Table.Briefing: Research

Marvel Fusion: Flucht nach vorn + Hochschulen brauchen neue China-Strategie + Kluger KI-Kopf: Philipp Hacker

Liebe Leserin, lieber Leser,

schon wieder geht ein Hoffnungsträger der deutschen Wissenschaftsszene ins Ausland: Während Biontech seine Krebsforschung in London weiter entwickelt, will das Münchner Energie-Start-up Marvel Fusion die Entwicklung eines Kernfusion-Kraftwerks jetzt in den USA vorantreiben – entstehen soll “die leistungsstärkste Kurzpuls-Laseranlage der Welt”, teilte uns das Unternehmen am gestrigen Montag mit.

Ausgerechnet Marvel Fusion, könnte man meinen, immerhin ein erklärtes Lieblingsprojekt der Bundesforschungsministerin. Bettina Stark-Watzinger hatte das junge Unternehmen erst kürzlich in München besucht, CEO Moritz von der Linden schon zu Parteiveranstaltungen eingeladen. Seitens Marvel übt man sich denn auch in Beruhigungen in Richtung BMBF, dafür gibt es aber allerhand Dissonanzen mit hiesigen Wettbewerbern. Focused Energy, Gauss Fusion und Proxima Fusion haben eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. Warum Marvel nicht dabei ist und was das mit wissenschaftlichen Konzepten zu tun haben könnte, weiß mein Kollege Tim Gabel.

Rund 1.400 Kooperationen gibt es aktuell zwischen deutschen und chinesischen Hochschulen. Doch welche Forschungsprojekte können in Zukunft noch gemeinsam mit den chinesischen Partnern verfolgt werden und wo ist Vorsicht geboten? Wie soll dies bewertet werden und von wem? An den Hochschulen herrscht Verunsicherung und die Debatte über chinesischen Einfluss ist emotional aufgeladen. Mein Kollege Finn Mayer-Kuckuk hat mit Matthias Stepan von der Ruhr-Uni Bochum gesprochen. Das Interview lesen Sie bei uns.

Gestatten Sie uns bitte noch einen Glückwunsch in eigener Sache: Heute Morgen um sechs Uhr ist bei Table.Media die 500. Ausgabe des Europe.Table erschienen. Fünfhundert Briefings, vollgepackt mit News zur europäischen Politik in Brüssel und tiefgründigen Analysen der EU-Gesetze und -Verordnungen. An (fast) jedem Werktag seit dem 3. August 2021 liefert das Team um Till Hoppe Aktualität, Relevanz und journalistische Qualität. Hier geht es zum kostenfreien Test

Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre,

Ihre
Nicola Kuhrt
Bild von Nicola  Kuhrt
  • Bettina Stark-Watzinger
  • BMBF
  • Kernfusion

Analyse

Neue Partner in den USA, alte Kritiker zu Hause

Moritz von der Linden, CEO des Start-ups Marvel Fusion.

Im Bereich Fusionsforschung ist es die Nachricht des Sommerlochs: Das Münchner Energie-Start-up Marvel Fusion will die Entwicklung eines Kernfusion-Kraftwerks jetzt in den USA vorantreiben. Auf dem Campus der Colorado State University (CSU) werde bis 2026 “die leistungsstärkste Kurzpuls-Laseranlage der Welt” entstehen, teilte das Unternehmen am gestrigen Montag Table.Media mit. Mit diesem Demonstrator könne das Unternehmen die Entwicklung des eigenen Fusionskonzepts hin zu einem Kraftwerk deutlich beschleunigen.

Rund 150 Millionen US-Dollar kostet die Anlage. 12,5 Millionen US-Dollar kämen vom amerikanischen Energieministerium, teilt Marvel Fusion mit. Das Projekt wird die Debatte darüber anfeuern, warum es Deutschland und Europa nicht gelingen will, vielversprechende Start-ups in zukunftsrelevanten Technologiefeldern mit ausreichend Venture-Capital auszustatten, damit sie nicht in die USA oder sonst wohin abwandern. Ähnliche Diskussionen gab es Anfang des Jahres nach der Ankündigung von Biontech, sein Krebsforschungszentrum in London, statt in Deutschland zu bauen.

Niemals geht man so ganz: warme Worte ans BMBF

Marvel-CEO Moritz von der Linden trat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit Blick auf seinen Heimatmarkt verbal nach: “Es hat in Europa seitens der Risikokapitalgeber oder auch der milliardenschweren Family-Offices kein einziges Angebot gegeben.” Ein amerikanischer Selfmade-Milliardär wolle alles gewinnen; ein deutscher Erbe dagegen nichts verlieren, “hier schauen immer alle auf den Staat”, sagte von der Linden. Den Investoren vor Ort will man aber noch eine Chance geben. Auf Anfrage von Table.Media teilt Marvel Fusion mit, man würde sich freuen, den anschließenden Schritt eines Kraftwerk-Prototyps in Deutschland gehen zu können: “Der optimale Standort wird aktuell von Marvel Fusion evaluiert.”

Das Bundesforschungsministerium wird von Unternehmen ausdrücklich verteidigt: Das Positionspapier des BMBF sei ein guter erster Schritt in die richtige Richtung, schreibt das Unternehmen in der Mitteilung. “Dass die Laserfusion mit der Magnetfusion gleichbehandelt wird, zeigt, wie ernst der Erfolg an der National Ignition Facility genommen wird. Wir begrüßen das Engagement der Bundesregierung. Auch die Sprind hilft ungemein, Fusion in Deutschland voranzutreiben.” Bettina Stark-Watzinger gilt als Fan und Unterstützerin des Start-ups, war selbst schon zu Besuch vor Ort in München.

Kooperation der deutschen Mitbewerber schließt Marvel Fusion aus

Eine Wertschätzung, nach der das Start-up bei deutschen Mitbewerbern vergeblich sucht: Die anderen drei deutschen Start-ups, die schon international Investorengelder eingesammelt haben, Focused Energy, Gauss Fusion und Proxima Fusion haben seit Anfang Juni eine Kooperationsvereinbarung mit dem Titel “Schulterschluss deutscher Fusion-Start-ups”. Die drei Unternehmen wollen gemeinsam die Ausbildung und Regulierung mit Blick auf die Entwicklung eines Fusionskraftwerks voranbringen, und zwar technologieoffen, also unabhängig von laser- oder magnetbasiertem Ansatz.

Darüber hinaus wollen Sie auch auf technologischer Ebene zusammenarbeiten: “Zum Beispiel können Untersuchungen zu Reaktormaterialien von Laser- und Magnetfusionsreaktoren gemeinsam unter Verwendung neuartiger Strahlungsquellen gemacht werden”, sagt Milena Roveda, CEO von Gauss Fusion. Auch Fragen der Kühlmittel, Kraftwerkstechnik oder das Brüten von Tritium und dessen Handhabung seien weitere Punkte, bei denen die Partner viele Gemeinsamkeiten sehen. Einige Aspekte davon dürften auch für Marvel Fusion sehr relevant sein. Doch an einer Zusammenarbeit hatte keiner der drei Partner ein Interesse.

Keine Vertrauensbasis für eine Zusammenarbeit mit Münchnern

Das Modell von Marvel Fusion basiere auf einem grundlegend unterschiedlichen Ansatz – sowohl was den Brennstoff als auch das Verfahren angeht, sagt Markus Roth, Mitgründer und CSO von Focused Energy auf Anfrage von Table.Media. Er muss es wissen, denn er war bis Herbst 2020 in gleicher Funktion bei Marvel Fusion. Er hatte das Unternehmen im Frühjahr 2021 verlassen, offiziell, um sich wieder seiner Forschung an der TU Darmstadt zu widmen. Damals hatte sich auch Investorin Susanne Klatten zurückgezogen.

“Marvel Fusion hat sich das Recht vorbehalten, ihren Ansatz nicht zu kommunizieren und sich keiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung zu stellen”, sagt Roth heute. Daher wäre es für Gauss Fusion, Proxima Fusion und Focused Energy nicht möglich gewesen, auf einer gemeinsamen Vertrauensbasis miteinander zu arbeiten, sagt Roth. Im Gespräch mit dem europäischen Branchenportal Science Business hatte Roth davor gewarnt, dass einige Fusions-Start-ups Konzepte anpreisen, die einfach nicht realisierbar seien. “Das ist in der Wissenschaft bekannt”, sagte Roth, es werde aber nur privat diskutiert. In der privaten Fusionsindustrie “kann man auf Geld zugreifen, bis jemand merkt, dass der Kaiser nackt ist”, sagte er.

Er hatte diese Aussage aber allgemein getätigt und dabei nicht ausdrücklich Marvel Fusion genannt. Auch auf Rückfrage wollte das Unternehmen das Zitat ausdrücklich nicht als Aussage gegenüber dem Münchner Start-up verstanden wissen.

Marvel Fusion lässt Kritik unkommentiert und verweist auf Partner

Kritik am Konzept von Marvel Fusion hatten auch Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP) geäußert, das hinter den Start-ups Gauss Fusion und Proxima Fusion steht. Die wissenschaftliche Diskussion kann man auf dem Preprint-Portal arxiv verfolgen. Die Kritik betrifft vor allem die Zusammensetzung des Brennstoffs. Während die National Ignition Facility und auch Focused Energy Deuterium und Tritium als Brennstoff nutzen, setzt Marvel auf Deuterium und Bor.

Das hätte einen großen Vorteil gegenüber der klassischen Plasmafusion, an der bereits seit Jahrzehnten geforscht wird: Während die Wasserstoff-Isotope Tritium und Deuterium entweder geringgradig radioaktiv sind oder aber Neutronenstrahlung entsteht, sind bei der Bor-Protonen-Fusion keine radioaktiven Stoffe im Spiel. Allerdings ist das Brennstoff-Gemisch auch deutlich weniger erforscht. Kritiker des Konzepts sagen, es könnte Jahrzehnte dauern, bis Laser in der Lage sind, den Brennstoff zu entzünden.

Start-up verweist auf namhafte Partner und Investoren

Ein Sprecher von Marvel Fusion gab auf Anfrage an, dass das Unternehmen auf die ursprüngliche Kritik der IPP-Forscher mit einem aktuellen Artikel reagiert habe, der das wissenschaftliche Konzept noch einmal ausführlich beschreibe und die Machbarkeit darstelle.

Ansonsten will man in München die Kritik der Konkurrenz unkommentiert lassen. Man verweist auf die ausgiebige Due-Dilligence-Prüfung von Investoren, die Zusammenarbeit mit namhaften Wissenschaftlern und die zahlreichen wissenschaftlichen Partnerschaften. Etwa solche mit der LMU München, der Extreme Light Infrastructure for Nuclear Physics in Rumänien und nun eben der Colorado State University. Ebenjene Kooperation könnte für Marvel Fusion jetzt eine Flucht nach vorne bedeuten.



  • BMBF
  • Deutschland
  • Forschung
  • Kernfusion
  • Sprind
  • USA

“In Kooperation mit China anders agieren”

Matthias Stepan von der Ruhr-Uni Bochum ist Wissensmanager des EU-Projekts
Matthias Stepan von der Ruhr-Uni Bochum ist Wissensmanager des EU-Projekts “China Horizons – Dealing with a Resurgent China”

Als erste deutsche Hochschule hat sich die Universität Erlangen-Nürnberg entschieden, CSC-Stipendiaten nur noch anzunehmen, wenn diese auch vom DAAD ausgewählt wurden. Diese Entscheidung sei ein klares Signal, dass es bei der Kooperation mit China seitens deutscher Hochschulen kein Weiter so geben wird, sagt Matthias Stepan. Die Entscheidung werde sicher kein Einzelfall bleiben und andere Hochschulen werden folgen oder haben bereits stillschweigend ihre Politik geändert.

Die neue China-Strategie der Bundesregierung sei allerdings wenig konkret. “Eine erste Klarstellung der Regierung kam aber schon kurz nach Veröffentlichung der Strategie in Form einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Gesundheits- und Klimaforschung seien in Zukunft weiterhin gern gesehen. Aber alles, was außerhalb dieser Bereiche liege, soll kritisch auf Technologieabfluss oder militärische Nutzung geprüft werden.”

Leute mit Seniorität in der Forschung schwer erreichbar

Auch wenn das BMBF nur eine geringe Handhabe habe, was Verbote für Akteure in der Wissenschaft und Forschung angehe – Wissenschaftsfreiheit ist ein hohes Gut und Hochschulen sind Ländersache: “Das BMBF wird sicher die Sensibilisierung weiter vorantreiben und Informationsangebote machen.” Die Aktivitäten der vergangenen Jahre erreichen aus Stepans Sicht in erster Linie die International Offices an Hochschulen. “Leider lassen sich gerade Leute mit Seniorität in der Forschung nicht immer etwas von der Uni-Leitung sagen. Um diese zu erreichen, müsste man ganz konkret an die Fachgesellschaften herantreten.” So könnte die Deutsche Physikalische Gesellschaft Formate anbieten, über die man die Wissenschaftler erreiche.

In den vergangenen fünf Jahren habe sich an den extremen Rändern zwei Camps gebildet, führt der Experte aus. “Die eine Seite sagt, verkürzt ausgedrückt: Macht nichts mehr mit China. Und die andere Seite sagt: Macht auf jeden Fall weiter.” Tatsächlich sei vielen der Akteure in der Mitte klar, dass es Zeit für ein Umdenken sei und man in der Kooperation mit China anders agieren müsse. “Weder das Weiter so noch der Kontaktabbruch haben in Wirklichkeit eine große Mehrheit hinter sich.”

Kooperation, um Grenzen des Wissens nach vorn zu schieben

Der öffentliche Schlagabtausch werde dabei klar von Sinologinnen und Sinologen dominiert – sie seien aber was die Kooperationen angeht, lediglich eine kleine Teil-Gruppe. Man müsse gemeinhin zwei Gruppen unterscheiden. Diejenigen, die China als Forschungsgegenstand haben – seien es Sozialwissenschaftler oder Ökonomen. Für sie sei es zentral, dass sie Zugang zum Land haben, dass sie dort Feldforschung machen können. Deren öffentlich geführte Debatte ist weit weg von der zweiten Gruppe, den Naturwissenschaftlern oder beispielsweise auch den Philosophen. “Sie kooperieren mit der chinesischen Seite, weil sie die Grenze des Wissens in ihrem Fachgebiet nach vorne schieben wollen. Für beide Gruppen spielen aber die immer schärferen Datenschutz- oder generell Datentransfer-Gesetze eine steigende Rolle.”

Den Chinaforschern seien die Risiken bereits bewusst, erklärt Stepan. Doch auch für die Naturwissenschaftler sollten die Datentransfer-Regeln große Alarmlichter zum Leuchten bringen, weil eben große Datenmengen ausgetauscht werden, die nun ebenfalls Kontrollen von chinesischer Seite unterworfen sind. Es brauche neue Strukturen und Prozesse für die Bewertung.

Eine Zentralstelle hält Stepan für wenig praktikabel. Es gäbe aktuell rund 1.400 Kooperationen zwischen deutschen und chinesischen Hochschulen. “Stellen Sie sich vor, jede der beteiligten deutschen Hochschulen würde einmal im Jahr einen Antrag an diese Zentralstelle senden. Auch den Fokus auf China fände ich unglücklich.”

Lesen Sie in der Langfassung des Interviews, welche Alternative zu dem “Bürokratie-Monster” einer Zentralstelle Matthias Stepan sieht und welche Schlussfolgerungen die Wissenschaft mit der Zeitenwende ziehen sollte.

Matthias Stepan forscht an der Ruhr-Uni Bochum zur Politik Ostasiens. Dort hat er die inhaltliche Leitung des Forschungsprojekts “Hochschulen als Akteure im Dialog mit China” inne und ist im EU-geförderten Projekt “China Horizons – Dealing with a Resurgent China” (DWARC) für Wissensmanagement verantwortlich. Stepan war zuvor Leiter des Pekinger Büros der Stiftung Mercator und im Management-Team des Mercator Institute for China Studies (Merics).

  • Forschung
  • Hochschulen

Termine

6. September 2023, Allianz Forum, Pariser Platz 6, Berlin
Preisverleihung Unipreneurs: Die besten Professorinnen und Professoren für Startups Mehr

11.-13. September 2023, Osnabrück
18. Jahrestagung der Gesellschaft für Hochschulforschung Das Zusammenspiel von Hochschulforschung und Hochschulentwicklung: Empirie, Transfer und Wirkungen Mehr

20.-22. September 2023, Hyperion Hotel, Leipzig
Konferenz SEMANTiCS und Language Intelligence 2023 Mehr

27.-29. September 2023, Freie Universität Berlin
Gemeinsame Konferenz der Berliner Hochschulen Open-Access-Tage 2023 “Visionen gestalten” Mehr

News

Habeck will Batterieproduktion fördern

Die Bundesregierung will die Förderung für die Batterieproduktion in Deutschland beschleunigen. Noch im Sommer werde das Wirtschaftsministerium unter Minister Robert Habeck eine neue Förderrichtlinie zur Stärkung der Batterie-Wertschöpfungskette veröffentlichen, sagte eine Sprecherin am Wochenende zu Table.Media. Mit der geplanten Finanzhilfe für Batteriekomponenten will das Wirtschaftsministerium zum ersten Mal einen neuen Förderrahmen anwenden, der am Freitag im Bundesanzeiger veröffentlicht wurde.

Auf Grundlage der neuen Bundesregelung Transformationstechnologien können Bund und Länder Förderprogramme auflegen und Anträge bewilligen, die nicht mehr einzeln und zeitaufwendig von der EU-Kommission genehmigt werden müssen. “Das spart sehr viel Zeit und baut Bürokratie ab”, heißt es in einer Mitteilung, die das Ministerium am Montag veröffentlichen will und die Table.Media vorab vorlag.

Mit der Bundesregelung Transformationstechnologien setzt das Wirtschaftsministerium den befristeten Beihilferahmen TCTF in nationales Recht um, den die EU als Reaktion auf den Wirtschaftseinbruch in Folge des Ukrainekrieges beschlossen hatte. Mit der Diskussion um den amerikanischen Inflation Reduction Act war er im März erweitert worden, um auch den Aufbau von Produktionskapazitäten für grüne Technologien zu fördern. Außer Batterien sind dies Wärmepumpen, Solarpaneele, Windturbinen, Elektrolyseure für die Wasserstoffproduktion sowie Ausrüstung für die Abscheidung, Nutzung und Speicherung von CO2.

Weitere Förderrichtlinien bereits in Arbeit

Schlüsselkomponenten für die Produktion von Batterien sind nach der Bundesregelung Transformationstechnologien etwa Anoden und Kathoden, bestimmte Chemikalien sowie der Maschinen- und Anlagenbau. Neben dem Batterieprogramm seien weitere nationale Förderrichtlinien bereits in Arbeit, sagte die Sprecherin des Wirtschaftsministeriums. Das gesamte Fördervolumen könnte sich nach einer Schätzung vom Mai auf drei Milliarden Euro belaufen. Für Batteriekomponenten war nach einer älteren Veröffentlichung des Ministeriums allein eine Milliarde Euro vorgesehen.

Die Batterierichtlinie wird voraussichtlich den Abfluss von Fördermitteln beschleunigen, denn sie ersetzt eine ältere Förderankündigung (EuBatIn) auf Basis des europäischen IPCEI-Programms. Dafür hatte das BMWK Anfang des Jahres bereits ein Interessenbekundungsverfahren in der Industrie durchgeführt.

Eine Erweiterung des Batterie-IPCEI verfolgen wir nicht mehr und werden stattdessen das TCTF nutzen”, sagte die Ministeriumssprecherin. Grund dürfte sein, dass IPCEI-Genehmigungen zeitintensiv und mit höheren Anforderungen verbunden sind. ber/mkr

  • BMWK
  • Forschung
  • TCTF

Krankheit X: Neues Zentrum zur Pandemie-Forschung in Großbritannien

Mit einem neuen Forschungszentrum will sich Großbritannien künftig besser auf Pandemien vorbereiten. In dem Institut auf dem Gelände des nationalen Forschungslabors Porton Down in Südengland sollen Krankheitserreger erforscht werden, für die es noch keinen Impfstoff gibt oder bei denen die Immunisierung verbessert werden könnte, wie etwa Grippe-, Mpox- oder Hantavirus.

Das neue Zentrum solle Großbritannien auch helfen, sich auf die “Krankheit X” vorzubereiten, sagte die Chefin der Gesundheitsbehörde UK Health Security Agency (UKHSA), Jenny Harries, am Montag. Als “Krankheit X” wird ein unbekannter Erreger bezeichnet, der eine Pandemie auslösen könnte.

“Wir wissen nicht, was es ist, aber wir können uns auf einige Virusfamilien vorbereiten”, sagte Harries. “Wir versuchen hier, diejenigen im Auge zu behalten, die wir kennen. Bei Corona etwa testen wir immer noch alle neuen Varianten mit den bereitgestellten Impfstoffen, um zu überprüfen, ob sie noch wirksam sind.”

Derzeit laufe zudem eine klinische Phase-1-Studie für eine weltweit erste Impfung gegen das Krim-Kongo-Fieber, ein durch Zecken übertragenes Virus, das in vielen Fällen tödlich endet.

Derzeit läuft eine öffentliche Untersuchung, die unter anderem klären soll, ob Großbritannien angemessen auf die Corona-Pandemie vorbereitet war. Dabei wurde unter anderem deutlich, dass frühere Regierungen eher auf eine Grippe-Pandemie vorbereitet waren als auf andere Viren. dpa / nik

  • Forschung
  • Großbritannien
  • Pandemie

Erasmus+: EU-Kommission fördert 159 neue Projekte  

Die Europäische Kommission wird im Rahmen von “Erasmus+” in diesem Jahr 159 Projekte in Drittländern unterstützen. Die Projekte sollen die Modernisierung und Qualität der Hochschulbildung in Drittstaaten voranbringen und den Weg zur stärkeren Zusammenarbeit mit Europa ebnen. Insgesamt werden 2.500 Beteiligte aus rund 130 Ländern von der Finanzierung profitieren. Eine zusätzliche Förderung erhalten Hochschulen in der Ukraine. 

Das Gesamtbudget für 2023 in Höhe von 115,3 Millionen Euro wird etwa eingesetzt für: 

– Hochschulstudien in den Bereichen Gleichberechtigung und Gleichstellungsrecht für benachteiligte Gruppen in Lateinamerika 

– Lehrpläne für eine nachhaltige blaue Wirtschaft im südlichen Mittelmeerraum und Kurse für transformative Veränderungen in der Gesundheitsbildung in Südostasien 

– Förderung unternehmerische Fähigkeiten für zentralasiatische Frauen 

– Projekte für digitale Bildung in westlichen Balkanländern 

– den Aufbau von Büros für internationale Beziehungen an Universitäten im Nahen Osten 

–  Lehrpläne für Lebensmittel-Anbau und Ernährung in Westafrika. 

DigiUni: Projekt für Studierende in der Ukraine 

In diesem Jahr hat die EU außerdem fünf Millionen Euro an zusätzlicher Unterstützung für die Ukraine vorgesehen, um ein groß angelegtes Erasmus+-Projekt für Universitäten zu fördern, das das digitale Umfeld für die Hochschulbildung stärken soll. Im Rahmen des auf vier Jahre angelegten Projekts “DigiUni” wird eine leistungsfähige digitale Plattform für die ukrainischen Hochschulen entwickelt, die insbesondere denjenigen Studierenden zugutekommt, die aus dem Land fliehen mussten oder Binnenvertriebene sind.  

Die Kontinuität der Ausbildung der an ukrainischen Hochschulen eingeschriebenen Studierenden soll so gewährleistet werden. Insbesondere wird die DigiPlatform eine digitale Lerneinrichtung bieten, um Schulungen in Online-Lehrtechniken zu entwickeln und Lerninhalte für die Online- oder virtuelle Bereitstellung anzupassen.   

An dem Projekt, das von der Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität Kiew koordiniert wird, sind Hochschuleinrichtungen und Akteure aus sechs EU-Mitgliedstaaten (Belgien, Deutschland, Frankreich, Polen, Spanien und die Tschechische Republik) sowie 15 weitere ukrainische Partner beteiligt, darunter neun nationale Universitäten, die Ministerien für Bildung und digitale Transformation, die Nationale Agentur für Qualitätssicherung im Hochschulbereich sowie drei Verbände, die den IT-Sektor und Studierende vertreten. nik 

  • Bildung
  • Forschung
  • Hochschulen
  • Ukraine

Heads

Philipp Hacker: “KI kann egalisierend wirken”

Philipp Hacker leitet den Lehrstuhl für Recht und Ethik der digitalen Gesellschaft an der European New School of Digital Studies der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Was erforschen Sie im Zusammenhang mit KI?

Als Jurist zeige ich in meiner Forschung die neuen Risiken durch KI auf, aber auch die großen Chancen und wie sie genutzt werden können. Als interdisziplinärer Wissenschaftler entwickle ich Algorithmen für eine faire KI, etwa bei der Personalauswahl. Niemand soll dabei diskriminiert werden, nicht wegen seines Geschlechts oder Alters, seiner Religion oder ethnischen Zugehörigkeit. Doch wie bringt man das einem KI-Programm zur Vorauswahl von Bewerberinnen und Bewerbern bei? Eine Methode habe ich kürzlich zusammen mit Fachleuten aus Informatik und Mathematik publiziert.

Sie erlaubt es, drei verschiedene Gerechtigkeitsideale gleichzeitig im Blick zu behalten, bedarfsgerecht zu gewichten und schnell zu fairen Entscheidungen zu kommen. Das war so bisher nicht möglich. Wir werden unser Modell jetzt auf neue Praxisfälle übertragen, etwa auf die Kreditwürdigkeitsprüfung. Der Ansatz eignet sich potenziell auch für die Erkennung und Unterdrückung von Hassrede oder diskriminierender Sprache – das könnten wir uns als Zukunftsprojekte vorstellen. Dahinter steht kein kommerzielles Interesse, unsere Programme sind frei verfügbar, der Code ist es auch.

Wo sehen Sie die größten Chancen von KI?

KI kann helfen, die großen Probleme unserer Zeit zu lösen. Ich denke da zum Beispiel an den Klimaschutz. Oder an das Gesundheitswesen. In Zukunft werden Ärztinnen und Ärzte ihre kostbare Zeit nicht mehr für das Ausformulieren von Patientenbriefen opfern müssen, sondern brauchbare Entwürfe von ihrer KI erhalten. KI-gestützte Mustererkennung wird die Krebsfrüherkennung enorm voranbringen. Profitieren wird auch die medizinische Grundlagenforschung, die schneller in aussichtsreiche Therapien mündet. Menschen mit Behinderungen werden dank KI leichter am sozialen Leben teilnehmen können. Überhaupt kann künstliche Intelligenz egalisierend wirken, wie aktuelle Studien zeigen. Demnach gleicht ChatGPT sprachliche Schwächen und manches Bildungsdefizit aus – zumindest im ersten Anlauf.

Welche negativen Auswirkungen künstlicher Intelligenz sind zu befürchten?

Als Hochrisikoanwendung ist KI durchaus vergleichbar mit einer gefährlichen Waffe, wobei sich toxische, durch KI generierte Inhalte jedoch schneller und leichter verbreiten. Da ist viel politischer und sozialer Sprengstoff drin. Dennoch: Das Risiko, dass KI die Welt auslöscht, ist klein. Viel drängender ist die Gefahr, dass künstliche Intelligenz uns durch Fake News auf den Holzweg schickt und durch Hassrede Unfrieden stiftet.

Können wir uns dagegen wappnen?

Wir sollten unser kritisches Denken schulen und massiv in die KI-Bildung investieren. Das kann schon im Grundschulalter losgehen und sich lebenslang fortsetzen. In meiner Arbeit mit Studierenden ist der Umgang mit künstlicher Intelligenz ein Dauerthema.

Wie sollte KI reguliert werden?

Der aktuell diskutierte Entwurf eines europäischen KI-Gesetzes ist für den Anfang gar nicht so schlecht. Aber wir sollten seinen Geltungsbereich exakter definieren und uns genau überlegen, was wir unter KI verstehen und was nicht. Die rechtliche Kontrolle sollte sich auf einzelne Anwendungen beschränken und keinesfalls die Technologie als Ganzes regulieren. Das würde deren weitere Entwicklung behindern und Europa langfristig schaden. Zu einer guten KI-Gesetzgebung gehören auch Regeln für die Inhaltsmoderation. Die soll Hassrede, Manipulation und Falschnachrichten aufdecken und für mehr Transparenz sorgen. Hier gibt es schon gute Initiativen von Start-up-Firmen, die dazu beitragen, die Quellen von KI-Information offenzulegen. Wofür ich mich aktuell stark mache, ist die Aufnahme von KI-Anwendungen in den Emissionshandel. Dabei sollten für medizinische Zwecke andere Tarife gelten als beispielsweise für einen Schönheitswettbewerb. Entsprechende Vorschläge habe ich ins EU-Parlament eingebracht.

In welchen Bereichen wird KI die Arbeitsweise grundlegend verändern? Und wann ist es soweit?

Schon jetzt betrifft KI alle Branchen. Zuerst umstellen müssen sich diejenigen, die Texte, Bilder oder Videos produzieren. Wer also sein Auskommen weiterhin im Journalismus, im Kunstbereich, in Bildung, Forschung oder in der Rechtsberatung finden will, sollte sich möglichst schnell mit der neuen Technologie befassen. Umgekehrt werden viele neue Jobs entstehen, die wir uns jetzt noch gar nicht so richtig vorstellen können.

Philipp Hacker ist Rechtswissenschaftler. Er leitet den Lehrstuhl für Recht und Ethik der digitalen Gesellschaft an der European New School of Digital Studies der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und berät politische Institutionen. Etwa die Europäische Union zum European AI Act oder den Deutschen Bundestag im Rahmen der öffentlichen Anhörung “Generative Künstliche Intelligenz” am 24. Mai 2023.

Die Texte der Table.Media-Serie “Der globale Wettlauf um Künstliche Intelligenz” finden Sie hier.

  • Deutschland
  • Forschung
  • Künstliche Intelligenz

Mehr von Table.Media

Berlin.Table. Krankenhausreform: Kritiker rügen Lauterbachs Kommission. Gesundheitsexperten um die Medizincontrollerin Erika Raab haben Zahlen von Lauterbachs Regierungskommission zerpflückt. Tenor: Die Kliniken arbeiteten viel besser als behauptet. Da ein “Tsunami” an Patienten auf die Krankenhäuser zukomme, brauche die Politik dringend einen Weckruf. Das sehen unter Medizinern bei weitem nicht alle so. Mehr

China.Table: Pekings Angst vor Deepfakes. China hat im Januar als eines der ersten Länder umfassende Regularien gegen Deepfakes vorgelegt. Demnach sollen Video- und Bildfälschungen, die etwa Politiker täuschend echt nachahmen, eindeutig gekennzeichnet werden. Viele sehen China nun als Vorreiter. Der Kampf gegen die immer ausgeklügeltere Technologie wird jedoch zum Wettrüsten zwischen Anbietern und Regulatoren. Mehr.

Climate.Table. Vulkane am Meeresboden als CO₂-Deponie? Eine neue Studie zeigt ein großes Potenzial für die CO₂-Speicherung in alten unterseeischen Vulkanen. Regionen vor Portugals Küste deuten auf eine günstige Geologie hin. Die Erzählung passt gut zur momentanen Aufmerksamkeit für CCS, hat aber ihre Lücken. Mehr

Europe.Table: Martin Schulz “Der Weg von Manfred Weber ist falsch”. Zeit seines politischen Lebens hat sich Martin Schulz, Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung, mit Rechtsnationalen, Neofaschisten und Populisten auseinandergesetzt. Im Interview mit Horand Knaup spricht er über Silvio Berlusconi, dem er vor 20 Jahren legendär die Stirn bot, über die Wesenselemente demokratischer Kultur und die Abstiegsängste einst stabiler gesellschaftlicher Milieus. Mehr.

Europe.Table. DSA: Wissings Vorschlag zur Umsetzung stößt auf Kritik. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr hat den Referentenentwurf für das Digitale-Dienste-Gesetz in die Ressortabstimmung gegeben. Mit dem Gesetz werden die nationalen Anteile des Digital Services Act umgesetzt. Die nationale Koordinierungsstelle soll bei der Bundesnetzagentur angesiedelt werden – scharfe Kritik wird jedoch sofort an den weiteren Zuständigkeiten laut. Mehr

Dessert

Versteckt im Boden pulsiert das Leben: Forscher aus der Schweiz haben herausgefunden, dass im Erdboden fast 60 Prozent aller uns bekannten Arten leben.

Wie himmelhochjauchzend: Die Artenvielfalt blühe in Baumkronen, sie finde sich in der tiefen Tiefsee und schillere an Korallenriffen, heißt es in einer Meldung zu einer aktuellen Studie von Schweizer Forschern. Aber: nirgends wimmele es so an Lebewesen wie unter unseren Füßen, genauer gesagt: dem Erdboden. 59 Prozent aller bekannten Arten leben dort, heißt es in der Veröffentlichung, nachzulesen in den “Proceedings” der US-nationalen Akademie der Wissenschaften (PNAS). Bisher war man eher von 25 Prozent ausgegangen. Böden seien weltweit das artenreichste Ökosystem! Wahnsinn, denkt man, dass gerade unter der Erde das Leben so pulsieren soll.  

Wer weiterliest, der landet allerdings unsanft bei den Tatsachen zur Form, in der sich dieses Leben dort unten zeigt. Als Beispiel für den Artenreichtum des Bodens nennt das Schweizer Team sogenannte Springschwänze. Diese stellten eine urtümliche Form der Sechsbeiner dar. Dazu gehöre auch der bis zu 17 Millimeter lange Holacanthella spinosa, der in Neuseeland vorkomme, oder Dicyrtomina minuta, der nur ein, zwei Millimeter lang wird, kugelig aussieht und eine blassgoldene Farbe hat. Springschwänze würden im Boden zur Humusbildung beitragen. Insgesamt leben 90 Prozent der Pilze und 86 Prozent der Pflanzen im Erdboden und immerhin noch 20 Prozent aller Weichtiere, schreiben Hauptautor Mark Anthony von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL in Birmensdorf und seine Kollegen.

Die Wissenschaftler glauben, dass die Studie ein wichtiger Beitrag für Entscheidungen über einen besseren Bodenschutz sein kann. “Die Böden stehen enorm unter Druck, sei es durch landwirtschaftliche Intensivierung, den Klimawandel, invasive Arten und vieles mehr”, zitiert die WSL Anthony. “Unsere Studie zeigt, dass die Vielfalt in den Böden groß und entsprechend wichtig ist und sie somit im Naturschutz viel stärker berücksichtigt werden sollte.” Bleiben Sie also geerdet! Nicola Kuhrt  

  • Forschung
  • Schweiz
  • Umwelt

Research.Table Redaktion

RESEARCH.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    schon wieder geht ein Hoffnungsträger der deutschen Wissenschaftsszene ins Ausland: Während Biontech seine Krebsforschung in London weiter entwickelt, will das Münchner Energie-Start-up Marvel Fusion die Entwicklung eines Kernfusion-Kraftwerks jetzt in den USA vorantreiben – entstehen soll “die leistungsstärkste Kurzpuls-Laseranlage der Welt”, teilte uns das Unternehmen am gestrigen Montag mit.

    Ausgerechnet Marvel Fusion, könnte man meinen, immerhin ein erklärtes Lieblingsprojekt der Bundesforschungsministerin. Bettina Stark-Watzinger hatte das junge Unternehmen erst kürzlich in München besucht, CEO Moritz von der Linden schon zu Parteiveranstaltungen eingeladen. Seitens Marvel übt man sich denn auch in Beruhigungen in Richtung BMBF, dafür gibt es aber allerhand Dissonanzen mit hiesigen Wettbewerbern. Focused Energy, Gauss Fusion und Proxima Fusion haben eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. Warum Marvel nicht dabei ist und was das mit wissenschaftlichen Konzepten zu tun haben könnte, weiß mein Kollege Tim Gabel.

    Rund 1.400 Kooperationen gibt es aktuell zwischen deutschen und chinesischen Hochschulen. Doch welche Forschungsprojekte können in Zukunft noch gemeinsam mit den chinesischen Partnern verfolgt werden und wo ist Vorsicht geboten? Wie soll dies bewertet werden und von wem? An den Hochschulen herrscht Verunsicherung und die Debatte über chinesischen Einfluss ist emotional aufgeladen. Mein Kollege Finn Mayer-Kuckuk hat mit Matthias Stepan von der Ruhr-Uni Bochum gesprochen. Das Interview lesen Sie bei uns.

    Gestatten Sie uns bitte noch einen Glückwunsch in eigener Sache: Heute Morgen um sechs Uhr ist bei Table.Media die 500. Ausgabe des Europe.Table erschienen. Fünfhundert Briefings, vollgepackt mit News zur europäischen Politik in Brüssel und tiefgründigen Analysen der EU-Gesetze und -Verordnungen. An (fast) jedem Werktag seit dem 3. August 2021 liefert das Team um Till Hoppe Aktualität, Relevanz und journalistische Qualität. Hier geht es zum kostenfreien Test

    Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre,

    Ihre
    Nicola Kuhrt
    Bild von Nicola  Kuhrt
    • Bettina Stark-Watzinger
    • BMBF
    • Kernfusion

    Analyse

    Neue Partner in den USA, alte Kritiker zu Hause

    Moritz von der Linden, CEO des Start-ups Marvel Fusion.

    Im Bereich Fusionsforschung ist es die Nachricht des Sommerlochs: Das Münchner Energie-Start-up Marvel Fusion will die Entwicklung eines Kernfusion-Kraftwerks jetzt in den USA vorantreiben. Auf dem Campus der Colorado State University (CSU) werde bis 2026 “die leistungsstärkste Kurzpuls-Laseranlage der Welt” entstehen, teilte das Unternehmen am gestrigen Montag Table.Media mit. Mit diesem Demonstrator könne das Unternehmen die Entwicklung des eigenen Fusionskonzepts hin zu einem Kraftwerk deutlich beschleunigen.

    Rund 150 Millionen US-Dollar kostet die Anlage. 12,5 Millionen US-Dollar kämen vom amerikanischen Energieministerium, teilt Marvel Fusion mit. Das Projekt wird die Debatte darüber anfeuern, warum es Deutschland und Europa nicht gelingen will, vielversprechende Start-ups in zukunftsrelevanten Technologiefeldern mit ausreichend Venture-Capital auszustatten, damit sie nicht in die USA oder sonst wohin abwandern. Ähnliche Diskussionen gab es Anfang des Jahres nach der Ankündigung von Biontech, sein Krebsforschungszentrum in London, statt in Deutschland zu bauen.

    Niemals geht man so ganz: warme Worte ans BMBF

    Marvel-CEO Moritz von der Linden trat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit Blick auf seinen Heimatmarkt verbal nach: “Es hat in Europa seitens der Risikokapitalgeber oder auch der milliardenschweren Family-Offices kein einziges Angebot gegeben.” Ein amerikanischer Selfmade-Milliardär wolle alles gewinnen; ein deutscher Erbe dagegen nichts verlieren, “hier schauen immer alle auf den Staat”, sagte von der Linden. Den Investoren vor Ort will man aber noch eine Chance geben. Auf Anfrage von Table.Media teilt Marvel Fusion mit, man würde sich freuen, den anschließenden Schritt eines Kraftwerk-Prototyps in Deutschland gehen zu können: “Der optimale Standort wird aktuell von Marvel Fusion evaluiert.”

    Das Bundesforschungsministerium wird von Unternehmen ausdrücklich verteidigt: Das Positionspapier des BMBF sei ein guter erster Schritt in die richtige Richtung, schreibt das Unternehmen in der Mitteilung. “Dass die Laserfusion mit der Magnetfusion gleichbehandelt wird, zeigt, wie ernst der Erfolg an der National Ignition Facility genommen wird. Wir begrüßen das Engagement der Bundesregierung. Auch die Sprind hilft ungemein, Fusion in Deutschland voranzutreiben.” Bettina Stark-Watzinger gilt als Fan und Unterstützerin des Start-ups, war selbst schon zu Besuch vor Ort in München.

    Kooperation der deutschen Mitbewerber schließt Marvel Fusion aus

    Eine Wertschätzung, nach der das Start-up bei deutschen Mitbewerbern vergeblich sucht: Die anderen drei deutschen Start-ups, die schon international Investorengelder eingesammelt haben, Focused Energy, Gauss Fusion und Proxima Fusion haben seit Anfang Juni eine Kooperationsvereinbarung mit dem Titel “Schulterschluss deutscher Fusion-Start-ups”. Die drei Unternehmen wollen gemeinsam die Ausbildung und Regulierung mit Blick auf die Entwicklung eines Fusionskraftwerks voranbringen, und zwar technologieoffen, also unabhängig von laser- oder magnetbasiertem Ansatz.

    Darüber hinaus wollen Sie auch auf technologischer Ebene zusammenarbeiten: “Zum Beispiel können Untersuchungen zu Reaktormaterialien von Laser- und Magnetfusionsreaktoren gemeinsam unter Verwendung neuartiger Strahlungsquellen gemacht werden”, sagt Milena Roveda, CEO von Gauss Fusion. Auch Fragen der Kühlmittel, Kraftwerkstechnik oder das Brüten von Tritium und dessen Handhabung seien weitere Punkte, bei denen die Partner viele Gemeinsamkeiten sehen. Einige Aspekte davon dürften auch für Marvel Fusion sehr relevant sein. Doch an einer Zusammenarbeit hatte keiner der drei Partner ein Interesse.

    Keine Vertrauensbasis für eine Zusammenarbeit mit Münchnern

    Das Modell von Marvel Fusion basiere auf einem grundlegend unterschiedlichen Ansatz – sowohl was den Brennstoff als auch das Verfahren angeht, sagt Markus Roth, Mitgründer und CSO von Focused Energy auf Anfrage von Table.Media. Er muss es wissen, denn er war bis Herbst 2020 in gleicher Funktion bei Marvel Fusion. Er hatte das Unternehmen im Frühjahr 2021 verlassen, offiziell, um sich wieder seiner Forschung an der TU Darmstadt zu widmen. Damals hatte sich auch Investorin Susanne Klatten zurückgezogen.

    “Marvel Fusion hat sich das Recht vorbehalten, ihren Ansatz nicht zu kommunizieren und sich keiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung zu stellen”, sagt Roth heute. Daher wäre es für Gauss Fusion, Proxima Fusion und Focused Energy nicht möglich gewesen, auf einer gemeinsamen Vertrauensbasis miteinander zu arbeiten, sagt Roth. Im Gespräch mit dem europäischen Branchenportal Science Business hatte Roth davor gewarnt, dass einige Fusions-Start-ups Konzepte anpreisen, die einfach nicht realisierbar seien. “Das ist in der Wissenschaft bekannt”, sagte Roth, es werde aber nur privat diskutiert. In der privaten Fusionsindustrie “kann man auf Geld zugreifen, bis jemand merkt, dass der Kaiser nackt ist”, sagte er.

    Er hatte diese Aussage aber allgemein getätigt und dabei nicht ausdrücklich Marvel Fusion genannt. Auch auf Rückfrage wollte das Unternehmen das Zitat ausdrücklich nicht als Aussage gegenüber dem Münchner Start-up verstanden wissen.

    Marvel Fusion lässt Kritik unkommentiert und verweist auf Partner

    Kritik am Konzept von Marvel Fusion hatten auch Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP) geäußert, das hinter den Start-ups Gauss Fusion und Proxima Fusion steht. Die wissenschaftliche Diskussion kann man auf dem Preprint-Portal arxiv verfolgen. Die Kritik betrifft vor allem die Zusammensetzung des Brennstoffs. Während die National Ignition Facility und auch Focused Energy Deuterium und Tritium als Brennstoff nutzen, setzt Marvel auf Deuterium und Bor.

    Das hätte einen großen Vorteil gegenüber der klassischen Plasmafusion, an der bereits seit Jahrzehnten geforscht wird: Während die Wasserstoff-Isotope Tritium und Deuterium entweder geringgradig radioaktiv sind oder aber Neutronenstrahlung entsteht, sind bei der Bor-Protonen-Fusion keine radioaktiven Stoffe im Spiel. Allerdings ist das Brennstoff-Gemisch auch deutlich weniger erforscht. Kritiker des Konzepts sagen, es könnte Jahrzehnte dauern, bis Laser in der Lage sind, den Brennstoff zu entzünden.

    Start-up verweist auf namhafte Partner und Investoren

    Ein Sprecher von Marvel Fusion gab auf Anfrage an, dass das Unternehmen auf die ursprüngliche Kritik der IPP-Forscher mit einem aktuellen Artikel reagiert habe, der das wissenschaftliche Konzept noch einmal ausführlich beschreibe und die Machbarkeit darstelle.

    Ansonsten will man in München die Kritik der Konkurrenz unkommentiert lassen. Man verweist auf die ausgiebige Due-Dilligence-Prüfung von Investoren, die Zusammenarbeit mit namhaften Wissenschaftlern und die zahlreichen wissenschaftlichen Partnerschaften. Etwa solche mit der LMU München, der Extreme Light Infrastructure for Nuclear Physics in Rumänien und nun eben der Colorado State University. Ebenjene Kooperation könnte für Marvel Fusion jetzt eine Flucht nach vorne bedeuten.



    • BMBF
    • Deutschland
    • Forschung
    • Kernfusion
    • Sprind
    • USA

    “In Kooperation mit China anders agieren”

    Matthias Stepan von der Ruhr-Uni Bochum ist Wissensmanager des EU-Projekts
    Matthias Stepan von der Ruhr-Uni Bochum ist Wissensmanager des EU-Projekts “China Horizons – Dealing with a Resurgent China”

    Als erste deutsche Hochschule hat sich die Universität Erlangen-Nürnberg entschieden, CSC-Stipendiaten nur noch anzunehmen, wenn diese auch vom DAAD ausgewählt wurden. Diese Entscheidung sei ein klares Signal, dass es bei der Kooperation mit China seitens deutscher Hochschulen kein Weiter so geben wird, sagt Matthias Stepan. Die Entscheidung werde sicher kein Einzelfall bleiben und andere Hochschulen werden folgen oder haben bereits stillschweigend ihre Politik geändert.

    Die neue China-Strategie der Bundesregierung sei allerdings wenig konkret. “Eine erste Klarstellung der Regierung kam aber schon kurz nach Veröffentlichung der Strategie in Form einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Gesundheits- und Klimaforschung seien in Zukunft weiterhin gern gesehen. Aber alles, was außerhalb dieser Bereiche liege, soll kritisch auf Technologieabfluss oder militärische Nutzung geprüft werden.”

    Leute mit Seniorität in der Forschung schwer erreichbar

    Auch wenn das BMBF nur eine geringe Handhabe habe, was Verbote für Akteure in der Wissenschaft und Forschung angehe – Wissenschaftsfreiheit ist ein hohes Gut und Hochschulen sind Ländersache: “Das BMBF wird sicher die Sensibilisierung weiter vorantreiben und Informationsangebote machen.” Die Aktivitäten der vergangenen Jahre erreichen aus Stepans Sicht in erster Linie die International Offices an Hochschulen. “Leider lassen sich gerade Leute mit Seniorität in der Forschung nicht immer etwas von der Uni-Leitung sagen. Um diese zu erreichen, müsste man ganz konkret an die Fachgesellschaften herantreten.” So könnte die Deutsche Physikalische Gesellschaft Formate anbieten, über die man die Wissenschaftler erreiche.

    In den vergangenen fünf Jahren habe sich an den extremen Rändern zwei Camps gebildet, führt der Experte aus. “Die eine Seite sagt, verkürzt ausgedrückt: Macht nichts mehr mit China. Und die andere Seite sagt: Macht auf jeden Fall weiter.” Tatsächlich sei vielen der Akteure in der Mitte klar, dass es Zeit für ein Umdenken sei und man in der Kooperation mit China anders agieren müsse. “Weder das Weiter so noch der Kontaktabbruch haben in Wirklichkeit eine große Mehrheit hinter sich.”

    Kooperation, um Grenzen des Wissens nach vorn zu schieben

    Der öffentliche Schlagabtausch werde dabei klar von Sinologinnen und Sinologen dominiert – sie seien aber was die Kooperationen angeht, lediglich eine kleine Teil-Gruppe. Man müsse gemeinhin zwei Gruppen unterscheiden. Diejenigen, die China als Forschungsgegenstand haben – seien es Sozialwissenschaftler oder Ökonomen. Für sie sei es zentral, dass sie Zugang zum Land haben, dass sie dort Feldforschung machen können. Deren öffentlich geführte Debatte ist weit weg von der zweiten Gruppe, den Naturwissenschaftlern oder beispielsweise auch den Philosophen. “Sie kooperieren mit der chinesischen Seite, weil sie die Grenze des Wissens in ihrem Fachgebiet nach vorne schieben wollen. Für beide Gruppen spielen aber die immer schärferen Datenschutz- oder generell Datentransfer-Gesetze eine steigende Rolle.”

    Den Chinaforschern seien die Risiken bereits bewusst, erklärt Stepan. Doch auch für die Naturwissenschaftler sollten die Datentransfer-Regeln große Alarmlichter zum Leuchten bringen, weil eben große Datenmengen ausgetauscht werden, die nun ebenfalls Kontrollen von chinesischer Seite unterworfen sind. Es brauche neue Strukturen und Prozesse für die Bewertung.

    Eine Zentralstelle hält Stepan für wenig praktikabel. Es gäbe aktuell rund 1.400 Kooperationen zwischen deutschen und chinesischen Hochschulen. “Stellen Sie sich vor, jede der beteiligten deutschen Hochschulen würde einmal im Jahr einen Antrag an diese Zentralstelle senden. Auch den Fokus auf China fände ich unglücklich.”

    Lesen Sie in der Langfassung des Interviews, welche Alternative zu dem “Bürokratie-Monster” einer Zentralstelle Matthias Stepan sieht und welche Schlussfolgerungen die Wissenschaft mit der Zeitenwende ziehen sollte.

    Matthias Stepan forscht an der Ruhr-Uni Bochum zur Politik Ostasiens. Dort hat er die inhaltliche Leitung des Forschungsprojekts “Hochschulen als Akteure im Dialog mit China” inne und ist im EU-geförderten Projekt “China Horizons – Dealing with a Resurgent China” (DWARC) für Wissensmanagement verantwortlich. Stepan war zuvor Leiter des Pekinger Büros der Stiftung Mercator und im Management-Team des Mercator Institute for China Studies (Merics).

    • Forschung
    • Hochschulen

    Termine

    6. September 2023, Allianz Forum, Pariser Platz 6, Berlin
    Preisverleihung Unipreneurs: Die besten Professorinnen und Professoren für Startups Mehr

    11.-13. September 2023, Osnabrück
    18. Jahrestagung der Gesellschaft für Hochschulforschung Das Zusammenspiel von Hochschulforschung und Hochschulentwicklung: Empirie, Transfer und Wirkungen Mehr

    20.-22. September 2023, Hyperion Hotel, Leipzig
    Konferenz SEMANTiCS und Language Intelligence 2023 Mehr

    27.-29. September 2023, Freie Universität Berlin
    Gemeinsame Konferenz der Berliner Hochschulen Open-Access-Tage 2023 “Visionen gestalten” Mehr

    News

    Habeck will Batterieproduktion fördern

    Die Bundesregierung will die Förderung für die Batterieproduktion in Deutschland beschleunigen. Noch im Sommer werde das Wirtschaftsministerium unter Minister Robert Habeck eine neue Förderrichtlinie zur Stärkung der Batterie-Wertschöpfungskette veröffentlichen, sagte eine Sprecherin am Wochenende zu Table.Media. Mit der geplanten Finanzhilfe für Batteriekomponenten will das Wirtschaftsministerium zum ersten Mal einen neuen Förderrahmen anwenden, der am Freitag im Bundesanzeiger veröffentlicht wurde.

    Auf Grundlage der neuen Bundesregelung Transformationstechnologien können Bund und Länder Förderprogramme auflegen und Anträge bewilligen, die nicht mehr einzeln und zeitaufwendig von der EU-Kommission genehmigt werden müssen. “Das spart sehr viel Zeit und baut Bürokratie ab”, heißt es in einer Mitteilung, die das Ministerium am Montag veröffentlichen will und die Table.Media vorab vorlag.

    Mit der Bundesregelung Transformationstechnologien setzt das Wirtschaftsministerium den befristeten Beihilferahmen TCTF in nationales Recht um, den die EU als Reaktion auf den Wirtschaftseinbruch in Folge des Ukrainekrieges beschlossen hatte. Mit der Diskussion um den amerikanischen Inflation Reduction Act war er im März erweitert worden, um auch den Aufbau von Produktionskapazitäten für grüne Technologien zu fördern. Außer Batterien sind dies Wärmepumpen, Solarpaneele, Windturbinen, Elektrolyseure für die Wasserstoffproduktion sowie Ausrüstung für die Abscheidung, Nutzung und Speicherung von CO2.

    Weitere Förderrichtlinien bereits in Arbeit

    Schlüsselkomponenten für die Produktion von Batterien sind nach der Bundesregelung Transformationstechnologien etwa Anoden und Kathoden, bestimmte Chemikalien sowie der Maschinen- und Anlagenbau. Neben dem Batterieprogramm seien weitere nationale Förderrichtlinien bereits in Arbeit, sagte die Sprecherin des Wirtschaftsministeriums. Das gesamte Fördervolumen könnte sich nach einer Schätzung vom Mai auf drei Milliarden Euro belaufen. Für Batteriekomponenten war nach einer älteren Veröffentlichung des Ministeriums allein eine Milliarde Euro vorgesehen.

    Die Batterierichtlinie wird voraussichtlich den Abfluss von Fördermitteln beschleunigen, denn sie ersetzt eine ältere Förderankündigung (EuBatIn) auf Basis des europäischen IPCEI-Programms. Dafür hatte das BMWK Anfang des Jahres bereits ein Interessenbekundungsverfahren in der Industrie durchgeführt.

    Eine Erweiterung des Batterie-IPCEI verfolgen wir nicht mehr und werden stattdessen das TCTF nutzen”, sagte die Ministeriumssprecherin. Grund dürfte sein, dass IPCEI-Genehmigungen zeitintensiv und mit höheren Anforderungen verbunden sind. ber/mkr

    • BMWK
    • Forschung
    • TCTF

    Krankheit X: Neues Zentrum zur Pandemie-Forschung in Großbritannien

    Mit einem neuen Forschungszentrum will sich Großbritannien künftig besser auf Pandemien vorbereiten. In dem Institut auf dem Gelände des nationalen Forschungslabors Porton Down in Südengland sollen Krankheitserreger erforscht werden, für die es noch keinen Impfstoff gibt oder bei denen die Immunisierung verbessert werden könnte, wie etwa Grippe-, Mpox- oder Hantavirus.

    Das neue Zentrum solle Großbritannien auch helfen, sich auf die “Krankheit X” vorzubereiten, sagte die Chefin der Gesundheitsbehörde UK Health Security Agency (UKHSA), Jenny Harries, am Montag. Als “Krankheit X” wird ein unbekannter Erreger bezeichnet, der eine Pandemie auslösen könnte.

    “Wir wissen nicht, was es ist, aber wir können uns auf einige Virusfamilien vorbereiten”, sagte Harries. “Wir versuchen hier, diejenigen im Auge zu behalten, die wir kennen. Bei Corona etwa testen wir immer noch alle neuen Varianten mit den bereitgestellten Impfstoffen, um zu überprüfen, ob sie noch wirksam sind.”

    Derzeit laufe zudem eine klinische Phase-1-Studie für eine weltweit erste Impfung gegen das Krim-Kongo-Fieber, ein durch Zecken übertragenes Virus, das in vielen Fällen tödlich endet.

    Derzeit läuft eine öffentliche Untersuchung, die unter anderem klären soll, ob Großbritannien angemessen auf die Corona-Pandemie vorbereitet war. Dabei wurde unter anderem deutlich, dass frühere Regierungen eher auf eine Grippe-Pandemie vorbereitet waren als auf andere Viren. dpa / nik

    • Forschung
    • Großbritannien
    • Pandemie

    Erasmus+: EU-Kommission fördert 159 neue Projekte  

    Die Europäische Kommission wird im Rahmen von “Erasmus+” in diesem Jahr 159 Projekte in Drittländern unterstützen. Die Projekte sollen die Modernisierung und Qualität der Hochschulbildung in Drittstaaten voranbringen und den Weg zur stärkeren Zusammenarbeit mit Europa ebnen. Insgesamt werden 2.500 Beteiligte aus rund 130 Ländern von der Finanzierung profitieren. Eine zusätzliche Förderung erhalten Hochschulen in der Ukraine. 

    Das Gesamtbudget für 2023 in Höhe von 115,3 Millionen Euro wird etwa eingesetzt für: 

    – Hochschulstudien in den Bereichen Gleichberechtigung und Gleichstellungsrecht für benachteiligte Gruppen in Lateinamerika 

    – Lehrpläne für eine nachhaltige blaue Wirtschaft im südlichen Mittelmeerraum und Kurse für transformative Veränderungen in der Gesundheitsbildung in Südostasien 

    – Förderung unternehmerische Fähigkeiten für zentralasiatische Frauen 

    – Projekte für digitale Bildung in westlichen Balkanländern 

    – den Aufbau von Büros für internationale Beziehungen an Universitäten im Nahen Osten 

    –  Lehrpläne für Lebensmittel-Anbau und Ernährung in Westafrika. 

    DigiUni: Projekt für Studierende in der Ukraine 

    In diesem Jahr hat die EU außerdem fünf Millionen Euro an zusätzlicher Unterstützung für die Ukraine vorgesehen, um ein groß angelegtes Erasmus+-Projekt für Universitäten zu fördern, das das digitale Umfeld für die Hochschulbildung stärken soll. Im Rahmen des auf vier Jahre angelegten Projekts “DigiUni” wird eine leistungsfähige digitale Plattform für die ukrainischen Hochschulen entwickelt, die insbesondere denjenigen Studierenden zugutekommt, die aus dem Land fliehen mussten oder Binnenvertriebene sind.  

    Die Kontinuität der Ausbildung der an ukrainischen Hochschulen eingeschriebenen Studierenden soll so gewährleistet werden. Insbesondere wird die DigiPlatform eine digitale Lerneinrichtung bieten, um Schulungen in Online-Lehrtechniken zu entwickeln und Lerninhalte für die Online- oder virtuelle Bereitstellung anzupassen.   

    An dem Projekt, das von der Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität Kiew koordiniert wird, sind Hochschuleinrichtungen und Akteure aus sechs EU-Mitgliedstaaten (Belgien, Deutschland, Frankreich, Polen, Spanien und die Tschechische Republik) sowie 15 weitere ukrainische Partner beteiligt, darunter neun nationale Universitäten, die Ministerien für Bildung und digitale Transformation, die Nationale Agentur für Qualitätssicherung im Hochschulbereich sowie drei Verbände, die den IT-Sektor und Studierende vertreten. nik 

    • Bildung
    • Forschung
    • Hochschulen
    • Ukraine

    Heads

    Philipp Hacker: “KI kann egalisierend wirken”

    Philipp Hacker leitet den Lehrstuhl für Recht und Ethik der digitalen Gesellschaft an der European New School of Digital Studies der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder).

    Was erforschen Sie im Zusammenhang mit KI?

    Als Jurist zeige ich in meiner Forschung die neuen Risiken durch KI auf, aber auch die großen Chancen und wie sie genutzt werden können. Als interdisziplinärer Wissenschaftler entwickle ich Algorithmen für eine faire KI, etwa bei der Personalauswahl. Niemand soll dabei diskriminiert werden, nicht wegen seines Geschlechts oder Alters, seiner Religion oder ethnischen Zugehörigkeit. Doch wie bringt man das einem KI-Programm zur Vorauswahl von Bewerberinnen und Bewerbern bei? Eine Methode habe ich kürzlich zusammen mit Fachleuten aus Informatik und Mathematik publiziert.

    Sie erlaubt es, drei verschiedene Gerechtigkeitsideale gleichzeitig im Blick zu behalten, bedarfsgerecht zu gewichten und schnell zu fairen Entscheidungen zu kommen. Das war so bisher nicht möglich. Wir werden unser Modell jetzt auf neue Praxisfälle übertragen, etwa auf die Kreditwürdigkeitsprüfung. Der Ansatz eignet sich potenziell auch für die Erkennung und Unterdrückung von Hassrede oder diskriminierender Sprache – das könnten wir uns als Zukunftsprojekte vorstellen. Dahinter steht kein kommerzielles Interesse, unsere Programme sind frei verfügbar, der Code ist es auch.

    Wo sehen Sie die größten Chancen von KI?

    KI kann helfen, die großen Probleme unserer Zeit zu lösen. Ich denke da zum Beispiel an den Klimaschutz. Oder an das Gesundheitswesen. In Zukunft werden Ärztinnen und Ärzte ihre kostbare Zeit nicht mehr für das Ausformulieren von Patientenbriefen opfern müssen, sondern brauchbare Entwürfe von ihrer KI erhalten. KI-gestützte Mustererkennung wird die Krebsfrüherkennung enorm voranbringen. Profitieren wird auch die medizinische Grundlagenforschung, die schneller in aussichtsreiche Therapien mündet. Menschen mit Behinderungen werden dank KI leichter am sozialen Leben teilnehmen können. Überhaupt kann künstliche Intelligenz egalisierend wirken, wie aktuelle Studien zeigen. Demnach gleicht ChatGPT sprachliche Schwächen und manches Bildungsdefizit aus – zumindest im ersten Anlauf.

    Welche negativen Auswirkungen künstlicher Intelligenz sind zu befürchten?

    Als Hochrisikoanwendung ist KI durchaus vergleichbar mit einer gefährlichen Waffe, wobei sich toxische, durch KI generierte Inhalte jedoch schneller und leichter verbreiten. Da ist viel politischer und sozialer Sprengstoff drin. Dennoch: Das Risiko, dass KI die Welt auslöscht, ist klein. Viel drängender ist die Gefahr, dass künstliche Intelligenz uns durch Fake News auf den Holzweg schickt und durch Hassrede Unfrieden stiftet.

    Können wir uns dagegen wappnen?

    Wir sollten unser kritisches Denken schulen und massiv in die KI-Bildung investieren. Das kann schon im Grundschulalter losgehen und sich lebenslang fortsetzen. In meiner Arbeit mit Studierenden ist der Umgang mit künstlicher Intelligenz ein Dauerthema.

    Wie sollte KI reguliert werden?

    Der aktuell diskutierte Entwurf eines europäischen KI-Gesetzes ist für den Anfang gar nicht so schlecht. Aber wir sollten seinen Geltungsbereich exakter definieren und uns genau überlegen, was wir unter KI verstehen und was nicht. Die rechtliche Kontrolle sollte sich auf einzelne Anwendungen beschränken und keinesfalls die Technologie als Ganzes regulieren. Das würde deren weitere Entwicklung behindern und Europa langfristig schaden. Zu einer guten KI-Gesetzgebung gehören auch Regeln für die Inhaltsmoderation. Die soll Hassrede, Manipulation und Falschnachrichten aufdecken und für mehr Transparenz sorgen. Hier gibt es schon gute Initiativen von Start-up-Firmen, die dazu beitragen, die Quellen von KI-Information offenzulegen. Wofür ich mich aktuell stark mache, ist die Aufnahme von KI-Anwendungen in den Emissionshandel. Dabei sollten für medizinische Zwecke andere Tarife gelten als beispielsweise für einen Schönheitswettbewerb. Entsprechende Vorschläge habe ich ins EU-Parlament eingebracht.

    In welchen Bereichen wird KI die Arbeitsweise grundlegend verändern? Und wann ist es soweit?

    Schon jetzt betrifft KI alle Branchen. Zuerst umstellen müssen sich diejenigen, die Texte, Bilder oder Videos produzieren. Wer also sein Auskommen weiterhin im Journalismus, im Kunstbereich, in Bildung, Forschung oder in der Rechtsberatung finden will, sollte sich möglichst schnell mit der neuen Technologie befassen. Umgekehrt werden viele neue Jobs entstehen, die wir uns jetzt noch gar nicht so richtig vorstellen können.

    Philipp Hacker ist Rechtswissenschaftler. Er leitet den Lehrstuhl für Recht und Ethik der digitalen Gesellschaft an der European New School of Digital Studies der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und berät politische Institutionen. Etwa die Europäische Union zum European AI Act oder den Deutschen Bundestag im Rahmen der öffentlichen Anhörung “Generative Künstliche Intelligenz” am 24. Mai 2023.

    Die Texte der Table.Media-Serie “Der globale Wettlauf um Künstliche Intelligenz” finden Sie hier.

    • Deutschland
    • Forschung
    • Künstliche Intelligenz

    Mehr von Table.Media

    Berlin.Table. Krankenhausreform: Kritiker rügen Lauterbachs Kommission. Gesundheitsexperten um die Medizincontrollerin Erika Raab haben Zahlen von Lauterbachs Regierungskommission zerpflückt. Tenor: Die Kliniken arbeiteten viel besser als behauptet. Da ein “Tsunami” an Patienten auf die Krankenhäuser zukomme, brauche die Politik dringend einen Weckruf. Das sehen unter Medizinern bei weitem nicht alle so. Mehr

    China.Table: Pekings Angst vor Deepfakes. China hat im Januar als eines der ersten Länder umfassende Regularien gegen Deepfakes vorgelegt. Demnach sollen Video- und Bildfälschungen, die etwa Politiker täuschend echt nachahmen, eindeutig gekennzeichnet werden. Viele sehen China nun als Vorreiter. Der Kampf gegen die immer ausgeklügeltere Technologie wird jedoch zum Wettrüsten zwischen Anbietern und Regulatoren. Mehr.

    Climate.Table. Vulkane am Meeresboden als CO₂-Deponie? Eine neue Studie zeigt ein großes Potenzial für die CO₂-Speicherung in alten unterseeischen Vulkanen. Regionen vor Portugals Küste deuten auf eine günstige Geologie hin. Die Erzählung passt gut zur momentanen Aufmerksamkeit für CCS, hat aber ihre Lücken. Mehr

    Europe.Table: Martin Schulz “Der Weg von Manfred Weber ist falsch”. Zeit seines politischen Lebens hat sich Martin Schulz, Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung, mit Rechtsnationalen, Neofaschisten und Populisten auseinandergesetzt. Im Interview mit Horand Knaup spricht er über Silvio Berlusconi, dem er vor 20 Jahren legendär die Stirn bot, über die Wesenselemente demokratischer Kultur und die Abstiegsängste einst stabiler gesellschaftlicher Milieus. Mehr.

    Europe.Table. DSA: Wissings Vorschlag zur Umsetzung stößt auf Kritik. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr hat den Referentenentwurf für das Digitale-Dienste-Gesetz in die Ressortabstimmung gegeben. Mit dem Gesetz werden die nationalen Anteile des Digital Services Act umgesetzt. Die nationale Koordinierungsstelle soll bei der Bundesnetzagentur angesiedelt werden – scharfe Kritik wird jedoch sofort an den weiteren Zuständigkeiten laut. Mehr

    Dessert

    Versteckt im Boden pulsiert das Leben: Forscher aus der Schweiz haben herausgefunden, dass im Erdboden fast 60 Prozent aller uns bekannten Arten leben.

    Wie himmelhochjauchzend: Die Artenvielfalt blühe in Baumkronen, sie finde sich in der tiefen Tiefsee und schillere an Korallenriffen, heißt es in einer Meldung zu einer aktuellen Studie von Schweizer Forschern. Aber: nirgends wimmele es so an Lebewesen wie unter unseren Füßen, genauer gesagt: dem Erdboden. 59 Prozent aller bekannten Arten leben dort, heißt es in der Veröffentlichung, nachzulesen in den “Proceedings” der US-nationalen Akademie der Wissenschaften (PNAS). Bisher war man eher von 25 Prozent ausgegangen. Böden seien weltweit das artenreichste Ökosystem! Wahnsinn, denkt man, dass gerade unter der Erde das Leben so pulsieren soll.  

    Wer weiterliest, der landet allerdings unsanft bei den Tatsachen zur Form, in der sich dieses Leben dort unten zeigt. Als Beispiel für den Artenreichtum des Bodens nennt das Schweizer Team sogenannte Springschwänze. Diese stellten eine urtümliche Form der Sechsbeiner dar. Dazu gehöre auch der bis zu 17 Millimeter lange Holacanthella spinosa, der in Neuseeland vorkomme, oder Dicyrtomina minuta, der nur ein, zwei Millimeter lang wird, kugelig aussieht und eine blassgoldene Farbe hat. Springschwänze würden im Boden zur Humusbildung beitragen. Insgesamt leben 90 Prozent der Pilze und 86 Prozent der Pflanzen im Erdboden und immerhin noch 20 Prozent aller Weichtiere, schreiben Hauptautor Mark Anthony von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL in Birmensdorf und seine Kollegen.

    Die Wissenschaftler glauben, dass die Studie ein wichtiger Beitrag für Entscheidungen über einen besseren Bodenschutz sein kann. “Die Böden stehen enorm unter Druck, sei es durch landwirtschaftliche Intensivierung, den Klimawandel, invasive Arten und vieles mehr”, zitiert die WSL Anthony. “Unsere Studie zeigt, dass die Vielfalt in den Böden groß und entsprechend wichtig ist und sie somit im Naturschutz viel stärker berücksichtigt werden sollte.” Bleiben Sie also geerdet! Nicola Kuhrt  

    • Forschung
    • Schweiz
    • Umwelt

    Research.Table Redaktion

    RESEARCH.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen