Pandemie steht vorerst zumindest weiter aus, was niemanden in falscher Sicherheit wiegen sollte. Die nächsten „anderen Krisen“ sind hingegen längst da. Ihnen ist nicht zuletzt eines gemeinsam: Sie waren und sind uns, gerade in Deutschland, als historische Phänomene sehr wohl bekannt – doch hielten wir sie für überwunden, unter Kontrolle gebracht oder selbst dann im Zaum gehalten, wenn sie unter der Oberfläche schlummern mochten. Umso größer war und ist nun unser Erstaunen, unser Befremden und unser Entsetzen über ihre erneuten und ungezügelten Ausbrüche.

Dies war schon beim russischen Angriff auf die Ukraine so. Militärische Aggressionen hatte es in den vergangenen Jahrzehnten auch mitten in Europa gegeben. Aber ein mit solcher Brutalität geführter Krieg, dem Zehntausende zum Opfer fallen und der auch nach zwei Jahren lange nicht an sein Ende gelangt zu sein scheint?

Genauso ist es auch mit den krisenhaften Entwicklungen, die sich mitten in Deutschland abspielen. Antidemokratisches Denken und Antisemitismus waren in unserer Nachkriegsgeschichte nie vollständig verschwunden. Aber dass das eine zunehmend größere Bevölkerungsteile erfasst, auch politisch zu reüssieren droht und sich bis hin zu Remigrations-Phantasien niederschlägt, derweil das andere in Angriffen auf jüdische Mitbürger*innen auf der Straße, aber nicht zuletzt auch in den Hörsälen ganz ungeniert sein Gesicht zeigt?

Ob und inwieweit wir auf diese Krisen besser vorbereitet hätten sein können, ja müssen, ist in jüngster Zeit bereits zu Recht gefragt worden. Die Diskussion hierüber ist erst am Anfang, und zu ihr kann und muss auch die Wissenschaft ihren durchaus auch mit selbstkritischer Reflexion verbundenen Beitrag leisten.

Drängender jedoch ist aktuell eine andere Frage – nämlich auch hier die der Preparedness: Was und wie lässt sich aus diesen Krisen für die Zukunft lernen?

Eine Antwort zumindest ist klar: So wie bereits der in Europa neu entbrannte Krieg verlangen auch das in Deutschland wieder erstarkte antidemokratische Denken und der Antisemitismus ein ernsthaftes Innehalten, eine intensive Reflexion und: entschiedenes Entgegentreten – auch von der Wissenschaft und einer Organisation wie der DFG.

Dieser Maxime folgend haben wir bereits vor nun fast genau zwei Jahren unsere institutionellen deutsch-russischen Forschungskooperationen ausgesetzt. Die Richtschnur war dabei klar: Der russische Überfall auf die Ukraine verletzte – und verletzt weiterhin – sowohl das Völkerrecht und die internationale Friedensordnung als auch die Werte und Grundlagen der Wissenschaft und der wissenschaftlichen Zusammenarbeit, die ihrerseits Pfeiler internationaler Verständigung sein wollen und sind.

Mit derselben Entschlossenheit müssen wir auch jetzt Flagge zeigen. Die Richtschnur ist erneut klar: Antidemokratische und antisemitische Parolen und Taten sind Angriffe auf die Grundlagen unserer Demokratie und auf unsere moderne Gesellschaft und deren Weltoffenheit. Und sie sind Angriffe auf die Grundlagen der Wissenschaft, die einerseits in Deutschland in weltweit beispielhafter Weise durch die im Grundgesetz garantierte Wissenschaftsfreiheit geschützt und gefördert wird und die anderseits selbst viel zum demokratischen Diskurs und zur Weltoffenheit unserer Gesellschaft beitragen will und beiträgt.

Zu dieser Rolle in der demokratischen Gesellschaft kommt unsere historische Verantwortung hinzu: Als Organisation, deren Vorgängerin auf verhängnisvolle Weise in das nationalsozialistische Terror-Regime verstrickt war, ist es uns heute ein besonderes Anliegen, uns zu Wort zu melden.

Auf dieser Grundlage erteilen wir allen antidemokratischen und antisemitischen Tendenzen in der Gesellschaft und auch in der Wissenschaft und ihren Einrichtungen eine klare Absage und treten ihnen energisch entgegen. Auf dieser Grundlage haben wir uns ebenso in den vergangenen Wochen und Monaten in vielfacher Weise und etwa bei öffentlichen Auftritten für Demokratie und Weltoffenheit und gegen Antisemitismus, Rassismus und menschenverachtende Parolen und Taten positioniert. Dieses Engagement werden wir auch in Zukunft entschieden fortsetzen.

Auf derselben Grundlage schließlich wollen wir – gemeinsam mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaft, der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und der Hochschulrektorenkonferenz – in den kommenden Wochen und Monaten unseren Dialog mit der Gesellschaft erweitern. In einer Reihe von Städten wollen dabei Wissenschaftler*innen das persönliche Gespräch mit Bürger*innen zu wissenschaftsbezogene Themen aus Politik und Gesellschaft suchen.

Dieser Dialog ist allen Beteiligten und auch mir ganz persönlich ein großes Anliegen. Denn in diesen Gesprächen kann sich die besondere Stärke von Wissenschaft zeigen, mit der sie zugleich eine besondere Aufgabe hat: Begründet auf Evidenz und offenen Diskurs liefert sie das Wissen, das das wirkungsvollste Gegenmittel gegen Fake News und Verschwörungstheorien ist und die Grundlagen dafür schafft, dass unsere Gesellschaft sich den vielfältigen Krisen der Gegenwart und Zukunft besser vorbereitet stellen kann.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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