Charles Michel wählte große Worte: Er sei überzeugt, sagte der Ratspräsident bei seiner Europa-Rede in Berlin, dass die EU “die Großmacht des Friedens des 21. Jahrhunderts” werden könne. Im Umgang mit wenig friedfertigen Nachbarn wie dem belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko aber tut sich diese Macht bekanntlich schwer. Michel selbst reist spontan am Mittwoch nach Polen weiter, um mit Premier Mateusz Morawiecki über Lösungen für das Flüchtlingsdrama an der Grenze zu beraten. “Polnische und baltische Grenzen sind europäische Grenzen”, betonte er.
Bei allem demonstrativen Optimismus für das europäische Projekt: Auch Michel gehen manche Dinge zu langsam. Die Freihandelsabkommen etwa: Die EU sei gut darin, Abkommen abzuschließen, aber weniger gut darin, diese auch zu ratifizieren. Zwei Ansatzpunkte sieht Michel hier: “Wir sollten uns inspirieren lassen von der transparenteren und inklusiven Methode der Brexit-Verhandlungen”. Und: die Abkommen nicht zu überfrachten.
Man dürfte nicht glauben, “alle Probleme der Welt auf einmal lösen zu können”. Das auf Eis liegende Investitionsabkommen mit China etwa verwandele die Volksrepublik nicht in eine Demokratie. Aber es schaffe eine Plattform, um über Menschenrechte mit Peking zu diskutieren.
Weniger kritisch: das Abkommen mit Neuseeland. Mitte November will Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine Einigung auf das Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Inselstaat bekannt geben. Doch die wirtschaftliche Bedeutung Neuseelands ist für die EU gering. Wie Silke Wettach berichtet, hat das Abkommen eher Symbolwert – vor allem mit Blick auf die Spannungen mit Australien.
Von Neuseeland nach Glasgow: Seit gestern gehört Deutschland zu den mittlerweile 29 Unterstützern der gemeinsamen Erklärung zum Ausstieg aus der internationalen Finanzierung für fossile Energieträger. Dabei geht es nun auch um die Abkehr von der Öl- und Gasfinanzierung. Deutschland hatte gezögert und dafür viel Kritik geerntet.
Und auch in einem anderen Bereich gehört die Bundesrepublik nicht gerade zu den treibenden Kräften: Gastgeber Großbritannien will beim heutigen Verkehrstag der COP26 ein Abkommen über das globale Verbrenner-Aus ab 2040 vorstellen. Deutschland hält sich zurück, obwohl die Erklärung kompatibel mit den Green-Deal-Plänen der EU wäre. Timo Landenberger und Lukas Scheid haben die Details.
Ein mögliches Datum für den globalen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor wird zur zentralen Frage am Verkehrstag der UN-Klimakonferenz (COP26) in Glasgow. Gastgeber Großbritannien will heute ein Abkommen vorstellen, demzufolge ab dem Jahr 2040 weltweit nur noch Neuwagen zugelassen werden sollen, die keinerlei Schadstoffe mehr ausstoßen. In führenden Industrienationen soll die Null-Emissionen-Grenze bereits fünf Jahre früher eingeführt werden.
Die Vereinbarung hat jedoch schon vor ihrer offiziellen Verkündung einiges an Sprengkraft eingebüßt, gehören doch mehrere führende Automobilhersteller und Nationen nicht zu den Unterzeichnern. Wie die “Financial Times” berichtete, hält sich neben den USA und China auch Deutschland bislang zurück. Zudem kündigten Volkswagen und BMW an, das Abkommen nicht zu unterstützen.
Das wirft Fragen auf. Schließlich wäre die Erklärung durchaus kompatibel mit den Green-Deal-Plänen der EU. Die Anpassung der CO2-Grenzwerte für PKW im Rahmen des Fit-for-55-Pakets sieht eine Emissionsminderung um 100 Prozent bis zum Jahr 2035 vor, was de facto einem Verbrenner-Aus gleichkommt. Aus dem BMU heißt es, ob Deutschland das Abkommen unterzeichnet, sei noch nicht final entschieden. Insofern könne man sich gegenwärtig nicht näher dazu äußern. “Wir lesen den Text Zeile für Zeile, Wort für Wort und entscheiden dann”, sagte BMU-Staatssekretär Jochen Flasbarth auf Nachfrage von Europe.Table.
Für Stef Cornelis von der Umweltorganisation Transport and Environment ist die Zurückhaltung der Bundesregierung nicht nachvollziehbar. “Deutschland bremst mal wieder beim Klimaschutz”, so der Direktor des Berliner T&E-Büros. Der Ausstieg aus dem Verbrenner bis 2035 in Industriestaaten sei absolut realistisch und bis 2040 auch global zu schaffen. Die technologischen Möglichkeiten seien vorhanden, man müsse nur schnell genug mit der Transformation beginnen.
Volkswagen, zweitgrößter Automobilhersteller der Welt, sieht das anders. Die Geschwindigkeit der Transformation werde von Region zu Region unterschiedlich sein, “abhängig unter anderem von lokalen politischen Entscheidungen, die Investitionen in Elektrofahrzeuge und Infrastruktur vorantreiben”, sagte eine VW-Sprecherin zu Europe.Table. Daneben müsse eine beschleunigte Umstellung auf Elektromobilität mit einer Energiewende hin zu 100 Prozent Erneuerbaren im Einklang stehen. Der Konzern habe deshalb beschlossen, die Erklärung nicht zu unterzeichnen.
Dabei dürfte Volkswagen laut Martin Kaiser und Roland Hipp bereits ab 2030 keine Verbrennungsmotoren mehr verkaufen. Die beiden Greenpeace-Geschäftsführer haben deshalb beim Landgericht Braunschweig Klage gegen den Autobauer eingereicht. Das teilte die Umweltorganisation am Dienstag mit. Ihre Forderung stützen Kaiser und Hipp auf Berechnungen des Weltklimarats (IPCC) und der Internationalen Energieagentur (IEA) zum sogenannten globalen Treibhausgas-Budget.
Sollte VW nach 2030 noch weitere Verbrenner verkaufen, die durchschnittlich 17 Jahre im Verkehr seien, werde der Konzern das ihm zustehende Budget drastisch überschreiten, heißt es in der Klage-Begründung. Die Umweltverbände Greenpeace und Deutsche Umwelthilfe hatten bereits Anfang September angekündigt, gegen deutsche Automobilhersteller wegen unzureichender Klimaschutz-Maßnahmen vor Gericht ziehen zu wollen. Zu den Adressaten gehörte auch BMW.
Neben Volkswagen kündigte aber auch der bayerische Konzern an, die Vereinbarung zum globalen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor nicht zu unterzeichnen, “da nach wie vor erhebliche Unsicherheiten hinsichtlich der Entwicklung der globalen Infrastruktur bestehen”, so ein BMW-Sprecher. Dazu gebe es große Unterschiede zwischen den Märkten. Mit Lukas Scheid
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat einen Termin schon fest im Auge: Am 18. November will sie gemeinsam mit Jacinda Ardern eine grundsätzliche Einigung auf das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Neuseeland bekannt geben. Die neuseeländische Premierministerin soll auf dem Rückweg von der Klimakonferenz in Glasgow in Brüssel vorbeikommen.
Für von der Leyen hätte der Deal einen großen Symbolwert – nicht nur, weil ihr ein Foto mit der Sympathieträgerin Ardern gelegen käme. In Brüssel wird das Freihandelsabkommen auch als Gelegenheit gesehen, Australien abzustrafen. Dass sich das Land für die Aukus-Sicherheitsallianz mit den USA und Großbritannien entschied, ohne die Europäer darüber vorher zu informieren, hat viele in Europa verärgert (Europe.Table berichtete). Frankreichs Präsident Emmanuel Macron fühlte sich brüskiert von der Stornierung der milliardenschweren Bestellung für U-Boote. Mit Australien verhandelt die EU ebenfalls seit 2018 über ein Freihandelsabkommen, ein Deal ist aber noch nicht in Sicht.
Dem Vernehmen nach hat Macron der neuseeländischen Ministerpräsidentin seine Zustimmung zu dem Handelsdeal bereits zugesichert. Er sei von seiner Zusage allerdings wieder abgerückt, als er die bisher ausgehandelten Punkte zur Kenntnis genommen habe, heißt es in Brüssel.
Denn: Der Deal dürfte vor allem Erleichterungen für den Import von neuseeländischen Agrarprodukten vorsehen. Die Regierung in Paris hat Ende Oktober zu verstehen gegeben, dass Frankreich vor den Präsidentschaftswahlen im Mai 2022 alle Verhandlungen über Freihandelsabkommen auf Eis legen wolle. Macron will vermeiden, seinen freihandelskritischen Rivalen von Links- und Rechtsaußen im Wahlkampf zu munitionieren.
Französische Landwirte lehnen eine Marktöffnung für Agrarprodukte aus Drittstaaten traditionell ab und fürchten im Fall von Neuseeland die Konkurrenz bei Milchprodukten. Speziell der Deal mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay wird auch von Umweltschützern in Frankreich und anderen EU-Staaten sehr kritisch gesehen.
Zum EU-Freihandelsabkommen mit Neuseeland wurde allerdings bisher wenig Kritik von Nichtregierungsorganisationen laut. Die konzentrierten ihre Ressourcen auf Mercosur, heißt es in Brüssel. Außerdem wird das EU-Freihandelsabkommen mit Neuseeland ein Kapitel über Nachhaltigkeit enthalten, allerdings ohne Sanktionsmöglichkeiten. Anfang kommenden Jahres will die EU-Kommission in einem Aktionsplan darlegen, wie sie das Thema Nachhaltigkeit künftig in Handelsdeals verankern will.
Die wirtschaftliche Bedeutung Neuseelands ist für die EU recht gering. Der Inselstaat macht 0,2 Prozent des EU-Handelsvolumens aus und steht an 49. Stelle der wichtigsten Handelspartner. Neuseeland exportiert vor allem landwirtschaftliche Produkte in die EU, die EU vor allem Industriegüter nach Neuseeland. Deutschland lieferte 2020 Waren im Wert von 1,2 Milliarden Euro nach Neuseeland, rund ein Viertel davon Maschinen.
Beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) wird der Deal mit Neuseeland denn auch begrüßt: “Jedes Abkommen, das Zölle senkt und technische Handelshemmnisse abbaut, kommt dem Maschinenbau zugute, für den der Export in Drittstaaten eine wichtige Rolle spielt”, sagt VDMA-Handelsexperte Niels Karssen. Allerdings sei es auch wichtig, dass EU-Freihandelsabkommen nicht nur abgeschlossen würden, sondern auch in Kraft träten.
Das Abkommen mit Mercosur wurde im Juni 2019 abgeschlossen, ist aber noch immer nicht von Rat und Europaparlament bestätigt worden. Großbritannien, das nach dem Brexit eigene Freihandelsabkommen abschließen muss, hat sich im Oktober auf ein Regelwerk mit Neuseeland verständigt. Künftig fallen die Zölle auf Wein, Honig und Kiwis in Großbritannien. Im Gegenzug verzichtet Neuseeland auf Zölle bei der Einfuhr von Kleidung, Schiffen und Bulldozern aus Großbritannien. Silke Wettach
Nach einigem Zögern gehört Deutschland nun doch zu den mittlerweile 29 Unterstützern der gemeinsamen Erklärung zum Ausstieg aus der internationalen Finanzierung für fossile Energieträger. Auf der UN-Klimakonferenz (COP26) in Glasgow unterzeichnete die deutsche Delegation am Dienstag eine entsprechende Vereinbarung, die bereits vergangene Woche vorgestellt wurde (Europe.Table berichtete). Somit rückt neben der Kohle nun auch die Abkehr von der Gas- und Ölförderung in den Fokus internationaler Klimaschutzbemühungen.
Deutschland gab sich bislang zurückhaltend und erntete dafür in den vergangenen Tagen viel Kritik. Es sei jedoch wichtig gewesen, zunächst abzuklären, inwieweit die Erklärung Ausnahmen zulässt, sagte BMU-Staatssekretär Jochen Flasbarth in Glasgow. Denn für den Ausstieg aus der Kohleverstromung und den Übergang zu rein erneuerbaren Energien seien Investitionen in Gas als Interimslösung womöglich weiterhin notwendig. Die nun unterzeichnete Vereinbarung lasse solche Ausnahmen zu. Flasbarth betonte, dass diese Ausnahmen nur noch in einem Übergangszeitraum von wenigen Jahren nötig seien, da Deutschland bis 2045 klimaneutral werden muss.
Großbritannien, COP26-Gastgeber und Urheber der Initiative, begrüßte den Schritt. “Das Abkommen wird es uns ermöglichen, öffentliche Mittel in erneuerbare Energien umzuschichten, was neue Arbeitsplätze und Wachstum auf dem Markt schaffen wird. Aus diesem Grund haben auch Länder wie Äthiopien oder El Salvador unterzeichnet. Denn sie wollen keine ‘stranded Investments’ in fossile Brennstoffe”, sagte John Murton, Delegierter der britischen COP-Präsidentschaft.
Insgesamt könnten durch die Erklärung jährlich schätzungsweise knapp 18 Milliarden US-Dollar öffentlicher Subventionen von fossilen Brennstoffen in saubere Energie umgeschichtet werden. til
Zwei Berichte, die im Rahmen der Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow vorgestellt wurden, geben wenig Anlass zu Optimismus beim globalen Klimaschutz. Der Climate Action Tracker veröffentlichte am Dienstag seine aktualisierte Analyse aller Klimaziele, Ankündigungen und bereits umgesetzter Maßnahmen. Demnach steuert der Planet derzeit auf eine Erderwärmung von 2,7 Grad zu, im Vergleich zum vorindustriellen Niveau. Einbezogen in diese Prognose sind einzig bereits per Gesetz implementierte Maßnahmen zur CO2-Reduktion.
Die NDCs – also die Reduktionsziele der Länder – mit eingerechnet, kommen die Analysten des Climate Action Tracker auf 2,4 Grad Erderwärmung. Zählt man noch Klimaneutralitätsziele hinzu, sind es 2,1 Grad. Einzig mit dem optimistischsten Szenario, in dem auch Potenziale für Kohlenstoffsenken – zum Beispiel LULUCF – berücksichtigt werden, wäre mit 1,8 Grad Erderwärmung das Pariser Klimaziel von maximal 2 Grad und möglichst 1,5 Grad erreichbar.
Der Klimaschutz-Index 2022, den die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch am Dienstag präsentierte, stellt ebenfalls kein gutes Zeugnis für die bisherigen weltweiten Ambitionen beim Klimaschutz aus. Der Index bewertet jährlich die Klimaschutzbemühungen von rund 60 Ländern und der EU in den Kategorien Treibhausgas-Emissionen, erneuerbare Energien, Energieverbrauch und Klimapolitik.
Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass die EU nicht mehr zu den “high performern” des weltweiten Klimaschutzes gehört. Obwohl Europa nach wie vor eine Schlüsselrolle für effektive internationale Klimapolitik zugeschrieben wird, seien weder der derzeitige Anteil erneuerbarer Energien noch das Ausbauziel bis 2030 kompatibel mit dem Pariser Abkommen. Unter den Top-Performern des Klimaschutz-Indexes sind jedoch auch zwei EU-Länder. Dänemark liegt auf Platz 1, gefolgt von Schweden.
Deutschland steht auf Platz 13, eine Verbesserung um sechs Plätze im Vergleich zum Vorjahr. Grund für die Steigerung ist das im Juni verabschiedete Klimaschutzgesetz, welches eine Treibhausgasminderung von 65 Prozent bis 2030 im Vergleich zu 1990 vorsieht. Von den vordersten Plätzen ist Deutschland allerdings aufgrund des Kohleausstiegs 2038 und des stockenden Ausbaus der Erneuerbaren weit entfernt.
Einbezogen in die Analyse wird unter anderem, wie groß der Anteil der Erneuerbaren in einem Land ist, wie hoch die CO2-Emissionen pro Kopf ausfallen und ob die Klimaziele auf einem 1,5-Grad-Pfad sind. luk
Laut dem Vorsitzenden des Sonderausschusses für Künstliche Intelligenz (AIDA) im Europäischen Parlament Dragoş Tudorache (RO, Renew) ist das Setzen gemeinsamer Standards für Künstliche Intelligenz (KI) ein zentraler Bestandteil der Kooperation zwischen der EU und den USA im Handels- und Technologierat (TTC). Trotz der sehr unterschiedlichen Ansätze von Standardsetzung würden Vertreter:innen der USA und der EU innerhalb der Arbeitsgruppe “Zusammenarbeit zu Technologiestandards” diesen Aspekt diskutieren. Das sei während einer von Tudorache angeführten AIDA-Delegationsreise vergangene Woche nach Washington D.C. klar geworden.
Im Zentrum der Reise habe der Austausch über die Entwicklung von KI, die Arbeit im TTC sowie die Konsolidierung des Dialogs mit dem “AI Caucus” – eine Art AIDA-Counterpart im US-Kongress – gestanden. Auch Lieferketten und transatlantische Datenströme standen bei den Treffen mit Think-Tanks, NGOs, Industrievertretern, Beamten des Weißen Hauses, des Handelsministeriums und des angeschlossenen Standardsetzungs-Instituts NIST auf der Diskussions-Agenda.
Die Europäer reisten mit einer klaren Nachricht an (Europe.Table berichtete): “Es braucht eine starke parlamentarische Dimension im TTC.” Diese umfasse einerseits die politische Kontrolle der TTC-Vorsitzenden und der Arbeitsgruppen, andererseits müsse sie sicherstellen, dass die Entwicklung von KI und ihre geopolitische Bedeutung in dem Forum diskutiert werde, so Tudorache. Diese Forderung sei von den Kongress-Mitgliedern begrüßt worden.
“Wir Europäer sind Pioniere auf der globalen Ebene“, sagt Tudorache in Bezug auf die KI-Verordnung. Das hätten die Europaabgeordneten zum Anlass genommen, regulatorische Fragen mit ihren Counterparts zu diskutieren und nachzufühlen, wo Gemeinsamkeiten liegen könnten. Auch wenn die USA derzeit kein vergleichbares Gesetz planen, sei das Interesse an der europäischen KI-Verordnung groß.
“Es besteht ein gemeinsames Interesse daran, ein Fundament für die Entwicklung von KI zu entwickeln“, berichtet Tudorache. Dabei könne man sich auf gemeinsame Werte sowie ein gemeinsames Verständnis von Demokratie und der Rolle des Staates für den Schutz von Grundrechten und Freiheiten stützen. Klar geworden sei in den Gesprächen in Washington D.C. aber auch: Die USA und die EU teilen im Bereich Künstliche Intelligenz zwar die gleichen Ziele, haben aber eine unterschiedliche Vorstellung davon, wie sie diese erreichen wollen.
“Der Appetit für Regulierung von KI ist im Kongress weniger präsent, dafür aber im Weißen Haus”, so Tudorache. “Die USA werden bei der Standardsetzung für KI wohl mit der Industrie zusammenarbeiten und so ein Bottom-up-Regelwerk auf freiwilliger Basis aufbauen.” Im TTC müsse daher überlegt werden, wie die gemeinsamen Ziele trotz der unterschiedlichen Herangehensweisen erreicht werden können. Das Potenzial der gemeinsamen KI-Standards der EU und der USA sei groß: Diese könnten im Rahmen internationaler Standardsetzungs-Institutionen diskutiert werden und so zu globalen Standards werden.
Tudorache hat seinen US-Kollegen bereits einen konkreten Vorschlag gemacht: Da das Weiße Haus gerade an der “Bill of Rights für Künstliche Intelligenz”, einer Art Absichtserklärung, arbeite, will er den TTC dafür nutzen, zu diskutieren, welche Schnittmengen diese Absichtserklärung mit der KI-Verordnung oder der “interinstitutionellen Erklärung für digitale Grundsätze und Rechte” aufweist. Die Erklärung will die Kommission bis Jahresende verabschieden. koj
Hinter den Kulissen verhandeln Biden-Administration und EU-Kommission seit Monaten intensiv über eine Privacy-Shield-Folgevereinbarung (Europe.Table berichtete). Während sich die US-Seite positiv gestimmt zeigt, bleibt EU-Justizkommissar Didier Reynders ausdrücklich vorsichtig, wenn es um die Möglichkeiten einer Neuauflage der Vereinbarung für einen rechtssicheren Transfer personenbezogener Daten in die USA geht.
Wie schwierig das Privacy-Shield-Vorhaben bleibt, haben in einem Gutachten für den Innenausschuss (LIBE) des Europäischen Parlaments die beiden Rechtswissenschaftler Douwe Korff und Ian Brown untersucht. Bei der gestrigen Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse wurde dabei noch einmal deutlich: Damit nicht erneut der Europäische Gerichtshof eine Adäquanz-Entscheidung der Kommission annulliert, wären fundamentale Änderungen im US-Recht unumgänglich.
Die Studie, die im Juli veröffentlicht wurde, hat die wesentlichen rechtlichen US-Rahmenbedingungen untersucht und sollte Anknüpfungspunkte für eine mögliche Einigung aufzeigen.
Doch weder die Datenschutzgesetze einzelner Bundesstaaten noch die vorhandenen Spezialgesetze auf Bundesebene könnten als Grundlage für eine Angemessenheits-Entscheidung der EU-Kommission dienen, so Studienautor Douwe Korff. Sehr zurückhaltend würden er und Ko-Autor Ian Brown die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass US-Unternehmen im Rahmen einer sanktionsbewehrten Selbst-Zertifizierung bei der Federal Trade Commission unter dem FTC Act den Anforderungen entsprechen könnten. Damit sei ausdrücklich keine Selbstregulierung gemeint – diese denkbare Option würde eine harte Durchsetzung durch die Federal Trade Commission voraussetzen, die in der Vergangenheit gefehlt habe. Allerdings würde selbst ein solches System Veränderungen im US-Recht benötigen, so Korff.
Ko-Autor Ian Brown erläuterte, dass ohne konkrete, dauerhafte und verlässliche Veränderungen an den Zugriffsmöglichkeiten für US-Behörden und die Möglichkeit eines wirksamen Rechtsbehelfs für Betroffene eine Adäquanz-Entscheidung ausgeschlossen sei. Insbesondere der Foreign Intelligence Surveillance Act 702 und die Executive Order 12333 stehen dabei immer wieder im Fokus – denn diese erlauben grundsätzlich den nachrichtendienstlichen Zugriff auf Daten von Nicht-US-Bürgern, unabhängig von deren Erhebungsort. Diese seien schlicht zu weit gefasst, um eine positive Adäquanz-Entscheidung zu ermöglichen.
Von diesen juristischen Argumenten fühlten sich offenbar viele der Europaabgeordneten bestärkt: Die deutsche Europaabgeordnete Birgit Sippel (SPD/S&D) warf der EU-Kommission, die für die Angemessenheits-Entscheidungen zuständig ist, vor, dass sie dies alles wissend in der Vergangenheit die Beziehungen zu den USA über die Grundrechte europäischer Bürger gestellt habe: “Um irgendwie in die Nähe einer Adäquanz zu kommen, müssen die USA ihr Überwachungsregime ändern”, so Sippel.
Noch einen Schritt weiter ging die niederländische Abgeordnete Sophie in ‘t Veld (D66/Renew): “Hier würde ich gerne sehen, dass die Kommission ihren Anspruch einer geopolitischen Kommission mit Leben erfüllt und ihre Muskeln etwas anspannt.” Natürlich sei ein funktionierender Datenfluss in europäischem Interesse – aber eben auch und sogar noch mehr im Interesse der Amerikaner. “Wir verhalten uns wie Calimero”, so in ‘t Veld: eine gut meinende aber stets etwas tollpatschig-naive Zeichentrickfigur. Eine Absicherung über die Executive Orders des Präsidenten könne nicht ausreichend sein, wie sie derzeit wohl von US-Seite angestrebt wird: Man habe, höflich formuliert, unterschiedliche Arten von US-Präsidenten gesehen.
Um mittelfristig dauerhaften Rechtsfrieden zu ermöglichen, schlugen die Studienautoren zudem einen “minilateralen Vertrag” vor, der die Rechtsgarantien regeln solle – Brown und Korff denken hier an die EU- und EEA-Staaten und die Staaten des Five-Eyes-Verbundes, zu dem außer den USA und dem Vereinigten Königreich auch Kanada, Neuseeland und Australien gehören.
Davon sei er nicht überzeugt, erwiderte Tom Vandenkendelaere (CD&V/EVP) – was Unternehmen denn tun könnten, bis eine solche Lösung Realität werde? Studienautor Ian Brown verwies darauf, die Empfehlungen des Europäischen Datenschutzausschusses zu beachten. Einige potenziell unkritische Daten könnten, bei Durchführung einer entsprechenden Datenschutzfolgeabschätzung, möglicherweise auch ohne die angemahnten grundlegenden Änderungen in die USA transferiert werden. fst
Die Großhandelspreise für Gas sind am Dienstag in Europa gesunken, nachdem die Lieferungen von Gas aus Russland nach Deutschland wieder aufgenommen wurden. Russland begann am späten Montag damit, über eine Pipeline von Jamal in Sibirien wieder Gas nach Deutschland zu pumpen, einen Tag nachdem ein Exportstopp die Preise in Europa in die Höhe getrieben hatte. Die Gasflüsse stiegen später auf den höchsten Stand seit fast zwei Wochen, wie deutsche Daten zeigten.
Der russische Präsident Wladimir Putin wies die staatliche Gasgesellschaft Gazprom in diesem Monat an, die Lieferungen nach Europa zu erhöhen und die dortigen Vorräte wieder aufzufüllen, sobald die heimischen Speicher wieder gefüllt sind. Ein Zeichen dafür, dass Gazprom mit der Umsetzung dieser Anweisung beginnt, war die Mitteilung, dass das Unternehmen am Dienstag damit begonnen hat, im November Gas in fünf europäische unterirdische Gasspeicher zu pumpen.
Obwohl die Großhandelspreise in EU-Ländern und in Großbritannien fielen, sagten Marktanalysten, dass ein größerer Preisrückgang davon abhängt, ob Russland mehr unternimmt, um die Bedenken der Europäer zu zerstreuen. Entscheidend sei auch, wie kalt der kommende Winter wird.
Dmitry Marinchenko, Senior Director bei der Rating-Agentur Fitch, sagte, dass Gazprom einen Monat lang jeden Tag etwa 170 Millionen Kubikmeter mehr Gas pumpen müsste – ein Anstieg um etwa ein Drittel gegenüber den derzeitigen Lieferungen -, um seine europäischen Speicher wieder aufzufüllen. “Für eine solch gravierende Erhöhung der Lieferungen müsste Gazprom zusätzliche Transitkapazitäten über die Ukraine buchen – die Pipelines Nord Stream 1 und Jamal-Europa würden nicht ausreichen”, so Marinchenko gegenüber Reuters.
Russland bestreitet, Lieferungen nach Europa zurückzuhalten, um Druck auf die deutschen Aufsichtsbehörden auszuüben, damit diese die Gaslieferungen durch die neue Gaspipeline Nord-Stream-2 genehmigen (Europe.Table berichtete). Deutschland hat bis Anfang Januar Zeit, die Pipeline zu zertifizieren. rtr/sas
Sieben EU-Länder machen sich in einem Positionspapier für ein einheitliches europäisches Zahlungssystem stark. Deutschland, Frankreich, Spanien, die Niederlande, Polen, Finnland und Belgien unterstützen darin die Initiative EPI, in der sich Dutzende Banken zusammengeschlossen haben. Zu der European Payments Initiative (EPI) gehören unter anderem Branchengrößen wie die Deutsche Bank und die Commerzbank sowie ING aus den Niederlanden, Santander aus Spanien, Unicredit aus Italien, und BNP Paribas aus Frankreich.
Die Initiative habe das Potenzial, Zahlungen in Europa zu erleichtern, die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und den Binnenmarkt zu stärken, sagte Finanzstaatssekretär Jörg Kukies am Dienstag. Damit könne Europa digitaler werden. Gemeinsames Ziel sei, Bezahlmöglichkeiten zu schaffen, die sicher, innovativ und für alle zugänglich seien. Die Unabhängigkeit von anderen Weltregionen könne so gesteigert werden.
Aus der Bankenbranche kamen positive Reaktionen. “Die Erklärung der sieben wichtigen EU-Staaten zeigt die große Bedeutung, die die EPI-Initiative und damit ein gemeinsames europäisches Zahlungssystem haben”, sagte Andreas Krautscheid, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB). Die Erklärung sei ein starkes Unterstützungssignal für ein aufwändiges und komplexes transeuropäisches Digitalisierungsprojekt.
In dem zweiseitigen Papier der EU-Länder wird bemängelt, dass der Markt für Zahlungsdienstleistungen noch immer stark zersplittert ist. Die Systeme passten oft nicht zusammen, es gebe zu viele nationale Lösungen. Die Zeit sei daher gekommen für europäische Lösungen. Weitere Länder wurden aufgerufen, sich der Initiative anzuschließen. Die Staaten boten an, bei elektronischen Identitätsnachweisen und Digitalwährungen zusammenzuarbeiten. Zahlungen werden immer öfter digital abgewickelt – ein Markt, der unter anderem vom US-Dienst Paypal stark geprägt ist. rtr
Infineon-Chef Reinhard Ploss rechnet mit Entspannung in der Chipkrise ab der zweiten Jahreshälfte 2022. “Wir sind gut dran, wenn im dritten Quartal Autoproduktion und Chiplieferung in Balance kommen”, sagte Ploss am Dienstag beim “Handelsblatt”-Autogipfel. Allerdings sei der Nachholbedarf groß. Ploss verwies auf die lange Vorlaufzeit in der Chipfertigung: Es dauere etwa ein Jahr, eine neue Fabrik zu bauen, der Produktionsdurchlauf liege dann nochmal bei einem halben Jahr oder sogar mehr. Die Fähigkeit der Wertschöpfungskette sei begrenzt, auf eine steigende Nachfrage zu reagieren, sagte er.
Derzeit würden Kapazitäten in der Branche aufgebaut, sagte Reinhard Ploss. Das werde zu Überkapazitäten führen: “Wir werden eine Bubble haben, die wird verschwinden und dann ist alles gut”, sagte Ploss. Zugleich zeigte er sich aber zuversichtlich, dass die höhere Nachfrage aus der Autobranche nachhaltig sei. Moderne Autos benötigten deutlich mehr Halbleiter als früher. Infineon erwirtschaftet etwa 40 Prozent seines Umsatzes mit Halbleitern für die Autobranche. rtr
Der US-Onlineriese Amazon will Insidern zufolge zwei gegen ihn gerichtete Untersuchungen der EU-Kommission durch Zugeständnisse beilegen. Amazon sei dazu in erste Gespräche mit den Wettbewerbshütern eingestiegen und hoffe, so hohe Bußgelder oder strikte Vorgaben abwenden zu können, sagten mehrere mit dem Vorgang vertraute Personen Reuters. Die EU-Kommission wollte sich nicht dazu äußern.
Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hatte Amazon im vergangenen November in einer Beschwerdemitteilung vorgeworfen, seinen Zugang zu den Verkaufs- und Kundendaten unabhängiger Händler auf dem Amazon-Marktplatz auszunutzen, um sein eigenes Angebot auf besonders lukrative Artikel zu fokussieren. Zudem leitete sie ein zweites Verfahren ein, das prüfen soll, ob der Konzern Händler bevorzugt, die seine Logistikdienstleistungen nutzen.
Amazon habe der EU-Kommission nun in ersten Gesprächen Zugeständnisse angeboten, um die Bedenken auszuräumen, sagten die Insider weiter. Die Diskussionen könnten sich aber noch über Monate hinziehen, ihr Ausgang sei offen. rtr/tho
Das Beklemmende am Klimawandel besteht für viele in der Mixtur an Begrenztheit von Ressourcen und Zeit, die uns zur Umsetzung eines nachhaltigen Wirtschaftens bleibt. Ortwin Renn arbeitet seit Jahrzehnten daran, das Verhalten der Menschen in Bezug auf Nachhaltigkeit besser zu verstehen. Warum ist es oft so schwer, nachhaltig zu wirtschaften und zu leben, welche Lösungen gibt es? Der ausgebildete Soziologe, Volkswirt und Journalist führt seit 2016 das Potsdamer Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) als wissenschaftlicher Direktor und widmet sich dort der Technik- und Risikoforschung sowie den Sustainability Studies.
Das knapp 150 Mitarbeiter starke IASS zeichnet sich aus durch das “Doppelmandat aus Forschung auf der einen, Politikberatung auf der anderen Seite“. Wie gerufen also für jemanden, der in Jülich neben einem der bedeutendsten und kontroversesten Kernforschungszentren Europas aufgewachsen ist und nach seiner Promotion zwecks Erforschung der gesellschaftlichen Wahrnehmung atomarer Risiken dorthin zurückkehrte – gerade dann, als die Anti-Atomkraft-Bewegung ihren Höhepunkt erlebte.
“Es ist ein Stück weit mein Naturell, dass ich Wissenschaft als wichtigen Input für politische Entscheidungsprozesse sehe. Der Bereich des Transfers und der Kommunikation muss in der Forschung selbst bereits angelegt sein.” Wissenschaftler sollten also neben ihren nach Kausalitäten fragenden Untersuchungen immer mitbedenken, welche Prozesse notwendig sind, damit Wandel möglich ist.
Nicht zuletzt darin zeigt sich die Anwendungsbezogenheit von Ortwin Renns Arbeit: “Eine Frage, die mich sehr bewegt, ist die Zukunft demokratischer Institutionen im Kontext planetarischer Grenzen.” Inakzeptabel ist für ihn jedes politische Zukunftsbild, in denen die Anliegen derjenigen übergangen werden, die zwar Transformationsprozesse benötigen, aber nicht unbedingt wollen. Vielversprechender als die bloße Wiedergabe von Fakten sei es, mittels klassischer demokratischer Institutionen sinnstiftende kulturelle Narrative zu schaffen, mit der sich die Gesellschaft identifizieren kann.
Ähnlich pragmatisch ist Ortwin Renn in Fragen der konkreten Realisierung eines nachhaltigen Energiesystems. Zwar sei Deutschland nicht auf Kernenergie angewiesen. Trotzdem müsse man für die Länder Verständnis aufbringen, die das Einhalten der im Green Deal formulierten Ziele nur über regenerative Energie nicht gewährleisten können. Hier biete es sich an, vorübergehend auf Kernenergie zu setzen (Europe.Table berichtete). “Die Verteufelung ist hier ebenso falsch wie die Verherrlichung.”
Ortwin Renn erklärt dies alles in einem überaus klaren und keineswegs scharfen Tonfall. Danach gefragt, wie er persönlich mit Risiken umgeht, antwortet er: Er sei zwar noch nie ein großer Draufgänger gewesen, doch stehe er bewusst zu Risiken und nehme dann diejenigen in Kauf, bei der es die Sache auch wirklich wert sei. No risk, no fun. Julius Schwarzwälder
Charles Michel wählte große Worte: Er sei überzeugt, sagte der Ratspräsident bei seiner Europa-Rede in Berlin, dass die EU “die Großmacht des Friedens des 21. Jahrhunderts” werden könne. Im Umgang mit wenig friedfertigen Nachbarn wie dem belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko aber tut sich diese Macht bekanntlich schwer. Michel selbst reist spontan am Mittwoch nach Polen weiter, um mit Premier Mateusz Morawiecki über Lösungen für das Flüchtlingsdrama an der Grenze zu beraten. “Polnische und baltische Grenzen sind europäische Grenzen”, betonte er.
Bei allem demonstrativen Optimismus für das europäische Projekt: Auch Michel gehen manche Dinge zu langsam. Die Freihandelsabkommen etwa: Die EU sei gut darin, Abkommen abzuschließen, aber weniger gut darin, diese auch zu ratifizieren. Zwei Ansatzpunkte sieht Michel hier: “Wir sollten uns inspirieren lassen von der transparenteren und inklusiven Methode der Brexit-Verhandlungen”. Und: die Abkommen nicht zu überfrachten.
Man dürfte nicht glauben, “alle Probleme der Welt auf einmal lösen zu können”. Das auf Eis liegende Investitionsabkommen mit China etwa verwandele die Volksrepublik nicht in eine Demokratie. Aber es schaffe eine Plattform, um über Menschenrechte mit Peking zu diskutieren.
Weniger kritisch: das Abkommen mit Neuseeland. Mitte November will Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine Einigung auf das Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Inselstaat bekannt geben. Doch die wirtschaftliche Bedeutung Neuseelands ist für die EU gering. Wie Silke Wettach berichtet, hat das Abkommen eher Symbolwert – vor allem mit Blick auf die Spannungen mit Australien.
Von Neuseeland nach Glasgow: Seit gestern gehört Deutschland zu den mittlerweile 29 Unterstützern der gemeinsamen Erklärung zum Ausstieg aus der internationalen Finanzierung für fossile Energieträger. Dabei geht es nun auch um die Abkehr von der Öl- und Gasfinanzierung. Deutschland hatte gezögert und dafür viel Kritik geerntet.
Und auch in einem anderen Bereich gehört die Bundesrepublik nicht gerade zu den treibenden Kräften: Gastgeber Großbritannien will beim heutigen Verkehrstag der COP26 ein Abkommen über das globale Verbrenner-Aus ab 2040 vorstellen. Deutschland hält sich zurück, obwohl die Erklärung kompatibel mit den Green-Deal-Plänen der EU wäre. Timo Landenberger und Lukas Scheid haben die Details.
Ein mögliches Datum für den globalen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor wird zur zentralen Frage am Verkehrstag der UN-Klimakonferenz (COP26) in Glasgow. Gastgeber Großbritannien will heute ein Abkommen vorstellen, demzufolge ab dem Jahr 2040 weltweit nur noch Neuwagen zugelassen werden sollen, die keinerlei Schadstoffe mehr ausstoßen. In führenden Industrienationen soll die Null-Emissionen-Grenze bereits fünf Jahre früher eingeführt werden.
Die Vereinbarung hat jedoch schon vor ihrer offiziellen Verkündung einiges an Sprengkraft eingebüßt, gehören doch mehrere führende Automobilhersteller und Nationen nicht zu den Unterzeichnern. Wie die “Financial Times” berichtete, hält sich neben den USA und China auch Deutschland bislang zurück. Zudem kündigten Volkswagen und BMW an, das Abkommen nicht zu unterstützen.
Das wirft Fragen auf. Schließlich wäre die Erklärung durchaus kompatibel mit den Green-Deal-Plänen der EU. Die Anpassung der CO2-Grenzwerte für PKW im Rahmen des Fit-for-55-Pakets sieht eine Emissionsminderung um 100 Prozent bis zum Jahr 2035 vor, was de facto einem Verbrenner-Aus gleichkommt. Aus dem BMU heißt es, ob Deutschland das Abkommen unterzeichnet, sei noch nicht final entschieden. Insofern könne man sich gegenwärtig nicht näher dazu äußern. “Wir lesen den Text Zeile für Zeile, Wort für Wort und entscheiden dann”, sagte BMU-Staatssekretär Jochen Flasbarth auf Nachfrage von Europe.Table.
Für Stef Cornelis von der Umweltorganisation Transport and Environment ist die Zurückhaltung der Bundesregierung nicht nachvollziehbar. “Deutschland bremst mal wieder beim Klimaschutz”, so der Direktor des Berliner T&E-Büros. Der Ausstieg aus dem Verbrenner bis 2035 in Industriestaaten sei absolut realistisch und bis 2040 auch global zu schaffen. Die technologischen Möglichkeiten seien vorhanden, man müsse nur schnell genug mit der Transformation beginnen.
Volkswagen, zweitgrößter Automobilhersteller der Welt, sieht das anders. Die Geschwindigkeit der Transformation werde von Region zu Region unterschiedlich sein, “abhängig unter anderem von lokalen politischen Entscheidungen, die Investitionen in Elektrofahrzeuge und Infrastruktur vorantreiben”, sagte eine VW-Sprecherin zu Europe.Table. Daneben müsse eine beschleunigte Umstellung auf Elektromobilität mit einer Energiewende hin zu 100 Prozent Erneuerbaren im Einklang stehen. Der Konzern habe deshalb beschlossen, die Erklärung nicht zu unterzeichnen.
Dabei dürfte Volkswagen laut Martin Kaiser und Roland Hipp bereits ab 2030 keine Verbrennungsmotoren mehr verkaufen. Die beiden Greenpeace-Geschäftsführer haben deshalb beim Landgericht Braunschweig Klage gegen den Autobauer eingereicht. Das teilte die Umweltorganisation am Dienstag mit. Ihre Forderung stützen Kaiser und Hipp auf Berechnungen des Weltklimarats (IPCC) und der Internationalen Energieagentur (IEA) zum sogenannten globalen Treibhausgas-Budget.
Sollte VW nach 2030 noch weitere Verbrenner verkaufen, die durchschnittlich 17 Jahre im Verkehr seien, werde der Konzern das ihm zustehende Budget drastisch überschreiten, heißt es in der Klage-Begründung. Die Umweltverbände Greenpeace und Deutsche Umwelthilfe hatten bereits Anfang September angekündigt, gegen deutsche Automobilhersteller wegen unzureichender Klimaschutz-Maßnahmen vor Gericht ziehen zu wollen. Zu den Adressaten gehörte auch BMW.
Neben Volkswagen kündigte aber auch der bayerische Konzern an, die Vereinbarung zum globalen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor nicht zu unterzeichnen, “da nach wie vor erhebliche Unsicherheiten hinsichtlich der Entwicklung der globalen Infrastruktur bestehen”, so ein BMW-Sprecher. Dazu gebe es große Unterschiede zwischen den Märkten. Mit Lukas Scheid
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat einen Termin schon fest im Auge: Am 18. November will sie gemeinsam mit Jacinda Ardern eine grundsätzliche Einigung auf das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Neuseeland bekannt geben. Die neuseeländische Premierministerin soll auf dem Rückweg von der Klimakonferenz in Glasgow in Brüssel vorbeikommen.
Für von der Leyen hätte der Deal einen großen Symbolwert – nicht nur, weil ihr ein Foto mit der Sympathieträgerin Ardern gelegen käme. In Brüssel wird das Freihandelsabkommen auch als Gelegenheit gesehen, Australien abzustrafen. Dass sich das Land für die Aukus-Sicherheitsallianz mit den USA und Großbritannien entschied, ohne die Europäer darüber vorher zu informieren, hat viele in Europa verärgert (Europe.Table berichtete). Frankreichs Präsident Emmanuel Macron fühlte sich brüskiert von der Stornierung der milliardenschweren Bestellung für U-Boote. Mit Australien verhandelt die EU ebenfalls seit 2018 über ein Freihandelsabkommen, ein Deal ist aber noch nicht in Sicht.
Dem Vernehmen nach hat Macron der neuseeländischen Ministerpräsidentin seine Zustimmung zu dem Handelsdeal bereits zugesichert. Er sei von seiner Zusage allerdings wieder abgerückt, als er die bisher ausgehandelten Punkte zur Kenntnis genommen habe, heißt es in Brüssel.
Denn: Der Deal dürfte vor allem Erleichterungen für den Import von neuseeländischen Agrarprodukten vorsehen. Die Regierung in Paris hat Ende Oktober zu verstehen gegeben, dass Frankreich vor den Präsidentschaftswahlen im Mai 2022 alle Verhandlungen über Freihandelsabkommen auf Eis legen wolle. Macron will vermeiden, seinen freihandelskritischen Rivalen von Links- und Rechtsaußen im Wahlkampf zu munitionieren.
Französische Landwirte lehnen eine Marktöffnung für Agrarprodukte aus Drittstaaten traditionell ab und fürchten im Fall von Neuseeland die Konkurrenz bei Milchprodukten. Speziell der Deal mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay wird auch von Umweltschützern in Frankreich und anderen EU-Staaten sehr kritisch gesehen.
Zum EU-Freihandelsabkommen mit Neuseeland wurde allerdings bisher wenig Kritik von Nichtregierungsorganisationen laut. Die konzentrierten ihre Ressourcen auf Mercosur, heißt es in Brüssel. Außerdem wird das EU-Freihandelsabkommen mit Neuseeland ein Kapitel über Nachhaltigkeit enthalten, allerdings ohne Sanktionsmöglichkeiten. Anfang kommenden Jahres will die EU-Kommission in einem Aktionsplan darlegen, wie sie das Thema Nachhaltigkeit künftig in Handelsdeals verankern will.
Die wirtschaftliche Bedeutung Neuseelands ist für die EU recht gering. Der Inselstaat macht 0,2 Prozent des EU-Handelsvolumens aus und steht an 49. Stelle der wichtigsten Handelspartner. Neuseeland exportiert vor allem landwirtschaftliche Produkte in die EU, die EU vor allem Industriegüter nach Neuseeland. Deutschland lieferte 2020 Waren im Wert von 1,2 Milliarden Euro nach Neuseeland, rund ein Viertel davon Maschinen.
Beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) wird der Deal mit Neuseeland denn auch begrüßt: “Jedes Abkommen, das Zölle senkt und technische Handelshemmnisse abbaut, kommt dem Maschinenbau zugute, für den der Export in Drittstaaten eine wichtige Rolle spielt”, sagt VDMA-Handelsexperte Niels Karssen. Allerdings sei es auch wichtig, dass EU-Freihandelsabkommen nicht nur abgeschlossen würden, sondern auch in Kraft träten.
Das Abkommen mit Mercosur wurde im Juni 2019 abgeschlossen, ist aber noch immer nicht von Rat und Europaparlament bestätigt worden. Großbritannien, das nach dem Brexit eigene Freihandelsabkommen abschließen muss, hat sich im Oktober auf ein Regelwerk mit Neuseeland verständigt. Künftig fallen die Zölle auf Wein, Honig und Kiwis in Großbritannien. Im Gegenzug verzichtet Neuseeland auf Zölle bei der Einfuhr von Kleidung, Schiffen und Bulldozern aus Großbritannien. Silke Wettach
Nach einigem Zögern gehört Deutschland nun doch zu den mittlerweile 29 Unterstützern der gemeinsamen Erklärung zum Ausstieg aus der internationalen Finanzierung für fossile Energieträger. Auf der UN-Klimakonferenz (COP26) in Glasgow unterzeichnete die deutsche Delegation am Dienstag eine entsprechende Vereinbarung, die bereits vergangene Woche vorgestellt wurde (Europe.Table berichtete). Somit rückt neben der Kohle nun auch die Abkehr von der Gas- und Ölförderung in den Fokus internationaler Klimaschutzbemühungen.
Deutschland gab sich bislang zurückhaltend und erntete dafür in den vergangenen Tagen viel Kritik. Es sei jedoch wichtig gewesen, zunächst abzuklären, inwieweit die Erklärung Ausnahmen zulässt, sagte BMU-Staatssekretär Jochen Flasbarth in Glasgow. Denn für den Ausstieg aus der Kohleverstromung und den Übergang zu rein erneuerbaren Energien seien Investitionen in Gas als Interimslösung womöglich weiterhin notwendig. Die nun unterzeichnete Vereinbarung lasse solche Ausnahmen zu. Flasbarth betonte, dass diese Ausnahmen nur noch in einem Übergangszeitraum von wenigen Jahren nötig seien, da Deutschland bis 2045 klimaneutral werden muss.
Großbritannien, COP26-Gastgeber und Urheber der Initiative, begrüßte den Schritt. “Das Abkommen wird es uns ermöglichen, öffentliche Mittel in erneuerbare Energien umzuschichten, was neue Arbeitsplätze und Wachstum auf dem Markt schaffen wird. Aus diesem Grund haben auch Länder wie Äthiopien oder El Salvador unterzeichnet. Denn sie wollen keine ‘stranded Investments’ in fossile Brennstoffe”, sagte John Murton, Delegierter der britischen COP-Präsidentschaft.
Insgesamt könnten durch die Erklärung jährlich schätzungsweise knapp 18 Milliarden US-Dollar öffentlicher Subventionen von fossilen Brennstoffen in saubere Energie umgeschichtet werden. til
Zwei Berichte, die im Rahmen der Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow vorgestellt wurden, geben wenig Anlass zu Optimismus beim globalen Klimaschutz. Der Climate Action Tracker veröffentlichte am Dienstag seine aktualisierte Analyse aller Klimaziele, Ankündigungen und bereits umgesetzter Maßnahmen. Demnach steuert der Planet derzeit auf eine Erderwärmung von 2,7 Grad zu, im Vergleich zum vorindustriellen Niveau. Einbezogen in diese Prognose sind einzig bereits per Gesetz implementierte Maßnahmen zur CO2-Reduktion.
Die NDCs – also die Reduktionsziele der Länder – mit eingerechnet, kommen die Analysten des Climate Action Tracker auf 2,4 Grad Erderwärmung. Zählt man noch Klimaneutralitätsziele hinzu, sind es 2,1 Grad. Einzig mit dem optimistischsten Szenario, in dem auch Potenziale für Kohlenstoffsenken – zum Beispiel LULUCF – berücksichtigt werden, wäre mit 1,8 Grad Erderwärmung das Pariser Klimaziel von maximal 2 Grad und möglichst 1,5 Grad erreichbar.
Der Klimaschutz-Index 2022, den die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch am Dienstag präsentierte, stellt ebenfalls kein gutes Zeugnis für die bisherigen weltweiten Ambitionen beim Klimaschutz aus. Der Index bewertet jährlich die Klimaschutzbemühungen von rund 60 Ländern und der EU in den Kategorien Treibhausgas-Emissionen, erneuerbare Energien, Energieverbrauch und Klimapolitik.
Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass die EU nicht mehr zu den “high performern” des weltweiten Klimaschutzes gehört. Obwohl Europa nach wie vor eine Schlüsselrolle für effektive internationale Klimapolitik zugeschrieben wird, seien weder der derzeitige Anteil erneuerbarer Energien noch das Ausbauziel bis 2030 kompatibel mit dem Pariser Abkommen. Unter den Top-Performern des Klimaschutz-Indexes sind jedoch auch zwei EU-Länder. Dänemark liegt auf Platz 1, gefolgt von Schweden.
Deutschland steht auf Platz 13, eine Verbesserung um sechs Plätze im Vergleich zum Vorjahr. Grund für die Steigerung ist das im Juni verabschiedete Klimaschutzgesetz, welches eine Treibhausgasminderung von 65 Prozent bis 2030 im Vergleich zu 1990 vorsieht. Von den vordersten Plätzen ist Deutschland allerdings aufgrund des Kohleausstiegs 2038 und des stockenden Ausbaus der Erneuerbaren weit entfernt.
Einbezogen in die Analyse wird unter anderem, wie groß der Anteil der Erneuerbaren in einem Land ist, wie hoch die CO2-Emissionen pro Kopf ausfallen und ob die Klimaziele auf einem 1,5-Grad-Pfad sind. luk
Laut dem Vorsitzenden des Sonderausschusses für Künstliche Intelligenz (AIDA) im Europäischen Parlament Dragoş Tudorache (RO, Renew) ist das Setzen gemeinsamer Standards für Künstliche Intelligenz (KI) ein zentraler Bestandteil der Kooperation zwischen der EU und den USA im Handels- und Technologierat (TTC). Trotz der sehr unterschiedlichen Ansätze von Standardsetzung würden Vertreter:innen der USA und der EU innerhalb der Arbeitsgruppe “Zusammenarbeit zu Technologiestandards” diesen Aspekt diskutieren. Das sei während einer von Tudorache angeführten AIDA-Delegationsreise vergangene Woche nach Washington D.C. klar geworden.
Im Zentrum der Reise habe der Austausch über die Entwicklung von KI, die Arbeit im TTC sowie die Konsolidierung des Dialogs mit dem “AI Caucus” – eine Art AIDA-Counterpart im US-Kongress – gestanden. Auch Lieferketten und transatlantische Datenströme standen bei den Treffen mit Think-Tanks, NGOs, Industrievertretern, Beamten des Weißen Hauses, des Handelsministeriums und des angeschlossenen Standardsetzungs-Instituts NIST auf der Diskussions-Agenda.
Die Europäer reisten mit einer klaren Nachricht an (Europe.Table berichtete): “Es braucht eine starke parlamentarische Dimension im TTC.” Diese umfasse einerseits die politische Kontrolle der TTC-Vorsitzenden und der Arbeitsgruppen, andererseits müsse sie sicherstellen, dass die Entwicklung von KI und ihre geopolitische Bedeutung in dem Forum diskutiert werde, so Tudorache. Diese Forderung sei von den Kongress-Mitgliedern begrüßt worden.
“Wir Europäer sind Pioniere auf der globalen Ebene“, sagt Tudorache in Bezug auf die KI-Verordnung. Das hätten die Europaabgeordneten zum Anlass genommen, regulatorische Fragen mit ihren Counterparts zu diskutieren und nachzufühlen, wo Gemeinsamkeiten liegen könnten. Auch wenn die USA derzeit kein vergleichbares Gesetz planen, sei das Interesse an der europäischen KI-Verordnung groß.
“Es besteht ein gemeinsames Interesse daran, ein Fundament für die Entwicklung von KI zu entwickeln“, berichtet Tudorache. Dabei könne man sich auf gemeinsame Werte sowie ein gemeinsames Verständnis von Demokratie und der Rolle des Staates für den Schutz von Grundrechten und Freiheiten stützen. Klar geworden sei in den Gesprächen in Washington D.C. aber auch: Die USA und die EU teilen im Bereich Künstliche Intelligenz zwar die gleichen Ziele, haben aber eine unterschiedliche Vorstellung davon, wie sie diese erreichen wollen.
“Der Appetit für Regulierung von KI ist im Kongress weniger präsent, dafür aber im Weißen Haus”, so Tudorache. “Die USA werden bei der Standardsetzung für KI wohl mit der Industrie zusammenarbeiten und so ein Bottom-up-Regelwerk auf freiwilliger Basis aufbauen.” Im TTC müsse daher überlegt werden, wie die gemeinsamen Ziele trotz der unterschiedlichen Herangehensweisen erreicht werden können. Das Potenzial der gemeinsamen KI-Standards der EU und der USA sei groß: Diese könnten im Rahmen internationaler Standardsetzungs-Institutionen diskutiert werden und so zu globalen Standards werden.
Tudorache hat seinen US-Kollegen bereits einen konkreten Vorschlag gemacht: Da das Weiße Haus gerade an der “Bill of Rights für Künstliche Intelligenz”, einer Art Absichtserklärung, arbeite, will er den TTC dafür nutzen, zu diskutieren, welche Schnittmengen diese Absichtserklärung mit der KI-Verordnung oder der “interinstitutionellen Erklärung für digitale Grundsätze und Rechte” aufweist. Die Erklärung will die Kommission bis Jahresende verabschieden. koj
Hinter den Kulissen verhandeln Biden-Administration und EU-Kommission seit Monaten intensiv über eine Privacy-Shield-Folgevereinbarung (Europe.Table berichtete). Während sich die US-Seite positiv gestimmt zeigt, bleibt EU-Justizkommissar Didier Reynders ausdrücklich vorsichtig, wenn es um die Möglichkeiten einer Neuauflage der Vereinbarung für einen rechtssicheren Transfer personenbezogener Daten in die USA geht.
Wie schwierig das Privacy-Shield-Vorhaben bleibt, haben in einem Gutachten für den Innenausschuss (LIBE) des Europäischen Parlaments die beiden Rechtswissenschaftler Douwe Korff und Ian Brown untersucht. Bei der gestrigen Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse wurde dabei noch einmal deutlich: Damit nicht erneut der Europäische Gerichtshof eine Adäquanz-Entscheidung der Kommission annulliert, wären fundamentale Änderungen im US-Recht unumgänglich.
Die Studie, die im Juli veröffentlicht wurde, hat die wesentlichen rechtlichen US-Rahmenbedingungen untersucht und sollte Anknüpfungspunkte für eine mögliche Einigung aufzeigen.
Doch weder die Datenschutzgesetze einzelner Bundesstaaten noch die vorhandenen Spezialgesetze auf Bundesebene könnten als Grundlage für eine Angemessenheits-Entscheidung der EU-Kommission dienen, so Studienautor Douwe Korff. Sehr zurückhaltend würden er und Ko-Autor Ian Brown die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass US-Unternehmen im Rahmen einer sanktionsbewehrten Selbst-Zertifizierung bei der Federal Trade Commission unter dem FTC Act den Anforderungen entsprechen könnten. Damit sei ausdrücklich keine Selbstregulierung gemeint – diese denkbare Option würde eine harte Durchsetzung durch die Federal Trade Commission voraussetzen, die in der Vergangenheit gefehlt habe. Allerdings würde selbst ein solches System Veränderungen im US-Recht benötigen, so Korff.
Ko-Autor Ian Brown erläuterte, dass ohne konkrete, dauerhafte und verlässliche Veränderungen an den Zugriffsmöglichkeiten für US-Behörden und die Möglichkeit eines wirksamen Rechtsbehelfs für Betroffene eine Adäquanz-Entscheidung ausgeschlossen sei. Insbesondere der Foreign Intelligence Surveillance Act 702 und die Executive Order 12333 stehen dabei immer wieder im Fokus – denn diese erlauben grundsätzlich den nachrichtendienstlichen Zugriff auf Daten von Nicht-US-Bürgern, unabhängig von deren Erhebungsort. Diese seien schlicht zu weit gefasst, um eine positive Adäquanz-Entscheidung zu ermöglichen.
Von diesen juristischen Argumenten fühlten sich offenbar viele der Europaabgeordneten bestärkt: Die deutsche Europaabgeordnete Birgit Sippel (SPD/S&D) warf der EU-Kommission, die für die Angemessenheits-Entscheidungen zuständig ist, vor, dass sie dies alles wissend in der Vergangenheit die Beziehungen zu den USA über die Grundrechte europäischer Bürger gestellt habe: “Um irgendwie in die Nähe einer Adäquanz zu kommen, müssen die USA ihr Überwachungsregime ändern”, so Sippel.
Noch einen Schritt weiter ging die niederländische Abgeordnete Sophie in ‘t Veld (D66/Renew): “Hier würde ich gerne sehen, dass die Kommission ihren Anspruch einer geopolitischen Kommission mit Leben erfüllt und ihre Muskeln etwas anspannt.” Natürlich sei ein funktionierender Datenfluss in europäischem Interesse – aber eben auch und sogar noch mehr im Interesse der Amerikaner. “Wir verhalten uns wie Calimero”, so in ‘t Veld: eine gut meinende aber stets etwas tollpatschig-naive Zeichentrickfigur. Eine Absicherung über die Executive Orders des Präsidenten könne nicht ausreichend sein, wie sie derzeit wohl von US-Seite angestrebt wird: Man habe, höflich formuliert, unterschiedliche Arten von US-Präsidenten gesehen.
Um mittelfristig dauerhaften Rechtsfrieden zu ermöglichen, schlugen die Studienautoren zudem einen “minilateralen Vertrag” vor, der die Rechtsgarantien regeln solle – Brown und Korff denken hier an die EU- und EEA-Staaten und die Staaten des Five-Eyes-Verbundes, zu dem außer den USA und dem Vereinigten Königreich auch Kanada, Neuseeland und Australien gehören.
Davon sei er nicht überzeugt, erwiderte Tom Vandenkendelaere (CD&V/EVP) – was Unternehmen denn tun könnten, bis eine solche Lösung Realität werde? Studienautor Ian Brown verwies darauf, die Empfehlungen des Europäischen Datenschutzausschusses zu beachten. Einige potenziell unkritische Daten könnten, bei Durchführung einer entsprechenden Datenschutzfolgeabschätzung, möglicherweise auch ohne die angemahnten grundlegenden Änderungen in die USA transferiert werden. fst
Die Großhandelspreise für Gas sind am Dienstag in Europa gesunken, nachdem die Lieferungen von Gas aus Russland nach Deutschland wieder aufgenommen wurden. Russland begann am späten Montag damit, über eine Pipeline von Jamal in Sibirien wieder Gas nach Deutschland zu pumpen, einen Tag nachdem ein Exportstopp die Preise in Europa in die Höhe getrieben hatte. Die Gasflüsse stiegen später auf den höchsten Stand seit fast zwei Wochen, wie deutsche Daten zeigten.
Der russische Präsident Wladimir Putin wies die staatliche Gasgesellschaft Gazprom in diesem Monat an, die Lieferungen nach Europa zu erhöhen und die dortigen Vorräte wieder aufzufüllen, sobald die heimischen Speicher wieder gefüllt sind. Ein Zeichen dafür, dass Gazprom mit der Umsetzung dieser Anweisung beginnt, war die Mitteilung, dass das Unternehmen am Dienstag damit begonnen hat, im November Gas in fünf europäische unterirdische Gasspeicher zu pumpen.
Obwohl die Großhandelspreise in EU-Ländern und in Großbritannien fielen, sagten Marktanalysten, dass ein größerer Preisrückgang davon abhängt, ob Russland mehr unternimmt, um die Bedenken der Europäer zu zerstreuen. Entscheidend sei auch, wie kalt der kommende Winter wird.
Dmitry Marinchenko, Senior Director bei der Rating-Agentur Fitch, sagte, dass Gazprom einen Monat lang jeden Tag etwa 170 Millionen Kubikmeter mehr Gas pumpen müsste – ein Anstieg um etwa ein Drittel gegenüber den derzeitigen Lieferungen -, um seine europäischen Speicher wieder aufzufüllen. “Für eine solch gravierende Erhöhung der Lieferungen müsste Gazprom zusätzliche Transitkapazitäten über die Ukraine buchen – die Pipelines Nord Stream 1 und Jamal-Europa würden nicht ausreichen”, so Marinchenko gegenüber Reuters.
Russland bestreitet, Lieferungen nach Europa zurückzuhalten, um Druck auf die deutschen Aufsichtsbehörden auszuüben, damit diese die Gaslieferungen durch die neue Gaspipeline Nord-Stream-2 genehmigen (Europe.Table berichtete). Deutschland hat bis Anfang Januar Zeit, die Pipeline zu zertifizieren. rtr/sas
Sieben EU-Länder machen sich in einem Positionspapier für ein einheitliches europäisches Zahlungssystem stark. Deutschland, Frankreich, Spanien, die Niederlande, Polen, Finnland und Belgien unterstützen darin die Initiative EPI, in der sich Dutzende Banken zusammengeschlossen haben. Zu der European Payments Initiative (EPI) gehören unter anderem Branchengrößen wie die Deutsche Bank und die Commerzbank sowie ING aus den Niederlanden, Santander aus Spanien, Unicredit aus Italien, und BNP Paribas aus Frankreich.
Die Initiative habe das Potenzial, Zahlungen in Europa zu erleichtern, die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und den Binnenmarkt zu stärken, sagte Finanzstaatssekretär Jörg Kukies am Dienstag. Damit könne Europa digitaler werden. Gemeinsames Ziel sei, Bezahlmöglichkeiten zu schaffen, die sicher, innovativ und für alle zugänglich seien. Die Unabhängigkeit von anderen Weltregionen könne so gesteigert werden.
Aus der Bankenbranche kamen positive Reaktionen. “Die Erklärung der sieben wichtigen EU-Staaten zeigt die große Bedeutung, die die EPI-Initiative und damit ein gemeinsames europäisches Zahlungssystem haben”, sagte Andreas Krautscheid, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB). Die Erklärung sei ein starkes Unterstützungssignal für ein aufwändiges und komplexes transeuropäisches Digitalisierungsprojekt.
In dem zweiseitigen Papier der EU-Länder wird bemängelt, dass der Markt für Zahlungsdienstleistungen noch immer stark zersplittert ist. Die Systeme passten oft nicht zusammen, es gebe zu viele nationale Lösungen. Die Zeit sei daher gekommen für europäische Lösungen. Weitere Länder wurden aufgerufen, sich der Initiative anzuschließen. Die Staaten boten an, bei elektronischen Identitätsnachweisen und Digitalwährungen zusammenzuarbeiten. Zahlungen werden immer öfter digital abgewickelt – ein Markt, der unter anderem vom US-Dienst Paypal stark geprägt ist. rtr
Infineon-Chef Reinhard Ploss rechnet mit Entspannung in der Chipkrise ab der zweiten Jahreshälfte 2022. “Wir sind gut dran, wenn im dritten Quartal Autoproduktion und Chiplieferung in Balance kommen”, sagte Ploss am Dienstag beim “Handelsblatt”-Autogipfel. Allerdings sei der Nachholbedarf groß. Ploss verwies auf die lange Vorlaufzeit in der Chipfertigung: Es dauere etwa ein Jahr, eine neue Fabrik zu bauen, der Produktionsdurchlauf liege dann nochmal bei einem halben Jahr oder sogar mehr. Die Fähigkeit der Wertschöpfungskette sei begrenzt, auf eine steigende Nachfrage zu reagieren, sagte er.
Derzeit würden Kapazitäten in der Branche aufgebaut, sagte Reinhard Ploss. Das werde zu Überkapazitäten führen: “Wir werden eine Bubble haben, die wird verschwinden und dann ist alles gut”, sagte Ploss. Zugleich zeigte er sich aber zuversichtlich, dass die höhere Nachfrage aus der Autobranche nachhaltig sei. Moderne Autos benötigten deutlich mehr Halbleiter als früher. Infineon erwirtschaftet etwa 40 Prozent seines Umsatzes mit Halbleitern für die Autobranche. rtr
Der US-Onlineriese Amazon will Insidern zufolge zwei gegen ihn gerichtete Untersuchungen der EU-Kommission durch Zugeständnisse beilegen. Amazon sei dazu in erste Gespräche mit den Wettbewerbshütern eingestiegen und hoffe, so hohe Bußgelder oder strikte Vorgaben abwenden zu können, sagten mehrere mit dem Vorgang vertraute Personen Reuters. Die EU-Kommission wollte sich nicht dazu äußern.
Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hatte Amazon im vergangenen November in einer Beschwerdemitteilung vorgeworfen, seinen Zugang zu den Verkaufs- und Kundendaten unabhängiger Händler auf dem Amazon-Marktplatz auszunutzen, um sein eigenes Angebot auf besonders lukrative Artikel zu fokussieren. Zudem leitete sie ein zweites Verfahren ein, das prüfen soll, ob der Konzern Händler bevorzugt, die seine Logistikdienstleistungen nutzen.
Amazon habe der EU-Kommission nun in ersten Gesprächen Zugeständnisse angeboten, um die Bedenken auszuräumen, sagten die Insider weiter. Die Diskussionen könnten sich aber noch über Monate hinziehen, ihr Ausgang sei offen. rtr/tho
Das Beklemmende am Klimawandel besteht für viele in der Mixtur an Begrenztheit von Ressourcen und Zeit, die uns zur Umsetzung eines nachhaltigen Wirtschaftens bleibt. Ortwin Renn arbeitet seit Jahrzehnten daran, das Verhalten der Menschen in Bezug auf Nachhaltigkeit besser zu verstehen. Warum ist es oft so schwer, nachhaltig zu wirtschaften und zu leben, welche Lösungen gibt es? Der ausgebildete Soziologe, Volkswirt und Journalist führt seit 2016 das Potsdamer Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) als wissenschaftlicher Direktor und widmet sich dort der Technik- und Risikoforschung sowie den Sustainability Studies.
Das knapp 150 Mitarbeiter starke IASS zeichnet sich aus durch das “Doppelmandat aus Forschung auf der einen, Politikberatung auf der anderen Seite“. Wie gerufen also für jemanden, der in Jülich neben einem der bedeutendsten und kontroversesten Kernforschungszentren Europas aufgewachsen ist und nach seiner Promotion zwecks Erforschung der gesellschaftlichen Wahrnehmung atomarer Risiken dorthin zurückkehrte – gerade dann, als die Anti-Atomkraft-Bewegung ihren Höhepunkt erlebte.
“Es ist ein Stück weit mein Naturell, dass ich Wissenschaft als wichtigen Input für politische Entscheidungsprozesse sehe. Der Bereich des Transfers und der Kommunikation muss in der Forschung selbst bereits angelegt sein.” Wissenschaftler sollten also neben ihren nach Kausalitäten fragenden Untersuchungen immer mitbedenken, welche Prozesse notwendig sind, damit Wandel möglich ist.
Nicht zuletzt darin zeigt sich die Anwendungsbezogenheit von Ortwin Renns Arbeit: “Eine Frage, die mich sehr bewegt, ist die Zukunft demokratischer Institutionen im Kontext planetarischer Grenzen.” Inakzeptabel ist für ihn jedes politische Zukunftsbild, in denen die Anliegen derjenigen übergangen werden, die zwar Transformationsprozesse benötigen, aber nicht unbedingt wollen. Vielversprechender als die bloße Wiedergabe von Fakten sei es, mittels klassischer demokratischer Institutionen sinnstiftende kulturelle Narrative zu schaffen, mit der sich die Gesellschaft identifizieren kann.
Ähnlich pragmatisch ist Ortwin Renn in Fragen der konkreten Realisierung eines nachhaltigen Energiesystems. Zwar sei Deutschland nicht auf Kernenergie angewiesen. Trotzdem müsse man für die Länder Verständnis aufbringen, die das Einhalten der im Green Deal formulierten Ziele nur über regenerative Energie nicht gewährleisten können. Hier biete es sich an, vorübergehend auf Kernenergie zu setzen (Europe.Table berichtete). “Die Verteufelung ist hier ebenso falsch wie die Verherrlichung.”
Ortwin Renn erklärt dies alles in einem überaus klaren und keineswegs scharfen Tonfall. Danach gefragt, wie er persönlich mit Risiken umgeht, antwortet er: Er sei zwar noch nie ein großer Draufgänger gewesen, doch stehe er bewusst zu Risiken und nehme dann diejenigen in Kauf, bei der es die Sache auch wirklich wert sei. No risk, no fun. Julius Schwarzwälder