Im Augenblick jubilieren viele ob des sogenannten Freiheitsgesetzes für die Sprind und ob der überzeichneten Pilot-Förderlinie der Dati. Dabei lassen sie außer Acht, dass die EFI-Kommission wiederholt kritisiert, dass durch die Aufrechterhaltung der ministeriellen Fachaufsicht die mikropolitische Kontrolle über die Sprind erhalten bleibt. Und ich erwarte ein noch restriktiveres Vorgehen beim Freiheitsrahmen für eine Dati. Daran ändert auch die Freude einiger über die Dati-Piloten „Innovationssprints“ und „Innovationscommunities“ nichts. In angespanntester Haushaltslage sind sie nichts anderes als „panem et circenses“ für die Forschungswelt.
Fast unterm Radar begann schon Anfang des Jahrzehnts eine Strategiedebatte zwischen zwei renommierten Innovationsstrategen, interessanterweise zwischen dem alten und dem neuen EFI-Vorsitzenden, zwischen Dietmar Harhoff, Direktor des Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb und seinem Nachfolger Uwe Cantner, VWL-Professor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Zentrale Frage der Debatte war, wie man Bürokratie so bändigen könne, dass in diesem Lande eine andere Qualität von Innovation möglich würde.
Harhoff plädierte etwa am 11. Mai 2021 in der Zeit und dann wieder am 12. Juli 2022 im Handelsblatt dafür, gut abgrenzbare Innovationsaufgaben aus verkrusteten ministeriellen Organisationen auszulagern, und zwar nicht in die Projektträger, die sich längst kulturell den Ministerien angepasst hätten, sondern in viele neue Agenturen. Hingegen schlugen Cantner und sein EFI-Team am 24. September anstelle des Denkens in neuen Agenturen folgendes vor: „Viel wichtiger sind eine grundlegende agilitätsorientierte Reform der Strukturen und Prozesse in Ministerien und Verwaltung sowie ein verändertes Mindset“.
Die Sprind war für EFI wegen ihres potenziell disruptiven Charakters begründbare Ausnahme. Weitergehende Ansätze wie die Dati lehnte sie ab, weil es ja projektbezogene Förderung dafür gäbe. Und erst recht sollte es keinen Prototyp für weitere neue, anti-bürokratische Strukturplattformen geben, obwohl diese doch strukturpolitische Alternativen zum jahrzehntelangen Marsch durch die öffentliche Verwaltung wären.
Ohne es so zu benennen, vertrat Harhoff nämlich die Position der strukturellen Ambidextrie, wie sie von US-amerikanischen Wissenschaftlern wie Robert B. K. Duncan (Northwestern Kellog University), Michael Tushman (Harvard), Charles A. O’Reilly (Stanford) und James G.March (ehemals Stanford) entwickelt wurde. Sie bedeutet nicht nur inkrementelle Verbesserung, Effizienzsteigerung und Optimierung bestehender Prozesse, Strukturen und Kulturen in der bisherigen Organisation (Exploitation), wie sie Uwe Cantner vorschlägt, sondern zudem Experimentieren und Agilität in neu geschaffenen Strukturen, um dadurch Innovation zu ermöglichen (Exploration): quasi duale Strukturen.
Während die alte Organisation meist durch hierarchische Strukturen, Formalisierung, strukturierte Routineprozesse und klassischen Arbeitsmethoden geprägt ist, verlangt Exploration autonome und risikotolerante Start-up-ähnliche Strukturen, geprägt von einem experimentellen Vorgehen und iterativen, agilen Prozessen – also Innovationsermöglichung in Schnellbooten statt in Tankern. In der Tech-Ökonomie, inzwischen Selbstverständlichkeit, im deutschen Wissenschafts-System eine Unbekannte.
EFI sorgt sich, dass ausgelagerte Agenturen die Politik ihrer Verantwortung und ihrer Handlungsspielräume für die Forschungs- und Innovationsstrategie berauben würden. Dieses Argument wird offensichtlich von der US-amerikanischen Politik nicht geteilt. Dort entscheiden Agenturen wie die National Institutes of Health, die Nasa oder die berühmte Defense Advanced Research Projects Agency (Darpa) in Autonomie. Übrigens ähnlich wie Agenturen in Schweden, der Schweiz oder Großbritannien.
Ich empfehle der EFI-Kommission den über 15 Jahre alten Buchbeitrag „Über die Veränderbarkeit des Seins: Scheitern Verwaltungsreformen?“ von Heinrich Reinermann, emeritierter Professor der deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. In diesem Beitrag werden zentrale verwaltungsreformerische Herausforderungen, ja Paradoxien beschrieben – von der Unberechenbarkeit der Handlungen politischer Akteure, der Bruchstellen bei Regierungswechseln, der Überbewertung von Sachinformationen im Politikdiskurs bis hin zur Komplexität und dem langen Dauern von Paradigmenwechseln in versteinernden Systemen.
Wiarda schrieb 2021 in seinem Blog, dass das Zauberwort einer neu strukturierten Forschungspolitik nicht allein „Agenturen“, sondern vor allem „Entmachtung der Ministerialbürokratie“ hieße. Er beschrieb, wie Beamten mit Argusaugen über „ihre“ Forschungsorganisationen wachten, dass es um Sicherung ihres persönlichen Einflusses ginge, im Zweifel auch im Kampf der Ministerien gegeneinander. Und um die Minimierung ihrer eigenen Risiken! Er wünscht sich geradezu Forschungsorganisationen frei von ministeriellen Machtspielchen als „Vision am Reißbrett“. Doch leider taucht diese Vision in seinen weiteren Blogs und Kolumnen nicht mehr auf.
EFI hat nicht einmal diese Vision. Stattdessen postuliert sie ein technokratisches Systemverständnis, welches nur neue Strukturen und Prozesse der Forschungskoordination und Zentralisierung in der Steuerung vorsieht. Verbunden wird dies mit dem geforderten Wandel im Mindset, den man immer dann bemüht, wenn einem nichts anderes mehr einfällt. Statt die Psychologie politischer Macht zu verstehen, versieht sie deren Akteure mit dem Mythos des ‚homo rationalis’. Und was die Exekutive betrifft: Es ist die hohe Risikoaversion des Apparates, der die Konsequenzen einer fehlerhaften Genehmigung sehr viel mehr fürchtet als die einer fehlerhaften Untersagung. Und es ist die Überschätzung der Risikofreude von Menschen, die bei sehr hoher Arbeitsplatzsicherheit relativ gering verdienen.
„Die Expertenkommission befürchtet durch die Gründung zusätzliche Agenturen mit Verwaltungsaufgaben eine Doppelung der bereits bestehenden institutionellen Kapazitäten zur Administration von F I-Förderprojekten“. Eigentlich hätte die Kommission nicht nur die Kapazitäten bei den Projektträgern, sondern zudem auch die in Ministerien und Ressort-Forschungseinrichtungen mitdenken müssen. Doch wie werden aus öffentlich Bediensteten in Tankern agile Teams in Schnellbooten?
Innovating Innovation : Zu meiner Zeit als Personalvorstand bei der Deutschen Telekom hatte die Firma unter ihren rund 150.000 deutschen Beschäftigten circa 40.000 Beamtinnen und Beamte. Gleichzeitig musste dieser Personalkörper die Hauptlast der Transformation tragen. Personalpolitisch gelang dies, indem die Beamtenschaft „in sich beurlaubt“ war. Die beamteten Mitarbeiter behielten zwar ihren Beamtenstatus, hatten aber die von der allermeisten wahrgenommenen Option, einen privatrechtlichen Vertrag mit der Firma zu schließen, mit allem, was damit zusammenhing: Zielvereinbarungen, Performance Management, variable Vergütung nach Zielerreichung, Einbettung in das Karrieresystem. Und beide Seiten konnten dies rückgängig machen.
Wie spannend wären autonome Agenturen des Bundes zu zwei Dritteln rekrutiert aus „in sich beurlaubten“ Angehörigen des öffentlichen Dienstes und zu einem Drittel aus Angehörigen des privaten Sektors! Also keine Doppelkapazitäten, sondern organisatorische Verlagerung personeller Kapazitäten.
Dass die Politik selbst vor härteren Lösungen nicht zurückschreckt, hat sie erst jüngst deutlich gemacht, als sie anstelle des Projektträgers Arbeitsgemeinschaft für industrielle Gemeinschaftsforschung (AiF) die DLR mit der Projektträgerschaft für das Förderprogramm IGF betraute. Betriebsbedingte Kündigungen bei der AiF waren die Folge.
Egal wie, Strukturpolitik und Personalpolitik gehören zusammen zu einer innovativen Innovationspolitik: die strukturpolitische Schaffung autonomer Agenturen ohne Fachaufsicht, sondern nur in Rechtsaufsicht gekoppelt mit einer personalpolitischen Lösung der „in sich Beurlaubung“ ist die ideale Lösung für die Förderung von Innovation in diesem Lande. Freiheit für Menschen und Organisationen! Mit Sprind und Dati anfangen. Längst überfällig.