es bleibt noch gut eine Woche bis zur Bundestagswahl. Wir schließen heute unsere kleine Wahlcheck-Reihe ab, und zwar mit der Analyse des Wahlprogramms der SPD. Die Sozialdemokraten mögen in den Umfragen vorne liegen, in vielen europapolitischen Fragen aber bleiben sie vage. Das mag allerdings auch Absicht sein. Schließlich ist Kanzlerkandidat Olaf Scholz darauf bedacht, keine Angriffsfläche zu bieten – Stichwort “Schuldenunion”.
Welchen Kurs Deutschland nach der Ära Merkel einschlägt, beschäftigt auch unsere europäischen Nachbarn intensiv. Zu einem “freundlichen Arbeits-Abendessen“, wie es Emmanuel Macron nannte, kamen Merkel und der französische Präsident gestern im Élysée-Palast zusammen. Die volle Agenda – von Afghanistan über die Ukraine bis zu den Prioritäten der französischen Ratspräsidentschaft – konnte nicht über Macrons Nervosität vor einer langen deutschen Regierungsfindung hinwegtäuschen. Seine Sorbonne-Rede jährt sich ausgerechnet am Tag der Bundestagswahl zum vierten Mal. Damals hatte er ganze sechs Monate auf eine deutsche Reaktion auf seine europäischen Visionen warten müssen. In Hinblick auf einen potenziellen Stillstand des deutsch-französischen oder gar europäischen Motors beruhigte Merkel, man werde “alles von deutscher Seite Mögliche machen”, damit wichtige Entscheidungen weiterhin getroffen werden können.
Brüskiert zeigte sich Paris gestern auch von dem neuen Sicherheitspakt zwischen Australien, den USA und Großbritannien. Er steht in Konkurrenz zur gestern präsentierten Indo-Pazifik-Strategie der Europäischen Union. Warum das besonders bitter für Frankreich ist, erörtert Amelie Richter in ihrer Analyse.
Die Europäische Kommission hat den Digital Markets Act vorgelegt, um endlich wirksam gegen die Digitalriesen vorgehen zu können. Doch Deutschland, Frankreich und die Niederlande wollen das schöne neue Instrumentarium nicht allein der Brüsseler Behörde überlassen: Auch Bundeskartellamt und Co sollen auf Grundlage des DMA gegen Google und Co vorgehen können. Mehr über den Streit hat Till Hoppe für Sie.
So hatte sich das Brüssel wahrscheinlich nicht vorgestellt. Kurz vor der Präsentation der lange angekündigten Indo-Pazifik-Strategie der Europäischen Union überraschen Australien, die USA und Großbritannien die Europäer mit einem eigenen Sicherheitspakt, der ebenfalls für die pazifische Region gilt. Die Teilnahme Australiens ist dabei besonders schmerzhaft. Schließlich sollte der ozeanische Kontinent ein wichtiger Partner des Vorhabens der EU sein – und wäre sogar der flächenmäßig größte davon gewesen.
Statt also gemeinsam auf die zunehmenden Machtdemonstrationen Chinas zu reagieren, laufen plötzlich konkurrierende Initiativen. Die Motivation Australiens war vermutlich ein Lockangebot der USA: Es lässt sich beim Bau atombetriebener U-Boote helfen.
EU-Staat und Rüstungsindustrie-Schwergewicht Frankreich, dem deshalb nun ein U-Boot-Deal in Milliarden-Höhe mit Canberra aufgekündigt wurde, fühlt sich vor den Kopf gestoßen. In Richtung Brüssel gab es vorab keine Ankündigung über die Dreierallianz Aukus – die EU, die gerade mit der neuen Strategie mehr Gewicht als geopolitischer Akteur im Indo-Pazifik beweisen wollte, wurde schlichtweg außen vor gelassen.
“Wir wurden nicht konsultiert”, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Donnerstag bei der Vorstellung des Papiers. Er gehe davon aus, dass ein Abkommen solcher Größenordnung nicht erst über Nacht ausgearbeitet worden sei, kommentierte der Spanier. Der EU-Chefdiplomat kann der Sache jedoch einen positiven Spin abgewinnen: Aukus zeige die Wichtigkeit der Region und damit auch für die Strategie der EU für den Indo-Pazifik-Raum.
EU-Ratspräsident Charles Michel betonte ebenfalls, eine eigene Strategie des Blocks für die Region sei “mehr denn je notwendig”, das unterstreiche der anglofone Aukus-Pakt. Die Strategie werde auch beim Europäischen Rat im Oktober besprochen, kündigte Michel an.
Die Europäische Kommission und der Europäische Auswärtige Dienst (EEAS) hatten nach einem ersten Plan im April sieben Bereiche festgelegt, in welchen die EU ihren Einfluss im Indo-Pazifik erhöhen möchte: Gesundheit, Daten, Infrastruktur, Umwelt, Handel, Ozeane und – für Peking der größte Konfrontationspunkt – Sicherheit.
Die EU will alles dafür tun, um die Schifffahrtsverbindung durch das Südchinesische Meer militärisch zu sichern. Dazu will die EU laut Strategie-Papier nun eine höhere Marinepräsenz mit Kriegsschiffen zeigen und “mehr gemeinsame Militärübungen” mit ihren Partnern durchführen. Auch zunehmende Hafenanläufe in der Region sind geplant, “um Piraterie zu bekämpfen und die Freiheit der Schifffahrt zu schützen”.
Die Europäer sind bereits mit zwei Einsätzen im Bereich des Indischen Ozeans unterwegs: Mit der Anti-Piraterie-Mission Atalanta vor der somalischen Küste und mit einer Ausbildungsmission in Mosambik. An Atalanta beteiligen sich asiatische Partnerländer wie Japan, Pakistan und Indien.
Was Peking zudem missfallen könnte: Taiwan wird als indo-pazifischer Partner genannt, mit welchem demnach Handels- und Investitionsabkommen angestrebt werden sollen. Die Forderung ist bisher vor allem aus dem Europaparlament gekommen – praktisch hat die EU-Kommission dafür aber noch keine Hebel in Bewegung gesetzt. Das EU-Parlament wiederholte in einer am Donnerstag angenommenen Entschließung zur Neuausrichtung der China-Politik das Anliegen, was nun auch den Druck auf die EU-Kommission erhöht, konkrete Schritte zu unternehmen. Für ein verstärktes Engagement im Indo-Pazifik sprachen sich auch die EU-Abgeordneten in der Resolution aus (China.Table berichtete).
Die Strategie umfasst außerdem den Abschluss der Handelsverhandlungen mit Australien, Indonesien und Neuseeland sowie eine Wiederaufnahme von Verhandlungen mit Indien. Zudem soll es zum Beispiel grüne Allianzen und Partnerschaften zur Bekämpfung des Klimawandels und der Umweltzerstörung geben.
Mit Japan, Südkorea und Singapur soll pilotmäßig digitale Kooperationen basierend auf vorhandenen Abkommen aufgebaut werden. In diesem Rahmen sollen dann beispielsweise Standards für den Einsatz von künstlicher Intelligenz “im Einklang mit demokratischen Grundsätzen und Grundrechten” entwickelt werden. Weitere der Partnerschaften mit Staaten in der Region könnten folgen, heißt es weiter in dem Strategie-Papier.
Der EU-Außenbeauftragte Borrell erklärte, dass die Strategie nicht als Konfrontation mit China verstanden werden sollte. Es gehe um Kooperation mit gleichgesinnten Staaten, wiederholte der Spanier.
Überschattet wurde das neue EU-Vorhaben jedoch vom Dreier-Sicherheitspakt zwischen Australien, Großbritannien und den USA. Canberra werde beim Bau von zunächst acht atombetriebenen U-Booten unterstützt, wie der australische Premierminister Scott Morrison bei einer Videokonferenz mit US-Präsident Joe Biden und dem britischen Premier Boris Johnson am Mittwoch bekannt gab.
“Wir haben die Absicht, diese U-Boote in Adelaide in Australien in enger Kooperation mit den USA und Großbritannien zu bauen”, kündigte Morrison an. Die U-Boote sollen zwar atomar betrieben sein, aber keine Atomwaffen transportieren. Nach Angaben Morrisons soll in den kommenden 18 Monaten geprüft werden, wie das Vorhaben umgesetzt werden kann.
Die drei Staats- und Regierungschefs erwähnten China bei der Ankündigung ihres Deals nicht explizit. Sie verwiesen jedoch auf regionale Sicherheitsbedenken. “Bei dieser Initiative geht es darum, sicherzustellen, dass jeder von uns über moderne Ressourcen verfügt – die modernsten Ressourcen, die wir brauchen – um auf die sich schnell entwickelnden Bedrohungen zu reagieren und uns zu verteidigen”, sagte US-Präsident Biden. Morrison sagte, das neue Dreierbündnis solle helfen, die “Herausforderungen” in der “zunehmend komplexen” indopazifischen Region anzugehen. Australien werde von den USA auch neue Marschflugkörper vom Typ Tomahawk erhalten.
Die neue Vereinbarung erfolgt allerdings zum Nachteil Frankreichs: Wenige Stunden nach der Bekanntgabe kündigte Canberra einen rund 40 Milliarden Dollar umfassenden Auftrag zum Bau einer neuen U-Boot-Flotte mit dem französischen Reedereikonzern Naval Group auf. Er galt als einer der lukrativsten Verteidigungsdeals weltweit.
Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian zeigte sich ungewöhnlich deutlich brüskiert: “Das ist ein Vertrauensbruch, und ich bin extrem zornig.” Er hielt US-Präsident Biden vor, sich wie dessen Vorgänger Donald Trump verhalten zu haben. “Diese brutale, einseitige und unberechenbare Entscheidung erinnert mich in vielem an das, was Herr Trump getan hat”, sagte Le Drian dem Radiosender Franceinfo.
EU-Chefdiplomat Borrell erklärte, er könne die Enttäuschung der Franzosen verstehen – das Vertrauen in die USA oder Australien dürfen deshalb aber nicht generell infrage gestellt werden.
Chinas Botschaft in Washington verurteilte das Abkommen der drei Staaten. Diese sollten “keinen ausgrenzenden Block bilden, der auf die Interessen Dritter abzielt oder ihnen schadet”, sagte Botschaftssprecher Liu Pengyu der Nachrichtenagentur Reuters. “Insbesondere sollten sie ihre Mentalität des Kalten Krieges und ideologische Vorurteile ablegen.” Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Zhao Lijian, sagte, Aukus untergrabe “den regionalen Frieden und die Stabilität ernsthaft und fördere das Wettrüsten”.
Analysten und Analystinnen in Brüssel sahen den Dreier-Vorstoß nicht generell als Untergrabung der EU-Strategie: “Es geht um mehr als einen Deal über U-Boote. Die eigentliche Frage ist, ob ein US-geführter Pushback im Bereich der Sicherheit gegen China im Indopazifik-Raum im strategischen Interesse Europas ist – oder nicht”, sagte die Direktorin des Asia-Programms am Thinktank ECFR, Janka Oertel. Falls ja, könnte Aukus ein wertvoller Bestandteil der EU-Strategie sein und durch Europas Indopazifik-Vorstoß ergänzt werden, so Oertel. “Wenn nicht, dann wird Europa eigene Antworten finden müssen, um regionale Partner glaubwürdig zu unterstützen – und zwar schnell.” Die Europäer seien bisher nicht sehr konsequent darin gewesen, mehr als nur rhetorische Solidarität mit Ländern zu zeigen, die von Peking unter Druck gesetzt würden.
Es gibt jedoch auch andere Meinungen: Dass Australien sich den USA und Großbritannien zugewandt habe, sei ein “Realitätscheck der geopolitischen Ambitionen der EU”, sagte ein EU-Diplomat Politico. Die EU und ihre Mitgliedsländer schienen offenbar keine “glaubwürdigen Sicherheitspartner” für die USA und Australien zu sein. “Wir sollten nicht zu viel von der Indopazifik-Strategie halten: Die EU ist kein Akteur im Pazifik-Raum.”
Japans Außenministerium begrüßte indes in einer Mitteilung die Vorstellung der EU-Strategie. Diese stimme mit Japans Ansichten und Bemühungen für einen “freien und offenen Indopazifik” überein, so der japanische Außenminister Toshimitsu Motegi. Das Land führt seit Mittwoch seine umfassendste Militärübung seit 30 Jahren durch. Die Logistik-Übung mit rund 100.000 Soldaten, 20.000 Bodenfahrzeuge und 120 Flugzeugen soll auch ein Zeichen an China senden.
Das Auswärtige Amt hatte seine Bilanz zu einem Jahr Indo-Pazifik-Leitlinien bereits zu Beginn der Woche veröffentlicht und die EU-Strategie gelobt. Als Erfolg führte das Ministerium unter anderem den Einsatz der Fregatte “Bayern” an. Dieser war am Mittwoch von chinesischer Seite offiziell das Einlaufen in Shanghai abgesagt worden. Das Schiff bekam deshalb nun eine neue Route und einen neuen Stopp: “Bayern” wird zum Tanken anhalten – in Darwin. Damit bekommt die Fregatte nach Perth einen zweiten Anlaufpunkt in Australien.
Fachgespräch: Sicherheitsgesetzgebung am Maßstab von Grund- und Menschenrechten prüfen
17.09.2021 09:30 Uhr
Akteure: Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland
Agenda: Das Deutsche Institut für Menschenrechte, sowie die Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland lädt Fachleute aus Politik, Behörden und Wissenschaft zum Austausch über einer an Grund- und Menschenrechten orientierten Überprüfung von Sicherheitsgesetzen ein.
INFOS
Patricia Espinosa spricht bei der Eröffnung der Climate Week New York City 2021
20.09.2021
Akteure: UN-Klimachefin Patricia Espinosa
Agenda: Die Climate Week New York City 2021 findet vom 20. bis 26. September statt. Es werden führende Klimamaßnahmen vorgestellt und untersucht, wie Maßnahmen zur Bewältigung der Klimakrise beschleunigt werden können.
INFOS
UN-Generalversammlung
20.09.-24.09.2021
Akteure: Internationaler Gipfel
Agenda: Die Tagung der UN-Generalversammlung fällt mit der Veröffentlichung der aktualisierten Fassung des NDC-Syntheseberichts durch UN Climate Change am 17. September zusammen. Am Rande der UN-Generalversammlung treffen sich Vertreter:innen von Regierungen und des Privatsektors, um wichtige Klimaschutzmaßnahmen im Vorfeld der UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow im November voranzutreiben.
INFOS
Sitzung des Rates für Allgemeine Angelegenheiten
21.09.2021 10:00 Uhr
Akteure: Rat der EU
Agenda: Die Minister:innen werden sich unter anderem mit der europäischen Koordinierung zur COVID-19-Pandemie, der Beziehung zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich und der Konferenz zur Zukunft Europas befassen.
INFOS AGENDA HINTERGRÜNDE
Ministertreffen zur Initiative für mittel- und südosteuropäische Energiekonnektivität (CESEC)
21.09.2021 12:00 Uhr
Akteure: Ministerium für Infrastruktur
Agenda: Die Minister:innen werden die aktuelle Situation und die Zukunft der CESEC-Energiesysteme der Region diskutieren. Themen werden dabei Strominfrastrukturprojekte, Marktkopplung und die Integration erneuerbarer Energiequellen in das Energiesystem, grenzüberschreitende Gasprojekte und damit verbundene Gesetzgebungsaktivitäten, sowie die Infrastruktur für erneuerbare Energiequellen und andere kohlenstoffarme Gase sein.
INFOS
Wöchentliche Kommissionssitzung
22.09.2021
Akteure: Europäische Kommission
Agenda: Auf der Agenda stehen das künftige Zollpräferenzschema der EU für Entwicklungsländer und ein strategischer Ansatz der EU bei der Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung ehemaliger Kämpfer bei internationalen Friedensprozessen.
VORLÄUFIGE TAGESORDNUNG
Informelles Treffen der Verkehrs- und Energieminister
22.09.-23.09.2021
Akteure: Rat der EU: Minister für Verkehr und Energie
Agenda: Das Treffen der Energieminister:innen am 22.09. widmet sich der Prüfung der Richtlinie über erneuerbare Energien und der Energieeffizienzrichtlinie im Rahmen des Klima- und Energiepakets “Fit for 55”. Auf einer gemeinsamen Sitzung werden Verkehrs- und Energieminister sich mit der Einrichtung von Infrastruktur für alternative Kraftstoffe und dem Funktionieren des Energiebinnenmarktes beschäftigen. Am 23.09. werden die Verkehrsminister:innen die Schlüsselaspekte der überarbeiteten Verordnung über die Infrastruktur alternative Kraftstoffe diskutieren.
INFOS
Informelles Treffen der Verbraucherschutzminister
24.09.2021 08:30 Uhr
Akteure: Rat der EU: Minister für Verbraucherschutz
Agenda: Teilnehmende aus allen EU-Mitgliedstaaten werden die Prioritäten und Maßnahmen im Bereich Verbraucherschutz besprechen.
INFOS
Stabilitätspakt und Sozialunion
Die SPD will die europäische Solidarität stärken. Das Corona-Wiederaufbauprogramm bezeichnen die Sozialdemokraten als “Paradigmenwechsel deutscher Europapolitik”, eingeleitet unter Führung ihres Kanzlerkandidaten – Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Nun soll der Fonds zu einer dauerhaften Lösung und die EU zu einer “echten Fiskal-, Wirtschafts- und Sozialunion” weiterentwickelt werden. Dazu gehöre auch ein Rechtsrahmen für europäische Mindestlöhne sowie eine europäische Arbeitslosenversicherung. Die EU soll mehr Eigenmittel erhalten, mithilfe von Emissionshandel und Digitalsteuer.
Demokratie stärken
Das Europäische Parlament soll durch ein Initiativrecht gestärkt werden. Außerdem fordert die SPD einen Sonderfonds für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, um zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit zu fördern.
Asylpolitik
Die SPD will sich für eine Reform des Dublin-Systems hin zu einem stärkeren solidarischen Verteilungsmechanismus einsetzen. Durch Bundeskontingente soll die Aufnahmebereitschaft europäischer Kommunen und Städte gefördert werden. Das Unterstützungsbüro für Asylfragen soll zu einer EU-Asylagentur ausgebaut werden.
Außenpolitik
Auch die SPD spricht sich für Mehrheitsentscheidungen in der Außenpolitik aus und bekennt sich klar zur NATO. Ziel sei außerdem eine europäische Armee als Friedensmacht Europa. Durch mehr Rüstungskooperationen könnten Synergien genutzt und unnötige Ausgaben eingespart werden.
Nationale Klimaschutz-Pläne hat die SPD einige. Beim internationalen und europäischen Klimaschutz hingegen hält sich die Partei bedeckt. Der Begriff Green Deal fällt im Programm nur einmal, als die SPD darlegt, die nationale Industriestrategie mit jener auf EU-Ebene in Einklang bringen zu wollen. Wer allerdings nach konkreten Aussagen zu EU-Klimaschutzmaßnahmen sucht, muss zwischen den Zeilen lesen. Die geforderte Eigenmittelfinanzierung aus den Einnahmen der CO2-Grenzabgabe und des ETS beispielsweise legt eine grundsätzliche Befürwortung der Maßnahmen nahe.
Erneuerbare Energien
In vielen Punkten bleibt die SPD vage. So könne umso schneller auf fossile Energieträger verzichtet werden, je schneller der Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien erfolge. Letzteres bezeichnen die Sozialdemokraten als “Herzstück” ihrer Klimapolitik. Schließlich werde der Strombedarf in Folge der Elektrifizierung im Straßenverkehr und in Teilen der Industrie deutlich ansteigen. Dafür gelte es nun, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wie diese auf EU-Ebene aussehen sollten, bleibt offen.
CO2-Bepreisung
Um den Einsatz erneuerbarer Energien im Verkehr und Gebäudebereich zu unterstützen, will die SPD die EEG-Umlage abschaffen und unter anderem über die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung dieser Sektoren finanzieren. Diese könnte allerdings ab 2026 in einem EU-ETS aufgehen, welcher laut SPD wiederum der Finanzierung der EU-Eigenmittel dienen soll. Mit dem Ansteigen des CO2-Preises wollen die Sozialdemokraten für weitere soziale Ausgleichsmaßnahmen sorgen und einen Pro-Kopf-Bonus prüfen. Im Gebäudebereich soll eine gesetzliche Regelung dafür sorgen, dass der Preis vom Vermieter getragen wird.
Carbon Leakage
Die SPD will die Industrie schützen und die Verlagerung von Produktion und Emissionen ins Ausland durch “maßgeschneiderte Instrumente” unattraktiv machen. Wie diese Instrumente aussehen sollen, bleibt unklar. Auch, wer sie schneidern soll. Die kürzlich vorgestellte Initiative zu einem internationalen Klimaclub allerdings entstammt der Feder von Scholz. Zudem fordert die SPD einen wettbewerbsfähigen Strompreis für Unternehmen, die internationaler Konkurrenz ausgesetzt sind und adressiert damit indirekt das EU-Beihilferecht.
Mobilität
Bei der Mobilität setzt die SPD stark auf den Ausbau der Schiene. Bahnfahren soll innereuropäisch günstiger und attraktiver sein als Fliegen. Dafür will die Partei in das Schienennetz investieren, einen Europatakt aufbauen und dabei vermehrt internationale Schnell- und Nachtzugverbindungen etablieren.
Auch im Güterverkehr sollen die Kostennachteile der Schiene gegenüber der Straße verringert werden. Zusätzlich wollen die Sozialdemokraten den Warentransport vermehrt auch auf die Binnenschifffahrt verlagern.
Im Automobilbereich stellt die SPD klar: “Die Zukunft gehört den elektrischen Antrieben”. Diese Entwicklung müsse aktiv gestaltet werden, sodass die Automobilbranche Leitindustrie bleibe. Dazu gehöre auch, das Stromtanken so einfach zu machen, wie bisher das Tanken von Benzin oder Diesel. Den hierfür unabdingbaren europäischen Aspekt bleibt die SPD schuldig.
Die SPD hat in der Digitalpolitik eine wechselvolle und intern strittige Historie. Insbesondere im Konfliktfeld zwischen Digital- und Innenpolitikern setzten sich regelmäßig letztere durch, ob bei der Quellen-Telekommunikationsüberwachung oder bei der Vorratsdatenspeicherung. Auch bei der EU-Urheberrechtsreform verlief ein tiefer Riss durch die Sozialdemokratie. Das “Zukunftsprogramm” wird an einigen Stellen sehr konkret, lässt andere Themen jedoch aus.
Digitale Märkte
Die Sozialdemokraten plädieren für einen scharfen Digital Markets Act (DMA): Um Alternativen zu den großen Plattformen zu ermöglichen, sollen umfangreiche Interoperabilitätspflichten her, die die anbieterübergreifende Kommunikation und die Wechselbereitschaft befördern. Ein ausdrückliches Ziel: die Datensouveränität der Einzelnen zu erhöhen.
Die SPD strebt deutliche Veränderungen am Kartell- und Wettbewerbsrecht an: Dieses soll künftig präventiv ausgestaltet werden, neue Instrumente sollen zudem eine Entflechtung einfacher durchsetzbar machen.
Digitale Dienstleistungen
Um gegen Hasskriminalität und andere Straftaten im Netz vorzugehen, will die SPD die Ermittlungsmöglichkeiten ausweiten, das NetzDG anpassen und mit dem Digital Services Act (DSA) europaweit verbindliche Regelungen schaffen.
Die SPD legt Wert auf eine Gleichbehandlung von stationärem und Onlinehandel. Zudem fordert sie uneingeschränkte Arbeitnehmer- und Vereinigungsrechte bei über Plattformen organisierte Arbeit.
Datenpolitik
Die SPD hat bereits in der Vergangenheit mit Konzeptpapieren für Datenteilungspflichten für Aufsehen gesorgt.
Sie fordert nun, dass “die großen Konzerne ihre Daten für gemeinwohlorientierte Ziele teilen müssen”. Zudem dürfe bei Beauftragung durch die öffentliche Hand keine Einbahnstraße beim Datenfluss entstehen. Ein eigenständiges Datengesetz soll dies schaffen. Wie sich das zu Data Governance und Data Act verhält, bleibt offen. Die Forderung nach vertrauenswürdiger Datenteilungsinfrastruktur und öffentlichen Datentreuhändern dürfte damit aber kompatibel sein.
Die SPD will laut Programm ein “dauerhaftes, regelmäßiges und unabhängiges Monitoring der Gesetze im Sicherheitsbereich schaffen” – ein Gedanke, der auch bei Grünen und FDP unter dem Stichwort Überwachungsgesamtrechnung existiert.
Vorratsdatenspeicherung
Im Wahlprogramm wird sie schlicht nicht thematisiert. Dass sie in der Partei wenig Freunde, in der Fraktion und bei Sicherheitspolitikern aber in der Vergangenheit viel Zustimmung erfuhr, dürfte das Dilemma der SPD hier nicht verkleinern.
Netzneutralität
Die SPD bekennt sich zur Netzneutralität, ohne konkreter zu werden.
Urheberrecht
Hier benennt die SPD ausschließlich abstrakt Bundesvorhaben zur “Stärkung privatwirtschaftlichen Medienschaffens”.
Cybersicherheit
“Grundlage für eine erfolgreiche Digitalisierung”: Sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, Security by Design und by default, keine Backdoors, Anonymisierung und Pseudonymisierung als Voraussetzung für freie Meinungsäußerung. Allerdings passt letzteres nicht recht mit den Forderungen zur besseren Verfolgbarkeit von Straftaten zusammen.
KI-Regulierung
Die SPD bleibt hier etwas unscharf: transparent, diskriminierungsfrei, mit klaren und überprüfbaren Entscheidungen – in Form stringenter Regulierung. Das dürfte jedoch mit den Grundzügen der KI-Verordnung übereinstimmen.
Digitalsteuer
Die SPD verweist hier in erster Linie auf die Vorhaben zur Mindestbesteuerung auf OECD-Ebene, auf die Eindämmung von Steuervermeidung und Steuerbegünstigung.
Digitale Souveränität
Die SPD sieht dringenden Handlungsbedarf, ein “gemeinsamer Kraftakt” soll es richten:
Europapolitik
Klimapolitik
Digitalpolitik
In den Verhandlungen um den Digital Markets Act fordern Deutschland, Frankreich und die Niederlande eine stärkere Rolle der nationalen Kartellbehörden. Die drei Regierungen präsentierten nach Informationen von Europe.Table in der Sitzung der Ratsarbeitsgruppe zum DMA diese Woche eine gemeinsame Initiative. Darin forderten sie, dass neben der EU-Kommission auch Behörden wie das Bundeskartellamt im Rahmen des DMA gegen große Plattformen vorgehen können.
Nach dem Kommissionsvorschlag wäre allein die Brüsseler Behörde dafür zuständig, die Verhaltensvorgaben des DMA gegen sogenannte Gatekeeper-Unternehmen durchzusetzen. Berlin, Paris und Den Haag dringen aber darauf, dass die Wettbewerbshüter in den Mitgliedsländern selbst Verfahren anstrengen können. “Zu diesem Zweck können die nationalen Kartellbehörden die einschlägigen Untersuchungs- und Aufsichtsbefugnisse auf eigene Initiative einsetzen”, heißt es im gemeinsamen Positionspapier. Wenn die Kommission sie damit beauftrage, sollten sie die Verpflichtungen auch selbst gegenüber den Unternehmen durchsetzen dürfen.
Die Kommission sieht das kritisch: Sie hat wiederholt auf die Notwendigkeit verwiesen, eine einheitliche Durchsetzung der Spielregeln für die großen Digitalkonzerne in der EU zu gewährleisten. Gerade in den kleineren Mitgliedsstaaten gibt es dem Vernehmen nach überdies wenig Ambitionen, sich selbst mit mächtigen Unternehmen wie Google, Facebook oder Amazon auseinanderzusetzen.
Daneben fordern Deutschland, Frankreich und die Niederlande eine stärkere Flexibilisierung des DMA. Dieser sieht in Artikel 5 und 6 eine stehende Liste von Geschäftspraktiken vor, die den Gatekeepern untersagt ist. Nach dem Willen der drei Regierungen soll die Behörde auch darüber hinaus den Unternehmen Vorgaben machen können, und zwar auf Grundlage einer vorausgegangenen Marktuntersuchung. Die sei für “eine dynamische und agile Regulierung” nötig.
Aus Sicht von Kommission und einigen Mitgliedsstaaten ist diese Möglichkeit aber bereits durch das herkömmliche Wettbewerbsrecht gewährleistet, das individuelle Verfahren wegen Missbrauchs der Marktmacht erlaubt. tho
Facebook hat wenige Tage vor der Bundestagswahl ein Netzwerk auf seinen Plattformen gelöscht, das die Firma den sogenannten Querdenkern zurechnet. Hierbei soll es sich um weniger als 150 Konten, Seiten und Gruppen handeln, die sich zur Verbreitung von Falschinformationen rund um die Maßnahmen zur Coronapandemie verabredet haben sollen. Zwar habe es Doppelkonten gegeben, reale Gefahren durch derartige Netzwerke in Social Media gingen hier aber weitgehend von “authentischen Nutzer*innen” aus.
Facebook beschreibt in seiner Stellungnahme eine massive Zunahme der Aktivitäten des Netzwerks seit Mai 2021. Dieses erstrecke sich über mehrere Dienste im Netz und “stelle in der Regel Gewalt als probates Mittel dar”. Von Teilnehmern des Netzwerkes sei laut Medienberichten auch außerhalb des Netzes Gewalt gegen Menschen in Medien, Polizei und Gesundheitswesen ausgeübt worden.
Löschungen und Sperrungen seien nach eigenen Geschäftsbedingungen erfolgt, so Facebook. Die Firma steht wie alle großen Plattformbetreiber derzeit unter erheblichem politischem Handlungsdruck: in Deutschland müssen sie sich an das Netzwerkdurchsetzungsgesetz halten, auf EU-Ebene wird derzeit über weitere Verpflichtungen im Digital Services Act verhandelt. Einige Social Media-Anbieter verweisen immer wieder darauf, dass ihre Geschäftsbedingungen bereits heute ausreichend Handlungsspielraum böten, um gegen Falschinformationen und Hassrede vorzugehen.
Das Eingreifen durch Facebook ist dabei auch ein Test für ein neues Vorgehen: man wolle aus dem jetzigen Fall lernen, so die Firma. Wie die Nachrichtenagentur Reuters exklusiv berichtet, soll der neue, netzwerkorientierte Ansatz nun verstärkt gegen politische Desinformationskampagnen Anwendung finden, die sich – anders als orchestrierte Fake-Konten – auf “koordiniertes authentisches Verhalten” stützten, um Meinungen zu beeinflussen. fst
Obwohl die Europäische Union als einer der sichersten Orte für Journalist:innen gilt, nehmen auch hier die Angriffe, offline sowie online, auf Medienvertreter zu. Vergangenes Jahr zählte die Europäische Kommission 908 Fälle. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken hat die Behörde gestern eine Empfehlung zur “Verbesserung der Sicherheit von Journalisten und anderen Medienschaffenden” verabschiedet.
Darin fordert die Kommission die Mitgliedstaaten dazu auf, Angriffe auf Journalist:innen konsequent zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen. Bei Bedarf sollen sie dabei auch europäische Behörden wie Eurojust und Europol in die Strafverfolgung miteinbeziehen. Vollzugsbehörden und Medieneinrichtungen sollen besser zusammenarbeiten, um Bedrohungen zu identifizieren und zu bewältigen. Journalist:innen, deren Sicherheit gefährdet ist, soll persönlicher Schutz geboten werden. Medienschaffende, die bedroht werden, sollen Zugang zu unabhängigen nationalen Unterstützungsdiensten haben, darunter Notrufstellen, Rechtsberatung, psychologische Betreuung und Schutzunterkünfte.
Weil die meisten Angriffe auf Journalist:innen bei Demonstrationen passieren, empfiehlt die Kommission, zwei konkrete Maßnahmen: Verbindungsbeamte sollen Journalist:innen unmittelbar vor Demonstrationen über Risiken informieren und Vollzugsbehörden sollen ihr Personal speziell für den Schutz von Journalist:innen während Demonstrationen schulen.
Um verstärkt gegen Angriffe im Netz vorzugehen, rät die Kommission den Mitgliedstaaten, die Rolle von Online-Plattformen und Experten-Organisationen als vertrauenswürdige Hinweisgeber zu bestärken. Journalist:innen sollen die Möglichkeit haben, Angriffe auf ihre Arbeitsgeräte und Online-Konten durch nationale Cybersicherheitseinrichtungen feststellen zu lassen. Letztere sollten in einen regelmäßigen Dialog mit den Medien und der Industrie treten, damit Journalist:innen ihr Bewusstsein für Cybersicherheit sowie ihre digitalen Kompetenzen stärken und sich selbst besser online schützen können.
Frauen, Angehörige von Minderheiten, und Journalist:innen, die über Gleichstellung berichten, gehören unter den Medienvertreter:innen zu den besonders gefährdeten Gruppen. 73 Prozent aller Journalistinnen beklagen, beim Arbeiten bereits Opfer von Online-Gewalt geworden zu sein. Die Kommission fordert von den Mitgliedstaaten daher, Transparenz und Hilfestellungen zu schaffen sowie Inklusion und Gleichstellung im Mediensektor zu fördern.
Damit die Empfehlung kein Papiertiger wird, sollen die 27 Mitgliedstaaten der Kommission in 18 Monaten berichten, mit welchen Maßnahmen sie die Empfehlung umsetzen. Rechtlich bindend ist die Kommissionsempfehlung nicht. koj
Das Europäische Parlament hat sich dafür ausgesprochen, Arbeitsbedingungen und soziale Absicherung der Beschäftigten von Online-Plattformen zu verbessern. Die Abgeordneten stimmten mit großer Mehrheit für einen Initiativbericht der französischen Abgeordneten Sylvie Brunet (Renew). Die Europäische Kommission hat angekündigt, bis Jahresende einen Legislativvorschlag vorzulegen.
Laut Kommission hat jeder zehnte Arbeitnehmer in der EU bereits einmal für Plattformbetreiber wie Fahr- und Essenslieferdienste gearbeitet. Die Unternehmen stellen die Fahrer meist nicht an, sondern behandeln sie als Selbständige. Im Falle von Uber hatten zuletzt Gerichte etwa in Großbritannien und den Niederlanden entschieden, dass diese Praxis unrechtmäßig sei.
Das Europäische Parlament fordert nun, die Beweislast hier den Unternehmen aufzuerlegen. In dem neuen EU-Rechtsrahmen solle zudem sichergestellt werden, dass die Plattformbeschäftigten ein vergleichbares Niveau der sozialen Sicherung erhielten wie andere Arbeitnehmer. Die Fahrer von Transport- und Lieferdiensten sollten zudem Anspruch auf eine Unfallversicherung erhalten. Überdies sollten die Betreiber offenlegen müssen, nach welchen Kriterien ihre Algorithmen den Fahrern Aufträge zuteilen. tho
Die EU-Kommission hat ein Schlupfloch zur Umgehung von Anti-Dumping-Zöllen auf Aluminium-Haushaltsfolien aus China geschlossen – an anderer Stelle will die Brüsseler Behörde nun jedoch definitive Einfuhrzölle auf ein Aluminiumprodukt aus der Volksrepublik zunächst aussetzen. Die Strafzölle auf Alufolien für den Haushaltsgebrauch seien auf Importe aus Thailand ausgeweitet worden, teilte die Generaldirektionen für Handel der EU-Kommission mit. Untersuchungen hätten ergeben, dass chinesische Hersteller von Aluminiumfolien ihre Ware nach Thailand brachten, wo sie vor der Wiederausfuhr in die EU “geringfügigen Montagevorgängen” unterzogen wurden und somit nicht mehr unter die Anti-Dumping-Zölle fielen. Zuvor sei den EU-Aufsehern ein Anstieg der Einfuhren von Alu-Haushaltsfolien aus Thailand aufgefallen.
An anderer Stelle scheint die EU-Kommission Anti-Dumping-Zölle nun jedoch zu verzögern: Die Europäische Union werde im Oktober Abgaben auf chinesische Aluminium-Flachwalzprodukte erheben – nur um sie dann sofort für neun Monate auszusetzen, berichtete Reuters unter Berufung auf eine Veröffentlichung des Handelsverbands European Aluminium.
Zum Hintergrund: Im April waren vorläufige Anti-Dumping-Zölle auf Aluminiumprodukte wie Bleche, -platten und -folien festgelegt worden (China.Table berichtete). Sie betragen zwischen 19,3 und 46,7 Prozent. Endgültige Anti-Dumping-Zölle sollten eigentlich ab 11. Oktober erhoben werden, dann läuft die Frist für die Festsetzung ab. Die endgültigen Zölle sollen für fünf Jahre gelten und wahrscheinlich zwischen 14 und 25 Prozent betragen.
Nach Beschwerden von zwei Aluminium-Verarbeitern und einem Importeur sollen die Zölle nun aber vorerst ausgesetzt werden, kritisierte European Aluminium. Die Aussetzung sei grundsätzlich ungerechtfertigt und widerspreche den Handels- und Klimaambitionen der Kommission, sagte der Generaldirektor des Verbands, Gerd Götz. Die EU-Kommission bestätigte gegenüber Reuters den Eingang des Antrags auf Aussetzung und erklärte, dieser müsse gemeinsam mit den EU-Mitgliedstaaten besprochen werden. Eine endgültige Entscheidung war demnach noch nicht gefallen. ari
Durch den industriellen Wandel der Automobilbranche hin zur E-Mobilität droht offenbar kein Jobverlust in der Fläche – im Gegenteil. Einer Studie des Thinktanks Agora Verkehrswende zufolge entstehen durch die Transformation circa 25.000 zusätzliche Arbeitsplätze.
Allerdings, schreiben die Autoren, verbergen sich hinter diesem Saldo “große Umbrüche”. Besonders in der klassischen Automobilindustrie könnten diese zu einem Abbau von etwa 180.000 Stellen führen. Antriebsstrangunabhängige Zulieferunternehmen, zum Beispiel in der Batterieproduktion, würden mit 95.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen dagegen von dem Wandel profitieren. Auch im Bereich der Ladesäuleninfrastruktur und im Erneuerbaren-Ausbau entstünden neue Stellen.
Das bedeutet zwar, dass die Netto-Beschäftigungseffekte leicht positiv sind, allerdings ersetzt ein neuer Job nicht direkt einen wegfallenden. Der Fokus verschiebe sich von Qualifikationen im Bereich Maschinenbau und Fahrzeugtechnik zu Software- und Elektrotechnikkompetenzen, heißt es in der Studie. Viele Beschäftigte müssten umlernen und gegebenenfalls den Standort wechseln. Laut der Studie betrifft das 70.000 Beschäftigte bis 2030.
Gewerkschaften weisen immer wieder auf das Problem hin und fordern, dass die Qualität und Stabilität der Arbeitsplätze in der E-Mobilität im Vergleich zur klassischen Automobilindustrie erhalten bleiben müsse. Bisher seien diese neuen Jobs häufig schlechter bezahlt, erklärte ein Gewerkschaftsvertreter.
Gewerkschaften fordern deshalb eine zielgerichtete Beschäftigungspolitik. Auch Agora Verkehrswende beschreibt es als politische Aufgabe, dafür zu sorgen, dass “Produktionsstätten der neuen Wertschöpfungsketten in Deutschland angesiedelt werden”. Dafür sei ein ausreichender Kapitalzugang notwendig, schreiben die Studienautoren. Die Bundesregierung hat bereits einen Zukunftsfonds für Automobilindustrie angekündigt, der unter anderem darauf abzielt, Arbeitsplätze und Standorte zu sichern. luk
Die Europäische Kommission hat am Donnerstag eine neue EU-Behörde für Gesundheitskrisen vorgestellt. Die Einrichtung für Krisenvorsorge und Reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (European Health Emergency preparedness and Response Authority – HERA) soll Gefahren in Zukunft besser antizipieren und im Notfall die Entwicklung, Herstellung und Verteilung beispielsweise von Arzneimitteln und Impfstoffen sicherstellen.
HERA soll die Zusammenarbeit innerhalb der EU koordinieren und somit das tragende Element einer “Gesundheitsunion” sein, die Ursula von der Leyen als Reaktion auf die Corona-Pandemie aufbauen will. Die Behörde werde helfen, “mit künftigen Gesundheitsbedrohungen früher und besser fertig zu werden”, hatte die Kommissionpräsidentin in ihrer SOTEU-Rede am Mittwoch angekündigt.
EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides bezeichnete die neue Einrichtung als “Symbol für ein Umdenken in der Gesundheitspolitik”, welche zunehmend eine kollektive Aufgabe sei.
Thiemo Wölken, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD im EU-Parlament, begrüßte grundsätzlich die Idee einer neuen EU-Einrichtung gegen Gesundheitskrisen. “Bedauerlicherweise wird HERA aber im Verwaltungsapparat der EU-Kommission eingegliedert und nicht eigenständig sein”, so der Abgeordnete. Zudem werde das Europäische Parlament nicht beteiligt. Eine effektive Kontrolle der neuen Dienststelle sei so nicht möglich, aber notwendig.
HERA wird mit sechs Milliarden Euro aus dem mehrjährigen Finanzrahmen der EU ausgestattet. Die Einrichtung soll Gefahrenanalysen durchführen, Informationen sammeln und Vorhersagemodelle für einen Ausbruch von Gesundheitskrisen entwickeln. Bei einer Notlage sollen so schnelle Entscheidungen getroffen und Sofortmaßnahmen ermöglicht werden. til
In einem LinkedIn-Beitrag hat EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton erläutert, wie er sich künftige Verbesserungen bei der Cybersicherheit in Europa vorstellt. Der Binnenmarktkommissar mit ausdrücklicher Zuständigkeit für den Verteidigungssektor erläutert darin unter anderem das Ineinandergreifen der bereits bestehenden Initiativen.
Spärlich jedoch blieben Bretons Konkretisierungen zum am Mittwoch von Ursula von der Leyen angekündigten Cyber Resilience Act: “Um unsere Resilienz zu steigern, benötigen wir gemeinsame europäische Cybersicherheitsstandards für Produkte (insbesondere vernetzte Produkte) und Dienstleistungen, die auf unserem Markt angeboten werden”, schreibt Breton. Er glaube, dass dieser Rechtsakt auch eine Verteidigungsdimension habe “um maximale Synergien zu heben und beispielsweise Verteidigungsanforderungen zu berücksichtigen”. Diese von ihm ausdrücklich als Individualmeinung markierte Idee könnte für viel Streit sorgen – mit den Mitgliedstaaten und Teilen des Europaparlaments.
Das Produktsicherheitsrecht wird zudem EU-weit bereits im Rahmen der Allgemeinen Produktsicherheitsrichtlinie überarbeitet. Auch die Updatepflicht für Produkte ist im Rahmen der Revision der Warenkaufrichtlinie bereits Realität geworden. Gestern kündigte zudem Justizkommissar Didier Reynders während einer Europaparlamentssitzung an, dass in Kürze die Produktsicherheitsanforderungen nach der Funkgeräterichtlinie per delegiertem Rechtsakt verschärft würden. Darunter fallen unter anderem auch Mobiltelefone und andere vernetzte Endgeräte. fst
Matthias Buck kennt das Gefühl, wenn einem die Zeit davonläuft. “Ich war einer der letzten, die zwei Jahre Zivildienst absolvieren mussten. Da dachte ich mir, ich bin schon so alt und habe ein bisschen aufs Gas gedrückt.” Also: Jurastudium und erstes Staatsexamen nach acht Semestern, daneben Politikmagister in dreieinhalb Jahren und 2005 nach Brüssel als Mitarbeiter der Europäischen Kommission. Jetzt drängt die Zeit wieder. Einen möglicherweise katastrophalen Klimawandel zu verhindern sei “die Frage meiner Generation, denn das Umsteuern muss in den nächsten zehn Jahren passieren“, so Buck.
Seit 2015 arbeitet er für Agora Energiewende, aktuell als Direktor für Europäische Energiepolitik. Der Think-Tank beschäftigt etwas mehr als 80 Mitarbeiter:innen und wächst. Gerade erst wurden Teams mit Schwerpunkten Industrie und Wasserstoff aufgebaut. In den vergangenen Monaten hat sich auch das Europa-Team in Brüssel vergrößert, der Fokus liegt auf dem Green Deal. Mittlerweile hat Agora Energiewende Teams, die von Peking und Bangkok aus arbeiten. “Wir sind inzwischen in verschiedenen Zeitzonen unterwegs, was die Meetings herausfordernder macht”, sagt Buck mit breitem Lächeln.
Agora Energiewende berät Entscheidungsträger:innen in Brüssel und verschiedenen Hauptstädten zur Umsetzung konkreter Klima-Maßnahmen. Im Ausland arbeitet die Denkfabrik mit anderen Think-Tanks zusammen. Das Geld kommt von verschiedenen Stiftungen und Bundesministerien.
“In unserer Europa-Arbeit sind wir mit Volldampf dabei, die Entscheidungsträger in Brüssel möglichst gut zu unterstützen, dass alle verstehen, wie es gehen kann“, sagt Buck. “Die Mitgliedstaaten haben ein historisch großes EU-Budget zur Verfügung, es geht jetzt darum, die Maßnahmen auszubuchstabieren, die wir brauchen.”
Anfang Oktober wollen Buck und seine Kolleg:innen eine Studie zur Machbarkeit des Kohleausstiegs 2030 in Europa veröffentlichen. “Ja, das geht”, sagt Buck. “Technisch ist das absolut zu schaffen, und leichter geht es im europäischen Verbund.” Gerade bei der Stromversorgungssicherheit profitierten alle Länder in Europa von verstärkter Kooperation mit ihren jeweiligen Nachbarn.
Die Aufgabe ist groß: “Um unser Klimaschutzziel zu erreichen, werden wir in Europa das Zubautempo bei den Erneuerbaren verdreifachen und gleichzeitig die Energieeffizienz Jahr für Jahr weiter verbessern müssen”, sagt Buck. Es gehe darum, den Stromsektor möglichst rasch zu dekarbonisieren, um dann mit grünem Strom die Treibhausgas-Emissionen bei Gebäuden, Verkehr und in Teilen der Industrie schnell und günstig zu senken.
Dabei brauche es neben der Technik auch Kompetenz, so Buck: “Ein Bottleneck ist das Handwerk. Wir brauchen eine Ausbildungsoffensive im Handwerk. Die Aufgabe, alle Bestandsgebäude in Deutschland fit für Klimaneutralität zu machen, wird das deutsche Handwerk über viele Jahre beschäftigen, sei es bei der Umrüstung auf emissionsfreie Heizsysteme oder der energetischen Sanierung.”
Wichtig sei, dass alle Beteiligten das verstünden. “Es ist eine Aufgabe von Agora zu erklären, warum das, was jetzt an Wandel ansteht, passieren muss. Und da müssen wir auch die positiven Dinge mitdenken. Es wird ganz viele Dinge geben, die das Leben dann besser machen.” Davor würden die nächsten drei bis vier Jahre in Deutschland und Europa aber ein “echter Stresstest“.
Zur Ablenkung singt Buck mit Akkordeon- oder Klavierbegleitung französische Chansons. Wenn alles so läuft wie geplant, kann er ohne schlechtes Gewissen singen: “Non, je ne regrette rien”. Gabriel Bub
Politisch hat Margrethe Vestager in ihrem Feldzug gegen aggressive Steuergestaltung viel erreicht. Juristisch ist das Bild hingegen gemischt: Zwei ihrer Beihilfeentscheidungen wegen allzu zuvorkommender Behandlung von Unternehmen durch nationale Steuerbehörden hat das EU-Gericht in erster Instanz gekippt. Darunter, ausgerechnet, die spektakuläre Anordnung der Wettbewerbskommissarin, Irland möge 13 Milliarden Euro von Apple nachfordern. Die Entscheidung hatte den weltweiten Ruhm Vestagers als unerschrockene Hüterin des Wettbewerbs begründet.
Nun aber verbuchte die Dänin einen Erfolg: Der Europäische Gerichtshof bestätigte gestern ihre Sicht, wonach ein Steuerschema in Belgien als Staatsbeihilfe zu werten sei. Vestager hatte 2016 angeordnet, dass die belgischen Steuerbehörden 700 Millionen Euro von den 55 Unternehmen zurückfordern müsse, die von der Vorteilsbehandlung profitiert hatten. Das EU-Gericht hatte der Klage Belgiens und des Messtechnikherstellers Magnetrol 2019 stattgegeben. Die EuGH-Richter aber attestierten ihren Luxemburger Kollegen der ersten Instanz nun “mehrere juristische Fehler” und verwiesen das Verfahren zurück an sie. Nun müssen die gescholtenen Richter des EU-Gerichts nach Maßgabe der zweiten und letzten Instanz den belgischen Fall neu bewerten.
So besteht aus Sicht Vestagers auch im Apple-Berufungsverfahren noch Hoffnung. Vor Gericht und auf hoher See sind wir bekanntlich alle in Gottes Hand. Till Hoppe
es bleibt noch gut eine Woche bis zur Bundestagswahl. Wir schließen heute unsere kleine Wahlcheck-Reihe ab, und zwar mit der Analyse des Wahlprogramms der SPD. Die Sozialdemokraten mögen in den Umfragen vorne liegen, in vielen europapolitischen Fragen aber bleiben sie vage. Das mag allerdings auch Absicht sein. Schließlich ist Kanzlerkandidat Olaf Scholz darauf bedacht, keine Angriffsfläche zu bieten – Stichwort “Schuldenunion”.
Welchen Kurs Deutschland nach der Ära Merkel einschlägt, beschäftigt auch unsere europäischen Nachbarn intensiv. Zu einem “freundlichen Arbeits-Abendessen“, wie es Emmanuel Macron nannte, kamen Merkel und der französische Präsident gestern im Élysée-Palast zusammen. Die volle Agenda – von Afghanistan über die Ukraine bis zu den Prioritäten der französischen Ratspräsidentschaft – konnte nicht über Macrons Nervosität vor einer langen deutschen Regierungsfindung hinwegtäuschen. Seine Sorbonne-Rede jährt sich ausgerechnet am Tag der Bundestagswahl zum vierten Mal. Damals hatte er ganze sechs Monate auf eine deutsche Reaktion auf seine europäischen Visionen warten müssen. In Hinblick auf einen potenziellen Stillstand des deutsch-französischen oder gar europäischen Motors beruhigte Merkel, man werde “alles von deutscher Seite Mögliche machen”, damit wichtige Entscheidungen weiterhin getroffen werden können.
Brüskiert zeigte sich Paris gestern auch von dem neuen Sicherheitspakt zwischen Australien, den USA und Großbritannien. Er steht in Konkurrenz zur gestern präsentierten Indo-Pazifik-Strategie der Europäischen Union. Warum das besonders bitter für Frankreich ist, erörtert Amelie Richter in ihrer Analyse.
Die Europäische Kommission hat den Digital Markets Act vorgelegt, um endlich wirksam gegen die Digitalriesen vorgehen zu können. Doch Deutschland, Frankreich und die Niederlande wollen das schöne neue Instrumentarium nicht allein der Brüsseler Behörde überlassen: Auch Bundeskartellamt und Co sollen auf Grundlage des DMA gegen Google und Co vorgehen können. Mehr über den Streit hat Till Hoppe für Sie.
So hatte sich das Brüssel wahrscheinlich nicht vorgestellt. Kurz vor der Präsentation der lange angekündigten Indo-Pazifik-Strategie der Europäischen Union überraschen Australien, die USA und Großbritannien die Europäer mit einem eigenen Sicherheitspakt, der ebenfalls für die pazifische Region gilt. Die Teilnahme Australiens ist dabei besonders schmerzhaft. Schließlich sollte der ozeanische Kontinent ein wichtiger Partner des Vorhabens der EU sein – und wäre sogar der flächenmäßig größte davon gewesen.
Statt also gemeinsam auf die zunehmenden Machtdemonstrationen Chinas zu reagieren, laufen plötzlich konkurrierende Initiativen. Die Motivation Australiens war vermutlich ein Lockangebot der USA: Es lässt sich beim Bau atombetriebener U-Boote helfen.
EU-Staat und Rüstungsindustrie-Schwergewicht Frankreich, dem deshalb nun ein U-Boot-Deal in Milliarden-Höhe mit Canberra aufgekündigt wurde, fühlt sich vor den Kopf gestoßen. In Richtung Brüssel gab es vorab keine Ankündigung über die Dreierallianz Aukus – die EU, die gerade mit der neuen Strategie mehr Gewicht als geopolitischer Akteur im Indo-Pazifik beweisen wollte, wurde schlichtweg außen vor gelassen.
“Wir wurden nicht konsultiert”, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Donnerstag bei der Vorstellung des Papiers. Er gehe davon aus, dass ein Abkommen solcher Größenordnung nicht erst über Nacht ausgearbeitet worden sei, kommentierte der Spanier. Der EU-Chefdiplomat kann der Sache jedoch einen positiven Spin abgewinnen: Aukus zeige die Wichtigkeit der Region und damit auch für die Strategie der EU für den Indo-Pazifik-Raum.
EU-Ratspräsident Charles Michel betonte ebenfalls, eine eigene Strategie des Blocks für die Region sei “mehr denn je notwendig”, das unterstreiche der anglofone Aukus-Pakt. Die Strategie werde auch beim Europäischen Rat im Oktober besprochen, kündigte Michel an.
Die Europäische Kommission und der Europäische Auswärtige Dienst (EEAS) hatten nach einem ersten Plan im April sieben Bereiche festgelegt, in welchen die EU ihren Einfluss im Indo-Pazifik erhöhen möchte: Gesundheit, Daten, Infrastruktur, Umwelt, Handel, Ozeane und – für Peking der größte Konfrontationspunkt – Sicherheit.
Die EU will alles dafür tun, um die Schifffahrtsverbindung durch das Südchinesische Meer militärisch zu sichern. Dazu will die EU laut Strategie-Papier nun eine höhere Marinepräsenz mit Kriegsschiffen zeigen und “mehr gemeinsame Militärübungen” mit ihren Partnern durchführen. Auch zunehmende Hafenanläufe in der Region sind geplant, “um Piraterie zu bekämpfen und die Freiheit der Schifffahrt zu schützen”.
Die Europäer sind bereits mit zwei Einsätzen im Bereich des Indischen Ozeans unterwegs: Mit der Anti-Piraterie-Mission Atalanta vor der somalischen Küste und mit einer Ausbildungsmission in Mosambik. An Atalanta beteiligen sich asiatische Partnerländer wie Japan, Pakistan und Indien.
Was Peking zudem missfallen könnte: Taiwan wird als indo-pazifischer Partner genannt, mit welchem demnach Handels- und Investitionsabkommen angestrebt werden sollen. Die Forderung ist bisher vor allem aus dem Europaparlament gekommen – praktisch hat die EU-Kommission dafür aber noch keine Hebel in Bewegung gesetzt. Das EU-Parlament wiederholte in einer am Donnerstag angenommenen Entschließung zur Neuausrichtung der China-Politik das Anliegen, was nun auch den Druck auf die EU-Kommission erhöht, konkrete Schritte zu unternehmen. Für ein verstärktes Engagement im Indo-Pazifik sprachen sich auch die EU-Abgeordneten in der Resolution aus (China.Table berichtete).
Die Strategie umfasst außerdem den Abschluss der Handelsverhandlungen mit Australien, Indonesien und Neuseeland sowie eine Wiederaufnahme von Verhandlungen mit Indien. Zudem soll es zum Beispiel grüne Allianzen und Partnerschaften zur Bekämpfung des Klimawandels und der Umweltzerstörung geben.
Mit Japan, Südkorea und Singapur soll pilotmäßig digitale Kooperationen basierend auf vorhandenen Abkommen aufgebaut werden. In diesem Rahmen sollen dann beispielsweise Standards für den Einsatz von künstlicher Intelligenz “im Einklang mit demokratischen Grundsätzen und Grundrechten” entwickelt werden. Weitere der Partnerschaften mit Staaten in der Region könnten folgen, heißt es weiter in dem Strategie-Papier.
Der EU-Außenbeauftragte Borrell erklärte, dass die Strategie nicht als Konfrontation mit China verstanden werden sollte. Es gehe um Kooperation mit gleichgesinnten Staaten, wiederholte der Spanier.
Überschattet wurde das neue EU-Vorhaben jedoch vom Dreier-Sicherheitspakt zwischen Australien, Großbritannien und den USA. Canberra werde beim Bau von zunächst acht atombetriebenen U-Booten unterstützt, wie der australische Premierminister Scott Morrison bei einer Videokonferenz mit US-Präsident Joe Biden und dem britischen Premier Boris Johnson am Mittwoch bekannt gab.
“Wir haben die Absicht, diese U-Boote in Adelaide in Australien in enger Kooperation mit den USA und Großbritannien zu bauen”, kündigte Morrison an. Die U-Boote sollen zwar atomar betrieben sein, aber keine Atomwaffen transportieren. Nach Angaben Morrisons soll in den kommenden 18 Monaten geprüft werden, wie das Vorhaben umgesetzt werden kann.
Die drei Staats- und Regierungschefs erwähnten China bei der Ankündigung ihres Deals nicht explizit. Sie verwiesen jedoch auf regionale Sicherheitsbedenken. “Bei dieser Initiative geht es darum, sicherzustellen, dass jeder von uns über moderne Ressourcen verfügt – die modernsten Ressourcen, die wir brauchen – um auf die sich schnell entwickelnden Bedrohungen zu reagieren und uns zu verteidigen”, sagte US-Präsident Biden. Morrison sagte, das neue Dreierbündnis solle helfen, die “Herausforderungen” in der “zunehmend komplexen” indopazifischen Region anzugehen. Australien werde von den USA auch neue Marschflugkörper vom Typ Tomahawk erhalten.
Die neue Vereinbarung erfolgt allerdings zum Nachteil Frankreichs: Wenige Stunden nach der Bekanntgabe kündigte Canberra einen rund 40 Milliarden Dollar umfassenden Auftrag zum Bau einer neuen U-Boot-Flotte mit dem französischen Reedereikonzern Naval Group auf. Er galt als einer der lukrativsten Verteidigungsdeals weltweit.
Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian zeigte sich ungewöhnlich deutlich brüskiert: “Das ist ein Vertrauensbruch, und ich bin extrem zornig.” Er hielt US-Präsident Biden vor, sich wie dessen Vorgänger Donald Trump verhalten zu haben. “Diese brutale, einseitige und unberechenbare Entscheidung erinnert mich in vielem an das, was Herr Trump getan hat”, sagte Le Drian dem Radiosender Franceinfo.
EU-Chefdiplomat Borrell erklärte, er könne die Enttäuschung der Franzosen verstehen – das Vertrauen in die USA oder Australien dürfen deshalb aber nicht generell infrage gestellt werden.
Chinas Botschaft in Washington verurteilte das Abkommen der drei Staaten. Diese sollten “keinen ausgrenzenden Block bilden, der auf die Interessen Dritter abzielt oder ihnen schadet”, sagte Botschaftssprecher Liu Pengyu der Nachrichtenagentur Reuters. “Insbesondere sollten sie ihre Mentalität des Kalten Krieges und ideologische Vorurteile ablegen.” Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Zhao Lijian, sagte, Aukus untergrabe “den regionalen Frieden und die Stabilität ernsthaft und fördere das Wettrüsten”.
Analysten und Analystinnen in Brüssel sahen den Dreier-Vorstoß nicht generell als Untergrabung der EU-Strategie: “Es geht um mehr als einen Deal über U-Boote. Die eigentliche Frage ist, ob ein US-geführter Pushback im Bereich der Sicherheit gegen China im Indopazifik-Raum im strategischen Interesse Europas ist – oder nicht”, sagte die Direktorin des Asia-Programms am Thinktank ECFR, Janka Oertel. Falls ja, könnte Aukus ein wertvoller Bestandteil der EU-Strategie sein und durch Europas Indopazifik-Vorstoß ergänzt werden, so Oertel. “Wenn nicht, dann wird Europa eigene Antworten finden müssen, um regionale Partner glaubwürdig zu unterstützen – und zwar schnell.” Die Europäer seien bisher nicht sehr konsequent darin gewesen, mehr als nur rhetorische Solidarität mit Ländern zu zeigen, die von Peking unter Druck gesetzt würden.
Es gibt jedoch auch andere Meinungen: Dass Australien sich den USA und Großbritannien zugewandt habe, sei ein “Realitätscheck der geopolitischen Ambitionen der EU”, sagte ein EU-Diplomat Politico. Die EU und ihre Mitgliedsländer schienen offenbar keine “glaubwürdigen Sicherheitspartner” für die USA und Australien zu sein. “Wir sollten nicht zu viel von der Indopazifik-Strategie halten: Die EU ist kein Akteur im Pazifik-Raum.”
Japans Außenministerium begrüßte indes in einer Mitteilung die Vorstellung der EU-Strategie. Diese stimme mit Japans Ansichten und Bemühungen für einen “freien und offenen Indopazifik” überein, so der japanische Außenminister Toshimitsu Motegi. Das Land führt seit Mittwoch seine umfassendste Militärübung seit 30 Jahren durch. Die Logistik-Übung mit rund 100.000 Soldaten, 20.000 Bodenfahrzeuge und 120 Flugzeugen soll auch ein Zeichen an China senden.
Das Auswärtige Amt hatte seine Bilanz zu einem Jahr Indo-Pazifik-Leitlinien bereits zu Beginn der Woche veröffentlicht und die EU-Strategie gelobt. Als Erfolg führte das Ministerium unter anderem den Einsatz der Fregatte “Bayern” an. Dieser war am Mittwoch von chinesischer Seite offiziell das Einlaufen in Shanghai abgesagt worden. Das Schiff bekam deshalb nun eine neue Route und einen neuen Stopp: “Bayern” wird zum Tanken anhalten – in Darwin. Damit bekommt die Fregatte nach Perth einen zweiten Anlaufpunkt in Australien.
Fachgespräch: Sicherheitsgesetzgebung am Maßstab von Grund- und Menschenrechten prüfen
17.09.2021 09:30 Uhr
Akteure: Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland
Agenda: Das Deutsche Institut für Menschenrechte, sowie die Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland lädt Fachleute aus Politik, Behörden und Wissenschaft zum Austausch über einer an Grund- und Menschenrechten orientierten Überprüfung von Sicherheitsgesetzen ein.
INFOS
Patricia Espinosa spricht bei der Eröffnung der Climate Week New York City 2021
20.09.2021
Akteure: UN-Klimachefin Patricia Espinosa
Agenda: Die Climate Week New York City 2021 findet vom 20. bis 26. September statt. Es werden führende Klimamaßnahmen vorgestellt und untersucht, wie Maßnahmen zur Bewältigung der Klimakrise beschleunigt werden können.
INFOS
UN-Generalversammlung
20.09.-24.09.2021
Akteure: Internationaler Gipfel
Agenda: Die Tagung der UN-Generalversammlung fällt mit der Veröffentlichung der aktualisierten Fassung des NDC-Syntheseberichts durch UN Climate Change am 17. September zusammen. Am Rande der UN-Generalversammlung treffen sich Vertreter:innen von Regierungen und des Privatsektors, um wichtige Klimaschutzmaßnahmen im Vorfeld der UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow im November voranzutreiben.
INFOS
Sitzung des Rates für Allgemeine Angelegenheiten
21.09.2021 10:00 Uhr
Akteure: Rat der EU
Agenda: Die Minister:innen werden sich unter anderem mit der europäischen Koordinierung zur COVID-19-Pandemie, der Beziehung zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich und der Konferenz zur Zukunft Europas befassen.
INFOS AGENDA HINTERGRÜNDE
Ministertreffen zur Initiative für mittel- und südosteuropäische Energiekonnektivität (CESEC)
21.09.2021 12:00 Uhr
Akteure: Ministerium für Infrastruktur
Agenda: Die Minister:innen werden die aktuelle Situation und die Zukunft der CESEC-Energiesysteme der Region diskutieren. Themen werden dabei Strominfrastrukturprojekte, Marktkopplung und die Integration erneuerbarer Energiequellen in das Energiesystem, grenzüberschreitende Gasprojekte und damit verbundene Gesetzgebungsaktivitäten, sowie die Infrastruktur für erneuerbare Energiequellen und andere kohlenstoffarme Gase sein.
INFOS
Wöchentliche Kommissionssitzung
22.09.2021
Akteure: Europäische Kommission
Agenda: Auf der Agenda stehen das künftige Zollpräferenzschema der EU für Entwicklungsländer und ein strategischer Ansatz der EU bei der Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung ehemaliger Kämpfer bei internationalen Friedensprozessen.
VORLÄUFIGE TAGESORDNUNG
Informelles Treffen der Verkehrs- und Energieminister
22.09.-23.09.2021
Akteure: Rat der EU: Minister für Verkehr und Energie
Agenda: Das Treffen der Energieminister:innen am 22.09. widmet sich der Prüfung der Richtlinie über erneuerbare Energien und der Energieeffizienzrichtlinie im Rahmen des Klima- und Energiepakets “Fit for 55”. Auf einer gemeinsamen Sitzung werden Verkehrs- und Energieminister sich mit der Einrichtung von Infrastruktur für alternative Kraftstoffe und dem Funktionieren des Energiebinnenmarktes beschäftigen. Am 23.09. werden die Verkehrsminister:innen die Schlüsselaspekte der überarbeiteten Verordnung über die Infrastruktur alternative Kraftstoffe diskutieren.
INFOS
Informelles Treffen der Verbraucherschutzminister
24.09.2021 08:30 Uhr
Akteure: Rat der EU: Minister für Verbraucherschutz
Agenda: Teilnehmende aus allen EU-Mitgliedstaaten werden die Prioritäten und Maßnahmen im Bereich Verbraucherschutz besprechen.
INFOS
Stabilitätspakt und Sozialunion
Die SPD will die europäische Solidarität stärken. Das Corona-Wiederaufbauprogramm bezeichnen die Sozialdemokraten als “Paradigmenwechsel deutscher Europapolitik”, eingeleitet unter Führung ihres Kanzlerkandidaten – Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Nun soll der Fonds zu einer dauerhaften Lösung und die EU zu einer “echten Fiskal-, Wirtschafts- und Sozialunion” weiterentwickelt werden. Dazu gehöre auch ein Rechtsrahmen für europäische Mindestlöhne sowie eine europäische Arbeitslosenversicherung. Die EU soll mehr Eigenmittel erhalten, mithilfe von Emissionshandel und Digitalsteuer.
Demokratie stärken
Das Europäische Parlament soll durch ein Initiativrecht gestärkt werden. Außerdem fordert die SPD einen Sonderfonds für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, um zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit zu fördern.
Asylpolitik
Die SPD will sich für eine Reform des Dublin-Systems hin zu einem stärkeren solidarischen Verteilungsmechanismus einsetzen. Durch Bundeskontingente soll die Aufnahmebereitschaft europäischer Kommunen und Städte gefördert werden. Das Unterstützungsbüro für Asylfragen soll zu einer EU-Asylagentur ausgebaut werden.
Außenpolitik
Auch die SPD spricht sich für Mehrheitsentscheidungen in der Außenpolitik aus und bekennt sich klar zur NATO. Ziel sei außerdem eine europäische Armee als Friedensmacht Europa. Durch mehr Rüstungskooperationen könnten Synergien genutzt und unnötige Ausgaben eingespart werden.
Nationale Klimaschutz-Pläne hat die SPD einige. Beim internationalen und europäischen Klimaschutz hingegen hält sich die Partei bedeckt. Der Begriff Green Deal fällt im Programm nur einmal, als die SPD darlegt, die nationale Industriestrategie mit jener auf EU-Ebene in Einklang bringen zu wollen. Wer allerdings nach konkreten Aussagen zu EU-Klimaschutzmaßnahmen sucht, muss zwischen den Zeilen lesen. Die geforderte Eigenmittelfinanzierung aus den Einnahmen der CO2-Grenzabgabe und des ETS beispielsweise legt eine grundsätzliche Befürwortung der Maßnahmen nahe.
Erneuerbare Energien
In vielen Punkten bleibt die SPD vage. So könne umso schneller auf fossile Energieträger verzichtet werden, je schneller der Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien erfolge. Letzteres bezeichnen die Sozialdemokraten als “Herzstück” ihrer Klimapolitik. Schließlich werde der Strombedarf in Folge der Elektrifizierung im Straßenverkehr und in Teilen der Industrie deutlich ansteigen. Dafür gelte es nun, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wie diese auf EU-Ebene aussehen sollten, bleibt offen.
CO2-Bepreisung
Um den Einsatz erneuerbarer Energien im Verkehr und Gebäudebereich zu unterstützen, will die SPD die EEG-Umlage abschaffen und unter anderem über die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung dieser Sektoren finanzieren. Diese könnte allerdings ab 2026 in einem EU-ETS aufgehen, welcher laut SPD wiederum der Finanzierung der EU-Eigenmittel dienen soll. Mit dem Ansteigen des CO2-Preises wollen die Sozialdemokraten für weitere soziale Ausgleichsmaßnahmen sorgen und einen Pro-Kopf-Bonus prüfen. Im Gebäudebereich soll eine gesetzliche Regelung dafür sorgen, dass der Preis vom Vermieter getragen wird.
Carbon Leakage
Die SPD will die Industrie schützen und die Verlagerung von Produktion und Emissionen ins Ausland durch “maßgeschneiderte Instrumente” unattraktiv machen. Wie diese Instrumente aussehen sollen, bleibt unklar. Auch, wer sie schneidern soll. Die kürzlich vorgestellte Initiative zu einem internationalen Klimaclub allerdings entstammt der Feder von Scholz. Zudem fordert die SPD einen wettbewerbsfähigen Strompreis für Unternehmen, die internationaler Konkurrenz ausgesetzt sind und adressiert damit indirekt das EU-Beihilferecht.
Mobilität
Bei der Mobilität setzt die SPD stark auf den Ausbau der Schiene. Bahnfahren soll innereuropäisch günstiger und attraktiver sein als Fliegen. Dafür will die Partei in das Schienennetz investieren, einen Europatakt aufbauen und dabei vermehrt internationale Schnell- und Nachtzugverbindungen etablieren.
Auch im Güterverkehr sollen die Kostennachteile der Schiene gegenüber der Straße verringert werden. Zusätzlich wollen die Sozialdemokraten den Warentransport vermehrt auch auf die Binnenschifffahrt verlagern.
Im Automobilbereich stellt die SPD klar: “Die Zukunft gehört den elektrischen Antrieben”. Diese Entwicklung müsse aktiv gestaltet werden, sodass die Automobilbranche Leitindustrie bleibe. Dazu gehöre auch, das Stromtanken so einfach zu machen, wie bisher das Tanken von Benzin oder Diesel. Den hierfür unabdingbaren europäischen Aspekt bleibt die SPD schuldig.
Die SPD hat in der Digitalpolitik eine wechselvolle und intern strittige Historie. Insbesondere im Konfliktfeld zwischen Digital- und Innenpolitikern setzten sich regelmäßig letztere durch, ob bei der Quellen-Telekommunikationsüberwachung oder bei der Vorratsdatenspeicherung. Auch bei der EU-Urheberrechtsreform verlief ein tiefer Riss durch die Sozialdemokratie. Das “Zukunftsprogramm” wird an einigen Stellen sehr konkret, lässt andere Themen jedoch aus.
Digitale Märkte
Die Sozialdemokraten plädieren für einen scharfen Digital Markets Act (DMA): Um Alternativen zu den großen Plattformen zu ermöglichen, sollen umfangreiche Interoperabilitätspflichten her, die die anbieterübergreifende Kommunikation und die Wechselbereitschaft befördern. Ein ausdrückliches Ziel: die Datensouveränität der Einzelnen zu erhöhen.
Die SPD strebt deutliche Veränderungen am Kartell- und Wettbewerbsrecht an: Dieses soll künftig präventiv ausgestaltet werden, neue Instrumente sollen zudem eine Entflechtung einfacher durchsetzbar machen.
Digitale Dienstleistungen
Um gegen Hasskriminalität und andere Straftaten im Netz vorzugehen, will die SPD die Ermittlungsmöglichkeiten ausweiten, das NetzDG anpassen und mit dem Digital Services Act (DSA) europaweit verbindliche Regelungen schaffen.
Die SPD legt Wert auf eine Gleichbehandlung von stationärem und Onlinehandel. Zudem fordert sie uneingeschränkte Arbeitnehmer- und Vereinigungsrechte bei über Plattformen organisierte Arbeit.
Datenpolitik
Die SPD hat bereits in der Vergangenheit mit Konzeptpapieren für Datenteilungspflichten für Aufsehen gesorgt.
Sie fordert nun, dass “die großen Konzerne ihre Daten für gemeinwohlorientierte Ziele teilen müssen”. Zudem dürfe bei Beauftragung durch die öffentliche Hand keine Einbahnstraße beim Datenfluss entstehen. Ein eigenständiges Datengesetz soll dies schaffen. Wie sich das zu Data Governance und Data Act verhält, bleibt offen. Die Forderung nach vertrauenswürdiger Datenteilungsinfrastruktur und öffentlichen Datentreuhändern dürfte damit aber kompatibel sein.
Die SPD will laut Programm ein “dauerhaftes, regelmäßiges und unabhängiges Monitoring der Gesetze im Sicherheitsbereich schaffen” – ein Gedanke, der auch bei Grünen und FDP unter dem Stichwort Überwachungsgesamtrechnung existiert.
Vorratsdatenspeicherung
Im Wahlprogramm wird sie schlicht nicht thematisiert. Dass sie in der Partei wenig Freunde, in der Fraktion und bei Sicherheitspolitikern aber in der Vergangenheit viel Zustimmung erfuhr, dürfte das Dilemma der SPD hier nicht verkleinern.
Netzneutralität
Die SPD bekennt sich zur Netzneutralität, ohne konkreter zu werden.
Urheberrecht
Hier benennt die SPD ausschließlich abstrakt Bundesvorhaben zur “Stärkung privatwirtschaftlichen Medienschaffens”.
Cybersicherheit
“Grundlage für eine erfolgreiche Digitalisierung”: Sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, Security by Design und by default, keine Backdoors, Anonymisierung und Pseudonymisierung als Voraussetzung für freie Meinungsäußerung. Allerdings passt letzteres nicht recht mit den Forderungen zur besseren Verfolgbarkeit von Straftaten zusammen.
KI-Regulierung
Die SPD bleibt hier etwas unscharf: transparent, diskriminierungsfrei, mit klaren und überprüfbaren Entscheidungen – in Form stringenter Regulierung. Das dürfte jedoch mit den Grundzügen der KI-Verordnung übereinstimmen.
Digitalsteuer
Die SPD verweist hier in erster Linie auf die Vorhaben zur Mindestbesteuerung auf OECD-Ebene, auf die Eindämmung von Steuervermeidung und Steuerbegünstigung.
Digitale Souveränität
Die SPD sieht dringenden Handlungsbedarf, ein “gemeinsamer Kraftakt” soll es richten:
Europapolitik
Klimapolitik
Digitalpolitik
In den Verhandlungen um den Digital Markets Act fordern Deutschland, Frankreich und die Niederlande eine stärkere Rolle der nationalen Kartellbehörden. Die drei Regierungen präsentierten nach Informationen von Europe.Table in der Sitzung der Ratsarbeitsgruppe zum DMA diese Woche eine gemeinsame Initiative. Darin forderten sie, dass neben der EU-Kommission auch Behörden wie das Bundeskartellamt im Rahmen des DMA gegen große Plattformen vorgehen können.
Nach dem Kommissionsvorschlag wäre allein die Brüsseler Behörde dafür zuständig, die Verhaltensvorgaben des DMA gegen sogenannte Gatekeeper-Unternehmen durchzusetzen. Berlin, Paris und Den Haag dringen aber darauf, dass die Wettbewerbshüter in den Mitgliedsländern selbst Verfahren anstrengen können. “Zu diesem Zweck können die nationalen Kartellbehörden die einschlägigen Untersuchungs- und Aufsichtsbefugnisse auf eigene Initiative einsetzen”, heißt es im gemeinsamen Positionspapier. Wenn die Kommission sie damit beauftrage, sollten sie die Verpflichtungen auch selbst gegenüber den Unternehmen durchsetzen dürfen.
Die Kommission sieht das kritisch: Sie hat wiederholt auf die Notwendigkeit verwiesen, eine einheitliche Durchsetzung der Spielregeln für die großen Digitalkonzerne in der EU zu gewährleisten. Gerade in den kleineren Mitgliedsstaaten gibt es dem Vernehmen nach überdies wenig Ambitionen, sich selbst mit mächtigen Unternehmen wie Google, Facebook oder Amazon auseinanderzusetzen.
Daneben fordern Deutschland, Frankreich und die Niederlande eine stärkere Flexibilisierung des DMA. Dieser sieht in Artikel 5 und 6 eine stehende Liste von Geschäftspraktiken vor, die den Gatekeepern untersagt ist. Nach dem Willen der drei Regierungen soll die Behörde auch darüber hinaus den Unternehmen Vorgaben machen können, und zwar auf Grundlage einer vorausgegangenen Marktuntersuchung. Die sei für “eine dynamische und agile Regulierung” nötig.
Aus Sicht von Kommission und einigen Mitgliedsstaaten ist diese Möglichkeit aber bereits durch das herkömmliche Wettbewerbsrecht gewährleistet, das individuelle Verfahren wegen Missbrauchs der Marktmacht erlaubt. tho
Facebook hat wenige Tage vor der Bundestagswahl ein Netzwerk auf seinen Plattformen gelöscht, das die Firma den sogenannten Querdenkern zurechnet. Hierbei soll es sich um weniger als 150 Konten, Seiten und Gruppen handeln, die sich zur Verbreitung von Falschinformationen rund um die Maßnahmen zur Coronapandemie verabredet haben sollen. Zwar habe es Doppelkonten gegeben, reale Gefahren durch derartige Netzwerke in Social Media gingen hier aber weitgehend von “authentischen Nutzer*innen” aus.
Facebook beschreibt in seiner Stellungnahme eine massive Zunahme der Aktivitäten des Netzwerks seit Mai 2021. Dieses erstrecke sich über mehrere Dienste im Netz und “stelle in der Regel Gewalt als probates Mittel dar”. Von Teilnehmern des Netzwerkes sei laut Medienberichten auch außerhalb des Netzes Gewalt gegen Menschen in Medien, Polizei und Gesundheitswesen ausgeübt worden.
Löschungen und Sperrungen seien nach eigenen Geschäftsbedingungen erfolgt, so Facebook. Die Firma steht wie alle großen Plattformbetreiber derzeit unter erheblichem politischem Handlungsdruck: in Deutschland müssen sie sich an das Netzwerkdurchsetzungsgesetz halten, auf EU-Ebene wird derzeit über weitere Verpflichtungen im Digital Services Act verhandelt. Einige Social Media-Anbieter verweisen immer wieder darauf, dass ihre Geschäftsbedingungen bereits heute ausreichend Handlungsspielraum böten, um gegen Falschinformationen und Hassrede vorzugehen.
Das Eingreifen durch Facebook ist dabei auch ein Test für ein neues Vorgehen: man wolle aus dem jetzigen Fall lernen, so die Firma. Wie die Nachrichtenagentur Reuters exklusiv berichtet, soll der neue, netzwerkorientierte Ansatz nun verstärkt gegen politische Desinformationskampagnen Anwendung finden, die sich – anders als orchestrierte Fake-Konten – auf “koordiniertes authentisches Verhalten” stützten, um Meinungen zu beeinflussen. fst
Obwohl die Europäische Union als einer der sichersten Orte für Journalist:innen gilt, nehmen auch hier die Angriffe, offline sowie online, auf Medienvertreter zu. Vergangenes Jahr zählte die Europäische Kommission 908 Fälle. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken hat die Behörde gestern eine Empfehlung zur “Verbesserung der Sicherheit von Journalisten und anderen Medienschaffenden” verabschiedet.
Darin fordert die Kommission die Mitgliedstaaten dazu auf, Angriffe auf Journalist:innen konsequent zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen. Bei Bedarf sollen sie dabei auch europäische Behörden wie Eurojust und Europol in die Strafverfolgung miteinbeziehen. Vollzugsbehörden und Medieneinrichtungen sollen besser zusammenarbeiten, um Bedrohungen zu identifizieren und zu bewältigen. Journalist:innen, deren Sicherheit gefährdet ist, soll persönlicher Schutz geboten werden. Medienschaffende, die bedroht werden, sollen Zugang zu unabhängigen nationalen Unterstützungsdiensten haben, darunter Notrufstellen, Rechtsberatung, psychologische Betreuung und Schutzunterkünfte.
Weil die meisten Angriffe auf Journalist:innen bei Demonstrationen passieren, empfiehlt die Kommission, zwei konkrete Maßnahmen: Verbindungsbeamte sollen Journalist:innen unmittelbar vor Demonstrationen über Risiken informieren und Vollzugsbehörden sollen ihr Personal speziell für den Schutz von Journalist:innen während Demonstrationen schulen.
Um verstärkt gegen Angriffe im Netz vorzugehen, rät die Kommission den Mitgliedstaaten, die Rolle von Online-Plattformen und Experten-Organisationen als vertrauenswürdige Hinweisgeber zu bestärken. Journalist:innen sollen die Möglichkeit haben, Angriffe auf ihre Arbeitsgeräte und Online-Konten durch nationale Cybersicherheitseinrichtungen feststellen zu lassen. Letztere sollten in einen regelmäßigen Dialog mit den Medien und der Industrie treten, damit Journalist:innen ihr Bewusstsein für Cybersicherheit sowie ihre digitalen Kompetenzen stärken und sich selbst besser online schützen können.
Frauen, Angehörige von Minderheiten, und Journalist:innen, die über Gleichstellung berichten, gehören unter den Medienvertreter:innen zu den besonders gefährdeten Gruppen. 73 Prozent aller Journalistinnen beklagen, beim Arbeiten bereits Opfer von Online-Gewalt geworden zu sein. Die Kommission fordert von den Mitgliedstaaten daher, Transparenz und Hilfestellungen zu schaffen sowie Inklusion und Gleichstellung im Mediensektor zu fördern.
Damit die Empfehlung kein Papiertiger wird, sollen die 27 Mitgliedstaaten der Kommission in 18 Monaten berichten, mit welchen Maßnahmen sie die Empfehlung umsetzen. Rechtlich bindend ist die Kommissionsempfehlung nicht. koj
Das Europäische Parlament hat sich dafür ausgesprochen, Arbeitsbedingungen und soziale Absicherung der Beschäftigten von Online-Plattformen zu verbessern. Die Abgeordneten stimmten mit großer Mehrheit für einen Initiativbericht der französischen Abgeordneten Sylvie Brunet (Renew). Die Europäische Kommission hat angekündigt, bis Jahresende einen Legislativvorschlag vorzulegen.
Laut Kommission hat jeder zehnte Arbeitnehmer in der EU bereits einmal für Plattformbetreiber wie Fahr- und Essenslieferdienste gearbeitet. Die Unternehmen stellen die Fahrer meist nicht an, sondern behandeln sie als Selbständige. Im Falle von Uber hatten zuletzt Gerichte etwa in Großbritannien und den Niederlanden entschieden, dass diese Praxis unrechtmäßig sei.
Das Europäische Parlament fordert nun, die Beweislast hier den Unternehmen aufzuerlegen. In dem neuen EU-Rechtsrahmen solle zudem sichergestellt werden, dass die Plattformbeschäftigten ein vergleichbares Niveau der sozialen Sicherung erhielten wie andere Arbeitnehmer. Die Fahrer von Transport- und Lieferdiensten sollten zudem Anspruch auf eine Unfallversicherung erhalten. Überdies sollten die Betreiber offenlegen müssen, nach welchen Kriterien ihre Algorithmen den Fahrern Aufträge zuteilen. tho
Die EU-Kommission hat ein Schlupfloch zur Umgehung von Anti-Dumping-Zöllen auf Aluminium-Haushaltsfolien aus China geschlossen – an anderer Stelle will die Brüsseler Behörde nun jedoch definitive Einfuhrzölle auf ein Aluminiumprodukt aus der Volksrepublik zunächst aussetzen. Die Strafzölle auf Alufolien für den Haushaltsgebrauch seien auf Importe aus Thailand ausgeweitet worden, teilte die Generaldirektionen für Handel der EU-Kommission mit. Untersuchungen hätten ergeben, dass chinesische Hersteller von Aluminiumfolien ihre Ware nach Thailand brachten, wo sie vor der Wiederausfuhr in die EU “geringfügigen Montagevorgängen” unterzogen wurden und somit nicht mehr unter die Anti-Dumping-Zölle fielen. Zuvor sei den EU-Aufsehern ein Anstieg der Einfuhren von Alu-Haushaltsfolien aus Thailand aufgefallen.
An anderer Stelle scheint die EU-Kommission Anti-Dumping-Zölle nun jedoch zu verzögern: Die Europäische Union werde im Oktober Abgaben auf chinesische Aluminium-Flachwalzprodukte erheben – nur um sie dann sofort für neun Monate auszusetzen, berichtete Reuters unter Berufung auf eine Veröffentlichung des Handelsverbands European Aluminium.
Zum Hintergrund: Im April waren vorläufige Anti-Dumping-Zölle auf Aluminiumprodukte wie Bleche, -platten und -folien festgelegt worden (China.Table berichtete). Sie betragen zwischen 19,3 und 46,7 Prozent. Endgültige Anti-Dumping-Zölle sollten eigentlich ab 11. Oktober erhoben werden, dann läuft die Frist für die Festsetzung ab. Die endgültigen Zölle sollen für fünf Jahre gelten und wahrscheinlich zwischen 14 und 25 Prozent betragen.
Nach Beschwerden von zwei Aluminium-Verarbeitern und einem Importeur sollen die Zölle nun aber vorerst ausgesetzt werden, kritisierte European Aluminium. Die Aussetzung sei grundsätzlich ungerechtfertigt und widerspreche den Handels- und Klimaambitionen der Kommission, sagte der Generaldirektor des Verbands, Gerd Götz. Die EU-Kommission bestätigte gegenüber Reuters den Eingang des Antrags auf Aussetzung und erklärte, dieser müsse gemeinsam mit den EU-Mitgliedstaaten besprochen werden. Eine endgültige Entscheidung war demnach noch nicht gefallen. ari
Durch den industriellen Wandel der Automobilbranche hin zur E-Mobilität droht offenbar kein Jobverlust in der Fläche – im Gegenteil. Einer Studie des Thinktanks Agora Verkehrswende zufolge entstehen durch die Transformation circa 25.000 zusätzliche Arbeitsplätze.
Allerdings, schreiben die Autoren, verbergen sich hinter diesem Saldo “große Umbrüche”. Besonders in der klassischen Automobilindustrie könnten diese zu einem Abbau von etwa 180.000 Stellen führen. Antriebsstrangunabhängige Zulieferunternehmen, zum Beispiel in der Batterieproduktion, würden mit 95.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen dagegen von dem Wandel profitieren. Auch im Bereich der Ladesäuleninfrastruktur und im Erneuerbaren-Ausbau entstünden neue Stellen.
Das bedeutet zwar, dass die Netto-Beschäftigungseffekte leicht positiv sind, allerdings ersetzt ein neuer Job nicht direkt einen wegfallenden. Der Fokus verschiebe sich von Qualifikationen im Bereich Maschinenbau und Fahrzeugtechnik zu Software- und Elektrotechnikkompetenzen, heißt es in der Studie. Viele Beschäftigte müssten umlernen und gegebenenfalls den Standort wechseln. Laut der Studie betrifft das 70.000 Beschäftigte bis 2030.
Gewerkschaften weisen immer wieder auf das Problem hin und fordern, dass die Qualität und Stabilität der Arbeitsplätze in der E-Mobilität im Vergleich zur klassischen Automobilindustrie erhalten bleiben müsse. Bisher seien diese neuen Jobs häufig schlechter bezahlt, erklärte ein Gewerkschaftsvertreter.
Gewerkschaften fordern deshalb eine zielgerichtete Beschäftigungspolitik. Auch Agora Verkehrswende beschreibt es als politische Aufgabe, dafür zu sorgen, dass “Produktionsstätten der neuen Wertschöpfungsketten in Deutschland angesiedelt werden”. Dafür sei ein ausreichender Kapitalzugang notwendig, schreiben die Studienautoren. Die Bundesregierung hat bereits einen Zukunftsfonds für Automobilindustrie angekündigt, der unter anderem darauf abzielt, Arbeitsplätze und Standorte zu sichern. luk
Die Europäische Kommission hat am Donnerstag eine neue EU-Behörde für Gesundheitskrisen vorgestellt. Die Einrichtung für Krisenvorsorge und Reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (European Health Emergency preparedness and Response Authority – HERA) soll Gefahren in Zukunft besser antizipieren und im Notfall die Entwicklung, Herstellung und Verteilung beispielsweise von Arzneimitteln und Impfstoffen sicherstellen.
HERA soll die Zusammenarbeit innerhalb der EU koordinieren und somit das tragende Element einer “Gesundheitsunion” sein, die Ursula von der Leyen als Reaktion auf die Corona-Pandemie aufbauen will. Die Behörde werde helfen, “mit künftigen Gesundheitsbedrohungen früher und besser fertig zu werden”, hatte die Kommissionpräsidentin in ihrer SOTEU-Rede am Mittwoch angekündigt.
EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides bezeichnete die neue Einrichtung als “Symbol für ein Umdenken in der Gesundheitspolitik”, welche zunehmend eine kollektive Aufgabe sei.
Thiemo Wölken, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD im EU-Parlament, begrüßte grundsätzlich die Idee einer neuen EU-Einrichtung gegen Gesundheitskrisen. “Bedauerlicherweise wird HERA aber im Verwaltungsapparat der EU-Kommission eingegliedert und nicht eigenständig sein”, so der Abgeordnete. Zudem werde das Europäische Parlament nicht beteiligt. Eine effektive Kontrolle der neuen Dienststelle sei so nicht möglich, aber notwendig.
HERA wird mit sechs Milliarden Euro aus dem mehrjährigen Finanzrahmen der EU ausgestattet. Die Einrichtung soll Gefahrenanalysen durchführen, Informationen sammeln und Vorhersagemodelle für einen Ausbruch von Gesundheitskrisen entwickeln. Bei einer Notlage sollen so schnelle Entscheidungen getroffen und Sofortmaßnahmen ermöglicht werden. til
In einem LinkedIn-Beitrag hat EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton erläutert, wie er sich künftige Verbesserungen bei der Cybersicherheit in Europa vorstellt. Der Binnenmarktkommissar mit ausdrücklicher Zuständigkeit für den Verteidigungssektor erläutert darin unter anderem das Ineinandergreifen der bereits bestehenden Initiativen.
Spärlich jedoch blieben Bretons Konkretisierungen zum am Mittwoch von Ursula von der Leyen angekündigten Cyber Resilience Act: “Um unsere Resilienz zu steigern, benötigen wir gemeinsame europäische Cybersicherheitsstandards für Produkte (insbesondere vernetzte Produkte) und Dienstleistungen, die auf unserem Markt angeboten werden”, schreibt Breton. Er glaube, dass dieser Rechtsakt auch eine Verteidigungsdimension habe “um maximale Synergien zu heben und beispielsweise Verteidigungsanforderungen zu berücksichtigen”. Diese von ihm ausdrücklich als Individualmeinung markierte Idee könnte für viel Streit sorgen – mit den Mitgliedstaaten und Teilen des Europaparlaments.
Das Produktsicherheitsrecht wird zudem EU-weit bereits im Rahmen der Allgemeinen Produktsicherheitsrichtlinie überarbeitet. Auch die Updatepflicht für Produkte ist im Rahmen der Revision der Warenkaufrichtlinie bereits Realität geworden. Gestern kündigte zudem Justizkommissar Didier Reynders während einer Europaparlamentssitzung an, dass in Kürze die Produktsicherheitsanforderungen nach der Funkgeräterichtlinie per delegiertem Rechtsakt verschärft würden. Darunter fallen unter anderem auch Mobiltelefone und andere vernetzte Endgeräte. fst
Matthias Buck kennt das Gefühl, wenn einem die Zeit davonläuft. “Ich war einer der letzten, die zwei Jahre Zivildienst absolvieren mussten. Da dachte ich mir, ich bin schon so alt und habe ein bisschen aufs Gas gedrückt.” Also: Jurastudium und erstes Staatsexamen nach acht Semestern, daneben Politikmagister in dreieinhalb Jahren und 2005 nach Brüssel als Mitarbeiter der Europäischen Kommission. Jetzt drängt die Zeit wieder. Einen möglicherweise katastrophalen Klimawandel zu verhindern sei “die Frage meiner Generation, denn das Umsteuern muss in den nächsten zehn Jahren passieren“, so Buck.
Seit 2015 arbeitet er für Agora Energiewende, aktuell als Direktor für Europäische Energiepolitik. Der Think-Tank beschäftigt etwas mehr als 80 Mitarbeiter:innen und wächst. Gerade erst wurden Teams mit Schwerpunkten Industrie und Wasserstoff aufgebaut. In den vergangenen Monaten hat sich auch das Europa-Team in Brüssel vergrößert, der Fokus liegt auf dem Green Deal. Mittlerweile hat Agora Energiewende Teams, die von Peking und Bangkok aus arbeiten. “Wir sind inzwischen in verschiedenen Zeitzonen unterwegs, was die Meetings herausfordernder macht”, sagt Buck mit breitem Lächeln.
Agora Energiewende berät Entscheidungsträger:innen in Brüssel und verschiedenen Hauptstädten zur Umsetzung konkreter Klima-Maßnahmen. Im Ausland arbeitet die Denkfabrik mit anderen Think-Tanks zusammen. Das Geld kommt von verschiedenen Stiftungen und Bundesministerien.
“In unserer Europa-Arbeit sind wir mit Volldampf dabei, die Entscheidungsträger in Brüssel möglichst gut zu unterstützen, dass alle verstehen, wie es gehen kann“, sagt Buck. “Die Mitgliedstaaten haben ein historisch großes EU-Budget zur Verfügung, es geht jetzt darum, die Maßnahmen auszubuchstabieren, die wir brauchen.”
Anfang Oktober wollen Buck und seine Kolleg:innen eine Studie zur Machbarkeit des Kohleausstiegs 2030 in Europa veröffentlichen. “Ja, das geht”, sagt Buck. “Technisch ist das absolut zu schaffen, und leichter geht es im europäischen Verbund.” Gerade bei der Stromversorgungssicherheit profitierten alle Länder in Europa von verstärkter Kooperation mit ihren jeweiligen Nachbarn.
Die Aufgabe ist groß: “Um unser Klimaschutzziel zu erreichen, werden wir in Europa das Zubautempo bei den Erneuerbaren verdreifachen und gleichzeitig die Energieeffizienz Jahr für Jahr weiter verbessern müssen”, sagt Buck. Es gehe darum, den Stromsektor möglichst rasch zu dekarbonisieren, um dann mit grünem Strom die Treibhausgas-Emissionen bei Gebäuden, Verkehr und in Teilen der Industrie schnell und günstig zu senken.
Dabei brauche es neben der Technik auch Kompetenz, so Buck: “Ein Bottleneck ist das Handwerk. Wir brauchen eine Ausbildungsoffensive im Handwerk. Die Aufgabe, alle Bestandsgebäude in Deutschland fit für Klimaneutralität zu machen, wird das deutsche Handwerk über viele Jahre beschäftigen, sei es bei der Umrüstung auf emissionsfreie Heizsysteme oder der energetischen Sanierung.”
Wichtig sei, dass alle Beteiligten das verstünden. “Es ist eine Aufgabe von Agora zu erklären, warum das, was jetzt an Wandel ansteht, passieren muss. Und da müssen wir auch die positiven Dinge mitdenken. Es wird ganz viele Dinge geben, die das Leben dann besser machen.” Davor würden die nächsten drei bis vier Jahre in Deutschland und Europa aber ein “echter Stresstest“.
Zur Ablenkung singt Buck mit Akkordeon- oder Klavierbegleitung französische Chansons. Wenn alles so läuft wie geplant, kann er ohne schlechtes Gewissen singen: “Non, je ne regrette rien”. Gabriel Bub
Politisch hat Margrethe Vestager in ihrem Feldzug gegen aggressive Steuergestaltung viel erreicht. Juristisch ist das Bild hingegen gemischt: Zwei ihrer Beihilfeentscheidungen wegen allzu zuvorkommender Behandlung von Unternehmen durch nationale Steuerbehörden hat das EU-Gericht in erster Instanz gekippt. Darunter, ausgerechnet, die spektakuläre Anordnung der Wettbewerbskommissarin, Irland möge 13 Milliarden Euro von Apple nachfordern. Die Entscheidung hatte den weltweiten Ruhm Vestagers als unerschrockene Hüterin des Wettbewerbs begründet.
Nun aber verbuchte die Dänin einen Erfolg: Der Europäische Gerichtshof bestätigte gestern ihre Sicht, wonach ein Steuerschema in Belgien als Staatsbeihilfe zu werten sei. Vestager hatte 2016 angeordnet, dass die belgischen Steuerbehörden 700 Millionen Euro von den 55 Unternehmen zurückfordern müsse, die von der Vorteilsbehandlung profitiert hatten. Das EU-Gericht hatte der Klage Belgiens und des Messtechnikherstellers Magnetrol 2019 stattgegeben. Die EuGH-Richter aber attestierten ihren Luxemburger Kollegen der ersten Instanz nun “mehrere juristische Fehler” und verwiesen das Verfahren zurück an sie. Nun müssen die gescholtenen Richter des EU-Gerichts nach Maßgabe der zweiten und letzten Instanz den belgischen Fall neu bewerten.
So besteht aus Sicht Vestagers auch im Apple-Berufungsverfahren noch Hoffnung. Vor Gericht und auf hoher See sind wir bekanntlich alle in Gottes Hand. Till Hoppe