Rigorosum
Erscheinungsdatum: 02. November 2023

Heutige Konstruktionsfehler der Dati ausmerzen 

Das Land dürstet nach regionalen Innovationsökosystemen, findet Thomas Sattelberger. Aktuell interessierten sich viele nur für mögliches Geld aus ersten Dati-Projektförderlinien, empirische Innovationsforschung werde ausgeblendet. Dies und noch vieles mehr müsse dringend korrigiert werden.

Der ungebremste Run auf neues Geld aus traditionell geprägten Dati-Projektförderlinien bei zunehmend knapper werdenden Kassen vernebelt den Blick auf die ursprüngliche Absicht einer Deutschen Agentur für Transfer und Innovation: Aufbau und Stärkung regionaler (nicht virtueller) Innovationsökosysteme um herausragende anwendungsorientierte, regionale hochschulische Forschungskerne herum. Dem Ziel des Innovationsökosystems einer Region sollte sich alles unterordnen. Die Agentur selbst sollte das schlanke Vehikel der Umsetzung sein in einer Regulatorik, für das der damals im Ministerium viel weiter gefassten Entwurf des Sprind-Freiheitsgesetz Prototyp sein sollte, so dass es tradierte Förderlinien wie die aktuellen gar nicht erst hätte geben müssen.

Die neu gebildete Dati-Gründungskommission unter Vorsitz von Stefan Gross-Selbeck hat jetzt eine große, aber wohl letzte Chance, aus dem politisch zur Unkenntlichkeit durchgenudelten Projekt wieder eine Initiative zu machen, die den Namen Innovation selbst verdient und die empirische Forschung zu Innovationsökosystemen nicht unter den Tisch kehrt

Auch wenn es bei der Dati nicht um internationale Spitzencluster und einen dementsprechenden Wettbewerb geht, so lassen sich doch einige Erkenntnisse übertragen:

Das wichtigste Finding des 2019 World Intellectual Property Report – The Geography of Innovation: Local Hotspots, Global Networks war, dass Innovation vor allem lokal beziehungsweise regional stattfindet.

Algorithmen identifizierten die Hotspots mit der höchsten Konzentration an Innovatoren, Erfindern und wissenschaftlichen Autoren: 176 an der Zahl sowie 313 spezialisierte Nischen-Cluster, in denen die Innovationsaktivitäten nicht ganz so hoch wie bei den Hotspots und zudem auf ein oder mehrere Innovationsfelder begrenzt waren.

Analysen, die auf Europa fokussieren, kommen zu gleichen geografischen Erklärungsmustern: Nähe oder wie die Forschung sagt, Proximity’ ist zentral. Wer wissenschaftliche Erkenntnisse zu regionalen Innovationsökosystemen ganz praktisch und zugleich historisch haben will –und damit auch das Potenzial von Regionen aufzeigend nachvollziehen mag, der lese „The Cambridge Phenomenon- An Innovation System Built on Public Private Partnership.“

Der Beitrag beschreibt die Explosion wissensintensiver Geschäfte in und um Cambridge herum im Verlauf der letzten 60 Jahre, hin zu einem Weltklasse-Technologiecluster inmitten einer landwirtschaftlich geprägten Region. Aus den Erfolgsfaktoren stechen einige besonders heraus:

Die Politikerkaste will die gesamte Proximity-Forschung für Innovation nicht zur Kenntnis nehmen, widerspricht sie doch dem Konzept farbenpolitischer Verteilung der Finanzressourcen oder bundeslandspezifischer beziehungsweise verbandsgetriebener Beute-Gemeinschaften. Alle aus diesem Grunde eingerichteten virtuellen Kooperationsverbünde – vom Netzwerk der Deutschen Kompetenzzentren für KI-Forschung über Dachkonzepte etwa zu Batterieforschung bis hin zu Kompetenznetzwerken Quantencomputing oder der virtuellen Cluster-Initiative Bayerns – performen deshalb auch kaum als Netzwerk und ersetzen nicht eine nationale Politik einer „scientific concentration”.

Aber Netzwerkeffekte evaluiert ja niemand hierzulande. Das Paper in der renommierten American Economic Review „Agglomeration of invention in the bay area: not just ICT ist nicht nur empirischer Beleg für Scientific Concentration, sondern auch für regionale Innovationscluster.

Und wenn im aktuellen Dati-Konzept „Community“ bedeuten soll, dass man sich aus der Regionsbindung lösen kann und von Beginn an auch Verbindungen zu fachlichen Partnern an anderen Standorten sucht, dann hat das Konzept schon den berühmt-berüchtigten politischen Verunstaltungsrost angesetzt. Natürlich machen es Internet und soziale Netzwerke möglich, auf Distanz zu kollaborieren, doch Forscher der Harvard Medical School untersuchten, ob Nähe oder Distanz mit dem wissenschaftlichen Impact von Forschung korrespondierten. Die Studie bekräftigte die Notwendigkeit, Raum, Architektur und Infrastruktur für die nötige Kooperation sozusagen „auf Tuchfühlung“ intensiv zu nutzen oder zu schaffen.

Häufigste Interaktionen in Collocation sind das neuronale System für Innovation. Das hat übrigens schon AnnaLee Saxenian, frühere Dekanin der UC Berkeley School of Information in ihrem berühmten, schon 1994 erschienenen Buch „Regional Advantage: Culture and Competition in Silicon Valley and Route 128“, und auch in weiteren Büchern, mit ähnlichen Ergebnissen empirisch untersucht und nachgewiesen.

Während in vielen Nationen wenige große Metropolen, die fast monopolistischen Gatekeeper von Innovation sind (in Europa ganz herausragend Frankreich mit Paris und Großbritannien mit London), weist Deutschland eine Besonderheit auf. Mit Berlin, München, Dresden Hamburg und anderen Metropolen gibt es zwar eine gewisse hierarchische, nationale Innovationsstruktur, doch gleichzeitig überdurchschnittlich viele regional verstreute Innovationsnuklei.

Diese größtenteils historisch bedingte Fragmentierung muss eine Dati aufgreifen: Sie darf weder virtuell verludern, noch darf sie die wettbewerblich validierte Güte regionaler anwendungsorientierter Forschung vernachlässigen. Ich hatte übrigens zum zweiten Punkt zu dem damaligen Sprecher der Mitgliedergruppe der Hochschulen für angewandte Wissenschaften/Fachhochschulen (HAW/FH) in der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Professor Karim Khakzar schon Anfang 2022 gesagt, dass bei weitem nicht jede Hochschule für angewandte Wissenschaften für eine gute anwendungsorientierte Forschung steht, geschweige denn für guten regionalen Technologietransfer.

Deshalb war ich übrigens immer Vorreiter eines zweistufigen Auswahlprozesses, in dem in einer ersten Runde Top down die Güte sowohl der anwendungsorientierten regionalen Forschung und des Technologietransfers wie auch eine passende Vernetzung der regionalen Innovationsakteure evaluiert werden, während in einer zweiten Runde Bottom up regionale Innovationsakteure ihre zu lösenden Herausforderungen in Projekte und Initiativen übersetzen.

Innovating Innovation heißt für Politiker wie für die ministerielle Exekutive, nicht freihändig Ergebnisse der Innovationsforschung zu konterkarieren, heißt aber auch für eine Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), Politikberatung strategischer und substantieller zu gestalten. Das damalige Policy Papier war wenig gehaltvoll zur Rolle von Innovationsökosystemen und eigentlich nur Wasser auf die Mühlen der Unmasse hungriger Subventionsempfänger. Ich bin deshalb nicht unglücklich, dass kein Kommissionsvertreter in der Gründungskommission der Dati sitzt.

Zum zweiten muss alles in Bewegung gesetzt werden, damit die neu berufene Gründungskommission Chancen erhält, Fehlentwicklungen wie beispielsweise die Virtualisierung zu korrigieren. Das hilft nicht nur einer Dati, sondern unserem Land, welches nach regionalen Innovationsökosystemen dürstet.

Zum dritten – und ich wage es kaum dem in der Ampel eingezwängten BMBF zuzurufen: Erst im Zusammenspiel mit den im Koalitionsvertrag benannten Innovationsregionen nach britischem Vorbild ergibt sich das strategische Doppelspiel für eine erneuerte InnovationNation Deutschland. Sprind und Dati allein – erst recht mit den noch nicht vorhandenen Freiheiten – reichen nicht. Da müsste dann auch das BMWK und das BMF mitspielen. Alles in weiter Ferne und das Land wartet!

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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