Table.Briefing: Europe

Soziales Europa + Cybersicherheit + Verpackungsverordnung

Liebe Leserin, lieber Leser,

jahrelang hat sich die EU-Kommission nicht gerade viel mit Tarifverträgen, Gewerkschaften und Sozialem beschäftigt und auch nicht so recht damit anfreunden können. Das liegt zum einen in der Sache an sich begründet: Arbeits- und Sozialpolitik auf EU-Ebene ist ein heißes Eisen. Zum anderen galten gerade Gewerkschaften lange als unflexibles Markthemmnis. Diese Sicht hat sich in den vergangenen Jahren geändert: Die Mindestlohnrichtlinie und die geplanten Gesetze zur Plattformarbeit und den Europäischen Betriebsräten sind Indikatoren für den Wandel.

Auch der deutsche Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ist ein Freund von Mitbestimmung und weitreichenden EU-Regelungen. Er veranstaltet an diesem Montag deswegen die Konferenz “Soziales Europa” mit hochrangigen Gästen. Wer genau kommt und was Heil sich davon erhofft, das lesen Sie unserer News.

Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Start in die Woche!

Ihre
Alina Leimbach
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Analyse

Israel-Hamas-Konflikt: Europa schaut gebannt zu

Mit Argusaugen beobachten europäische Stellen die digitalen Aspekte der Auseinandersetzung nach dem Überfall der Hamas auf Israel. Zum einen, um Erkenntnisse zu gewinnen: Welche Angriffsmethoden werden angewandt? Welche Systeme zeigen sich verwundbar? Und: Wer eilt wem zur Unterstützung herbei? Auch die Frage nach möglichen Overspill-Effekten auf Europa ist von großer Bedeutung.

“In Konflikten wie diesen sieht man den fähigen staatlichen Akteur Israel, der weitgehend lautlos und im Verborgenen agiert. Und hacktivistische Islamisten, die vor allem auf Effekte ihrer Operationen setzen”, sagt Bart Groothuis (Renew), einer der besten Cybersicherheitskenner im Europäischen Parlament, der unter anderem die Netzwerk- und Informationssicherheitsrichtlinie NIS2 verhandelt hat.

Hamas habe Unterstützung von bestimmten Gruppen erhalten, etwa aus dem Sudan und aus Russland. Der liberale Groothuis arbeitete vor seinem Einzug ins EP im niederländischen Verteidigungsministerium im Bereich Cybersicherheit. Er schätzt die Fähigkeiten der Israel-Feinde als grundsätzlich beschränkt ein – “aber Hamas wird besser.” Die der Hamas zugeordnete Gruppierung AridViper (APT-C-23) etwa habe in der Vergangenheit durchaus nennenswerte Fähigkeiten entwickelt.

Kritische Infrastruktur im Blick der Hamas

Eine Besonderheit des digitalen Teils der Auseinandersetzung in der Levante besteht allerdings in einem doppelt hybriden Szenario: Zum einen versuchen Unterstützer der Hamas, nicht nur wichtige israelische IT-Infrastruktur anzugreifen. Einige Gruppen versuchen auch, Industriesteuerungsanlagen – etwa der Trinkwasserversorgung – unter ihre Kontrolle zu bringen und darüber kritische Infrastrukturen zu beeinträchtigen. Bislang allerdings offenbar eher mit mäßigem Erfolg, trotz angeblicher Beweisscreenshots, die über Telegram und X verbreitet werden. Zugleich versuchen die Unterstützer der Hamas, israelische Sicherheitssysteme zu hacken – um sie für eigene Zwecke zu nutzen.

Vergleicht man die Situation in Europa und Deutschland mit der Israels, gibt es vor allem einen großen Unterschied, erläutert Haya Schulmann, Professorin an der Goethe-Universität Frankfurt: “Israel hat den Vorteil einer starken Technologiebranche und einer überschaubaren Anzahl Verbindungen ins Land.” Das mache das Monitoring der Internetverkehre zumindest etwas einfacher.

Viele Start-ups aus Israel im EU-Markt

Die bekannte Stärke der israelischen Cybersicherheitsunternehmen hilft dem Land auch in der derzeitigen Situation. Allerdings sorgt sie auch für Sorgenfalten bei deutschen und europäischen Fachleuten. Denn viele große Unternehmen in Europa haben sich dieses Know-How zunutze gemacht und kooperieren eng mit israelischen Cybersicherheits-Startups. Ob die hinter Lidl und Kaufland stehende Schwarz-Gruppe, die mit dem Kauf des Tel Aviver Startups XM Cyber 2022 medienwirksam ihre Stellung auch als IT-Sicherheitsanbieter festigte.

Auch Cyberark, das mit einigen europäischen Banken zusammenarbeitet, kommt aus Israel. Oder Cybellum, das etwa im Automotive-Bereich seine Lösungen anbietet. “Viele europäische Unternehmen sind bei der IT-Sicherheit auch von israelischen Anbietern abhängig”, erklärt Sicherheitsforscherin Haya Schulmann. Und das sei kein deutsches Phänomen: “Auch estnische oder schweizerische Unternehmen und Behörden setzen auf deren Fähigkeiten.”

Für die Präsidentin des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik, Claudia Plattner, und Bundesinnenministerin Nancy Faeser ist das ausdrücklich kein Problem: Man könne auf diese Anbieter auf keinen Fall verzichten, sagte Plattner. Und Faeser betonte, es sei doch gut, wenn es Anbieter aus demokratischen Staaten gebe. Eine Frage dazu, inwieweit Israel aktiv von BMI und BSI unterstützt werde, beantwortete die SPD-Politikerin bei der Vorstellung des BSI-Lagebilds in Berlin nicht konkret, verwies stattdessen allgemein auf die Sicherheitspartnerschaft Deutschlands mit Israel.

EU-Schwierigkeiten spiegeln sich bei IT-Sicherheits-Position

Nicht nur geopolitisch, auch bei der Cybersicherheit sind die europäischen Staaten gespalten im Umgang mit dem Konflikt. Er spiegelt die diversen politischen Positionen in den Mitgliedstaaten wider. Während Deutschland Israel zwar zur Seite steht, ist das Land nicht Teil der Internationalen Kooperationspartnerschaft der Europäischen Netzwerk- und Informationssicherheitsagentur ENISA.

Die EU-Behörde berichtet, dass ein vergleichsweise geringes Cybersicherheitsgeschehen im Zusammenhang mit der Israel-Hamas-Auseinandersetzung zu beobachten sei. In den ersten Tagen nach dem Hamas-Anschlag seien vorwiegend Distributed Denial of Service-Attacken auf Webseiten von Mitgliedstaaten im Kontext des Konfliktes beobachtet worden. Bei diesen werden von möglichst vielen Stellen gleichzeitig große Datenmengen auf Webserver “geschossen”, um sie in die Knie und möglicherweise zu Fehlfunktionen zu zwingen. Das gilt unter IT-Experten als eine der am besten abzuwehrende Art von Angriffen und ist nicht besonders raffiniert.

Problematischer wäre derzeit die andere Richtung, sagt IT-Sicherheitsforscherin Haya Schulmann: Ausgerechnet aus deutschen Netzen kämen vergleichsweise viele Angriffe auf israelische Sites. Das müsse nicht absichtlich sein, sondern könnten auch gekaperte Webserver oder Endgeräte sein. Ein eigentlich bekanntes Problem, das aber nach wie vor wenig adressiert wird.

Deutschland tue ihrer Meinung nach noch zu wenig, sagt Schulmann: “In Deutschland sind mehrere wichtige Knotenpunkte, die könnten etwa Schadverkehr frühzeitig ausleiten”, fordert sie. Insbesondere der DECIX-Knoten mit Hauptsitz in Frankfurt am Main ist ein hochrelevantes internationales Datendrehkreuz, bei dem täglich bis zu 15 Terabit Daten pro Sekunde zwischen den verschiedenen Teilnetzen durchgeleitet werden.

Lernen durch Zuschauen

Ein großer Teil der Aufmerksamkeit in Europa gilt momentan aber weniger der Reaktion als der Beobachtung und Auswertung der Vorkommnisse in Israel. Die EU-Mitgliedstaaten schauen aufmerksam auf das, was dort auch unter Kriegsführungsaspekten geschieht. Speziell die Rolle von gehackten Überwachungskameras, die dem Feind Aufschluss etwa über Truppenbewegungen geben können, interessiert die Entscheider. Auch außerhalb von Kritischen Infrastrukturen könnten solche Live-Lagebilder Auskunft, etwa über Truppenbewegungen gegeben. In dem Fall, dass der Angriff Russlands auf die Ukraine nicht das Ende des europäischen Kriegsgeschehens bleibt, wäre das hochrelevant.

Und auch die Frage, ob es mittelfristig klug ist, auf chinesische Anbieter wie Hikvision für Internet-der-Dinge-Lösungen für Sensorik und Überwachung zu setzen, wird unter dem Eindruck der Ereignisse in Israel immer offensiver gestellt. Ob Europa dafür mit Cyber Resilience Act, NIS2 und CER-Richtlinie regulatorisch ausreichend gerüstet und vor allem schnell genug agieren kann, das diskutieren Verantwortungsträger allerorten in Europa derzeit – im üblichen Durcheinander. Denn Sicherheit ist weiterhin die Domäne der Mitgliedstaaten.

Was die digitale Konfliktdimension der Israel-Hamas-Auseinandersetzungen und deren unmittelbare Auswirkungen betrifft, scheinen die meisten Europäer allerdings derzeit eher ruhig zu bleiben. “Europa sollte nicht übermäßig in Sorge sein, aber wachsam”, mahnt der VVD-Abgeordnete Bart Groothuis. “Und wenn etwas passiert, müssen wir schnell und mit starken Strafverfolgern dafür sorgen, dass der Rechtsstaat besteht.”

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Verpackungsverordnung: Parlament stimmt im November ab

Am 21. November wird das EU-Parlament über seine Position zur Überarbeitung der Richtlinie für Verpackungen und Verpackungsabfall abstimmen – beinahe genau ein Jahr, nachdem die EU-Kommission ihren Vorschlag für die neue Verordnung vorgelegt hat.

Das Ziel der Initiative: die Abfallhierarchie stärker in dem Gesetz verankern, sodass neben dem Recycling vor allem das Vermeiden von Verpackungsabfällen und die Wiederverwendung von Verpackungen und Materialien vorgeschrieben werden. EU-weit sollen durch den Übergang in eine Verordnung harmonisierte Vorschriften gelten. Schließlich erzeugte im Jahr 2021 jede Person in der EU im Schnitt 188,7 Kilogramm Verpackungsabfälle. Ohne zusätzliche Maßnahmen rechnet die Kommission für das Jahr 2030 mit 209 Kilogramm pro Person.

Der Vorschlag hatte eine heftige Kontroverse zwischen Recycling- und Mehrwegbefürwortern und eine enorme Beteiligung an der öffentlichen Konsultation ausgelöst. An dem Dossier beteiligte Europaabgeordnete sprachen von einer rekordverdächtigen Anzahl an Lobbyanfragen. Den stärksten Widerstand hatte es in Bezug auf die Mehrwegziele für verschiedene Sektoren und Verpackungsformate gegeben (Artikel 26). Dabei hatte die Kommission einige ambitionierte Ziele bereits im Vorfeld heruntergeschraubt.

Umweltausschuss schärft Kommissionsentwurf

Der Umweltausschuss hat den Berichtsentwurf von Frédérique Ries (Renew) Ende Oktober angenommen. Die Abgeordneten wollen unter anderem:

  • den Verkauf von sehr leichten Kunststofftragetaschen (unter 15 Mikron) verbieten, es sei denn, sie sind aus hygienischen Gründen erforderlich oder werden als Primärverpackung für lose Lebensmittel verwendet, um Lebensmittelverschwendung zu vermeiden.
  • neben den Gesamtzielen auch spezifische Ziele für die Reduzierung von Kunststoffverpackungen festlegen (zehn Prozent bis 2030, 15 Prozent bis 2035 und 20 Prozent bis 2040).
  • einen Mindestanteil an recyceltem Material für Verpackungen vorschreiben und dafür Ziele für 2030 und 2040 festlegen.
  • die Verwendung von absichtlich zugesetzten “dauerhaften Chemikalien” (per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen oder PFAS) und Bisphenol A in Lebensmittelverpackungen aus Gesundheitsgründen verbieten.
  • zwischen wiederverwendbaren und wiederbefüllbaren Verpackungen unterscheiden und unterschiedliche Anforderungen und Mehrwegquoten an diese zu einem späteren Zeitpunkt festlegen.
  • die Mehrwegziele für den Take-away-Sektor streichen. Endvertreiber von Getränken und Speisen zum Mitnehmen sollen den Verbrauchern ermöglichen, ihre eigenen Behälter zu verwenden.
  • Mehrwegquoten für Endvertreiber vorschreiben, etwa 20 Prozent für nicht-alkoholische Getränke bis 2030.
  • die Mitgliedstaaten verpflichten, bis 2029 90 Prozent der in Verpackungen enthaltenen Materialien (Kunststoff, Holz, Eisenmetalle, Aluminium, Glas, Papier und Pappe) getrennt zu sammeln.
  • Online-Diensteanbietern die gleichen erweiterten Verpflichtungen zur Herstellerverantwortung auferlegen wie den Herstellern.
  • eine Ausnahmeregelung für Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten vorsehen.

Union macht Druck im Bundestag

Auf der zweiten Plenartagung im November wird das Parlament nun über das Verhandlungsmandat abstimmen. Sobald auch der Rat sein Mandat beschlossen hat, können die Trilog-Verhandlungen beginnen. Die Vorschläge der spanischen Ratspräsidentschaft liegen dem Bericht des Umweltausschusses in vielen Punkten nicht fern. Etwa schlug auch Spanien für den umstrittenen Artikel 26 die Möglichkeit vor, anhand unterschiedlicher Ziele zwischen Wiederverwendung und Wiederbefüllung zu unterscheiden.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hatte angekündigt, sich im Rat trotz der harmonisierten Vorschriften für einen weiterhin großen Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten einzusetzen, damit diese auch ambitioniertere Maßnahmen entwickeln können. Dies wäre vor allem hinsichtlich der geplanten Mehrwegziele wichtig, denn Deutschlands Mehrwegquoten und -ziele sind bereits heute deutlich höher als die Ziele des Kommissionsentwurfs. Das deutsche Verpackungsgesetz sieht bereits seit Anfang 2023 vor, dass Gastronomiebetriebe Mehrwegverpackungen für Take-Away-Speisen anbieten.

Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag fordert mit Blick auf die Verhandlungen von der Bundesregierung, einen technologieoffenen Ansatz zu verfolgen und sich im Rat im Sinne kleiner und mittelständischer Unternehmen für “möglichst bürokratiearme Regelungen” einzusetzen. Mitte Oktober stellte die Fraktion einen Antrag im Bundestag, in dem sie auch den Schutz der “gut funktionierenden Rücknahmesysteme für Mehrweg- und Einwegverpackungen” in Deutschland fordert. Überbordende Governance-Strukturen dürften diese Systeme nicht gefährden, heißt es darin.

BMUV plant bereits Gesetz gegen Verpackungsmüll

Der Umweltausschuss plant nun eine Anhörung zu diesem Antrag. Dann soll auch diskutiert werden, wie die EU-Verpackungsverordnung mit der Novellierung des deutschen Verpackungsgesetzes zusammenwirken kann.

Der SPD-Abgeordnete Michael Thews betonte während der Aussprache im Bundestag: “Wenn die Verhandlungen nicht vor der Europawahl abgeschlossen werden, müssen wir in Deutschland handeln und unser Verpackungsgesetz reformieren, um (ambitioniertere) Recyclingquoten und das Fondsmodell auf den Weg zu bringen.” Nur so könne ausgeglichen werden, dass der Ölpreis immer wieder für Schwankungen der Rezyklateinsatzraten und Hemmnisse für Investitionen sorge. Den Gesetzgebungsprozess in Brüssel noch in der laufenden Legislaturperiode vollständig abzuschließen, wäre nicht unrealistisch, aber durchaus ambitioniert.

Das Bundesumweltministerium hat bereits im Juni Eckpunkte für ein deutsches Gesetz für weniger Verpackungsmüll vorgestellt. Damit will sie der EU-Verordnung in einigen Teilen zuvorkommen. Unter anderem will das BMUV die Vorgaben für mehr Mehrwegverpackungen in der Gastronomie und im Handel deutlich ausweiten. Supermärkte müssen demnach zum Beispiel pro Getränkesorte (Wasser, Bier, alkoholfreie Getränke, Saft und Milch) mindestens ein Produkt mit Mehrwegverpackung anbieten. Verbraucherinnen sollen ihre Mehrwegflaschen zudem überall abgeben können, wo Getränke verkauft werden. Mit weiteren Maßnahmen wolle das Ministerium warten, bis “auf europäischer Ebene dazu mehr Klarheit besteht”.

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News

Sozialkonferenz: Impulse für die nächste EU-Kommission

Eine hochrangig besetzte Konferenz will heute sozialpolitische Impulse für die nächste EU-Kommission entwickeln. Bei der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ausgerichteten Veranstaltung sprechen unter anderem Sozialkommissar Nicolas Schmit, die Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbunds Esther Lynch sowie Oliver Röpke, der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses.

“Wettbewerbsfähigkeit wird nicht durch bloßen Regulierungsabbau besser, und Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft dürfen in einer verflochtenen Wirtschaft nicht an Grenzen enden“, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zu Table.Media.

Ein Schwerpunkt soll demnach die Altersvorsorge sein. Man wolle sich darüber austauschen, wie die Rentensysteme in den Mitgliedstaaten langfristig finanziert werden können “und zugleich angemessene Beiträge und angemessene Leistungen vorweisen”, sagte Heil. Zu Gast sind auch die für Arbeit zuständigen Ministerinnen und Minister aus Frankreich, Belgien, Bulgarien und den Niederlanden sowie der Arbeitgeberverband BusinessEurope neben weiteren Sozialpartnern. Die Konferenz wird per Livestream übertragen. Okb

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Union macht Druck bei Bergrechtsreform

Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) hat für die geplante Modernisierung des Bergrechts noch keine Eckpunkte vorgelegt. Laut der Antwort des BMWK auf eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion, die Table.Media vorliegt, steckt die Novelle des Bundesberggesetzes (BBergG) noch im Stadium der Erarbeitung von Eckpunkten.

“Die Überarbeitung des Bundesberggesetzes für heimische Vorkommen lässt trotz Ankündigung weiter auf sich warten”, kritisierte Fraktionsvize Jens Spahn (CDU). “Das Risiko, dass nach der Gaskrise eine Metallkrise kommt, ist real. Deshalb bräuchte es eine neue Rohstoffstrategie”, sagte er zu Table.Media.

Durch die im Koalitionsvertrag und in den Eckpunkten für eine deutsche Rohstoffstrategie für diese Legislaturperiode angekündigte Überarbeitung des Gesetzes von 1980 soll die Rohstoffgewinnung in Deutschland ökologisch ausgerichtet und erleichtert werden.

Vor allem die Gewinnung einer Reihe an Baurohstoffen ist laut dem BMWK unter Umwelt- und Klimaschutzaspekten vorzugswürdig gegenüber Importen mit langen Transportwegen. Generell müssten die Umwelt- und Klimaschutzaspekte allerdings projektspezifisch und nicht pauschal für einzelne Rohstoffe beurteilt werden. Auch die Gewinnung der Lithiumvorkommen in Deutschland würde die Bundesregierung “grundsätzlich begrüßen”, auch wenn Deutschland weiterhin auf den Import des Batterierohstoffs angewiesen wäre.

Oberflächennahe Geothermie soll nicht mehr unter Bergrecht fallen

In der Antwort des BMWK heißt es: “Die Bundesländer, die das Bundesberggesetz ausführen, haben bereits in den letzten Jahren an einer ,Einer-für-alle’-Bergbau-Lösung zur Schaffung eines Online-Portals zur Durchführung der bergrechtlichen Verfahren gearbeitet”. Mit finanzieller Unterstützung des Bundes sei das Bergpass-Portal aufgesetzt worden, das durch die Datenbank “Bergbauinformationssystem” ergänzt werde. Um die Verfahren der Bergbehörden zu digitalisieren, solle die Schriftformvorgabe von Artikel 16 des Bundesberggesetzes im Rahmen der Novelle des Onlinezugangsgesetzes (OZG) angepasst werden.

Das BMWK verweist auch auf die Eckpunkte zum Bürokratieentlastungsgesetz IV: In diesen ist eine Anpassung des Bundesberggesetzes vorgesehen, damit die oberflächennahe Geothermie eindeutig nicht unter das Bergrecht fällt. Dadurch werde Bürokratie abgebaut.

In Bezug auf die Genehmigungsverfahren sei “zu beachten, dass die konkrete Genehmigung und Aufsicht bei Vorhaben der Gewinnung heimischer Rohstoffe in der Kompetenz der Länder liegen”, heißt es jedoch auch in der Antwort des BMWK. “Eine Reihe von Abbauvorhaben sind zudem auch rechtlich nicht durch das Bundesrecht wie das Bundesbergesetz (BBergG), sondern durch das sogenannte Abgrabungsrecht der Länder geregelt.”

“Der willkürliche Verweis auf Bundesländer, EU oder die Eigenverantwortung der Unternehmen entlässt die Bundesregierung nicht aus der Verantwortung, hier zu klaren Entscheidungen und Maßnahmen zu kommen”, sagte Jens Spahn. leo

E-Autos und Brexit: Habeck für Aussetzung der Zölle

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) setzt sich dafür ein, dass bei Exporten zwischen Großbritannien und der EU ab Anfang 2024 keine Zölle auf E-Autos erhoben werden. Das machte Habeck nach Gesprächen mit Regierungsvertretern in Großbritannien deutlich, wo er für eine internationale AI-Konferenz war. Dabei habe er auch mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen über das Thema gesprochen. Anfang 2024 treten neue Zollregeln in Kraft.

Sie sehen vor, dass E-Autos mit einem Zoll in Höhe von zehn Prozent belegt werden, wenn weniger als 45 Prozent der Wertschöpfung in der EU und Großbritannien stattgefunden hat. Da die Batterieproduktion für BEV in Europa und Großbritannien gerade erst anläuft, wird eine Wertschöpfung von 45 Prozent auf Jahre hinaus nicht erreicht werden. Sowohl britische Hersteller als auch europäische Hersteller warnen daher beim Export ihrer Produkte vor Zöllen und befürchten Wettbewerbsnachteile.

Habeck sagte: “Die Entscheidung muss europäisch gefällt werden. Aber ich werbe dafür, dass auch die anderen europäischen Partner sie unterstützen.” VDA-Präsidentin Hildegard Müller begrüßt den Vorstoß von Habeck: “Wir appellieren an die Europäische Kommission, die Beratungen zügig weiter voranzutreiben und den Mitgliedstaaten zeitnah eine Verlängerung der geltenden Ursprungsregelungen um drei Jahre vorzuschlagen.” Mit dem Jahresende in Sichtweite bräuchten die Unternehmen auf beiden Seiten des Ärmelkanals Planungssicherheit. mgr

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Loss-and-Damage-Fonds soll bei Weltbank angesiedelt sein

Trotz der Vorbehalte von Entwicklungsländern und den Vereinigten Staaten sind die Länder am Samstag der Einrichtung des sogenannten “Loss-and-Damage-Funds” einen wichtigen Schritt näher gekommen. Die Unterhändler einigten sich in Abu Dhabi auf eine Grundstruktur für den Fonds zur Unterstützung armer Staaten, die durch Klimakatastrophen Schäden erleiden.

Demnach wollen die Länder empfehlen, dass der Fonds bei der Weltbank angesiedelt wird. Und zwar zunächst für einen Interimszeitraum von vier Jahren. Die Ansiedlung bei der Weltbank hatte zuvor für Streit gesorgt. Denn der Chef der Weltbank wird von dem Präsidenten der USA ernannt. Kritiker befürchten deswegen einen zu großen Einfluss der Geberländer auf den Fonds. Das Ganze muss noch auf der Weltklimakonferenz COP28 in Dubai final beschlossen werden.

Auch China als Geberland deklariert

Die Empfehlung der Staaten für die COP28 sieht auch vor, dass China als Großemittent ebenfalls in den Geldtopf einzahlen muss. Die Volksrepublik selbst will im internationalen Klimaschutz weiter als Entwicklungsland behandelt werden, so wie es vor 30 Jahren im Kyoto-Protokoll festgelegt worden war. China gehöre seit der Einigung vom Wochenende aber nun klar zu den Adressaten für die Einzahlung in den Fonds, hieß es aus dem Bundesentwicklungsministerium. Alle Zahlungen seien allerdings freiwillig.

Klimakommissar Wopke Hoekstra nannte die Einigung auf der Nachrichtenplattform X einen “entscheidenden Schritt nach vorn”, da die Gelder des Fonds für die am meisten vom Klimawandel betroffenen Staaten reserviert seien. Hoekstra betonte, die Einigung solle den Weg für die Erkenntnis ebnen, dass “tiefgreifende Emissionssenkungen in diesem Jahrzehnt der beste Weg zur Minimierung von Verlusten und Schäden sind.” Die EU werde bei der COP28 in Dubai ihre Bemühungen um ehrgeizige Ziele fortsetzen.

Auch die Bundesregierung begrüßte die Einigung. “Wenn die COP in Dubai diesen Vorschlag annimmt, kann der Fonds kurzfristig seine Arbeit aufnehmen und den besonders vom Klimawandel betroffenen Länder schon mit ersten finanziellen Unterstützungen helfen”, so Jochen Flasbarth, der zuständige Staatssekretär im Bundesentwicklungsministerium. Angepeilt ist ein Start für das Jahr 2024.

Kritik aus dem globalen Süden

Andere sind weniger optimistisch aufgrund der Einigung von Abu Dhabi. “Es ist ein düsterer Tag für die Klimagerechtigkeit, da sich die reichen Länder von den gefährdeten Gemeinschaften abwenden”, sagte Harjeet Singh vom Climate Action Network International (CAN). Die reichen Länder hätten die Entwicklungsländer nicht nur gezwungen, die Weltbank als Träger des Fonds für Schäden und Verluste zu akzeptieren, kritisierte Singh. “Sondern sie haben sich auch ihrer Pflicht entzogen, bei der Bereitstellung finanzieller Unterstützung für diese Gemeinschaften und Länder eine führende Rolle zu übernehmen, so Singh.”

Bereits im vergangenen Jahr, bei der COP27 in Ägypten, hatten sich die Länder grundlegend auf die Einrichtung eines Fonds für Schäden und Verluste geeinigt. Dies galt als Durchbruch für die Entwicklungsländer. Reichere Länder hatten sich zunächst gegen einen solchen Fonds gewehrt. In den vergangenen elf Monaten gab es allerdings Schwierigkeiten, einen Konsens über die Einzelheiten des Fonds zu erzielen, beispielsweise darüber, wer Empfängerland und wer Gebernation ist sowie wo der Fonds angesiedelt sein soll. rtr/dpa/lei

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Von der Leyen lobt Kiews EU-Beitrittsbemühungen

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am Wochenende die Bemühungen der Ukraine beim EU-Beitrittsprozess gelobt. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Kiew mit Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte sie, die Ukraine habe “ausgezeichnete Fortschritte” auf dem Weg zum EU-Beitritt gemacht und trotz des Krieges mit Russland viele Meilensteine erreicht. Dabei hob sie auch die Justizreformen in Kiew hervor.

Von der Leyen sagte weiter: “Ich weiß, dass Sie dabei sind, die noch ausstehenden Reformen zu vollenden.” Wenn dies geschehe und in der Hinsicht sei sie optimistisch, könne “die Ukraine ihr ehrgeiziges Ziel erreichen, die nächste Stufe des Beitrittsprozesses zu erreichen.”

Es wird erwartet, dass die EU am Mittwoch in einer Bewertung darlegt, wie weit die Ukraine bei der Erfüllung der EU-Beitrittskriterien ist. Dazu gehören verschiedene wirtschaftlicher, juristische und andere Kriterien. Im Dezember beim Gipfeltreffen der 27 EU-Staaten werden diese dann über die Aufnahme möglicher Beitrittsgespräche entscheiden. Dafür ist eine einstimmige Entscheidung nötig.

Selenskyj: “Reformen werden weitergehen”

Selenskyj betonte, die Ukraine werde nicht aufhören, ihre Institutionen umzugestalten. Die Reformen würden weitergehen. Die Ukraine hatte sich nur wenige Tage nach dem Angriff Russlands auf das Land als EU-Mitglied beworben. Mit Blick auf die anstehende Bewertung sagte Selenskyj: “Diese Entscheidung wird nicht nur für die Ukraine, sondern für ganz Europa von zentraler Bedeutung sein.

Die ukrainische Bewerbung erhielt bereits Ende vergangener Woche neuen Schwung, als die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte, sie sei zuversichtlich, dass die EU den Antrag der Ukraine im nächsten Monat vorantreiben werde. Beitrittsgespräche dauern in der Regel Jahre und erfordern umfangreiche rechtliche, politische und wirtschaftliche Reformen. Der Fall der Ukraine wurde durch den Krieg noch viel schwieriger. rtr/lei

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So viele Migranten wie nie erreichen Kanaren

Fast 32.000 Migranten haben in diesem Jahr die spanischen Kanarischen Inseln auf Booten aus Westafrika erreicht und damit den bisherigen Rekord aus dem Jahr 2006 übertroffen. Das teilten die regionalen Behörden am Sonntag mit. Der bisherige Höchststand lag bei rund 31.700 Menschen.

Fernando Clavijo, der Regionalchef der Kanarischen Inseln, sagte, die Zahlen zeigten das Ausmaß der humanitären Krise auf den Inseln und forderte mehr Hilfe von der spanischen Regierung und der Europäischen Union. “Die Zahlen von 2006 sind übertroffen worden, aber die Reaktion des Staates und der EU ist nicht dieselbe. Das Migrationsmanagement an der Südgrenze muss eine Priorität auf der spanischen und europäischen Agenda sein”, schrieb er am Samstag im sozialen Netzwerk X.

Die Zahl der Ankünfte ist in letzter Zeit sprunghaft angestiegen, da das mildere Wetter und die ruhigere See seit September die immer noch gefährliche Überfahrt von Afrika aus leichter machen. Die spanische Regierung erklärte, sie werde zusätzliche Notunterkünfte für etwa 3.000 Migranten in Militärkasernen, Hotels und Herbergen schaffen. rtr

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Presseschau

Von der Leyen: Neues EU-Sanktionspaket gegen Russland nächste Woche HANDELSBLATT
Von der Leyen macht Ukraine Hoffnung auf EU-Beitritt SUEDDEUTSCHE
EU-Kommission verurteilt wachsenden Antisemitismus in Europa und kündigt Maßnahmen an HASEPOST
Grünenpolitiker und EU-Abgeordneter: “Wir müssen von migrantischem Antisemitismus sprechen” FR
Baerbock wirbt für EU-Vermittlung zwischen Armenien und Aserbaidschan HANDELSBLATT
EU-Außenministertreffen: Kuss für Baerbock – Kroatiens Außenminister entschuldigt sich STERN
Moldaus wichtige Rolle beim Schutz der EU-Außengrenze TAGESSCHAU
Zerfahrene europäische Asylpolitik: Warum Deutschland in der Migration so auf die EU angewiesen ist TAGESSPIEGEL
Stabilitätsfaktor in Nahost: EU strebt militärische Partnerschaft mit Ägypten an N-TV
EU vor Wahl besser gerüstet gegen Desinformation im Netz, Risiko bleibt DER STANDARD
Union macht Druck in Flüchtlingspolitik: Asylverfahren sollen außerhalb der EU stattfinden TAGESSPIEGEL
Vor Deutschland-Einreise: Zehntausende Geflüchtete haben zuvor in anderen EU-Staaten Asyl beantragt MERKUR
Experten warnen vor EU-Plänen zu digitalem Ausweis FUTUREZONE
Österreichs Außenminister fordert Druck der EU auf Herkunftsländer HANDELSBLATT
Die EZB hat die EU-Länder aus dem Schuldenparadies vertrieben FAZ
EU fördert Technologie zur Vermeidung der Tötung männlicher Küken TOPAGRAR
Wegen Druck aus der EU: Tiktok-Chef reist nach Brüssel DER STANDARD

Heads

Gerhard Trabert: Sozialer Praktiker, der ins Europaparlament will

Arzt Gerhard Trabert vor seinem Arztmobil für Wohnungslose. Der Vorstand der Linkspartei hat den Mediziner als Kandidaten fürs Europaparlament nominiert.

Freitagmorgen, 10 Uhr in Mainz. Gerhard Trabert parkt sein Arztmobil vor einem Wohnungslosentreff. “Braucht hier wer was?”, fragt Trabert die Runde. Der eine braucht ein neues Medikament gegen zu hohen Blutdruck, ein anderer hat Schmerzen wegen eines vereiterten Zahns. Trabert bittet sie jeden ins Arztmobil. Der umfunktionierte Van des Vereins Armut und Gesundheit in Deutschland bietet alles, was ein Arzt auf der Straße braucht: eine Patientenliege, Blutdruckmesser, Aktenschränke. Sogar einige Medikamente sind mit an Bord. “Krankenkassenkarte haben Sie nicht, oder?”, fragt Trabert einen der Männer. “Nee”, sagt der. Trabert versorgt ihn dennoch. Egal, ob versichert oder nicht, Trabert hilft hier in Mainz allen. Das ist seine Philosophie, getreu dem Motto: Die Menschenwürde ist unantastbar.

Im kommenden Jahr gibt es diese mobile Praxis genau 30 Jahre. “Ich komme zu den Menschen, dort erreicht man sie am besten“, sagt Trabert. Und tatsächlich. Der Mann mit dem vereiterten Zahn hat den Arztbesuch seit knapp zwei Wochen vor sich hergeschoben. Traberts Mobil, das direkt zum Wohnungslosentreff gekommen ist, macht es ihm leicht. Das sogenannte “Mainzer Modell”, das Trabert mit der mobilen Praxis ins Leben gerufen hat, findet inzwischen überall in Deutschland Anerkennung und Nachahmer.

Linkenvorstand nominiert ihn für Europaparlament

Ausgerechnet 2024, im Jubiläumsjahr der mobilen Arztpraxis, könnte der 67-Jährige das Metier wechseln: Vom Mediziner, der ganz praktische Hilfe leistet, zum Europaparlamentarier, der um Formulierungen in EU-Gesetzen ringt. Der Linkenvorstand hat den parteilosen Trabert für Platz vier der EU-Liste nominiert. Ein Platz mit soliden Chancen, um ins Parlament zu kommen. Noch muss das Ganze beim Parteitag in Augsburg am 18. November bestätigt werden.

Seine Nominierung ist ein smarter Schachzug der Partei. Denn Trabert wendet in der Praxis an, was viele Anhänger der Linken umtreibt: Er kämpft jeden Tag für soziale Gerechtigkeit. Kompetent, unaufgeregt, aber mit viel Leidenschaft und vor allem auf Augenhöhe, wie an diesem Tag vor dem Wohnungslosentreff. “Der ist ein Guter. Da hat man den Eindruck, dass er einen als Menschen sieht”, sagt einer der Patienten über Trabert. Auf den Mainzer Straßen winken ihm immer wieder Menschen zu. “Ah, der Herr N.!*”, ruft der Trabert da zum Beispiel aus. Der 67-Jährige kennt sie oft mit Namen.

Vom Arbeiterkind zum angesehenen Mediziner

Auch außerhalb der Partei wird Traberts Engagement als “Arzt für die Armen” anerkannt: Schon 2004 bekommt er das Bundesverdienstkreuz am Bande, 2014 die Paracelsus-Medaille, die höchste Auszeichnung der deutschen Bundesärztekammer. Die Liste ließe sich lange weiterführen. Traberts Renommee zeigt sich auch, als er 2021 Direktkandidat bei der Bundestagswahl in Mainz für die Linke wird. Dort holt er 12,4 Prozent, das beste Ergebnis allen westdeutschen Kandidaten, für den Einzug in den Bundestag reicht es dennoch nicht. Parteimitglied ist er keines, das soll auch so bleiben, sagt er Table.Media. Dennoch sieht er viele seiner Anliegen am besten bei der Partei die Linke verkörpert.

Doch Trabert ist der Erfolg nicht in den Schoß gefallen. Er ist Arbeiterkind, als Erster aus seiner Familie schafft er es an die Uni. Erst studiert er Sozialpädagogik, arbeitet danach im Krankenhaussozialdienst. Angestachelt von einigen Ärzten, die herablassend mit ihm umgehen, fasst er einen neuen Entschluss: Er will Medizin studieren. Es gelingt ihm, für das Zweitstudium zugelassen zu werden, obwohl er dazu sogar zum Anwalt muss. Im Studium hilft ihm das Begabtenstipendium der Evangelischen Kirche. Ein weiteres Stipendium ermöglicht ihm auch noch, eine Dissertation zum Thema Gesundheitssituation und medizinische Versorgung von wohnungslosen Menschen zu schreiben.

Ein umtriebiger Kämpfer

Später, als ausgebildeter Mediziner, kämpft er dann wieder. In diesem Fall mit der Krankenkasse um eine Kassenzulassung für seine mobile Arztpraxis. “Als ich damit ankam, da gab es das hier in Deutschland noch nicht. Dann bin ich denen monatelang hinterhergerannt”, sagt Trabert.

Es gelingt: Sein Arztmobil ist das erste bundesweit, das mit der Kasse abrechnen kann. Ein weiteres Projekt von ihm: eine Poliklinik für Menschen ohne Krankenversicherungen. Trabert schafft Tatsachen, indem er etwa die Miete für die Räume die ersten Monate aus eigener Tasche zahlt. Erst später wird klar, dass sich das Projekt aus Spendengeldern trägt. Trabert findet immer neue Herausforderungen: Aktuell sammelt er Spenden für medizinische Hilfe in der Ukraine.

Es ist vor allem praktische Hilfe, die Trabert vor Ort in Mainz leistet. Überhaupt Mainz: Hier ist er aufgewachsen, hier lebt er noch immer, hier ist er mit dem Arztmobil unterwegs. Doch auch die europäische Ebene kennt der Mediziner. 2014 und 2015 war er als Berater der EU-Kommission angestellt zum Thema Armut und Gesundheit in Deutschland. Von 2005 bis 2013 war er Delegierter der Nationalen Armutskonferenz Deutschland für das europäische Armutsnetzwerk.

Wird ihm die praktische Arbeit fehlen?

Seine Themen fürs EU-Parlament liegen auf der Hand. “Soziale Gerechtigkeit, Armut und Zugang zur Gesundheitsversorgung”, zählt der Mediziner auf. Konkrete Ideen hat er auch. Nachbesserungsbedarf sieht er zum Beispiel beim EU-weiten Krankenversicherungsschutz. “Momentan bekommt jeder nur Leistungen in der Höhe der Kosten seines oder ihres Heimatlandes bezahlt.” Das führe dazu, dass beispielsweise Menschen aus Rumänien oder Bulgarien in Ländern wie Deutschland die Behandlung oft teils selbst zahlen müssen. Auch die Sperre von EU-Migranten in der Sozialversicherung in den ersten Monaten nach Umzug in Länder wie Deutschland ist ihm ein Dorn im Auge. Ein weiteres Anliegen: der Umgang mit Geflüchteten in der EU. Mehrfach war er in Lesbos im Flüchtlingslager als Arzt und auf hoher See als Seenotretter.

Für Trabert wäre der Job als EU-Parlamentarier ein echter Seitenwechsel. Ob ihm, dem Praktiker, das reichen wird? Da zuckt Trabert in seinem Sprechzimmer die Schultern und grinst ein wenig unsicher. “Ich will so viel es geht weiter praktisch mit Menschen machen, weiter auf Seenotrettungsmission gehen und Arztmobil fahren.” Auch politisch wird es für den Unabhängigen nicht ganz einfach. Denn als Parteiloser kennt er die Machtmechanismen der Partei nicht, die durchaus wichtig sein können, um sich selbst und seine Themen zu positionieren.

Den Spagat zwischen Theorie und Praxis ist der Mediziner gewöhnt. Die Touren mit dem Arztmobil macht er nur im Nebenjob, hauptberuflich ist er Professor für Sozialmedizin an der Hochschule RheinMain. Wenn er im Juni ins Europaparlament einzieht, wird er als Hochschullehrer kürzertreten. Die Studenten werden den Seitenwechsel bedauern. Alina Leimbach

* Name von der Redaktion abgekürzt

  • Die Linke
  • Europawahlen 2024
  • Gesundheitspolitik
  • Sozialpolitik

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    jahrelang hat sich die EU-Kommission nicht gerade viel mit Tarifverträgen, Gewerkschaften und Sozialem beschäftigt und auch nicht so recht damit anfreunden können. Das liegt zum einen in der Sache an sich begründet: Arbeits- und Sozialpolitik auf EU-Ebene ist ein heißes Eisen. Zum anderen galten gerade Gewerkschaften lange als unflexibles Markthemmnis. Diese Sicht hat sich in den vergangenen Jahren geändert: Die Mindestlohnrichtlinie und die geplanten Gesetze zur Plattformarbeit und den Europäischen Betriebsräten sind Indikatoren für den Wandel.

    Auch der deutsche Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ist ein Freund von Mitbestimmung und weitreichenden EU-Regelungen. Er veranstaltet an diesem Montag deswegen die Konferenz “Soziales Europa” mit hochrangigen Gästen. Wer genau kommt und was Heil sich davon erhofft, das lesen Sie unserer News.

    Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Start in die Woche!

    Ihre
    Alina Leimbach
    Bild von Alina  Leimbach

    Analyse

    Israel-Hamas-Konflikt: Europa schaut gebannt zu

    Mit Argusaugen beobachten europäische Stellen die digitalen Aspekte der Auseinandersetzung nach dem Überfall der Hamas auf Israel. Zum einen, um Erkenntnisse zu gewinnen: Welche Angriffsmethoden werden angewandt? Welche Systeme zeigen sich verwundbar? Und: Wer eilt wem zur Unterstützung herbei? Auch die Frage nach möglichen Overspill-Effekten auf Europa ist von großer Bedeutung.

    “In Konflikten wie diesen sieht man den fähigen staatlichen Akteur Israel, der weitgehend lautlos und im Verborgenen agiert. Und hacktivistische Islamisten, die vor allem auf Effekte ihrer Operationen setzen”, sagt Bart Groothuis (Renew), einer der besten Cybersicherheitskenner im Europäischen Parlament, der unter anderem die Netzwerk- und Informationssicherheitsrichtlinie NIS2 verhandelt hat.

    Hamas habe Unterstützung von bestimmten Gruppen erhalten, etwa aus dem Sudan und aus Russland. Der liberale Groothuis arbeitete vor seinem Einzug ins EP im niederländischen Verteidigungsministerium im Bereich Cybersicherheit. Er schätzt die Fähigkeiten der Israel-Feinde als grundsätzlich beschränkt ein – “aber Hamas wird besser.” Die der Hamas zugeordnete Gruppierung AridViper (APT-C-23) etwa habe in der Vergangenheit durchaus nennenswerte Fähigkeiten entwickelt.

    Kritische Infrastruktur im Blick der Hamas

    Eine Besonderheit des digitalen Teils der Auseinandersetzung in der Levante besteht allerdings in einem doppelt hybriden Szenario: Zum einen versuchen Unterstützer der Hamas, nicht nur wichtige israelische IT-Infrastruktur anzugreifen. Einige Gruppen versuchen auch, Industriesteuerungsanlagen – etwa der Trinkwasserversorgung – unter ihre Kontrolle zu bringen und darüber kritische Infrastrukturen zu beeinträchtigen. Bislang allerdings offenbar eher mit mäßigem Erfolg, trotz angeblicher Beweisscreenshots, die über Telegram und X verbreitet werden. Zugleich versuchen die Unterstützer der Hamas, israelische Sicherheitssysteme zu hacken – um sie für eigene Zwecke zu nutzen.

    Vergleicht man die Situation in Europa und Deutschland mit der Israels, gibt es vor allem einen großen Unterschied, erläutert Haya Schulmann, Professorin an der Goethe-Universität Frankfurt: “Israel hat den Vorteil einer starken Technologiebranche und einer überschaubaren Anzahl Verbindungen ins Land.” Das mache das Monitoring der Internetverkehre zumindest etwas einfacher.

    Viele Start-ups aus Israel im EU-Markt

    Die bekannte Stärke der israelischen Cybersicherheitsunternehmen hilft dem Land auch in der derzeitigen Situation. Allerdings sorgt sie auch für Sorgenfalten bei deutschen und europäischen Fachleuten. Denn viele große Unternehmen in Europa haben sich dieses Know-How zunutze gemacht und kooperieren eng mit israelischen Cybersicherheits-Startups. Ob die hinter Lidl und Kaufland stehende Schwarz-Gruppe, die mit dem Kauf des Tel Aviver Startups XM Cyber 2022 medienwirksam ihre Stellung auch als IT-Sicherheitsanbieter festigte.

    Auch Cyberark, das mit einigen europäischen Banken zusammenarbeitet, kommt aus Israel. Oder Cybellum, das etwa im Automotive-Bereich seine Lösungen anbietet. “Viele europäische Unternehmen sind bei der IT-Sicherheit auch von israelischen Anbietern abhängig”, erklärt Sicherheitsforscherin Haya Schulmann. Und das sei kein deutsches Phänomen: “Auch estnische oder schweizerische Unternehmen und Behörden setzen auf deren Fähigkeiten.”

    Für die Präsidentin des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik, Claudia Plattner, und Bundesinnenministerin Nancy Faeser ist das ausdrücklich kein Problem: Man könne auf diese Anbieter auf keinen Fall verzichten, sagte Plattner. Und Faeser betonte, es sei doch gut, wenn es Anbieter aus demokratischen Staaten gebe. Eine Frage dazu, inwieweit Israel aktiv von BMI und BSI unterstützt werde, beantwortete die SPD-Politikerin bei der Vorstellung des BSI-Lagebilds in Berlin nicht konkret, verwies stattdessen allgemein auf die Sicherheitspartnerschaft Deutschlands mit Israel.

    EU-Schwierigkeiten spiegeln sich bei IT-Sicherheits-Position

    Nicht nur geopolitisch, auch bei der Cybersicherheit sind die europäischen Staaten gespalten im Umgang mit dem Konflikt. Er spiegelt die diversen politischen Positionen in den Mitgliedstaaten wider. Während Deutschland Israel zwar zur Seite steht, ist das Land nicht Teil der Internationalen Kooperationspartnerschaft der Europäischen Netzwerk- und Informationssicherheitsagentur ENISA.

    Die EU-Behörde berichtet, dass ein vergleichsweise geringes Cybersicherheitsgeschehen im Zusammenhang mit der Israel-Hamas-Auseinandersetzung zu beobachten sei. In den ersten Tagen nach dem Hamas-Anschlag seien vorwiegend Distributed Denial of Service-Attacken auf Webseiten von Mitgliedstaaten im Kontext des Konfliktes beobachtet worden. Bei diesen werden von möglichst vielen Stellen gleichzeitig große Datenmengen auf Webserver “geschossen”, um sie in die Knie und möglicherweise zu Fehlfunktionen zu zwingen. Das gilt unter IT-Experten als eine der am besten abzuwehrende Art von Angriffen und ist nicht besonders raffiniert.

    Problematischer wäre derzeit die andere Richtung, sagt IT-Sicherheitsforscherin Haya Schulmann: Ausgerechnet aus deutschen Netzen kämen vergleichsweise viele Angriffe auf israelische Sites. Das müsse nicht absichtlich sein, sondern könnten auch gekaperte Webserver oder Endgeräte sein. Ein eigentlich bekanntes Problem, das aber nach wie vor wenig adressiert wird.

    Deutschland tue ihrer Meinung nach noch zu wenig, sagt Schulmann: “In Deutschland sind mehrere wichtige Knotenpunkte, die könnten etwa Schadverkehr frühzeitig ausleiten”, fordert sie. Insbesondere der DECIX-Knoten mit Hauptsitz in Frankfurt am Main ist ein hochrelevantes internationales Datendrehkreuz, bei dem täglich bis zu 15 Terabit Daten pro Sekunde zwischen den verschiedenen Teilnetzen durchgeleitet werden.

    Lernen durch Zuschauen

    Ein großer Teil der Aufmerksamkeit in Europa gilt momentan aber weniger der Reaktion als der Beobachtung und Auswertung der Vorkommnisse in Israel. Die EU-Mitgliedstaaten schauen aufmerksam auf das, was dort auch unter Kriegsführungsaspekten geschieht. Speziell die Rolle von gehackten Überwachungskameras, die dem Feind Aufschluss etwa über Truppenbewegungen geben können, interessiert die Entscheider. Auch außerhalb von Kritischen Infrastrukturen könnten solche Live-Lagebilder Auskunft, etwa über Truppenbewegungen gegeben. In dem Fall, dass der Angriff Russlands auf die Ukraine nicht das Ende des europäischen Kriegsgeschehens bleibt, wäre das hochrelevant.

    Und auch die Frage, ob es mittelfristig klug ist, auf chinesische Anbieter wie Hikvision für Internet-der-Dinge-Lösungen für Sensorik und Überwachung zu setzen, wird unter dem Eindruck der Ereignisse in Israel immer offensiver gestellt. Ob Europa dafür mit Cyber Resilience Act, NIS2 und CER-Richtlinie regulatorisch ausreichend gerüstet und vor allem schnell genug agieren kann, das diskutieren Verantwortungsträger allerorten in Europa derzeit – im üblichen Durcheinander. Denn Sicherheit ist weiterhin die Domäne der Mitgliedstaaten.

    Was die digitale Konfliktdimension der Israel-Hamas-Auseinandersetzungen und deren unmittelbare Auswirkungen betrifft, scheinen die meisten Europäer allerdings derzeit eher ruhig zu bleiben. “Europa sollte nicht übermäßig in Sorge sein, aber wachsam”, mahnt der VVD-Abgeordnete Bart Groothuis. “Und wenn etwas passiert, müssen wir schnell und mit starken Strafverfolgern dafür sorgen, dass der Rechtsstaat besteht.”

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    Verpackungsverordnung: Parlament stimmt im November ab

    Am 21. November wird das EU-Parlament über seine Position zur Überarbeitung der Richtlinie für Verpackungen und Verpackungsabfall abstimmen – beinahe genau ein Jahr, nachdem die EU-Kommission ihren Vorschlag für die neue Verordnung vorgelegt hat.

    Das Ziel der Initiative: die Abfallhierarchie stärker in dem Gesetz verankern, sodass neben dem Recycling vor allem das Vermeiden von Verpackungsabfällen und die Wiederverwendung von Verpackungen und Materialien vorgeschrieben werden. EU-weit sollen durch den Übergang in eine Verordnung harmonisierte Vorschriften gelten. Schließlich erzeugte im Jahr 2021 jede Person in der EU im Schnitt 188,7 Kilogramm Verpackungsabfälle. Ohne zusätzliche Maßnahmen rechnet die Kommission für das Jahr 2030 mit 209 Kilogramm pro Person.

    Der Vorschlag hatte eine heftige Kontroverse zwischen Recycling- und Mehrwegbefürwortern und eine enorme Beteiligung an der öffentlichen Konsultation ausgelöst. An dem Dossier beteiligte Europaabgeordnete sprachen von einer rekordverdächtigen Anzahl an Lobbyanfragen. Den stärksten Widerstand hatte es in Bezug auf die Mehrwegziele für verschiedene Sektoren und Verpackungsformate gegeben (Artikel 26). Dabei hatte die Kommission einige ambitionierte Ziele bereits im Vorfeld heruntergeschraubt.

    Umweltausschuss schärft Kommissionsentwurf

    Der Umweltausschuss hat den Berichtsentwurf von Frédérique Ries (Renew) Ende Oktober angenommen. Die Abgeordneten wollen unter anderem:

    • den Verkauf von sehr leichten Kunststofftragetaschen (unter 15 Mikron) verbieten, es sei denn, sie sind aus hygienischen Gründen erforderlich oder werden als Primärverpackung für lose Lebensmittel verwendet, um Lebensmittelverschwendung zu vermeiden.
    • neben den Gesamtzielen auch spezifische Ziele für die Reduzierung von Kunststoffverpackungen festlegen (zehn Prozent bis 2030, 15 Prozent bis 2035 und 20 Prozent bis 2040).
    • einen Mindestanteil an recyceltem Material für Verpackungen vorschreiben und dafür Ziele für 2030 und 2040 festlegen.
    • die Verwendung von absichtlich zugesetzten “dauerhaften Chemikalien” (per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen oder PFAS) und Bisphenol A in Lebensmittelverpackungen aus Gesundheitsgründen verbieten.
    • zwischen wiederverwendbaren und wiederbefüllbaren Verpackungen unterscheiden und unterschiedliche Anforderungen und Mehrwegquoten an diese zu einem späteren Zeitpunkt festlegen.
    • die Mehrwegziele für den Take-away-Sektor streichen. Endvertreiber von Getränken und Speisen zum Mitnehmen sollen den Verbrauchern ermöglichen, ihre eigenen Behälter zu verwenden.
    • Mehrwegquoten für Endvertreiber vorschreiben, etwa 20 Prozent für nicht-alkoholische Getränke bis 2030.
    • die Mitgliedstaaten verpflichten, bis 2029 90 Prozent der in Verpackungen enthaltenen Materialien (Kunststoff, Holz, Eisenmetalle, Aluminium, Glas, Papier und Pappe) getrennt zu sammeln.
    • Online-Diensteanbietern die gleichen erweiterten Verpflichtungen zur Herstellerverantwortung auferlegen wie den Herstellern.
    • eine Ausnahmeregelung für Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten vorsehen.

    Union macht Druck im Bundestag

    Auf der zweiten Plenartagung im November wird das Parlament nun über das Verhandlungsmandat abstimmen. Sobald auch der Rat sein Mandat beschlossen hat, können die Trilog-Verhandlungen beginnen. Die Vorschläge der spanischen Ratspräsidentschaft liegen dem Bericht des Umweltausschusses in vielen Punkten nicht fern. Etwa schlug auch Spanien für den umstrittenen Artikel 26 die Möglichkeit vor, anhand unterschiedlicher Ziele zwischen Wiederverwendung und Wiederbefüllung zu unterscheiden.

    Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hatte angekündigt, sich im Rat trotz der harmonisierten Vorschriften für einen weiterhin großen Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten einzusetzen, damit diese auch ambitioniertere Maßnahmen entwickeln können. Dies wäre vor allem hinsichtlich der geplanten Mehrwegziele wichtig, denn Deutschlands Mehrwegquoten und -ziele sind bereits heute deutlich höher als die Ziele des Kommissionsentwurfs. Das deutsche Verpackungsgesetz sieht bereits seit Anfang 2023 vor, dass Gastronomiebetriebe Mehrwegverpackungen für Take-Away-Speisen anbieten.

    Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag fordert mit Blick auf die Verhandlungen von der Bundesregierung, einen technologieoffenen Ansatz zu verfolgen und sich im Rat im Sinne kleiner und mittelständischer Unternehmen für “möglichst bürokratiearme Regelungen” einzusetzen. Mitte Oktober stellte die Fraktion einen Antrag im Bundestag, in dem sie auch den Schutz der “gut funktionierenden Rücknahmesysteme für Mehrweg- und Einwegverpackungen” in Deutschland fordert. Überbordende Governance-Strukturen dürften diese Systeme nicht gefährden, heißt es darin.

    BMUV plant bereits Gesetz gegen Verpackungsmüll

    Der Umweltausschuss plant nun eine Anhörung zu diesem Antrag. Dann soll auch diskutiert werden, wie die EU-Verpackungsverordnung mit der Novellierung des deutschen Verpackungsgesetzes zusammenwirken kann.

    Der SPD-Abgeordnete Michael Thews betonte während der Aussprache im Bundestag: “Wenn die Verhandlungen nicht vor der Europawahl abgeschlossen werden, müssen wir in Deutschland handeln und unser Verpackungsgesetz reformieren, um (ambitioniertere) Recyclingquoten und das Fondsmodell auf den Weg zu bringen.” Nur so könne ausgeglichen werden, dass der Ölpreis immer wieder für Schwankungen der Rezyklateinsatzraten und Hemmnisse für Investitionen sorge. Den Gesetzgebungsprozess in Brüssel noch in der laufenden Legislaturperiode vollständig abzuschließen, wäre nicht unrealistisch, aber durchaus ambitioniert.

    Das Bundesumweltministerium hat bereits im Juni Eckpunkte für ein deutsches Gesetz für weniger Verpackungsmüll vorgestellt. Damit will sie der EU-Verordnung in einigen Teilen zuvorkommen. Unter anderem will das BMUV die Vorgaben für mehr Mehrwegverpackungen in der Gastronomie und im Handel deutlich ausweiten. Supermärkte müssen demnach zum Beispiel pro Getränkesorte (Wasser, Bier, alkoholfreie Getränke, Saft und Milch) mindestens ein Produkt mit Mehrwegverpackung anbieten. Verbraucherinnen sollen ihre Mehrwegflaschen zudem überall abgeben können, wo Getränke verkauft werden. Mit weiteren Maßnahmen wolle das Ministerium warten, bis “auf europäischer Ebene dazu mehr Klarheit besteht”.

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    Sozialkonferenz: Impulse für die nächste EU-Kommission

    Eine hochrangig besetzte Konferenz will heute sozialpolitische Impulse für die nächste EU-Kommission entwickeln. Bei der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ausgerichteten Veranstaltung sprechen unter anderem Sozialkommissar Nicolas Schmit, die Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbunds Esther Lynch sowie Oliver Röpke, der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses.

    “Wettbewerbsfähigkeit wird nicht durch bloßen Regulierungsabbau besser, und Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft dürfen in einer verflochtenen Wirtschaft nicht an Grenzen enden“, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zu Table.Media.

    Ein Schwerpunkt soll demnach die Altersvorsorge sein. Man wolle sich darüber austauschen, wie die Rentensysteme in den Mitgliedstaaten langfristig finanziert werden können “und zugleich angemessene Beiträge und angemessene Leistungen vorweisen”, sagte Heil. Zu Gast sind auch die für Arbeit zuständigen Ministerinnen und Minister aus Frankreich, Belgien, Bulgarien und den Niederlanden sowie der Arbeitgeberverband BusinessEurope neben weiteren Sozialpartnern. Die Konferenz wird per Livestream übertragen. Okb

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    Union macht Druck bei Bergrechtsreform

    Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) hat für die geplante Modernisierung des Bergrechts noch keine Eckpunkte vorgelegt. Laut der Antwort des BMWK auf eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion, die Table.Media vorliegt, steckt die Novelle des Bundesberggesetzes (BBergG) noch im Stadium der Erarbeitung von Eckpunkten.

    “Die Überarbeitung des Bundesberggesetzes für heimische Vorkommen lässt trotz Ankündigung weiter auf sich warten”, kritisierte Fraktionsvize Jens Spahn (CDU). “Das Risiko, dass nach der Gaskrise eine Metallkrise kommt, ist real. Deshalb bräuchte es eine neue Rohstoffstrategie”, sagte er zu Table.Media.

    Durch die im Koalitionsvertrag und in den Eckpunkten für eine deutsche Rohstoffstrategie für diese Legislaturperiode angekündigte Überarbeitung des Gesetzes von 1980 soll die Rohstoffgewinnung in Deutschland ökologisch ausgerichtet und erleichtert werden.

    Vor allem die Gewinnung einer Reihe an Baurohstoffen ist laut dem BMWK unter Umwelt- und Klimaschutzaspekten vorzugswürdig gegenüber Importen mit langen Transportwegen. Generell müssten die Umwelt- und Klimaschutzaspekte allerdings projektspezifisch und nicht pauschal für einzelne Rohstoffe beurteilt werden. Auch die Gewinnung der Lithiumvorkommen in Deutschland würde die Bundesregierung “grundsätzlich begrüßen”, auch wenn Deutschland weiterhin auf den Import des Batterierohstoffs angewiesen wäre.

    Oberflächennahe Geothermie soll nicht mehr unter Bergrecht fallen

    In der Antwort des BMWK heißt es: “Die Bundesländer, die das Bundesberggesetz ausführen, haben bereits in den letzten Jahren an einer ,Einer-für-alle’-Bergbau-Lösung zur Schaffung eines Online-Portals zur Durchführung der bergrechtlichen Verfahren gearbeitet”. Mit finanzieller Unterstützung des Bundes sei das Bergpass-Portal aufgesetzt worden, das durch die Datenbank “Bergbauinformationssystem” ergänzt werde. Um die Verfahren der Bergbehörden zu digitalisieren, solle die Schriftformvorgabe von Artikel 16 des Bundesberggesetzes im Rahmen der Novelle des Onlinezugangsgesetzes (OZG) angepasst werden.

    Das BMWK verweist auch auf die Eckpunkte zum Bürokratieentlastungsgesetz IV: In diesen ist eine Anpassung des Bundesberggesetzes vorgesehen, damit die oberflächennahe Geothermie eindeutig nicht unter das Bergrecht fällt. Dadurch werde Bürokratie abgebaut.

    In Bezug auf die Genehmigungsverfahren sei “zu beachten, dass die konkrete Genehmigung und Aufsicht bei Vorhaben der Gewinnung heimischer Rohstoffe in der Kompetenz der Länder liegen”, heißt es jedoch auch in der Antwort des BMWK. “Eine Reihe von Abbauvorhaben sind zudem auch rechtlich nicht durch das Bundesrecht wie das Bundesbergesetz (BBergG), sondern durch das sogenannte Abgrabungsrecht der Länder geregelt.”

    “Der willkürliche Verweis auf Bundesländer, EU oder die Eigenverantwortung der Unternehmen entlässt die Bundesregierung nicht aus der Verantwortung, hier zu klaren Entscheidungen und Maßnahmen zu kommen”, sagte Jens Spahn. leo

    E-Autos und Brexit: Habeck für Aussetzung der Zölle

    Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) setzt sich dafür ein, dass bei Exporten zwischen Großbritannien und der EU ab Anfang 2024 keine Zölle auf E-Autos erhoben werden. Das machte Habeck nach Gesprächen mit Regierungsvertretern in Großbritannien deutlich, wo er für eine internationale AI-Konferenz war. Dabei habe er auch mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen über das Thema gesprochen. Anfang 2024 treten neue Zollregeln in Kraft.

    Sie sehen vor, dass E-Autos mit einem Zoll in Höhe von zehn Prozent belegt werden, wenn weniger als 45 Prozent der Wertschöpfung in der EU und Großbritannien stattgefunden hat. Da die Batterieproduktion für BEV in Europa und Großbritannien gerade erst anläuft, wird eine Wertschöpfung von 45 Prozent auf Jahre hinaus nicht erreicht werden. Sowohl britische Hersteller als auch europäische Hersteller warnen daher beim Export ihrer Produkte vor Zöllen und befürchten Wettbewerbsnachteile.

    Habeck sagte: “Die Entscheidung muss europäisch gefällt werden. Aber ich werbe dafür, dass auch die anderen europäischen Partner sie unterstützen.” VDA-Präsidentin Hildegard Müller begrüßt den Vorstoß von Habeck: “Wir appellieren an die Europäische Kommission, die Beratungen zügig weiter voranzutreiben und den Mitgliedstaaten zeitnah eine Verlängerung der geltenden Ursprungsregelungen um drei Jahre vorzuschlagen.” Mit dem Jahresende in Sichtweite bräuchten die Unternehmen auf beiden Seiten des Ärmelkanals Planungssicherheit. mgr

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    Loss-and-Damage-Fonds soll bei Weltbank angesiedelt sein

    Trotz der Vorbehalte von Entwicklungsländern und den Vereinigten Staaten sind die Länder am Samstag der Einrichtung des sogenannten “Loss-and-Damage-Funds” einen wichtigen Schritt näher gekommen. Die Unterhändler einigten sich in Abu Dhabi auf eine Grundstruktur für den Fonds zur Unterstützung armer Staaten, die durch Klimakatastrophen Schäden erleiden.

    Demnach wollen die Länder empfehlen, dass der Fonds bei der Weltbank angesiedelt wird. Und zwar zunächst für einen Interimszeitraum von vier Jahren. Die Ansiedlung bei der Weltbank hatte zuvor für Streit gesorgt. Denn der Chef der Weltbank wird von dem Präsidenten der USA ernannt. Kritiker befürchten deswegen einen zu großen Einfluss der Geberländer auf den Fonds. Das Ganze muss noch auf der Weltklimakonferenz COP28 in Dubai final beschlossen werden.

    Auch China als Geberland deklariert

    Die Empfehlung der Staaten für die COP28 sieht auch vor, dass China als Großemittent ebenfalls in den Geldtopf einzahlen muss. Die Volksrepublik selbst will im internationalen Klimaschutz weiter als Entwicklungsland behandelt werden, so wie es vor 30 Jahren im Kyoto-Protokoll festgelegt worden war. China gehöre seit der Einigung vom Wochenende aber nun klar zu den Adressaten für die Einzahlung in den Fonds, hieß es aus dem Bundesentwicklungsministerium. Alle Zahlungen seien allerdings freiwillig.

    Klimakommissar Wopke Hoekstra nannte die Einigung auf der Nachrichtenplattform X einen “entscheidenden Schritt nach vorn”, da die Gelder des Fonds für die am meisten vom Klimawandel betroffenen Staaten reserviert seien. Hoekstra betonte, die Einigung solle den Weg für die Erkenntnis ebnen, dass “tiefgreifende Emissionssenkungen in diesem Jahrzehnt der beste Weg zur Minimierung von Verlusten und Schäden sind.” Die EU werde bei der COP28 in Dubai ihre Bemühungen um ehrgeizige Ziele fortsetzen.

    Auch die Bundesregierung begrüßte die Einigung. “Wenn die COP in Dubai diesen Vorschlag annimmt, kann der Fonds kurzfristig seine Arbeit aufnehmen und den besonders vom Klimawandel betroffenen Länder schon mit ersten finanziellen Unterstützungen helfen”, so Jochen Flasbarth, der zuständige Staatssekretär im Bundesentwicklungsministerium. Angepeilt ist ein Start für das Jahr 2024.

    Kritik aus dem globalen Süden

    Andere sind weniger optimistisch aufgrund der Einigung von Abu Dhabi. “Es ist ein düsterer Tag für die Klimagerechtigkeit, da sich die reichen Länder von den gefährdeten Gemeinschaften abwenden”, sagte Harjeet Singh vom Climate Action Network International (CAN). Die reichen Länder hätten die Entwicklungsländer nicht nur gezwungen, die Weltbank als Träger des Fonds für Schäden und Verluste zu akzeptieren, kritisierte Singh. “Sondern sie haben sich auch ihrer Pflicht entzogen, bei der Bereitstellung finanzieller Unterstützung für diese Gemeinschaften und Länder eine führende Rolle zu übernehmen, so Singh.”

    Bereits im vergangenen Jahr, bei der COP27 in Ägypten, hatten sich die Länder grundlegend auf die Einrichtung eines Fonds für Schäden und Verluste geeinigt. Dies galt als Durchbruch für die Entwicklungsländer. Reichere Länder hatten sich zunächst gegen einen solchen Fonds gewehrt. In den vergangenen elf Monaten gab es allerdings Schwierigkeiten, einen Konsens über die Einzelheiten des Fonds zu erzielen, beispielsweise darüber, wer Empfängerland und wer Gebernation ist sowie wo der Fonds angesiedelt sein soll. rtr/dpa/lei

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    Von der Leyen lobt Kiews EU-Beitrittsbemühungen

    Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am Wochenende die Bemühungen der Ukraine beim EU-Beitrittsprozess gelobt. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Kiew mit Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte sie, die Ukraine habe “ausgezeichnete Fortschritte” auf dem Weg zum EU-Beitritt gemacht und trotz des Krieges mit Russland viele Meilensteine erreicht. Dabei hob sie auch die Justizreformen in Kiew hervor.

    Von der Leyen sagte weiter: “Ich weiß, dass Sie dabei sind, die noch ausstehenden Reformen zu vollenden.” Wenn dies geschehe und in der Hinsicht sei sie optimistisch, könne “die Ukraine ihr ehrgeiziges Ziel erreichen, die nächste Stufe des Beitrittsprozesses zu erreichen.”

    Es wird erwartet, dass die EU am Mittwoch in einer Bewertung darlegt, wie weit die Ukraine bei der Erfüllung der EU-Beitrittskriterien ist. Dazu gehören verschiedene wirtschaftlicher, juristische und andere Kriterien. Im Dezember beim Gipfeltreffen der 27 EU-Staaten werden diese dann über die Aufnahme möglicher Beitrittsgespräche entscheiden. Dafür ist eine einstimmige Entscheidung nötig.

    Selenskyj: “Reformen werden weitergehen”

    Selenskyj betonte, die Ukraine werde nicht aufhören, ihre Institutionen umzugestalten. Die Reformen würden weitergehen. Die Ukraine hatte sich nur wenige Tage nach dem Angriff Russlands auf das Land als EU-Mitglied beworben. Mit Blick auf die anstehende Bewertung sagte Selenskyj: “Diese Entscheidung wird nicht nur für die Ukraine, sondern für ganz Europa von zentraler Bedeutung sein.

    Die ukrainische Bewerbung erhielt bereits Ende vergangener Woche neuen Schwung, als die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte, sie sei zuversichtlich, dass die EU den Antrag der Ukraine im nächsten Monat vorantreiben werde. Beitrittsgespräche dauern in der Regel Jahre und erfordern umfangreiche rechtliche, politische und wirtschaftliche Reformen. Der Fall der Ukraine wurde durch den Krieg noch viel schwieriger. rtr/lei

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    So viele Migranten wie nie erreichen Kanaren

    Fast 32.000 Migranten haben in diesem Jahr die spanischen Kanarischen Inseln auf Booten aus Westafrika erreicht und damit den bisherigen Rekord aus dem Jahr 2006 übertroffen. Das teilten die regionalen Behörden am Sonntag mit. Der bisherige Höchststand lag bei rund 31.700 Menschen.

    Fernando Clavijo, der Regionalchef der Kanarischen Inseln, sagte, die Zahlen zeigten das Ausmaß der humanitären Krise auf den Inseln und forderte mehr Hilfe von der spanischen Regierung und der Europäischen Union. “Die Zahlen von 2006 sind übertroffen worden, aber die Reaktion des Staates und der EU ist nicht dieselbe. Das Migrationsmanagement an der Südgrenze muss eine Priorität auf der spanischen und europäischen Agenda sein”, schrieb er am Samstag im sozialen Netzwerk X.

    Die Zahl der Ankünfte ist in letzter Zeit sprunghaft angestiegen, da das mildere Wetter und die ruhigere See seit September die immer noch gefährliche Überfahrt von Afrika aus leichter machen. Die spanische Regierung erklärte, sie werde zusätzliche Notunterkünfte für etwa 3.000 Migranten in Militärkasernen, Hotels und Herbergen schaffen. rtr

    • Asylpolitik
    • Spanien

    Presseschau

    Von der Leyen: Neues EU-Sanktionspaket gegen Russland nächste Woche HANDELSBLATT
    Von der Leyen macht Ukraine Hoffnung auf EU-Beitritt SUEDDEUTSCHE
    EU-Kommission verurteilt wachsenden Antisemitismus in Europa und kündigt Maßnahmen an HASEPOST
    Grünenpolitiker und EU-Abgeordneter: “Wir müssen von migrantischem Antisemitismus sprechen” FR
    Baerbock wirbt für EU-Vermittlung zwischen Armenien und Aserbaidschan HANDELSBLATT
    EU-Außenministertreffen: Kuss für Baerbock – Kroatiens Außenminister entschuldigt sich STERN
    Moldaus wichtige Rolle beim Schutz der EU-Außengrenze TAGESSCHAU
    Zerfahrene europäische Asylpolitik: Warum Deutschland in der Migration so auf die EU angewiesen ist TAGESSPIEGEL
    Stabilitätsfaktor in Nahost: EU strebt militärische Partnerschaft mit Ägypten an N-TV
    EU vor Wahl besser gerüstet gegen Desinformation im Netz, Risiko bleibt DER STANDARD
    Union macht Druck in Flüchtlingspolitik: Asylverfahren sollen außerhalb der EU stattfinden TAGESSPIEGEL
    Vor Deutschland-Einreise: Zehntausende Geflüchtete haben zuvor in anderen EU-Staaten Asyl beantragt MERKUR
    Experten warnen vor EU-Plänen zu digitalem Ausweis FUTUREZONE
    Österreichs Außenminister fordert Druck der EU auf Herkunftsländer HANDELSBLATT
    Die EZB hat die EU-Länder aus dem Schuldenparadies vertrieben FAZ
    EU fördert Technologie zur Vermeidung der Tötung männlicher Küken TOPAGRAR
    Wegen Druck aus der EU: Tiktok-Chef reist nach Brüssel DER STANDARD

    Heads

    Gerhard Trabert: Sozialer Praktiker, der ins Europaparlament will

    Arzt Gerhard Trabert vor seinem Arztmobil für Wohnungslose. Der Vorstand der Linkspartei hat den Mediziner als Kandidaten fürs Europaparlament nominiert.

    Freitagmorgen, 10 Uhr in Mainz. Gerhard Trabert parkt sein Arztmobil vor einem Wohnungslosentreff. “Braucht hier wer was?”, fragt Trabert die Runde. Der eine braucht ein neues Medikament gegen zu hohen Blutdruck, ein anderer hat Schmerzen wegen eines vereiterten Zahns. Trabert bittet sie jeden ins Arztmobil. Der umfunktionierte Van des Vereins Armut und Gesundheit in Deutschland bietet alles, was ein Arzt auf der Straße braucht: eine Patientenliege, Blutdruckmesser, Aktenschränke. Sogar einige Medikamente sind mit an Bord. “Krankenkassenkarte haben Sie nicht, oder?”, fragt Trabert einen der Männer. “Nee”, sagt der. Trabert versorgt ihn dennoch. Egal, ob versichert oder nicht, Trabert hilft hier in Mainz allen. Das ist seine Philosophie, getreu dem Motto: Die Menschenwürde ist unantastbar.

    Im kommenden Jahr gibt es diese mobile Praxis genau 30 Jahre. “Ich komme zu den Menschen, dort erreicht man sie am besten“, sagt Trabert. Und tatsächlich. Der Mann mit dem vereiterten Zahn hat den Arztbesuch seit knapp zwei Wochen vor sich hergeschoben. Traberts Mobil, das direkt zum Wohnungslosentreff gekommen ist, macht es ihm leicht. Das sogenannte “Mainzer Modell”, das Trabert mit der mobilen Praxis ins Leben gerufen hat, findet inzwischen überall in Deutschland Anerkennung und Nachahmer.

    Linkenvorstand nominiert ihn für Europaparlament

    Ausgerechnet 2024, im Jubiläumsjahr der mobilen Arztpraxis, könnte der 67-Jährige das Metier wechseln: Vom Mediziner, der ganz praktische Hilfe leistet, zum Europaparlamentarier, der um Formulierungen in EU-Gesetzen ringt. Der Linkenvorstand hat den parteilosen Trabert für Platz vier der EU-Liste nominiert. Ein Platz mit soliden Chancen, um ins Parlament zu kommen. Noch muss das Ganze beim Parteitag in Augsburg am 18. November bestätigt werden.

    Seine Nominierung ist ein smarter Schachzug der Partei. Denn Trabert wendet in der Praxis an, was viele Anhänger der Linken umtreibt: Er kämpft jeden Tag für soziale Gerechtigkeit. Kompetent, unaufgeregt, aber mit viel Leidenschaft und vor allem auf Augenhöhe, wie an diesem Tag vor dem Wohnungslosentreff. “Der ist ein Guter. Da hat man den Eindruck, dass er einen als Menschen sieht”, sagt einer der Patienten über Trabert. Auf den Mainzer Straßen winken ihm immer wieder Menschen zu. “Ah, der Herr N.!*”, ruft der Trabert da zum Beispiel aus. Der 67-Jährige kennt sie oft mit Namen.

    Vom Arbeiterkind zum angesehenen Mediziner

    Auch außerhalb der Partei wird Traberts Engagement als “Arzt für die Armen” anerkannt: Schon 2004 bekommt er das Bundesverdienstkreuz am Bande, 2014 die Paracelsus-Medaille, die höchste Auszeichnung der deutschen Bundesärztekammer. Die Liste ließe sich lange weiterführen. Traberts Renommee zeigt sich auch, als er 2021 Direktkandidat bei der Bundestagswahl in Mainz für die Linke wird. Dort holt er 12,4 Prozent, das beste Ergebnis allen westdeutschen Kandidaten, für den Einzug in den Bundestag reicht es dennoch nicht. Parteimitglied ist er keines, das soll auch so bleiben, sagt er Table.Media. Dennoch sieht er viele seiner Anliegen am besten bei der Partei die Linke verkörpert.

    Doch Trabert ist der Erfolg nicht in den Schoß gefallen. Er ist Arbeiterkind, als Erster aus seiner Familie schafft er es an die Uni. Erst studiert er Sozialpädagogik, arbeitet danach im Krankenhaussozialdienst. Angestachelt von einigen Ärzten, die herablassend mit ihm umgehen, fasst er einen neuen Entschluss: Er will Medizin studieren. Es gelingt ihm, für das Zweitstudium zugelassen zu werden, obwohl er dazu sogar zum Anwalt muss. Im Studium hilft ihm das Begabtenstipendium der Evangelischen Kirche. Ein weiteres Stipendium ermöglicht ihm auch noch, eine Dissertation zum Thema Gesundheitssituation und medizinische Versorgung von wohnungslosen Menschen zu schreiben.

    Ein umtriebiger Kämpfer

    Später, als ausgebildeter Mediziner, kämpft er dann wieder. In diesem Fall mit der Krankenkasse um eine Kassenzulassung für seine mobile Arztpraxis. “Als ich damit ankam, da gab es das hier in Deutschland noch nicht. Dann bin ich denen monatelang hinterhergerannt”, sagt Trabert.

    Es gelingt: Sein Arztmobil ist das erste bundesweit, das mit der Kasse abrechnen kann. Ein weiteres Projekt von ihm: eine Poliklinik für Menschen ohne Krankenversicherungen. Trabert schafft Tatsachen, indem er etwa die Miete für die Räume die ersten Monate aus eigener Tasche zahlt. Erst später wird klar, dass sich das Projekt aus Spendengeldern trägt. Trabert findet immer neue Herausforderungen: Aktuell sammelt er Spenden für medizinische Hilfe in der Ukraine.

    Es ist vor allem praktische Hilfe, die Trabert vor Ort in Mainz leistet. Überhaupt Mainz: Hier ist er aufgewachsen, hier lebt er noch immer, hier ist er mit dem Arztmobil unterwegs. Doch auch die europäische Ebene kennt der Mediziner. 2014 und 2015 war er als Berater der EU-Kommission angestellt zum Thema Armut und Gesundheit in Deutschland. Von 2005 bis 2013 war er Delegierter der Nationalen Armutskonferenz Deutschland für das europäische Armutsnetzwerk.

    Wird ihm die praktische Arbeit fehlen?

    Seine Themen fürs EU-Parlament liegen auf der Hand. “Soziale Gerechtigkeit, Armut und Zugang zur Gesundheitsversorgung”, zählt der Mediziner auf. Konkrete Ideen hat er auch. Nachbesserungsbedarf sieht er zum Beispiel beim EU-weiten Krankenversicherungsschutz. “Momentan bekommt jeder nur Leistungen in der Höhe der Kosten seines oder ihres Heimatlandes bezahlt.” Das führe dazu, dass beispielsweise Menschen aus Rumänien oder Bulgarien in Ländern wie Deutschland die Behandlung oft teils selbst zahlen müssen. Auch die Sperre von EU-Migranten in der Sozialversicherung in den ersten Monaten nach Umzug in Länder wie Deutschland ist ihm ein Dorn im Auge. Ein weiteres Anliegen: der Umgang mit Geflüchteten in der EU. Mehrfach war er in Lesbos im Flüchtlingslager als Arzt und auf hoher See als Seenotretter.

    Für Trabert wäre der Job als EU-Parlamentarier ein echter Seitenwechsel. Ob ihm, dem Praktiker, das reichen wird? Da zuckt Trabert in seinem Sprechzimmer die Schultern und grinst ein wenig unsicher. “Ich will so viel es geht weiter praktisch mit Menschen machen, weiter auf Seenotrettungsmission gehen und Arztmobil fahren.” Auch politisch wird es für den Unabhängigen nicht ganz einfach. Denn als Parteiloser kennt er die Machtmechanismen der Partei nicht, die durchaus wichtig sein können, um sich selbst und seine Themen zu positionieren.

    Den Spagat zwischen Theorie und Praxis ist der Mediziner gewöhnt. Die Touren mit dem Arztmobil macht er nur im Nebenjob, hauptberuflich ist er Professor für Sozialmedizin an der Hochschule RheinMain. Wenn er im Juni ins Europaparlament einzieht, wird er als Hochschullehrer kürzertreten. Die Studenten werden den Seitenwechsel bedauern. Alina Leimbach

    * Name von der Redaktion abgekürzt

    • Die Linke
    • Europawahlen 2024
    • Gesundheitspolitik
    • Sozialpolitik

    Europe.Table Redaktion

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