In Deutschland wird peinlich genau mit Nomenklatur in Schubladen eingeordnet: Hier die Grundlagenforschung, da die angewandte Forschung, dort der Transfer – und schließlich der Exot, die Bundesagentur für Sprunginnovationen (Sprind), die im Forschungssystem mit magerstem Budget eine sogenannte Lücke an ‚disruptiver Innovation‘ füllen soll.
Und dann kommt so ein Koalitionsvertrag daher mit sechs Missionen zur Forschungs- und Innovationspolitik. In der herrschenden Logik nirgends einordbar, da querschnittlich und damit auch nicht traditionell organisier- und steuerbar. Aber es geht um dringende und drängende Herausforderungen für die Zukunft von Wirtschaft, Gesellschaft und Planet.
Da hat im Übrigen schon das Evangelium nach Matthäus mit einer der am häufigsten zitierten Missionen gezeigt, welche Kraft in Missionen steckt, wenn gut umgesetzt: „...geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“ (Mt 28,18–20). Eine äußerst präzise gehaltene Mission, nur ohne Zeitangabe für die Erreichung. Aber sie trug zumindest 2.000 Jahre.
Missionen sind auch nichts Neues in der Moderne: in vielen OECD-Staaten Usus und auch schon in der Hightech-Strategie 2025 der Vorgängerregierung unter Forschungsministerin Anja Karliczek enthalten. Nur blieben schon die damaligen zwölf Missionen der Hightech-Strategie Papiertiger, so wie es die sechs Missionen der Ampel-Regierung bleiben werden. Symptomatisch ist, dass der vom damaligen BMBF beauftragte, allerdings erst jüngst erschienene Abschlussbericht des Fraunhofer ISI, mehr Allgemeinheiten zu Missionen als praktische Evaluierung realiter enthält
Das Forschungsministerium hat es auch bis heute nicht geschafft, seine eigenen Missionen aus der Zukunftsstrategie im Pakt für Forschung Innovation (PFI) in Vorgaben für die steuerfinanzierten „Fetten Katzen“ à la Fraunhofer oder in einer der Pilot-Förderlinien der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (Dati) zu verankern, was am naheliegendsten gewesen wäre.
Und deshalb debattieren Beratergremien, von Bertelsmann Stiftung bis Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), seit eineinhalb Jahren, wie man mit diesen sechs – zwischen zuständigen Ministerien und Bundeskanzleramt schräg im Stall stehenden – Missionen umgeht, damit sie steuerbar werden. Wette gilt, außer papiernen Lösungen wird es in dieser Legislatur nichts mehr geben:
Übrigens werden auch die Missionen der EU-Kommission ein Papiertiger bleiben. Abgesehen davon, dass in beiden missionsbasierten Strategien trotz russischem Überfall auf die Ukraine die Mission Verteidigungsfähigkeit keine Rolle spielt, benennt die EU-Kommission auf ihrer Homepage zumindest quantifizierbare Zwischenresultate wie beispielsweise Mission 2 oder Mission 4. Wenn wir erfolgreiche Missionen der jüngeren Vergangenheit betrachten, dann mit Blick in die USA, wo Pioniergeist seit den Pioniertagen lebt.
Nach dem Sputnik-Schock, als die Sowjetunion die USA beim Wettrennen in den Weltraum plötzlich überholt hatte, konnte man einen Missions-Moment beobachten. Mit aufgekrempelten Ärmeln hat US-Präsident John F. Kennedy 1962 gerufen: „We choose to go to the moon in this decade“. Bis zu Neil Armstrongs erstem Fußabdruck auf dem Mond vergingen knapp sieben Jahre. Profis nennen so etwas „mission driven“. Egal ob durch Gegner, durch Not oder durch Vision getrieben, das Mission Driven-Muster ist immer wieder gleich: Auftrag, Erledigungszeitraum/-zeitpunkt, Koordinationszwang und Umsetzung.
Übersetzt in deutsche Missionspolitik würde JFK beispielsweise bei der Mission Mobilität und Verkehr aus Koalitionsvertrag und Zukunftsstrategie ausrufen: „We choose to hyperloop from Frankfurt/Oder via Berlin to Magdeburg“. Eine 250 Kilometer lange Strecke der Anbindung strukturschwächerer deutscher Regionen mit der dahinterliegenden Vision, später die Metropolen Berlin und Paris in einer knappen Stunde anzubinden: Energieneutraler Transport von Personen und Gütern, 1.200 Kilometer pro Stunde schnell in einer Vakuumröhre, Kapselfolge und Fahrplandichte: quasi unbegrenzt. Utopie?
Das „Hyperloop“-Transportsystem des Virgin-Gründers und Milliardärs Richard Branson hat nach über 400 unbemannten Tests die weltweit erste Passagier-Testfahrt in der Wüste von Nevada bestanden. Das ambitionierte Ziel: Ausbau und Kommerzialisierung der in Luftlinie rund 350 Kilometer langen Strecke zwischen New York und Washington D.C. Sie würde damit nur etwa 30 Minuten dauern: doppelt so schnell wie ein kommerzieller Jet-Flug (ohne An- beziehungsweise Abreise zum und vom Flughafen) und viermal schneller als ein Hochgeschwindigkeitszug. Elon Musk hatte die Idee, Richard Branson will sie zu Geld machen.
In der Schweiz wird ab 2031 das digitale Gesamtlogistiksystem Cargo sous terrain (CST) die großen Zentren der Schweiz unterirdisch verbinden. CST entlastet oberirdisch Schienen und Straßen, reduziert die Umweltbelastung, sorgt für die pünktliche Lieferung von Waren für alle und … hält die wunderschöne Schweizer Natur intakt.
Wegweisende Entwicklungen werden meist ideell und finanziell initiiert von mutigen, hartnäckigen Persönlichkeiten voller Zukunftsaspiration. Von Politikern wie JFK oder – so scheint es – Macron, der Frankreich zur Startup-Republik machen will. Und Unternehmern wie Richard Branson oder Dieter Schwarz, Lidl-Gründer, der Deutschland nicht nur bei KI auf die Beine helfen will, sondern auch bei der German Cloud. Da könnte das Forschungsministerium doch zumindest die Mission ausrufen, bis 2030 mindestens zehn deutsche Universitäten unter den Top 100 der weltweiten Spitzen-Universitäten zählen zu können.
Doch wer solche Missionen realisieren will, muss sowohl Schmähungen in der Öffentlichkeit ertragen, als auch über Legislaturperioden und kurzfristige, populistische Wahlkampfversprechen hinweg hinausdenken können. Und er muss bereit sein, zu scheitern oder Wahlen zu verlieren.