China rückt heute (wieder einmal) ins Zentrum der politischen Diskussionen. In Berlin finden die siebten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen statt, mit Kanzler Olaf Scholz und Ministerpräsident Li Qiang sowie zahlreichen Ministerinnen und Ministern. In Brüssel stellt die EU-Kommission parallel ihr Strategiepapier zur wirtschaftlichen Sicherheit vor. Die Strategie zielt zwar nicht explizit auf Peking, implizit aber doch – schließlich ist Europa heute bei vielen kritischen Rohstoffen und Technologien abhängig von der Volksrepublik.
Diese Risiken will Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen reduzieren, ohne das Kind mit dem Bade auszuschütten. Europa solle offen bleiben für Handel und Investitionen, heißt es in der Kommission, sich aber in begrenzten, militärisch und geheimdienstlich relevanten Bereichen besser schützen. Dazu zähle ein restriktiver Zugang Dritter zu Schlüsseltechnologien (etwa im Halbleiterbereich) ebenso wie zu entsprechenden Forschungsprojekten oder Joint Ventures. Bis Jahresende will die Kommission zudem ein neues Instrument vorschlagen: ein Kontrollregime für sicherheitsrelevante Investitionen europäischer Unternehmen in Drittstaaten.
All das ist Teil der zweiten von drei Säulen der Strategie, die unter dem Schlagwort “Schützen” steht. Die erste Säule betont die Notwendigkeit, Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit der EU zu stärken, vor allem bei Chips und grünen Technologien. Die dritte Säule setzt auf Partnerschaften mit gleichgesinnten Staaten, und wie diese konkret ausgestaltet werden sollen, im Rahmen der G7 und darüber hinaus.
Von der Leyen versucht damit einen Mittelweg zu finden zwischen Staaten wie Frankreich, die auf europäische Souveränität pochen, und auf den freien Handel bedachten Ländern. Denn das Strategiepapier wird nur der Auftakt der Diskussion sein. Beim EU-Gipfel nächste Woche wollen Olaf Scholz und Co sie weiterführen.
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Beim letzten Energierat unter schwedischer Präsidentschaft haben sich die Energieminister der EU am Montag nur auf Teile des Reformpakets für den Strommarkt einigen können. Für die Markttransparenz-Verordnung REMIT erzielten sie eine allgemeine Ausrichtung und für die Strommarkt-Richtlinie eine vorläufige politische Einigung. Das gab Schwedens Ressortchefin Ebba Busch am Abend nach langen Verhandlungen bekannt.
Über den wichtigsten Teil, die Strommarkt-Verordnung, müssen aber die Ständigen Vertreter weiter verhandeln. Schweden will auf den letzten Metern noch einen Kompromiss finden, bis zum 28. Juni stehen allerdings nur noch drei Coreper-Sitzungen an.
Mit der Einigung zur Richtlinie hätten Stromkunden eine Aussicht auf eine breitere Auswahl an Lieferverträgen, sagte Energiekommissarin Kadri Simson. Der Text regelt außerdem das Teilen von Energie, Absicherungsgeschäfte für Stromlieferanten und die Regulierung von Endkundenpreisen während Energiekrisen. Politisch umstritten ist dagegen noch immer der Kern des Reformpaketes.
Wichtigster Punkt in der Strommarkt-Verordnung sind nach den Worten von Ebba Busch die Differenzverträge (CfDs). Eigentlich ist dieses Förderinstrument hauptsächlich für den Ausbau erneuerbarer Energien gedacht, doch Frankreich will auch bestehende Kernkraftwerke einbeziehen. “Für EDF wäre das wie ein Scheck über 120 Milliarden Euro”, sagte Luxemburgs grüner Energieminister Claude Turmes mit Blick auf den französischen Stromerzeuger.
Im Strommarkt müsse es auch einen Wettbewerb um die besten Geschäftsmodelle geben, womit Turmes offensichtlich die alternative Erzeugung aus erneuerbaren Energien meinte. Staatlich subventionierte Strompreise begünstigten außerdem Frankreichs Industrie.
Vor Marktverzerrungen warnte auch Wirtschaftsminister Robert Habeck, was nicht ohne Ironie ist, da er selbst einen – wenn auch eng begrenzten – Industriestrompreis anstrebt. Es sei vor allem Deutschland gewesen, das die Opposition gegen Frankreichs Förderwünsche angeführt und eine Einigung verhindert habe, berichtete gestern eine Quelle aus dem Rat.
Zwei mögliche Lösungen nannte Habeck. Entweder müssten Erlöse aus den Differenzverträgen für bestehende Kraftwerke bei hohen Strompreisen in den allgemeinen Staatshaushalt fließen. Die zweite Lösungsmöglichkeit verbirgt sich hinter dem Wort “Proportionalität“, einem der meistgebrauchten Begriffe im öffentlichen Teil der Sitzung. Gemeint ist damit offenbar, dass es keinen Garantiepreis für die gesamte Stromerzeugung eines bestehenden Kraftwerks geben soll, sondern nur für einen Anteil, der dem Verhältnis von Kosten für die Laufzeitverlängerung und denen der Anfangsinvestition entspricht.
Jedenfalls habe man keine unmissverständliche Formulierung für eine Einigung mehr finden können, fasste Ebba Busch die Beratungen auf Ministerebene zusammen. Simson stellte noch klar, dass kein CfD-gefördertes Kraftwerk gezwungen werde, Strom unter seinen Produktionskosten abzugeben. Jeder Fall müsse allerdings von der Kommission beihilferechtlich geprüft werden.
Einig waren sich Busch und Frankreichs Energieministerin Agnès Pannier-Runacher aber darin, dass Europa neue Kapazitäten zur Stromerzeugung brauche – was auch mit der zweiten Streitfrage zusammenhängt, die die Ständigen Vertreter noch lösen müssen.
Erst vor wenigen Tagen hatte die Ratspräsidentschaft vorgeschlagen, die Frist für staatliche Kapazitätszahlungen an bestehende Kohlekraftwerke von Mitte 2025 auf Ende 2028 zu verlängern. Polens Energieministerin Anna Moskwa appellierte wegen der möglichen Abschaltung polnischer Kohlekraftwerke an die anderen Mitgliedstaaten: “Wenn einer von uns in Gefahr ist, sind wir alle in Gefahr.”
Mehrere Staaten lehnen aber mehr Staatsgeld für Kohlemeiler ab. Habeck sagte, eine eigene Förderung für Kohlekraftwerke sei weder mit den nationalen noch mit den europäischen Klimazielen vereinbar. Es müsse andere Wege geben, das Problem zu lösen.
Entgegenkommen deutete allerdings Kommissarin Simson an: Einer oder einige Mitgliedstaaten hätten möglicherweise Probleme mit ihren Kraftwerkskapazitäten, Abweichungen von den CO2-Grenzwerten für Kapazitätsmechanismen müssten aber die Ausnahme bleiben. Simson sagte außerdem, die Kommission arbeite bereits daran, die Prüfverfahren für Kapazitätsmechanismen zu beschleunigen. Man treibe das Thema so schnell wie möglich voran. Damit kommt die Kommission einer Forderung des Rates entgegen.
Busch begründete ein Entgegenkommen gegenüber Polen mit der besonderen Lage als Transitland für Stromlieferungen Richtung Osten. Wegen der russischen Angriffe auf die ukrainische Infrastruktur habe die Ukraine um Stromlieferungen der EU in Höhe von zwei Gigawatt gebeten, derzeit könne man aber nur ein Gigawatt liefern, sagte Busch. Zusätzlichen Strom könne die Staatengemeinschaft nur zur Verfügung stellen, wenn ihr eigenes Stromsystem entsprechend ausgelegt sei.
Die Kommission informierte die Mitgliedstaaten zudem über die Aussichten für die Versorgungssicherheit im kommenden Winter. Von einer drohenden Gasknappheit schreibt die Kommission in einem neunseitigen Bericht nicht mehr, sondern deutet eher die Möglichkeit wieder steigender Gaspreise an. Wörtlich heißt es, die Märkte könnten “unter Druck geraten”, wenn mehrere Risiken eintreten würden. Dazu zählt die Kommission:
Die Kommission legte außerdem aktualisierte Zahlen zu neuen Flüssiggas-Terminals vor. Bis 2024 sei mit 45 Milliarden Kubikmetern (bcm) an neuen LNG-Kapazitäten in der EU zu rechnen, nachdem seit 2022 bereits 25 bcm hinzugekommen seien.
Emmanuel Macron wirkte etwas trotzig, als er die Beschlüsse der von ihm organisierten Konferenz über europäische Luftverteidigung verkündete. Belgien werde als Beobachter künftig Teil des deutsch-französisch-spanischen Rüstungsprojekts Future Combat Air System (FCAS) sein, teilte Frankreichs Präsident gestern Abend in Paris mit. Außerdem habe er gemeinsam mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni den Einsatz des bodengestützten Flugabwehrsystems Samp/T in der Ukraine beschlossen. Es werde bereits in dem Land verwendet.
Als “sehr schönes Beispiel souveräner europäischer Kooperation” pries Macron schließlich die mit Belgien, Zypern, Ungarn und Estland unterzeichnete Absichtserklärung zur gemeinsamen Beschaffung von Mistral-Raketen.
Macron hatte Ende Mai auf dem Globsec-Forum in Bratislava die EU-Verteidigungsminister nach Paris eingeladen, um in der französischen Hauptstadt über eine gemeinsame europäische Luftverteidigung zu sprechen. Von Macron angesprochen gefühlt haben dürfte sich auch der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius, der am Ende doch nach Paris gereist war – ursprünglich sollte Staatssekretär Benedikt Zimmer ihn vertreten. Mit ihm auf der Konferenz, die teils am Rande der Luftfahrtmesse in Le Bourget, teils im Hotel des Invalides nahe des Grab Napoleons in Paris stattfand: Minister und Staatssekretäre aus 20 europäischen Ländern.
Der häufig genannte Vorwurf aus Frankreich: Deutschland kaufe lieber aus den USA, anstatt die europäische Rüstungsindustrie zu stärken. “Warum sind wir zu oft gezwungen, aus den USA zu kaufen?”, fragte Macron und antwortete selbst: “Weil die Amerikaner viel stärker standardisiert haben als wir. Und weil sie ihre Industrie subventionieren.” Europa müsse stärker auf die eigene Industrie setzen, um nachhaltig unabhängig zu werden.
Dass man das im Bendlerblock in Berlin bisweilen anders sieht, ist einer der Gründe, weshalb die “tiefe Freundschaft” mit Frankreich, wie sie in der vorige Woche vom Bundeskabinett verabschiedeten Nationalen Sicherheitsstrategie beschworen wird, Risse bekommen hat – zumindest, was Vorstellungen über eine gemeinsame europäische Verteidigungsstrategie anbelangt.
So hätte eigentlich schon am vergangenen Montag der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu Berlin besuchen sollen, um mit Pistorius das stockende deutsch-französische Panzerprojekt Main Ground Combat System (MGCS) zu besprechen. Doch im Wochenplan des Ministers, den das französische Verteidigungsministerium regelmäßig verschickt, fehlte der Termin dann.
Dass Pistorius erst im letzten Moment seine Teilnahme in Paris bestätigte, dürfte auf die Irritationen zurückzuführen sein, die die von Bundeskanzler Olaf Scholz 2022 initiierte European Sky Shield Initiative (Essi) in Paris ausgelöst hat. Dem im vergangenen Oktober von Deutschland und 14 weiteren Staaten, darunter die Atommacht Großbritannien, unterzeichneten Essi-Gründungsabkommen schlossen sich später Dänemark und Schweden an – nicht dabei sind Frankreich, Italien und Polen.
Die Initiative soll helfen, bestehende Lücken im derzeitigen Nato-Schutzschirm für Europa zu schließen. Die Unterzeichner versprechen sich zudem geringere Kosten durch gemeinsame Beschaffung von Abwehrsystemen kurzer, mittlerer und großer Reichweite, um ihren Luftraum vor feindlichen Drohnen, Marschflugkörpern und ballistischen Raketen zu schützen. Das Projekt setze außerdem ein politisches Zeichen und sorge für verbesserte Interoperabilität, schreibt das Center for Strategic and International Studies (CSIS).
Beim deutsch-französischen Streit um Essi geht es im Wesentlichen darum, wie Europa unabhängiger vom US-amerikanischen Einfluss operieren kann, sowohl bei der Rüstungsbeschaffung wie in Fragen von strategischer Verteidigung. Dass dafür der europäische Pfeiler der Nato gestärkt werden muss, darüber sind sich Deutschland und Frankreich einig. Macron nennt das “Strategische Autonomie”, in der deutschen Nationalen Sicherheitsstrategie spricht man von “Souveränität”.
Macron setzt zudem auf eine Stärkung der europäischen Rüstungsindustrie. Vergangene Woche aber bewilligte der Haushaltsausschuss des Bundestages mit 560 Millionen Euro eine erste Tranche für den Kauf des Raketenabwehrschirms Arrow 3 aus US-amerikanisch-israelischer Produktion. In Bratislava hatte Macron Ende Mai noch vor einem solchen Schritt gewarnt: “Wenn ich sehe, dass einige Länder ihre Verteidigungsausgaben erhöhen, um im großen Stil nichteuropäisch zu kaufen, sage ich klar: ,Ihr schafft euch die Probleme von morgen!’“
Frankreich hat mit Italien das eingangs erwähnte landgestützte Luftverteidigungssystem Samp/T entwickelt, das wie das von Deutschland eingesetzte US-amerikanische Patriot-System eine Reichweite von rund 100 Kilometern hat. Rom und Paris fürchten außerdem, dass Essi das von Frankreich geführte Twister-Projekt (Timely Warning and Interception with Space-based Theater Surveillance) einiger EU-Staaten gefährden könnte, das unter anderem durch Weltraumüberwachung Hyperschallraketen identifizieren soll. Außerdem heißt es aus Paris, dass Essi nicht mit dem französischen Atombomben-Schutzschirm kompatibel sei, unter den Frankreich weitere Länder aufnehmen könnte.
Deutschland habe mit seinem Vorpreschen bei Essi keine Zeit gelassen, um Alternativen zu diskutieren, heißt es aus Paris – das sei das Tempo der Zeitenwende, sagt man in Berlin. “Die Franzosen empören sich jetzt über etwas, das eigentlich aus Paris schon lange gefordert wird, nämlich, dass die Bundesregierung mehr Verantwortung übernimmt und Initiative zeigt”, sagt Jacob Ross von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). “Die Sky Shield Initiative ist im Stil ein bisschen französisch. Die Partner werden überrumpelt, weil es vorher keine langwierige Abstimmung gab.“
21.06.-23.06.2023, Hannover
VWS, Conference Climate Related Systemic Risks: Lessons Learned from Covid-19
The Volkswagen Foundation (VWS) is hosting a conference to discuss various topics related to systemic risk, such as impacts of climate extremes, critical infrastructures, and transport chains. What lessons can be learned from the systemic risk awareness gained by COVID-19? INFO & REGISTRATION
21.06.-23.06.2023, Amsterdam (Niederlande)
VVM, Symposium 9th International Symposium on Non-CO2 Greenhouse Gases
The network of environmental professionals’ (VVM) symposium aims to discuss the general picture and results in the field of non-CO2 greenhouse gases and to identify potential game changers with decision makers, industry, the financial sector, NGOs, and international organizations. INFO & REGISTRATION
21.06.-23.06.2023, Halle
IAMO, Conference IAMO Forum 2023
The Leibniz Institute of Agricultural Development in Transition Economies (IAMO) is bringing together representatives from research, civil society, agribusiness and policy to discuss international trade and global food security with particular focus on the growing importance of geopolitics. INFO & REGISTRATION
21.06.-22.06.2023, Düsseldorf/online
Handelsblatt, Konferenz CFO-Summit 2023
Das Gipfeltreffen der Finanzvorstände bietet eine Plattform für Erfahrungsaustausch und Diskussion über aktuelle Entwicklungen wie Gaskrise, Rohstoffverknappung und ESG sowie deren Auswirkungen auf die Industrie. INFOS & ANMELDUNG
21.06.-22.06.2023, Florenz (Italien)
EUI, Workshop Future Electricity Tariffs
The European University Institute (EUI) is hosting an academic workshop regarding the most recent insights and research on the design of electricity tariffs. INFO
21.06.2023 – 10:00-11:30 Uhr, online
EUI, Discussion Carbon capture and storage – capturing the momentum
The European University Institute (EUI) will debate the momentum of carbon capture use and storage (CCUS) following the Commission’s commitment to issuing a CCUS Strategy later this year and explore what should be included in the Strategy. INFO & REGISTRATION
21.06.2023 – 17:00 Uhr, S-Hertogenbosch (Niederlande)
eit Food, conference Farming in the Netherlands – what’s next?
The European Institute of Innovation and Technology (EIT) brings together farmers, policy makers, science journalists, and consumer researchers to collectively explore what steps need to be taken to achieve a green transition and how to shape the future of farming in the Netherlands. INFO
21.06.2023 – 18:00-20:00 Uhr, Bonn
KAS, Podiumsdiskussion Bundeswehr der Zukunft – Verantwortung und Künstliche Intelligenz
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) diskutiert mit dem ehemaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert, dem stellvertretenden Inspekteur der Luftwaffe Ansgar Rieks und Experten aus der Wissenschaft über die Möglichkeiten und Grenzen beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz in den Streitkräften. INFOS & ANMELDUNG
22.06.-23.06.2023, Florenz (Italien)/online
EUI, Conference Florence Digitalisation Summer Conference
This conference organized by the European University Institute (EUI) and the OECD is gathering academics, practitioners, officials from public authorities and industry representatives to discuss the obstacles and challenges in international data flows with a particular focus on the economic challenges and how data sharing may be reconciled with data protection. INFO & REGISTRATION
22.06.2023 – 10:00-12:00 Uhr, online
ASEW, Seminar Emissionsfaktor Strom
Die Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) stellt die unterschiedlichen Methodiken zur Bestimmung des Emissionsfaktors für Strom vor und erörtert, welcher Emissionsfaktor für die eigene Treibhausgasbilanz genutzt werden kann. INFOS & ANMELDUNG
Bei den Verhandlungen zum Data Act zeichnet sich eine Veränderung der Definition der zu teilenden Daten ab, die die Industrie alarmiert. Bislang stand im Vorschlag für den Rechtstext, dass lediglich Rohdaten unter den Anwendungsbereich fallen. Rohdaten sind die Daten, die von den vernetzten Produkten erzeugt werden.
In der derzeit diskutierten Fassung, ein Kompromissvorschlag der schwedischen Ratspräsidentschaft, ist der Begriff Rohdaten nicht mehr im Rechtstext aufgeführt, sondern nur noch in den rechtlich nicht verbindlichen Erwägungsgründen.
Daher geht die Industrie davon aus, dass auch die verarbeiteten Daten in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen sollen. Dagegen formiert sich massiver Widerstand. Die Industrie fordert, dass sich die deutsche und die französische Regierung mit ihren jeweiligen Datenstrategien direkt in die Verhandlungen einbringen, um das Schlimmste zu verhindern.
Autohersteller befürchten, dass ihre Anstrengungen etwa zum vernetzten Fahren damit hinfällig sein könnten. Sie hätten hohe Summen investiert, um Geschäftsmodelle für Fahrzeug- und Nutzerdaten zu entwickeln. Weiterverarbeitete Daten würden etwa auch genutzt, um Produktverbesserungen zu entwickeln. Diese Daten mit Dritten zu teilen, lasse Rückschlüsse auf interne Entwicklungsexpertise zu. Das geistige Eigentum der Unternehmen sei damit in Gefahr. Außerdem gebe es Gefahren für die Cybersicherheit von vernetzten Produkten. Wenn die Industrie verarbeitete Daten herausgeben müsse, entfalle jeglicher Anreiz für diese Investitionen.
Die Industrie, die internetfähige Produkte herstellt, lobbyiert gerade hinter den Kulissen in Brüssel für eine Rückkehr zur ursprünglichen Formulierung. In Schreiben von Industrieverbänden, die Table.Media vorliegen, heißt es: Wenn der EU-Gesetzgeber den Austausch von verarbeiteten Daten durchsetze, sei die Industrie in Europa mit Unternehmen in China und den USA nicht mehr konkurrenzfähig.
Eigentlich ist geplant, am 27. Juni den Trilog zum Data Act abzuschließen. Doch angesichts des Streits um die Definition der zu teilenden Daten gibt es massive Zweifel an dem Zeitplan. mgr/vis
Die Mitgliedstaaten haben sich am vergangenen Freitag auf einen Kompromiss geeinigt, der den französischen Interessen an der Kernenergie entgegenkommt, ohne die Verhandlungen über die Erneuerbare-Energien-Richtlinie neu zu eröffnen. Der Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten hat einen zusätzlichen Erwägungsgrund hinzugefügt.
Während der Sitzung hatte zuvor die Europäische Kommission eine Erklärung verteilt, in der es heißt: “Die Kommission erkennt an, dass andere fossilfreie Energiequellen als erneuerbare Energien dazu beitragen, die Klimaneutralität bis 2050 für die Mitgliedstaaten zu erreichen, die sich für diese Energiequellen entscheiden.” Ohne es zu erwähnen, erkennt die Kommission also die Rolle der Kernkraft bei der Erreichung der europäischen Dekarbonisierungsziele an.
Dies sei eine Forderung Frankreichs gewesen, sagt Frankreichs Energieministerin Agnès Pannier-Runacher in einer Stellungnahme an die Presse. Die Kernenergie wurde als nützlich für die Dekarbonisierung der Wasserstoffproduktion anerkannt. “Das ist historisch”, sagte das Büro der Ministerin und fügt hinzu, dass diese Anerkennung “für die Europäische Kommission bei allen zukünftigen Diskussionen” zu diesem Thema verbindlich sein wird.
Markus Pieper (EVP), Berichterstatter des Europaparlaments und parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Gruppe, begrüßte die Einigung. “Der in letzter Minute zugefügte Erwägungsgrund scheint für die Mehrheitsbildung im Rat notwendig gewesen zu sein”, kommentierte er. Als Parlament “hätten wir dennoch gerne darauf verzichtet”, aber das Parlament werde sich dem weiteren Verfahren im Sinne eines schnellen Ausbaus der erneuerbaren Energien nicht entgegenstellen. “Das Verhandlungsteam des Europaparlaments ist sich in dieser Hinsicht einig”, sagte Pieper.
Der Industrie- und Energieausschuss (ITRE) wird am 28. Juni über das Trilogergebnis abstimmen. Die Plenarabstimmung ist für September vorgesehen. cst
Die EU-Batterieindustrie ist möglicherweise nicht in der Lage, über 2025 hinaus die Nachfrage zu decken. In der Folge besteht das Risiko, dass die EU entweder ihre CO₂-Ziele für 2035 verfehlt oder dieses Ziel durch importierte Batterien oder Elektroautos erreichen müsste, was der europäischen Industrie schaden würde. Zu diesem Ergebnis kommt ein gestern veröffentlichter Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofs (European Court of Auditors, ECA), der den strategischen Aktionsplan der EU für Batterien evaluiert hat.
Die EU-Kommission habe zwar für die meisten Teile des Batterie-Aktionsplans Maßnahmen ergriffen. Unter anderem wurde kürzlich die Batterieverordnung verabschiedet. Doch es dauere teils noch mehrere Jahre, bis die einzelnen neuen Vorgaben für die Stärkung der europäischen Batteriewertschöpfungsketten in Kraft treten.
Der Bericht identifiziert vier wesentliche Probleme:
Die Prüfer warnen vor zwei Szenarien für den Fall, dass die Produktionskapazität für Batterien in der EU nicht wie geplant wächst. Es könne passieren, dass die EU den Verkauf neuer Benzin- und Dieselautos erst nach 2035 verbietet. Damit würden die Klimaziele nicht erreicht werden. Bei dem zweiten Szenario müsse stark auf Batterien und Elektrofahrzeuge aus Drittländern gesetzt werden, um die EU-Klimaziele zu erreichen. Dies sei zum Nachteil der europäischen Automobilindustrie und ihrer Beschäftigten.
Fast jeder fünfte im Jahr 2021 in der EU zugelassene Neuwagen hatte nach Angaben des Europäischen Automobilherstellerverbands Elektroantrieb. Zudem soll der Verkauf neuer Benzin- und Dieselautos ab 2035 verboten werden. Daher seien Batterien von großer strategischer Bedeutung für die EU – und wichtig, um die Klimaziele zu erreichen, heißt es in dem Bericht des Rechnungshofs. leo/dpa
Die kleineren deutschen Parteien im Europäischen Parlament wehren sich gegen die im Bundestag beschlossene Einführung einer Sperrklausel bei den Europawahlen. “Wir fordern demokratische Teilhabe”, sagte die Europaabgeordnete Manuela Ripa von der ÖDP am Montag in Berlin. Obendrein sei die Sperrklausel verfassungswidrig. Der Volt-Abgeordnete Damian Boeselager sprach von Machtmissbrauch der größeren Parteien und nannte das Vorgehen anti-demokratisch.
568 Bundestagsabgeordnete votierten am vergangenen Donnerstag für einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ratifizierung einer Vorgabe der EU aus dem Jahr 2018. Damit das Gesetz in Kraft treten kann, ist auch eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundesrat notwendig. Die Länderkammer befasst sich voraussichtlich am 7. Juli mit der Vorlage. Die geplante Sperrklausel in einer Spannweite von zwei bis fünf Prozent ist Teil einer Wahlrechtsreform auf EU-Ebene. Nur Deutschland, Spanien und Zypern müssen noch zustimmen.
Erklärtes Ziel der Reform ist es, einer Zersplitterung des Europaparlaments vorzubeugen, um es funktionsfähig zu halten. Aktuell gibt es hierzulande keine Sperrklausel für die Wahlen zum Europaparlament. Bis 2009 hatte auch hier die Fünf-Prozent-Hürde gegolten. Doch 2011 und 2014 hatte das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass Sperrklauseln bei den Europawahlen mit dem Grundgesetz unvereinbar seien. Wegen dieser Ausgangslage sind Zwei-Drittel-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat für die Umsetzung nötig.
Aktuell sitzen 14 deutsche Parteien im EP. Zuletzt reichten rechnerisch etwa 0,5 Prozent der Stimmen für einen Sitz. Den haben Piraten, Tierschutzpartei, Familienpartei, ÖDP und Volt erlangt. Freie Wähler und Die Partei haben jeweils zwei Abgeordnete. Hätte das geplante Wahlrecht bei der vergangenen Europawahl bereits gegolten, wären die ersten fünf Parteien nach Berechnung von Anne Herpertz, Bundesvorsitzende der Piratenpartei, nicht im EP vertreten. Somit wären 1,7 Millionen Stimmen (4,5 Prozent der Wählerschaft) ignoriert worden.
“Das ist ein schwerwiegender Eingriff in die Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit“, sagte Herpertz. So würde die Vielfalt im Parlament beschnitten, Debatten verengt, Kritik- und Kontrollmöglichkeiten gegenüber den großen Parteien eingeschränkt. Die Gefahr, dass eine kleinere Partei an der Sperrklausel scheitere, könne Wähler veranlassen, eher größere Parteien zu wählen. Sie verwies auch darauf, dass Patrick Breyer (Piraten) und Damian Boeselager (Volt) zusammen mehr Berichte betreut hätten als die fünf FDP-Abgeordneten im EP zusammen.
Boeselager sagte, er habe kein einziges inhaltliches Argument gehört, das die Wahlrechtsänderung rechtfertige. Denn die große Mehrheit der kleineren Parteien habe sich einer der sieben Fraktionen im EP angeschlossen, von Zersplitterung könne also keine Rede sein. Da das EP nicht die Regierung trage, wie etwa der Bundestag, falle auch die verfassungsrechtliche Begründung auf europäischer Ebene aus.
Möglich ist, dass die Sperrklausel auch beim dritten Anlauf vor dem Bundesverfassungsgericht scheitert. Sollte das nicht der Fall sein, würde sie erst für die Europawahlen 2029 zum Tragen kommen. Außerdem hat das EP 2022 einen weiteren Anlauf genommen, das Wahlrecht zu ändern. vis
Kenia soll seine landwirtschaftlichen Produkte künftig dauerhaft zollfrei in die Europäische Union einführen dürfen. Beide Seiten unterzeichneten am Montag ein Handelsabkommen, bei dem im Gegenzug Zölle für europäische Waren nach Kenia sinken sollen. Kenia ist die siebtgrößte Volkswirtschaft Afrikas und ein wichtiger Exporteur etwa von Tee, Kaffee, Obst, Gemüse und Blumen. Präsident William Ruto sagte am Montag bei der Unterzeichnungszeremonie in Nairobi, das Abkommen solle auch Investitionen und das verarbeitende Gewerbe anregen.
Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze sagte in Berlin, das Abkommen schaffe eine stabile Grundlage für die wirtschaftlichen Beziehungen. Kenia sei ein geopolitisch wichtiger Partner und ein verlässlicher Verbündeter im Einsatz gegen den Klimawandel. Erstmals sei die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens wesentlicher Bestandteil eines Handelsvertrags mit einem Entwicklungsland. “Kenia und die EU setzen damit ein Zeichen, dass Handel nicht auf Kosten von Umweltschutz, Arbeitsstandards oder Menschenrechten gehen darf”, sagte Schulze.
Dem Ministerium zufolge exportierte die EU 2022 Waren im Wert von mehr als zwei Milliarden Euro nach Kenia, in umgekehrter Richtung waren es 1,26 Milliarden. Bisher habe die EU Kenia übergangsweise zoll- und quotenfreien Marktzugang gewährt, nun gelte dies dauerhaft. Dafür öffne das Land seinen Markt für EU-Importe schrittweise über einen Zeitraum von 25 Jahren. “Dabei kann Kenia besonders sensible Produkte wie Tomaten, Weizenmehl und Textilien gänzlich von Zollerleichterungen ausnehmen, womit diese dauerhaft vor vergünstigten Importen aus der EU geschützt bleiben”, hieß es.
Das Abkommen enthalte zudem ein umfangreiches Kapitel zum Thema Nachhaltigkeit. Es umfasse neben den üblichen Bestimmungen zu Arbeitsstandards und multilateralen Umweltabkommen unter anderem auch Geschlechtergerechtigkeit, Waldschutz und Biodiversität.
Die Aushandlung der Vereinbarung dauerte nach Angaben beider Seiten nur sieben Monate und ist damit eine der schnellsten, die es in der EU je gab. Das Abkommen soll nun den Parlamenten beider Seiten zur Ratifizierung vorgelegt werden. rtr
Die deutsche Industrie fordert von Bundeskanzler Olaf Scholz deutlich mehr Tempo, den Umbau der Wirtschaft voranzutreiben und die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts zu sichern. “Deutschland fällt zurück”, kritisierte der Präsident des Industrieverbandes BDI, Siegfried Russwurm, am Montag in Berlin. Die Wirtschaft werde 2023 stagnieren, Besserung sei frühestens 2024 in Sicht. Außerdem zeige das Investitionsverhalten klar nach unten.
Von der Regierung forderte der einflussreiche BDI beim Tag der Industrie dauerhaft wettbewerbsfähige Strompreise, niedrigere Steuern sowie schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren. SPD-Politiker Scholz sagte zu, die Weichen für deutlich mehr Strom aus erneuerbaren Quellen wie Wind und Solar würden gerade gestellt. Finanzminister Christian Lindner stellte zumindest kleinere Steuerentlastungen in Aussicht.
Die Wettbewerbsfähigkeit leide unter den stark gestiegenen Energiekosten, sagte Russwurm. Eine Lösung für einige Jahre – wie der angedachte, allerdings regierungsintern umstrittene Industriestrompreis – reiche nicht aus. Scholz habe im Wahlkampf von einem Strompreis in Höhe von vier Cent gesprochen, wovon man nun meilenweit entfernt sei. “Die vielen staatlich induzierten Belastungen wie Steuern, Umlagen und Netzentgelte müssen reduziert werden.”
Scholz bekräftigte das Ziel, im Jahr 2030 Strom zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien zu beziehen. Dafür müssten die Kapazitäten drastisch ausgebaut werden. Alle Weichen dafür müssten in diesem Jahr oder Anfang 2024 gestellt werden. Lindner betonte, man dürfe nicht zu wählerisch sein. Auch roter Wasserstoff, der aus Atomstrom hergestellt werde, könnte in einer Übergangsphase der Industrie helfen, klimafreundlicher zu werden. Lindner bekräftigte seine ablehnende Haltung beim von SPD und Grünen angedachten Industriestrompreis, also neuen Subventionen zur Senkung der Strompreise.
Immer mehr Unternehmen bis weit in den Mittelstand beschäftigen sich laut BDI damit, Teile ihrer Aktivitäten aus Deutschland abzuziehen. “Wir brauchen bessere steuerliche Rahmenbedingungen für Investitionen am Standort – und zwar jetzt und nicht irgendwann”, forderte Russwurm. Lindner skizzierte aber, dass eine große Steuerreform innerhalb der Koalition nicht machbar sei. Geplant sei für dieses Jahr eine Ausweitung der steuerlichen Forschungsförderung. Außerdem werde an einer Investitionsprämie gearbeitet. rtr
In der ersten Hälfte der Neunzigerjahre war meine Hauptaufgabe als Generalsekretär der Europäischen Volkspartei, die EVP zum ersten Mal bei Europawahlen zur stärksten politischen Kraft zu machen. Durch die Integration neuer Partner-Parteien auf Basis des Athener Programms wurde dieses Ziel bei der Europawahl 1999 erreicht und die Basis gelegt für die Dominanz der EVP in der Europäischen Union für das nächste Vierteljahrhundert. Die Position als stärkste politische Kraft war die Grundlage für die Kommissionspräsidentschaften von José Manuel Durão Barroso, Jean-Claude Juncker und Ursula von der Leyen.
Die EVP erweiterte sich in zwei Richtungen gleichzeitig und absorbierte Teile des liberalen und konservativen Spektrums in Europa. Sie folgte dem Modell der deutschen Christdemokratie, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg als Union von Katholiken und Protestanten formiert hatte und deswegen sowohl die katholische christlich-soziale als auch die protestantische konservative und liberale Tradition integrieren musste.
In der Praxis ergänzten sich die liberalen, konservativen und christdemokratischen Traditionen erfolgreich in der erweiterten EVP. Traditionell christdemokratische Konzepte des Ausgleichs in der pluralen Gesellschaft wie Soziale Marktwirtschaft, Personalismus, Föderalismus, Subsidiarität und Nachhaltigkeit harmonieren mit dem konservativen Impetus, zu bewahren sowie der liberalen Freiheitsidee.
Doch die Haltung zur europäischen Integration wurde die harte Trennungslinie. Die britischen Konservativen wurden zunehmend nationalistischer und verließen 2009 die gemeinsame Fraktion – ein Vorspiel zum Brexit. Die Hasskampagne des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán gegen Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und seine Unterminierung demokratischer Vielfalt im eigenen Land machten diese Beziehung unmöglich – ebenso wie seine zunehmenden Avancen gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und Marine Le Pen vom französischen Rassemblement National.
Die wirkliche Trennungslinie in der Praxis zwischen Parteien der erweiterten Mitte und Rechts ist deshalb nicht christdemokratisch oder konservativ, sondern europäisch oder nationalistisch. Innerhalb des nationalistischen Lagers gibt es auch eine harte Trennungslinie: Pro-russisch und fundamentale EU-Systemopposition auf der extremen Rechten und Orientierung zu den USA, verbunden mit Euroskepsis im gemäßigteren Lager resultierten in der Bildung zweier Fraktionen im Europäischen Parlament.
Die extreme Rechte kann deshalb als doppelte Systemopposition bezeichnet werden: gegen transatlantische Partnerschaft und gegen europäische Integration. Die politische Ordnung nach 1945 mit Demokratie, Menschenrechten, Rechtsstaat, Pressefreiheit, Pluralismus, transatlantischer Partnerschaft und europäischer Integration als Kernelemente hat ihren Wert mehr als bewiesen und ist deshalb das, was Christdemokraten und Konservative bewahren wollen.
Diese Ordnung herauszufordern, kann nach fast 80 Jahren nicht mehr als konservativ gelten, sondern ist reaktionär und orientiert sich an Konzepten von vor dem Zweiten Weltkrieg: autoritär und illiberal.
Dieser Nationalismus verspricht Schutz durch Abschottung. So hat Donald Trump bei seiner ersten Kandidatur als US-Präsident Kohle- und Stahlarbeiter überzeugt. Deshalb wird Marine Le Pen im alten kommunistischen Herzland Nord-Frankreichs gewählt. So hat der britische Ex-Premier Boris Johnson die Hochburgen der Labour-Partei im Norden Englands erobert. Es ist Sozial-Nationalismus.
Die Stabilität der politischen Ordnung in der Europäischen Union hängt ab von der Mäßigung extremer Kräfte Richtung politische Mitte und sollte deshalb begrüßt und unterstützt werden. Die griechische kommunistische Syriza-Partei hat in der Finanzkrise nach heftigem internen Ringen Verantwortung für eine europäische Zukunft Griechenlands übernommen. Die linke irische Sinn Féin, historisch eng verbunden mit dem gewalttätigen Terrorismus der IRA, mäßigt sich zunehmend in Vorbereitung auf die Übernahme von Regierungsverantwortung.
Die moderne spanische Partido Popular ist Anfang der neunziger Jahre aus der post-francistischen Alianza Popular entstanden durch Fusion mit kleineren christdemokratischen und liberalen Parteien. Die Akzeptanz der Ordnung nach 1945 einschließlich europäischer Integration war die Voraussetzung dafür. Die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni scheint nach Jahrzehnten der italienischen Dauerkrise einen ähnlichen Weg beschreiten zu wollen und stabilisiert damit ihr Land in der Europäischen Union.
Der europäische Kontinent ist heute strukturiert nach zwei Prinzipien: Imperium im Osten als Ausdruck russischer imperialer und kolonialer Ambitionen und die Europäische Union im Westen und in der Mitte als Union der Staaten und Völker, die schützt auf der Grundlage von Gleichberechtigung und Rechtsstaat. Kein Wunder, dass die Ukraine und Moldau verzweifelt der Europäischen Union als sicherem Hafen beitreten wollen.
Russland versucht, die Spielregeln aggressiver imperialer Ordnung des 19. Jahrhunderts im Europa des 21. Jahrhunderts wieder einzuführen. Die Europäische Union ist für viele Staaten in Mittel- und Osteuropa deshalb die Garantie der Existenz ihres bedrohten Nationalstaats.
Für alle 27 Mitgliedstaaten ermöglicht die Europäische Union Funktionen und Mechanismen friedlicher Konfliktlösung, über die sie alleine nicht verfügen könnten. Die Europäische Union ist die notwendige Ergänzung des Nationalstaats, wie auch die Briten verspätet erkennen. Zusammen können wir unsere Werte und Interessen in einer zunehmend konfliktreichen Welt verteidigen. Die Europäische Union ist unser täglicher modus vivendi und operandi.
Der Text ist zuerst unter dem Titel « Le nouveau visage des droites en Europe et le conservatisme du futur« in der Zeitschrift Le Grand Continent.
Offiziell sind alle Beteiligten glücklich mit der Entscheidung von Intel, am geplanten Bau der Chip-Fabrik in Magdeburg festzuhalten. Sachsen-Anhalt freut sich über neue Arbeitsplätze und Olaf Scholz über einen wirtschaftspolitischen Erfolg. Selbst Unions-Fraktionsvize Jens Spahn hat nichts zu meckern: Die Investition sei wichtig “für die Region und unsere technologische Souveränität”, sagte er zu Table.Media.
Groß dürfte auch die Freude beim Unternehmen selbst sein – denn im Gegenzug für die höheren Gesamtinvestitionen, die laut Intel von 17 auf über 30 Milliarden steigen, werden dem Vernehmen nach auch die staatlichen Subventionen erhöht – von 6,8 auf 9,9 Milliarden Euro. Erreicht hat Intel dies offenbar mit der Drohung, das Projekt sonst in ein anderes Land zu verlagern.
Nicht nur Intel hat hart verhandelt, sondern auch Christian Lindner: Der Finanzminister hatte schon vor Tagen angekündigt, im Haushalt sei kein Geld für zusätzliche Subventionen vorhanden. Wirtschaftsminister Robert Habeck muss deshalb nach Informationen aus Regierungskreisen auf Mittel außerhalb des Haushalts zugreifen, über die er relativ frei verfügen kann: Den Klima- und Transformationsfonds, der sich vor allem aus Einnahmen des CO₂-Handels speist.
Das ist nicht nur deshalb problematisch, weil die Chipfabrik mit dem Klima wenig zu tun hat, sondern auch, weil die Gelder bei anderen Projekten fehlen werden – zumindest mittel- bis langfristig. Verplant sind sie unter anderem zur Unterstützung von Hauseigentümern beim Umstieg auf klimafreundliche Heizungen und der Industrie bei der Umstellung auf Wasserstoff. Malte Kreutzfeldt
China rückt heute (wieder einmal) ins Zentrum der politischen Diskussionen. In Berlin finden die siebten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen statt, mit Kanzler Olaf Scholz und Ministerpräsident Li Qiang sowie zahlreichen Ministerinnen und Ministern. In Brüssel stellt die EU-Kommission parallel ihr Strategiepapier zur wirtschaftlichen Sicherheit vor. Die Strategie zielt zwar nicht explizit auf Peking, implizit aber doch – schließlich ist Europa heute bei vielen kritischen Rohstoffen und Technologien abhängig von der Volksrepublik.
Diese Risiken will Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen reduzieren, ohne das Kind mit dem Bade auszuschütten. Europa solle offen bleiben für Handel und Investitionen, heißt es in der Kommission, sich aber in begrenzten, militärisch und geheimdienstlich relevanten Bereichen besser schützen. Dazu zähle ein restriktiver Zugang Dritter zu Schlüsseltechnologien (etwa im Halbleiterbereich) ebenso wie zu entsprechenden Forschungsprojekten oder Joint Ventures. Bis Jahresende will die Kommission zudem ein neues Instrument vorschlagen: ein Kontrollregime für sicherheitsrelevante Investitionen europäischer Unternehmen in Drittstaaten.
All das ist Teil der zweiten von drei Säulen der Strategie, die unter dem Schlagwort “Schützen” steht. Die erste Säule betont die Notwendigkeit, Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit der EU zu stärken, vor allem bei Chips und grünen Technologien. Die dritte Säule setzt auf Partnerschaften mit gleichgesinnten Staaten, und wie diese konkret ausgestaltet werden sollen, im Rahmen der G7 und darüber hinaus.
Von der Leyen versucht damit einen Mittelweg zu finden zwischen Staaten wie Frankreich, die auf europäische Souveränität pochen, und auf den freien Handel bedachten Ländern. Denn das Strategiepapier wird nur der Auftakt der Diskussion sein. Beim EU-Gipfel nächste Woche wollen Olaf Scholz und Co sie weiterführen.
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Beim letzten Energierat unter schwedischer Präsidentschaft haben sich die Energieminister der EU am Montag nur auf Teile des Reformpakets für den Strommarkt einigen können. Für die Markttransparenz-Verordnung REMIT erzielten sie eine allgemeine Ausrichtung und für die Strommarkt-Richtlinie eine vorläufige politische Einigung. Das gab Schwedens Ressortchefin Ebba Busch am Abend nach langen Verhandlungen bekannt.
Über den wichtigsten Teil, die Strommarkt-Verordnung, müssen aber die Ständigen Vertreter weiter verhandeln. Schweden will auf den letzten Metern noch einen Kompromiss finden, bis zum 28. Juni stehen allerdings nur noch drei Coreper-Sitzungen an.
Mit der Einigung zur Richtlinie hätten Stromkunden eine Aussicht auf eine breitere Auswahl an Lieferverträgen, sagte Energiekommissarin Kadri Simson. Der Text regelt außerdem das Teilen von Energie, Absicherungsgeschäfte für Stromlieferanten und die Regulierung von Endkundenpreisen während Energiekrisen. Politisch umstritten ist dagegen noch immer der Kern des Reformpaketes.
Wichtigster Punkt in der Strommarkt-Verordnung sind nach den Worten von Ebba Busch die Differenzverträge (CfDs). Eigentlich ist dieses Förderinstrument hauptsächlich für den Ausbau erneuerbarer Energien gedacht, doch Frankreich will auch bestehende Kernkraftwerke einbeziehen. “Für EDF wäre das wie ein Scheck über 120 Milliarden Euro”, sagte Luxemburgs grüner Energieminister Claude Turmes mit Blick auf den französischen Stromerzeuger.
Im Strommarkt müsse es auch einen Wettbewerb um die besten Geschäftsmodelle geben, womit Turmes offensichtlich die alternative Erzeugung aus erneuerbaren Energien meinte. Staatlich subventionierte Strompreise begünstigten außerdem Frankreichs Industrie.
Vor Marktverzerrungen warnte auch Wirtschaftsminister Robert Habeck, was nicht ohne Ironie ist, da er selbst einen – wenn auch eng begrenzten – Industriestrompreis anstrebt. Es sei vor allem Deutschland gewesen, das die Opposition gegen Frankreichs Förderwünsche angeführt und eine Einigung verhindert habe, berichtete gestern eine Quelle aus dem Rat.
Zwei mögliche Lösungen nannte Habeck. Entweder müssten Erlöse aus den Differenzverträgen für bestehende Kraftwerke bei hohen Strompreisen in den allgemeinen Staatshaushalt fließen. Die zweite Lösungsmöglichkeit verbirgt sich hinter dem Wort “Proportionalität“, einem der meistgebrauchten Begriffe im öffentlichen Teil der Sitzung. Gemeint ist damit offenbar, dass es keinen Garantiepreis für die gesamte Stromerzeugung eines bestehenden Kraftwerks geben soll, sondern nur für einen Anteil, der dem Verhältnis von Kosten für die Laufzeitverlängerung und denen der Anfangsinvestition entspricht.
Jedenfalls habe man keine unmissverständliche Formulierung für eine Einigung mehr finden können, fasste Ebba Busch die Beratungen auf Ministerebene zusammen. Simson stellte noch klar, dass kein CfD-gefördertes Kraftwerk gezwungen werde, Strom unter seinen Produktionskosten abzugeben. Jeder Fall müsse allerdings von der Kommission beihilferechtlich geprüft werden.
Einig waren sich Busch und Frankreichs Energieministerin Agnès Pannier-Runacher aber darin, dass Europa neue Kapazitäten zur Stromerzeugung brauche – was auch mit der zweiten Streitfrage zusammenhängt, die die Ständigen Vertreter noch lösen müssen.
Erst vor wenigen Tagen hatte die Ratspräsidentschaft vorgeschlagen, die Frist für staatliche Kapazitätszahlungen an bestehende Kohlekraftwerke von Mitte 2025 auf Ende 2028 zu verlängern. Polens Energieministerin Anna Moskwa appellierte wegen der möglichen Abschaltung polnischer Kohlekraftwerke an die anderen Mitgliedstaaten: “Wenn einer von uns in Gefahr ist, sind wir alle in Gefahr.”
Mehrere Staaten lehnen aber mehr Staatsgeld für Kohlemeiler ab. Habeck sagte, eine eigene Förderung für Kohlekraftwerke sei weder mit den nationalen noch mit den europäischen Klimazielen vereinbar. Es müsse andere Wege geben, das Problem zu lösen.
Entgegenkommen deutete allerdings Kommissarin Simson an: Einer oder einige Mitgliedstaaten hätten möglicherweise Probleme mit ihren Kraftwerkskapazitäten, Abweichungen von den CO2-Grenzwerten für Kapazitätsmechanismen müssten aber die Ausnahme bleiben. Simson sagte außerdem, die Kommission arbeite bereits daran, die Prüfverfahren für Kapazitätsmechanismen zu beschleunigen. Man treibe das Thema so schnell wie möglich voran. Damit kommt die Kommission einer Forderung des Rates entgegen.
Busch begründete ein Entgegenkommen gegenüber Polen mit der besonderen Lage als Transitland für Stromlieferungen Richtung Osten. Wegen der russischen Angriffe auf die ukrainische Infrastruktur habe die Ukraine um Stromlieferungen der EU in Höhe von zwei Gigawatt gebeten, derzeit könne man aber nur ein Gigawatt liefern, sagte Busch. Zusätzlichen Strom könne die Staatengemeinschaft nur zur Verfügung stellen, wenn ihr eigenes Stromsystem entsprechend ausgelegt sei.
Die Kommission informierte die Mitgliedstaaten zudem über die Aussichten für die Versorgungssicherheit im kommenden Winter. Von einer drohenden Gasknappheit schreibt die Kommission in einem neunseitigen Bericht nicht mehr, sondern deutet eher die Möglichkeit wieder steigender Gaspreise an. Wörtlich heißt es, die Märkte könnten “unter Druck geraten”, wenn mehrere Risiken eintreten würden. Dazu zählt die Kommission:
Die Kommission legte außerdem aktualisierte Zahlen zu neuen Flüssiggas-Terminals vor. Bis 2024 sei mit 45 Milliarden Kubikmetern (bcm) an neuen LNG-Kapazitäten in der EU zu rechnen, nachdem seit 2022 bereits 25 bcm hinzugekommen seien.
Emmanuel Macron wirkte etwas trotzig, als er die Beschlüsse der von ihm organisierten Konferenz über europäische Luftverteidigung verkündete. Belgien werde als Beobachter künftig Teil des deutsch-französisch-spanischen Rüstungsprojekts Future Combat Air System (FCAS) sein, teilte Frankreichs Präsident gestern Abend in Paris mit. Außerdem habe er gemeinsam mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni den Einsatz des bodengestützten Flugabwehrsystems Samp/T in der Ukraine beschlossen. Es werde bereits in dem Land verwendet.
Als “sehr schönes Beispiel souveräner europäischer Kooperation” pries Macron schließlich die mit Belgien, Zypern, Ungarn und Estland unterzeichnete Absichtserklärung zur gemeinsamen Beschaffung von Mistral-Raketen.
Macron hatte Ende Mai auf dem Globsec-Forum in Bratislava die EU-Verteidigungsminister nach Paris eingeladen, um in der französischen Hauptstadt über eine gemeinsame europäische Luftverteidigung zu sprechen. Von Macron angesprochen gefühlt haben dürfte sich auch der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius, der am Ende doch nach Paris gereist war – ursprünglich sollte Staatssekretär Benedikt Zimmer ihn vertreten. Mit ihm auf der Konferenz, die teils am Rande der Luftfahrtmesse in Le Bourget, teils im Hotel des Invalides nahe des Grab Napoleons in Paris stattfand: Minister und Staatssekretäre aus 20 europäischen Ländern.
Der häufig genannte Vorwurf aus Frankreich: Deutschland kaufe lieber aus den USA, anstatt die europäische Rüstungsindustrie zu stärken. “Warum sind wir zu oft gezwungen, aus den USA zu kaufen?”, fragte Macron und antwortete selbst: “Weil die Amerikaner viel stärker standardisiert haben als wir. Und weil sie ihre Industrie subventionieren.” Europa müsse stärker auf die eigene Industrie setzen, um nachhaltig unabhängig zu werden.
Dass man das im Bendlerblock in Berlin bisweilen anders sieht, ist einer der Gründe, weshalb die “tiefe Freundschaft” mit Frankreich, wie sie in der vorige Woche vom Bundeskabinett verabschiedeten Nationalen Sicherheitsstrategie beschworen wird, Risse bekommen hat – zumindest, was Vorstellungen über eine gemeinsame europäische Verteidigungsstrategie anbelangt.
So hätte eigentlich schon am vergangenen Montag der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu Berlin besuchen sollen, um mit Pistorius das stockende deutsch-französische Panzerprojekt Main Ground Combat System (MGCS) zu besprechen. Doch im Wochenplan des Ministers, den das französische Verteidigungsministerium regelmäßig verschickt, fehlte der Termin dann.
Dass Pistorius erst im letzten Moment seine Teilnahme in Paris bestätigte, dürfte auf die Irritationen zurückzuführen sein, die die von Bundeskanzler Olaf Scholz 2022 initiierte European Sky Shield Initiative (Essi) in Paris ausgelöst hat. Dem im vergangenen Oktober von Deutschland und 14 weiteren Staaten, darunter die Atommacht Großbritannien, unterzeichneten Essi-Gründungsabkommen schlossen sich später Dänemark und Schweden an – nicht dabei sind Frankreich, Italien und Polen.
Die Initiative soll helfen, bestehende Lücken im derzeitigen Nato-Schutzschirm für Europa zu schließen. Die Unterzeichner versprechen sich zudem geringere Kosten durch gemeinsame Beschaffung von Abwehrsystemen kurzer, mittlerer und großer Reichweite, um ihren Luftraum vor feindlichen Drohnen, Marschflugkörpern und ballistischen Raketen zu schützen. Das Projekt setze außerdem ein politisches Zeichen und sorge für verbesserte Interoperabilität, schreibt das Center for Strategic and International Studies (CSIS).
Beim deutsch-französischen Streit um Essi geht es im Wesentlichen darum, wie Europa unabhängiger vom US-amerikanischen Einfluss operieren kann, sowohl bei der Rüstungsbeschaffung wie in Fragen von strategischer Verteidigung. Dass dafür der europäische Pfeiler der Nato gestärkt werden muss, darüber sind sich Deutschland und Frankreich einig. Macron nennt das “Strategische Autonomie”, in der deutschen Nationalen Sicherheitsstrategie spricht man von “Souveränität”.
Macron setzt zudem auf eine Stärkung der europäischen Rüstungsindustrie. Vergangene Woche aber bewilligte der Haushaltsausschuss des Bundestages mit 560 Millionen Euro eine erste Tranche für den Kauf des Raketenabwehrschirms Arrow 3 aus US-amerikanisch-israelischer Produktion. In Bratislava hatte Macron Ende Mai noch vor einem solchen Schritt gewarnt: “Wenn ich sehe, dass einige Länder ihre Verteidigungsausgaben erhöhen, um im großen Stil nichteuropäisch zu kaufen, sage ich klar: ,Ihr schafft euch die Probleme von morgen!’“
Frankreich hat mit Italien das eingangs erwähnte landgestützte Luftverteidigungssystem Samp/T entwickelt, das wie das von Deutschland eingesetzte US-amerikanische Patriot-System eine Reichweite von rund 100 Kilometern hat. Rom und Paris fürchten außerdem, dass Essi das von Frankreich geführte Twister-Projekt (Timely Warning and Interception with Space-based Theater Surveillance) einiger EU-Staaten gefährden könnte, das unter anderem durch Weltraumüberwachung Hyperschallraketen identifizieren soll. Außerdem heißt es aus Paris, dass Essi nicht mit dem französischen Atombomben-Schutzschirm kompatibel sei, unter den Frankreich weitere Länder aufnehmen könnte.
Deutschland habe mit seinem Vorpreschen bei Essi keine Zeit gelassen, um Alternativen zu diskutieren, heißt es aus Paris – das sei das Tempo der Zeitenwende, sagt man in Berlin. “Die Franzosen empören sich jetzt über etwas, das eigentlich aus Paris schon lange gefordert wird, nämlich, dass die Bundesregierung mehr Verantwortung übernimmt und Initiative zeigt”, sagt Jacob Ross von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). “Die Sky Shield Initiative ist im Stil ein bisschen französisch. Die Partner werden überrumpelt, weil es vorher keine langwierige Abstimmung gab.“
21.06.-23.06.2023, Hannover
VWS, Conference Climate Related Systemic Risks: Lessons Learned from Covid-19
The Volkswagen Foundation (VWS) is hosting a conference to discuss various topics related to systemic risk, such as impacts of climate extremes, critical infrastructures, and transport chains. What lessons can be learned from the systemic risk awareness gained by COVID-19? INFO & REGISTRATION
21.06.-23.06.2023, Amsterdam (Niederlande)
VVM, Symposium 9th International Symposium on Non-CO2 Greenhouse Gases
The network of environmental professionals’ (VVM) symposium aims to discuss the general picture and results in the field of non-CO2 greenhouse gases and to identify potential game changers with decision makers, industry, the financial sector, NGOs, and international organizations. INFO & REGISTRATION
21.06.-23.06.2023, Halle
IAMO, Conference IAMO Forum 2023
The Leibniz Institute of Agricultural Development in Transition Economies (IAMO) is bringing together representatives from research, civil society, agribusiness and policy to discuss international trade and global food security with particular focus on the growing importance of geopolitics. INFO & REGISTRATION
21.06.-22.06.2023, Düsseldorf/online
Handelsblatt, Konferenz CFO-Summit 2023
Das Gipfeltreffen der Finanzvorstände bietet eine Plattform für Erfahrungsaustausch und Diskussion über aktuelle Entwicklungen wie Gaskrise, Rohstoffverknappung und ESG sowie deren Auswirkungen auf die Industrie. INFOS & ANMELDUNG
21.06.-22.06.2023, Florenz (Italien)
EUI, Workshop Future Electricity Tariffs
The European University Institute (EUI) is hosting an academic workshop regarding the most recent insights and research on the design of electricity tariffs. INFO
21.06.2023 – 10:00-11:30 Uhr, online
EUI, Discussion Carbon capture and storage – capturing the momentum
The European University Institute (EUI) will debate the momentum of carbon capture use and storage (CCUS) following the Commission’s commitment to issuing a CCUS Strategy later this year and explore what should be included in the Strategy. INFO & REGISTRATION
21.06.2023 – 17:00 Uhr, S-Hertogenbosch (Niederlande)
eit Food, conference Farming in the Netherlands – what’s next?
The European Institute of Innovation and Technology (EIT) brings together farmers, policy makers, science journalists, and consumer researchers to collectively explore what steps need to be taken to achieve a green transition and how to shape the future of farming in the Netherlands. INFO
21.06.2023 – 18:00-20:00 Uhr, Bonn
KAS, Podiumsdiskussion Bundeswehr der Zukunft – Verantwortung und Künstliche Intelligenz
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) diskutiert mit dem ehemaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert, dem stellvertretenden Inspekteur der Luftwaffe Ansgar Rieks und Experten aus der Wissenschaft über die Möglichkeiten und Grenzen beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz in den Streitkräften. INFOS & ANMELDUNG
22.06.-23.06.2023, Florenz (Italien)/online
EUI, Conference Florence Digitalisation Summer Conference
This conference organized by the European University Institute (EUI) and the OECD is gathering academics, practitioners, officials from public authorities and industry representatives to discuss the obstacles and challenges in international data flows with a particular focus on the economic challenges and how data sharing may be reconciled with data protection. INFO & REGISTRATION
22.06.2023 – 10:00-12:00 Uhr, online
ASEW, Seminar Emissionsfaktor Strom
Die Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) stellt die unterschiedlichen Methodiken zur Bestimmung des Emissionsfaktors für Strom vor und erörtert, welcher Emissionsfaktor für die eigene Treibhausgasbilanz genutzt werden kann. INFOS & ANMELDUNG
Bei den Verhandlungen zum Data Act zeichnet sich eine Veränderung der Definition der zu teilenden Daten ab, die die Industrie alarmiert. Bislang stand im Vorschlag für den Rechtstext, dass lediglich Rohdaten unter den Anwendungsbereich fallen. Rohdaten sind die Daten, die von den vernetzten Produkten erzeugt werden.
In der derzeit diskutierten Fassung, ein Kompromissvorschlag der schwedischen Ratspräsidentschaft, ist der Begriff Rohdaten nicht mehr im Rechtstext aufgeführt, sondern nur noch in den rechtlich nicht verbindlichen Erwägungsgründen.
Daher geht die Industrie davon aus, dass auch die verarbeiteten Daten in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen sollen. Dagegen formiert sich massiver Widerstand. Die Industrie fordert, dass sich die deutsche und die französische Regierung mit ihren jeweiligen Datenstrategien direkt in die Verhandlungen einbringen, um das Schlimmste zu verhindern.
Autohersteller befürchten, dass ihre Anstrengungen etwa zum vernetzten Fahren damit hinfällig sein könnten. Sie hätten hohe Summen investiert, um Geschäftsmodelle für Fahrzeug- und Nutzerdaten zu entwickeln. Weiterverarbeitete Daten würden etwa auch genutzt, um Produktverbesserungen zu entwickeln. Diese Daten mit Dritten zu teilen, lasse Rückschlüsse auf interne Entwicklungsexpertise zu. Das geistige Eigentum der Unternehmen sei damit in Gefahr. Außerdem gebe es Gefahren für die Cybersicherheit von vernetzten Produkten. Wenn die Industrie verarbeitete Daten herausgeben müsse, entfalle jeglicher Anreiz für diese Investitionen.
Die Industrie, die internetfähige Produkte herstellt, lobbyiert gerade hinter den Kulissen in Brüssel für eine Rückkehr zur ursprünglichen Formulierung. In Schreiben von Industrieverbänden, die Table.Media vorliegen, heißt es: Wenn der EU-Gesetzgeber den Austausch von verarbeiteten Daten durchsetze, sei die Industrie in Europa mit Unternehmen in China und den USA nicht mehr konkurrenzfähig.
Eigentlich ist geplant, am 27. Juni den Trilog zum Data Act abzuschließen. Doch angesichts des Streits um die Definition der zu teilenden Daten gibt es massive Zweifel an dem Zeitplan. mgr/vis
Die Mitgliedstaaten haben sich am vergangenen Freitag auf einen Kompromiss geeinigt, der den französischen Interessen an der Kernenergie entgegenkommt, ohne die Verhandlungen über die Erneuerbare-Energien-Richtlinie neu zu eröffnen. Der Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten hat einen zusätzlichen Erwägungsgrund hinzugefügt.
Während der Sitzung hatte zuvor die Europäische Kommission eine Erklärung verteilt, in der es heißt: “Die Kommission erkennt an, dass andere fossilfreie Energiequellen als erneuerbare Energien dazu beitragen, die Klimaneutralität bis 2050 für die Mitgliedstaaten zu erreichen, die sich für diese Energiequellen entscheiden.” Ohne es zu erwähnen, erkennt die Kommission also die Rolle der Kernkraft bei der Erreichung der europäischen Dekarbonisierungsziele an.
Dies sei eine Forderung Frankreichs gewesen, sagt Frankreichs Energieministerin Agnès Pannier-Runacher in einer Stellungnahme an die Presse. Die Kernenergie wurde als nützlich für die Dekarbonisierung der Wasserstoffproduktion anerkannt. “Das ist historisch”, sagte das Büro der Ministerin und fügt hinzu, dass diese Anerkennung “für die Europäische Kommission bei allen zukünftigen Diskussionen” zu diesem Thema verbindlich sein wird.
Markus Pieper (EVP), Berichterstatter des Europaparlaments und parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Gruppe, begrüßte die Einigung. “Der in letzter Minute zugefügte Erwägungsgrund scheint für die Mehrheitsbildung im Rat notwendig gewesen zu sein”, kommentierte er. Als Parlament “hätten wir dennoch gerne darauf verzichtet”, aber das Parlament werde sich dem weiteren Verfahren im Sinne eines schnellen Ausbaus der erneuerbaren Energien nicht entgegenstellen. “Das Verhandlungsteam des Europaparlaments ist sich in dieser Hinsicht einig”, sagte Pieper.
Der Industrie- und Energieausschuss (ITRE) wird am 28. Juni über das Trilogergebnis abstimmen. Die Plenarabstimmung ist für September vorgesehen. cst
Die EU-Batterieindustrie ist möglicherweise nicht in der Lage, über 2025 hinaus die Nachfrage zu decken. In der Folge besteht das Risiko, dass die EU entweder ihre CO₂-Ziele für 2035 verfehlt oder dieses Ziel durch importierte Batterien oder Elektroautos erreichen müsste, was der europäischen Industrie schaden würde. Zu diesem Ergebnis kommt ein gestern veröffentlichter Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofs (European Court of Auditors, ECA), der den strategischen Aktionsplan der EU für Batterien evaluiert hat.
Die EU-Kommission habe zwar für die meisten Teile des Batterie-Aktionsplans Maßnahmen ergriffen. Unter anderem wurde kürzlich die Batterieverordnung verabschiedet. Doch es dauere teils noch mehrere Jahre, bis die einzelnen neuen Vorgaben für die Stärkung der europäischen Batteriewertschöpfungsketten in Kraft treten.
Der Bericht identifiziert vier wesentliche Probleme:
Die Prüfer warnen vor zwei Szenarien für den Fall, dass die Produktionskapazität für Batterien in der EU nicht wie geplant wächst. Es könne passieren, dass die EU den Verkauf neuer Benzin- und Dieselautos erst nach 2035 verbietet. Damit würden die Klimaziele nicht erreicht werden. Bei dem zweiten Szenario müsse stark auf Batterien und Elektrofahrzeuge aus Drittländern gesetzt werden, um die EU-Klimaziele zu erreichen. Dies sei zum Nachteil der europäischen Automobilindustrie und ihrer Beschäftigten.
Fast jeder fünfte im Jahr 2021 in der EU zugelassene Neuwagen hatte nach Angaben des Europäischen Automobilherstellerverbands Elektroantrieb. Zudem soll der Verkauf neuer Benzin- und Dieselautos ab 2035 verboten werden. Daher seien Batterien von großer strategischer Bedeutung für die EU – und wichtig, um die Klimaziele zu erreichen, heißt es in dem Bericht des Rechnungshofs. leo/dpa
Die kleineren deutschen Parteien im Europäischen Parlament wehren sich gegen die im Bundestag beschlossene Einführung einer Sperrklausel bei den Europawahlen. “Wir fordern demokratische Teilhabe”, sagte die Europaabgeordnete Manuela Ripa von der ÖDP am Montag in Berlin. Obendrein sei die Sperrklausel verfassungswidrig. Der Volt-Abgeordnete Damian Boeselager sprach von Machtmissbrauch der größeren Parteien und nannte das Vorgehen anti-demokratisch.
568 Bundestagsabgeordnete votierten am vergangenen Donnerstag für einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ratifizierung einer Vorgabe der EU aus dem Jahr 2018. Damit das Gesetz in Kraft treten kann, ist auch eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundesrat notwendig. Die Länderkammer befasst sich voraussichtlich am 7. Juli mit der Vorlage. Die geplante Sperrklausel in einer Spannweite von zwei bis fünf Prozent ist Teil einer Wahlrechtsreform auf EU-Ebene. Nur Deutschland, Spanien und Zypern müssen noch zustimmen.
Erklärtes Ziel der Reform ist es, einer Zersplitterung des Europaparlaments vorzubeugen, um es funktionsfähig zu halten. Aktuell gibt es hierzulande keine Sperrklausel für die Wahlen zum Europaparlament. Bis 2009 hatte auch hier die Fünf-Prozent-Hürde gegolten. Doch 2011 und 2014 hatte das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass Sperrklauseln bei den Europawahlen mit dem Grundgesetz unvereinbar seien. Wegen dieser Ausgangslage sind Zwei-Drittel-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat für die Umsetzung nötig.
Aktuell sitzen 14 deutsche Parteien im EP. Zuletzt reichten rechnerisch etwa 0,5 Prozent der Stimmen für einen Sitz. Den haben Piraten, Tierschutzpartei, Familienpartei, ÖDP und Volt erlangt. Freie Wähler und Die Partei haben jeweils zwei Abgeordnete. Hätte das geplante Wahlrecht bei der vergangenen Europawahl bereits gegolten, wären die ersten fünf Parteien nach Berechnung von Anne Herpertz, Bundesvorsitzende der Piratenpartei, nicht im EP vertreten. Somit wären 1,7 Millionen Stimmen (4,5 Prozent der Wählerschaft) ignoriert worden.
“Das ist ein schwerwiegender Eingriff in die Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit“, sagte Herpertz. So würde die Vielfalt im Parlament beschnitten, Debatten verengt, Kritik- und Kontrollmöglichkeiten gegenüber den großen Parteien eingeschränkt. Die Gefahr, dass eine kleinere Partei an der Sperrklausel scheitere, könne Wähler veranlassen, eher größere Parteien zu wählen. Sie verwies auch darauf, dass Patrick Breyer (Piraten) und Damian Boeselager (Volt) zusammen mehr Berichte betreut hätten als die fünf FDP-Abgeordneten im EP zusammen.
Boeselager sagte, er habe kein einziges inhaltliches Argument gehört, das die Wahlrechtsänderung rechtfertige. Denn die große Mehrheit der kleineren Parteien habe sich einer der sieben Fraktionen im EP angeschlossen, von Zersplitterung könne also keine Rede sein. Da das EP nicht die Regierung trage, wie etwa der Bundestag, falle auch die verfassungsrechtliche Begründung auf europäischer Ebene aus.
Möglich ist, dass die Sperrklausel auch beim dritten Anlauf vor dem Bundesverfassungsgericht scheitert. Sollte das nicht der Fall sein, würde sie erst für die Europawahlen 2029 zum Tragen kommen. Außerdem hat das EP 2022 einen weiteren Anlauf genommen, das Wahlrecht zu ändern. vis
Kenia soll seine landwirtschaftlichen Produkte künftig dauerhaft zollfrei in die Europäische Union einführen dürfen. Beide Seiten unterzeichneten am Montag ein Handelsabkommen, bei dem im Gegenzug Zölle für europäische Waren nach Kenia sinken sollen. Kenia ist die siebtgrößte Volkswirtschaft Afrikas und ein wichtiger Exporteur etwa von Tee, Kaffee, Obst, Gemüse und Blumen. Präsident William Ruto sagte am Montag bei der Unterzeichnungszeremonie in Nairobi, das Abkommen solle auch Investitionen und das verarbeitende Gewerbe anregen.
Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze sagte in Berlin, das Abkommen schaffe eine stabile Grundlage für die wirtschaftlichen Beziehungen. Kenia sei ein geopolitisch wichtiger Partner und ein verlässlicher Verbündeter im Einsatz gegen den Klimawandel. Erstmals sei die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens wesentlicher Bestandteil eines Handelsvertrags mit einem Entwicklungsland. “Kenia und die EU setzen damit ein Zeichen, dass Handel nicht auf Kosten von Umweltschutz, Arbeitsstandards oder Menschenrechten gehen darf”, sagte Schulze.
Dem Ministerium zufolge exportierte die EU 2022 Waren im Wert von mehr als zwei Milliarden Euro nach Kenia, in umgekehrter Richtung waren es 1,26 Milliarden. Bisher habe die EU Kenia übergangsweise zoll- und quotenfreien Marktzugang gewährt, nun gelte dies dauerhaft. Dafür öffne das Land seinen Markt für EU-Importe schrittweise über einen Zeitraum von 25 Jahren. “Dabei kann Kenia besonders sensible Produkte wie Tomaten, Weizenmehl und Textilien gänzlich von Zollerleichterungen ausnehmen, womit diese dauerhaft vor vergünstigten Importen aus der EU geschützt bleiben”, hieß es.
Das Abkommen enthalte zudem ein umfangreiches Kapitel zum Thema Nachhaltigkeit. Es umfasse neben den üblichen Bestimmungen zu Arbeitsstandards und multilateralen Umweltabkommen unter anderem auch Geschlechtergerechtigkeit, Waldschutz und Biodiversität.
Die Aushandlung der Vereinbarung dauerte nach Angaben beider Seiten nur sieben Monate und ist damit eine der schnellsten, die es in der EU je gab. Das Abkommen soll nun den Parlamenten beider Seiten zur Ratifizierung vorgelegt werden. rtr
Die deutsche Industrie fordert von Bundeskanzler Olaf Scholz deutlich mehr Tempo, den Umbau der Wirtschaft voranzutreiben und die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts zu sichern. “Deutschland fällt zurück”, kritisierte der Präsident des Industrieverbandes BDI, Siegfried Russwurm, am Montag in Berlin. Die Wirtschaft werde 2023 stagnieren, Besserung sei frühestens 2024 in Sicht. Außerdem zeige das Investitionsverhalten klar nach unten.
Von der Regierung forderte der einflussreiche BDI beim Tag der Industrie dauerhaft wettbewerbsfähige Strompreise, niedrigere Steuern sowie schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren. SPD-Politiker Scholz sagte zu, die Weichen für deutlich mehr Strom aus erneuerbaren Quellen wie Wind und Solar würden gerade gestellt. Finanzminister Christian Lindner stellte zumindest kleinere Steuerentlastungen in Aussicht.
Die Wettbewerbsfähigkeit leide unter den stark gestiegenen Energiekosten, sagte Russwurm. Eine Lösung für einige Jahre – wie der angedachte, allerdings regierungsintern umstrittene Industriestrompreis – reiche nicht aus. Scholz habe im Wahlkampf von einem Strompreis in Höhe von vier Cent gesprochen, wovon man nun meilenweit entfernt sei. “Die vielen staatlich induzierten Belastungen wie Steuern, Umlagen und Netzentgelte müssen reduziert werden.”
Scholz bekräftigte das Ziel, im Jahr 2030 Strom zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien zu beziehen. Dafür müssten die Kapazitäten drastisch ausgebaut werden. Alle Weichen dafür müssten in diesem Jahr oder Anfang 2024 gestellt werden. Lindner betonte, man dürfe nicht zu wählerisch sein. Auch roter Wasserstoff, der aus Atomstrom hergestellt werde, könnte in einer Übergangsphase der Industrie helfen, klimafreundlicher zu werden. Lindner bekräftigte seine ablehnende Haltung beim von SPD und Grünen angedachten Industriestrompreis, also neuen Subventionen zur Senkung der Strompreise.
Immer mehr Unternehmen bis weit in den Mittelstand beschäftigen sich laut BDI damit, Teile ihrer Aktivitäten aus Deutschland abzuziehen. “Wir brauchen bessere steuerliche Rahmenbedingungen für Investitionen am Standort – und zwar jetzt und nicht irgendwann”, forderte Russwurm. Lindner skizzierte aber, dass eine große Steuerreform innerhalb der Koalition nicht machbar sei. Geplant sei für dieses Jahr eine Ausweitung der steuerlichen Forschungsförderung. Außerdem werde an einer Investitionsprämie gearbeitet. rtr
In der ersten Hälfte der Neunzigerjahre war meine Hauptaufgabe als Generalsekretär der Europäischen Volkspartei, die EVP zum ersten Mal bei Europawahlen zur stärksten politischen Kraft zu machen. Durch die Integration neuer Partner-Parteien auf Basis des Athener Programms wurde dieses Ziel bei der Europawahl 1999 erreicht und die Basis gelegt für die Dominanz der EVP in der Europäischen Union für das nächste Vierteljahrhundert. Die Position als stärkste politische Kraft war die Grundlage für die Kommissionspräsidentschaften von José Manuel Durão Barroso, Jean-Claude Juncker und Ursula von der Leyen.
Die EVP erweiterte sich in zwei Richtungen gleichzeitig und absorbierte Teile des liberalen und konservativen Spektrums in Europa. Sie folgte dem Modell der deutschen Christdemokratie, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg als Union von Katholiken und Protestanten formiert hatte und deswegen sowohl die katholische christlich-soziale als auch die protestantische konservative und liberale Tradition integrieren musste.
In der Praxis ergänzten sich die liberalen, konservativen und christdemokratischen Traditionen erfolgreich in der erweiterten EVP. Traditionell christdemokratische Konzepte des Ausgleichs in der pluralen Gesellschaft wie Soziale Marktwirtschaft, Personalismus, Föderalismus, Subsidiarität und Nachhaltigkeit harmonieren mit dem konservativen Impetus, zu bewahren sowie der liberalen Freiheitsidee.
Doch die Haltung zur europäischen Integration wurde die harte Trennungslinie. Die britischen Konservativen wurden zunehmend nationalistischer und verließen 2009 die gemeinsame Fraktion – ein Vorspiel zum Brexit. Die Hasskampagne des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán gegen Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und seine Unterminierung demokratischer Vielfalt im eigenen Land machten diese Beziehung unmöglich – ebenso wie seine zunehmenden Avancen gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und Marine Le Pen vom französischen Rassemblement National.
Die wirkliche Trennungslinie in der Praxis zwischen Parteien der erweiterten Mitte und Rechts ist deshalb nicht christdemokratisch oder konservativ, sondern europäisch oder nationalistisch. Innerhalb des nationalistischen Lagers gibt es auch eine harte Trennungslinie: Pro-russisch und fundamentale EU-Systemopposition auf der extremen Rechten und Orientierung zu den USA, verbunden mit Euroskepsis im gemäßigteren Lager resultierten in der Bildung zweier Fraktionen im Europäischen Parlament.
Die extreme Rechte kann deshalb als doppelte Systemopposition bezeichnet werden: gegen transatlantische Partnerschaft und gegen europäische Integration. Die politische Ordnung nach 1945 mit Demokratie, Menschenrechten, Rechtsstaat, Pressefreiheit, Pluralismus, transatlantischer Partnerschaft und europäischer Integration als Kernelemente hat ihren Wert mehr als bewiesen und ist deshalb das, was Christdemokraten und Konservative bewahren wollen.
Diese Ordnung herauszufordern, kann nach fast 80 Jahren nicht mehr als konservativ gelten, sondern ist reaktionär und orientiert sich an Konzepten von vor dem Zweiten Weltkrieg: autoritär und illiberal.
Dieser Nationalismus verspricht Schutz durch Abschottung. So hat Donald Trump bei seiner ersten Kandidatur als US-Präsident Kohle- und Stahlarbeiter überzeugt. Deshalb wird Marine Le Pen im alten kommunistischen Herzland Nord-Frankreichs gewählt. So hat der britische Ex-Premier Boris Johnson die Hochburgen der Labour-Partei im Norden Englands erobert. Es ist Sozial-Nationalismus.
Die Stabilität der politischen Ordnung in der Europäischen Union hängt ab von der Mäßigung extremer Kräfte Richtung politische Mitte und sollte deshalb begrüßt und unterstützt werden. Die griechische kommunistische Syriza-Partei hat in der Finanzkrise nach heftigem internen Ringen Verantwortung für eine europäische Zukunft Griechenlands übernommen. Die linke irische Sinn Féin, historisch eng verbunden mit dem gewalttätigen Terrorismus der IRA, mäßigt sich zunehmend in Vorbereitung auf die Übernahme von Regierungsverantwortung.
Die moderne spanische Partido Popular ist Anfang der neunziger Jahre aus der post-francistischen Alianza Popular entstanden durch Fusion mit kleineren christdemokratischen und liberalen Parteien. Die Akzeptanz der Ordnung nach 1945 einschließlich europäischer Integration war die Voraussetzung dafür. Die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni scheint nach Jahrzehnten der italienischen Dauerkrise einen ähnlichen Weg beschreiten zu wollen und stabilisiert damit ihr Land in der Europäischen Union.
Der europäische Kontinent ist heute strukturiert nach zwei Prinzipien: Imperium im Osten als Ausdruck russischer imperialer und kolonialer Ambitionen und die Europäische Union im Westen und in der Mitte als Union der Staaten und Völker, die schützt auf der Grundlage von Gleichberechtigung und Rechtsstaat. Kein Wunder, dass die Ukraine und Moldau verzweifelt der Europäischen Union als sicherem Hafen beitreten wollen.
Russland versucht, die Spielregeln aggressiver imperialer Ordnung des 19. Jahrhunderts im Europa des 21. Jahrhunderts wieder einzuführen. Die Europäische Union ist für viele Staaten in Mittel- und Osteuropa deshalb die Garantie der Existenz ihres bedrohten Nationalstaats.
Für alle 27 Mitgliedstaaten ermöglicht die Europäische Union Funktionen und Mechanismen friedlicher Konfliktlösung, über die sie alleine nicht verfügen könnten. Die Europäische Union ist die notwendige Ergänzung des Nationalstaats, wie auch die Briten verspätet erkennen. Zusammen können wir unsere Werte und Interessen in einer zunehmend konfliktreichen Welt verteidigen. Die Europäische Union ist unser täglicher modus vivendi und operandi.
Der Text ist zuerst unter dem Titel « Le nouveau visage des droites en Europe et le conservatisme du futur« in der Zeitschrift Le Grand Continent.
Offiziell sind alle Beteiligten glücklich mit der Entscheidung von Intel, am geplanten Bau der Chip-Fabrik in Magdeburg festzuhalten. Sachsen-Anhalt freut sich über neue Arbeitsplätze und Olaf Scholz über einen wirtschaftspolitischen Erfolg. Selbst Unions-Fraktionsvize Jens Spahn hat nichts zu meckern: Die Investition sei wichtig “für die Region und unsere technologische Souveränität”, sagte er zu Table.Media.
Groß dürfte auch die Freude beim Unternehmen selbst sein – denn im Gegenzug für die höheren Gesamtinvestitionen, die laut Intel von 17 auf über 30 Milliarden steigen, werden dem Vernehmen nach auch die staatlichen Subventionen erhöht – von 6,8 auf 9,9 Milliarden Euro. Erreicht hat Intel dies offenbar mit der Drohung, das Projekt sonst in ein anderes Land zu verlagern.
Nicht nur Intel hat hart verhandelt, sondern auch Christian Lindner: Der Finanzminister hatte schon vor Tagen angekündigt, im Haushalt sei kein Geld für zusätzliche Subventionen vorhanden. Wirtschaftsminister Robert Habeck muss deshalb nach Informationen aus Regierungskreisen auf Mittel außerhalb des Haushalts zugreifen, über die er relativ frei verfügen kann: Den Klima- und Transformationsfonds, der sich vor allem aus Einnahmen des CO₂-Handels speist.
Das ist nicht nur deshalb problematisch, weil die Chipfabrik mit dem Klima wenig zu tun hat, sondern auch, weil die Gelder bei anderen Projekten fehlen werden – zumindest mittel- bis langfristig. Verplant sind sie unter anderem zur Unterstützung von Hauseigentümern beim Umstieg auf klimafreundliche Heizungen und der Industrie bei der Umstellung auf Wasserstoff. Malte Kreutzfeldt