knapp 60 Minuten Zeit zum Stricken hatte Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager am Mittwochmorgen. Währenddessen hielt ihre Chefin nur wenige Meter entfernt im EU-Parlament in Straßburg die wichtigste Rede des Jahres.
Statt zu stricken, haben wir uns Ursula von der Leyens State of the EU-Rede (SOTEU) genau angeschaut und analysieren in der heutigen Ausgabe die wesentlichen Ankündigungen. Wir schauen auch darauf, was nicht erwähnt wurde.
Der geplanten European Chips Act wurde erwähnt. Er soll Europa technologische Souveränität bringen und ist die Antwort auf ähnliche Initiativen in den USA und China. Till Hoppe hat sich die wichtigsten Elemente und die Reaktionen angeschaut. Eins vorweg: Die Erwartungen an das Gesetzesvorhaben sind riesig.
Neben der SOTEU-Rede wurde in Straßburg gestern auch aktive Politik gemacht, wie Jasmin Kohl berichtet. Die Blue Card-Richtlinie soll das Erteilen einer Arbeitserlaubnis für Nicht-EU-Bürger erleichtern.
Zu guter Letzt hat Charlotte Wirth noch einen etwas anderen Blick auf die SOTEU-Rede, im Apéropa, am Ende des heutigen Europe.Table.
Industriepolitik galt in Europa lange als verpönt – jedenfalls außerhalb Frankreichs. Das hat sich gründlich geändert, wie Peter Altmaier am Mittwoch zufrieden feststellte: Er sei “sehr erfreut”, dass über die Notwendigkeit von Industriepolitik auch im Wahlkampf “Konsens” herrsche. Für seine Industriestrategie hatte der Bundeswirtschaftsminister 2019 noch verbal Prügel kassiert.
Seither hat sich auch die EU-Kommission weitgehend vom Mantra vollständig freier Märkte verabschiedet. Das neue Leitmotiv lautet: technologische Souveränität. Deutlich wird das im “Europäischen Chips-Gesetz”, das Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der EU ankündigte.
Europa hänge von Hochleistungschips aus Asien ab, warnte von der Leyen angesichts der Lieferengpässe in mehreren Branchen. Dies sei nicht nur ein Problem der Wettbewerbsfähigkeit, sondern eben auch der technologischen Souveränität. “Lassen Sie uns unsere ganze Energie darauf richten”, forderte die Kommissionspräsidentin.
Industriekommissar Thierry Breton soll den Chips Act nun bis Ende 2022 ausarbeiten. Der Franzose misst der Halbleiterindustrie größte strategische Bedeutung bei: “Das Rennen um die fortschrittlichsten Chips ist ein Rennen um technologische und industrielle Führerschaft”, schrieb er in einem Post in seinem Kommissarsblog und auf LinkedIn.
So versuchten die USA, ihre Versorgung mit Hochleistungschips mit massiven Investitionen und damit Subventionen im Rahmen des Chips for America Act zu sichern. China bemühe sich, seinen technologischen Rückstand trotz Exportkontrollen wettzumachen.
Breton will dem nun eine “kohärente europäische Vision” entgegensetzen. Zu dem European Chips Act sollten aus seiner Sicht drei Elemente gehören:
Der Chips Act soll das vorhandene Instrumentarium ergänzen und aufeinander abstimmen. Bislang setzen Kommission und EU-Staaten stark auf die Industrie-Allianz Alliance on Processors and Semiconductor und auf sogenannte “Important Project of Common European Interest”-Förderprojekte, um der heimischen Chipindustrie auf die Sprünge zu helfen. Altmaier arbeitet mit Breton und seinem französischen Kollegen Bruno Le Maire an einem zweiten solchen IPCEI für die Mikroelektronik.
Schon im Oktober, so die interne Planung, soll es bei der Kommission für die beihilferechtliche Prüfung prä-notifiziert werden. Die Vorhaben müssten “auf die Straße gebracht werden, und zwar sehr schnell”, so Altmaier. Den Subventionsbedarf beziffert er auf bis zu zehn Milliarden Euro.
Bislang müssen die Mittel für die IPCEIs aus den Mitgliedstaaten kommen. Aus dem EU-Haushalt fließt vor allem Geld für die Forschungsförderung. Breton will nun zusätzlich einen “Europäischen Halbleiterfonds” auflegen, nannte aber keine weitere Einzelheiten. Altmaier reagierte reserviert: Das bisherige System halte er “für eine sehr gute Arbeitsteilung”. Die neue Bundesregierung werde die konkreten Vorschläge bewerten müssen, wenn sie dann vorlägen.
In Europaparlament und Industrie kommen die Pläne von der Leyens und Bretons gut an. “Es ist höchste Zeit, dass wir hier aktiv werden”, sagte der binnenmarktpolitische Sprecher der EVP-Fraktion, Andreas Schwab. Marcel Kolaja, Pirat aus Tschechien (Grüne/EFA): “Was ambitioniert klingt, ist ein notwendiger Schritt. Aber alles hängt davon ab, welche konkreten Schritte die Kommission nun unternehmen will.” Er gehe davon aus, dass die Mitgliedstaaten zur Kooperation bereit seien.
Der Grünen-Industriepolitiker Reinhard Bütikofer wies auf “die Mühen der Umsetzung” hin. Er sehe auch eine geopolitische Dimension. “Ich fände es spannend, wenn die Kommission sich trauen würde, bei ihrem Ziel der Schaffung eines europäischen Chip-Ökosystems gezielt mit Taiwan zusammenzuarbeiten“.
Der Vorsitzende der Geschäftsführung des Branchenverband ZVEI, Wolfgang Weber, verwies auf die wachsende Bedeutung von Mikrochips für viele Bereiche der Wirtschaft. Diese seien für die digitale Transformation und die erfolgreiche Umsetzung des Green Deal essenziell. Daher müssten Chip-Gesetz und Halbleiterallianz “das Mikroelektronik-Ökosystem in Europa stärken und ausbauen”. Der Verband arbeite derzeit an einer eigenen Roadmap, was in Europa zu tun sei.
Bitkom-Präsident Achim Berg betonte, die europäischen Chip-Hersteller müssten verlässlich für den Weltmarkt produzieren. “Sie können nicht auf einen Fingerschnipp hin ihre Lieferungen zu EU-Kunden umlenken.”
Es ist noch nicht lange her, da wäre kaum jemandem in den Sinn gekommen, solche Mahnungen auszusprechen. Mitarbeit: Falk Steiner, Jasmin Kohl
Als Reaktion auf die Corona-Pandemie will Ursula von der Leyen eine “Gesundheitsunion” aufbauen. Als tragende Säule soll dabei eine neue EU-Behörde dienen. Die Health Emergency Preparedness and Response Authority (HERA) soll mögliche gesundheitliche Notlagen rechtzeitig erkennen und die EU-Reaktion koordinieren. Die bisher zuständige EU-Agentur ECDC war mit dieser Aufgabe überfordert.
Zudem soll es eine neue Krisenvorsorge- und Resilienzmission für die gesamte EU geben. “Sie sollte bis 2027 durch Investitionen von Team Europa im Umfang von 50 Milliarden Euro unterstützt werden”, so die Kommissionspräsidentin. Die Summe soll aus mehreren Finanzquellen aufgebracht werden. Details werden erst am Donnerstag bekannt gegeben.
Der Begriff “Team Europa” verweist auf gemeinsame Anstrengungen der EU-Kommission und der Mitgliedsstaaten. Dieser – offenbar noch genauer zu bestimmende – Kreis will auch eine Milliarde Euro investieren, um die mRNA-Produktionskapazitäten in Afrika auszubauen. Die Freigabe der Impfstoff-Patente, wie sie etwa Südafrika fordert, lehnt die EU-Kommission demgegenüber weiter ab. ebo
Von der Leyen erwähnte die eigenen Ambitionen im Kampf gegen den Klimawandel beinahe nur beiläufig, nachdem diese vor einem Jahr noch das Hauptthema der SOTEU-Rede waren. Zwar schmückte sie sich mit den Erfolgen des Green Deals. Dass die meisten Maßnahmen des “Fit for 55”-Pakets, darunter auch der von ihr betonte Klima-Sozialfonds gegen Energiearmut in der EU, noch Jahre benötigen dürften, bis sie in Kraft treten, blieb unerwähnt.
Die Kommissionschefin zog es vor, den Blick auf andere Regionen zu lenken: Sie stellte den globalen Aspekt des Klimaschutzes in den Vordergrund und forderte die USA und China auf, sich stärker dafür einzusetzen. China solle bis Mitte des Jahrzehnts den Kohleausstieg einleiten und die USA gemeinsam mit der EU die Finanzierungslücke schließen, die bei Klimamaßnahmen in den am stärksten gefährdeten Ländern klafft.
Mit Blick auf die Weltklimakonferenz in Glasgow (COP26) kündigte sie an, dass die EU ihre Finanzierung für die weltweite Biodiversität verdoppeln werde. Weitere vier Milliarden Euro (zusätzlich zu den jährlichen 25 Milliarden Dollar) für die Finanzierung von globalen Klimamaßnahmen bis 2027 vorschlagen wolle.
Zudem kündigte Ursula von der Leyen Investitionen in grüne Wasserstoffproduktion in afrikanischen Staaten an. Für die Dekarbonisierungspläne der EU soll Wasserstoff als Energieträger eine entscheidende Rolle spielen. Experten rechnen jedoch mit einem deutlich höheren Bedarf, als durch innereuropäische Produktion gedeckt werden kann. Der CDU-Europaabgeordnete Markus Pieper begrüßt deshalb die Vorschläge von der Leyens. Für die beteiligten afrikanischen Länder biete eine Zusammenarbeit die Chance des Knowhow-Transfers, es handele sich also um eine Win-Win-Situation. til/luk
Im Juli hatten die EU-Außenminister eine Überarbeitung der Konnektivitätsstrategie der EU gefordert, mit einheitlichem Branding (China.Table berichtete). Von der Leyen enthüllte nun den Namen: ”Global Gateway“. Global Gateway solle weltweit zu einer “vertrauenswürdigen Marke” werden, sagte Ursula von der Leyen. Das Ziel benannte sie dabei klar: Chinas aggressivem Infrastrukturausbau im Rahmen der Neuen Seidenstraße entgegentreten. Ein ähnliches Ziel verfolgt auch die geplante EU-Strategie zum Indo-Pazifik-Raum: Es sei ein “Meilenstein”, sagte von der Leyen, auch um die EU als “aktiven Global Player” zu etablieren. Autokratische Regime nutzten die Region jedoch auch im Versuch, ihren Einfluss auszuweiten.
Auf China zielt auch die zweite Initiative ab: ein Importstopp für Produkte aus Zwangsarbeit. Unter anderem das Europaparlament fordert bereits seit längerem ein volles Einfuhr-Verbot für derartige Waren (China.Table berichtete). Von der Leyen zieht nun nach: “Wir werden ein Verbot von Produkten auf unserem Markt vorschlagen, die mit Zwangsarbeit hergestellt wurden. Weil Menschenrechte um keinen Preis käuflich sind”, sagte von der Leyen im Plenum. “Globaler Handel auf der ganzen Welt, das ist gut und notwendig, aber das kann niemals auf Kosten der Würde und Freiheit der Menschen erfolgen.” Ob das Verbot Bestandteil des EU-Lieferkettengesetzes oder ein eigenständiger Rechtsakt wird, sagte Ursula von der Leyen nicht. ari
In der Verteidigungspolitik kündigte von der Leyen zwei Initiativen an. Zum einen soll die Zusammenarbeit mit der Nato ausgebaut werden. Ursula von der Leyen bereitet gemeinsam mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg eine EU-Nato-Erklärung vor, die noch vor Ende dieses Jahres verabschiedet werden soll.
Zum anderen ist unter französischen Ratsvorsitz im Frühjahr 2022 ein “Gipfel zur Europäischen Verteidigung” geplant. Man müsse entscheiden, wie man die Möglichkeiten des EU-Vertrags nutzen könne, erklärte die CDU-Politikerin. Die EU müsse nach dem Debakel in Afghanistan aktiver werden.
Konkret geht es zunächst um die militärische Aufklärung, die in Afghanistan offenkundig versagt hat. Von der Leyen warb für die Idee eines gemeinsamen Lage- und Analysezentrums. Zudem schlug sie eine Mehrwertsteuerbefreiung beim Kauf von Verteidigungsausrüstung vor, die in Europa entwickelt und hergestellt wurde. So könne man die Interoperationalität der Streitkräfte fördern.
Zustimmung signalisierte Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. “Ein deutlicher Sprung nach vorn für die Europäische Verteidigung ist dringend notwendig. Das Fernziel kann dabei eine Europäische Verteidigungsunion sein, wie sie Ursula von der Leyen vorschlägt.” ebo
Unerwartet kam die Ankündigung eines “Cyber Resilience Acts” (CRA): “Wenn alles miteinander vernetzt ist, kann alles gehackt werden”, sagte von der Leyen. Europa müsse bei der Cybersicherheit führend werden und Kräfte bündeln. Der Cyber Resilience Act solle gemeinsame Standards definieren. Zuständig für den CRA wird Binnenmarktkommisssar Thierry Breton sein.
Viel mehr Einzelheiten waren am Mittwoch nicht zu erfahren. Experten nennen als Möglichkeit etwa verpflichtende Mindeststandards für Unternehmen, die nicht zur Gruppe der Kritischen Infrastrukturen gehören. Diese sind bereits heute zu höheren Standards verpflichtet.
Cybersicherheit betreffe immer auch nationale Sicherheitsinteressen, sagt Annegret Bendiek von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Resilienz sei jedoch eine zwingende Voraussetzung für das Funktionieren des gesamten Binnenmarktes: “Es muss jetzt darum gehen, dass der Infrastrukturschutz für den Binnenmarkt eine ausdrückliche Kompetenz der EU wird”. Dies bedeute jedoch nicht, dass die Nationalstaaten keine Mitspracherechte mehr hätten.
Mit dem CRA kommt ein weiteres Vorhaben auf die lange Liste der Cyber-Initiativen: Wie sich der CRA, die Überarbeitung der Netzwerk- und Informationssicherheitsrichtlinie (NIS 2.0), die Cybersicherheits-Verordnung und die Richtlinie über die Widerstandsfähigkeit kritischer Einrichtungen genau zueinander verhalten werden, ist noch unbekannt. fst
Im Streit mit Polen und Ungarn scheint Ursula von der Leyen bereit, den nächsten Schritt zu gehen. Vor den Abgeordneten kündigte sie an, die neue Rechtsstaats-Konditionalität zu nutzen und Verfahren auf den Weg zu bringen, die zu einer Kürzung von EU-Mitteln führen können: In den kommenden Wochen würden die ersten schriftlichen Mitteilungen verschickt, sagte sie. “Wenn es um den Schutz unseres Haushaltes geht, werden wir jeden Fall verfolgen mit allem, was in unserer Macht steht.”
Zu den Werten der EU gehöre auch die Freiheit, sagte von der Leyen. Während der Corona-Pandemie sei die Freiheit der Frauen zu oft eingeschränkt worden, ein Problem sei auch die häusliche Gewalt. Noch 2021 werde die EU-Kommission deshalb ein Gesetz zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen auf den Weg bringen. 2022 ist zudem die Vorlage eines Medienfreiheitsgesetzes geplant.
Das Gesetz gegen Gewalt der Frauen stieß im Europaparlament auf Zustimmung. Kritik gab es dagegen für von der Leyens Kurs gegenüber Polen und Ungarn. “Warum muss das Parlament erst mit einer Klage wegen Untätigkeit drohen, bevor die Kommissionspräsidentin Konsequenzen zieht”, fragte der Chef der SPD-Gruppe im Parlament, Jens Geier. Der neue Rechtsstaatsmechanismus liege noch immer ungenutzt in der Schublade. “Eine Strategie, die Dialog und Handeln verspricht, und dann auf das Handeln verzichtet, ist nutzlos”, sagte Daniel Freund von den Grünen. ebo
Wenige Worte verlor von der Leyen zur Wirtschaftspolitik – abgesehen von einem (Eigen-)Lob für das Krisenmanagement in der Pandemie. Sie kündigte lediglich an, was schon bekannt war: dass die Kommission in den kommenden Wochen die Überprüfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts wiederaufnehmen will, die sie zu Beginn der Corona-Krise unterbrochen hatte. Sie hoffe, “rechtzeitig für 2023 zu einem Konsens über den künftigen Weg” zu gelangen, so Ursula von der Leyen.
Aus der Industrie kommt Kritik: Es sei “enttäuschend”, dass die Kommissionspräsidentin “der Wirtschaft und der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit in ihrer Rede viel zu wenig Raum” gegeben habe, sagte Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Maschinenbauverbandes VDMA. tho
Mit Verweis auf die Corona-Pandemie lobte die Kommissionspräsidentin die Solidarität, mit der die junge Generation älteren Menschen begegnet sei. Als Dank will von der Leyen 2022 zum “Jahr der europäischen Jugend” erklären und diese damit in den Fokus politischer Debatten stellen. Die Beteiligung junger Menschen an der europäischen Debatte, zum Beispiel im Rahmen der Konferenz zur Zukunft Europas, sei enorm wichtig. Wie das gelingen soll, ließ von der Leyen offen.
Die Vorsitzende des Kulturausschusses im Europäischen Parlament, Sabine Verheyen (CDU/EVP) fordert bei der Planung des Jahres, mit Jugendorganisationen und Jugendverbänden zusammenzuarbeiten. Denn: “Erfahrungsgemäß wissen die Jugendlichen am besten, welche Themen, Initiativen und Programme für sie von Relevanz sind”.
Für junge Menschen, “die durchs Netz gefallen sind”, kündigte Ursula von der Leyen ein neues Programm an: “ALMA“. Die Idee erinnert stark an das 2013 eingestellte Leonardo da Vinci-Programm. Mit “ALMA” sollen junge Menschen, die weder eine Arbeit haben noch zur Schule gehen oder in Berufsausbildung sind, wieder die Möglichkeit haben, Berufserfahrung innerhalb der EU zu sammeln. Das Ziel: berufliche Kompetenzen und europäische Identität gleichzeitig entwickeln. koj
17.09.2021 – 12:30-13:15 Uhr, online
BDI, Podiumsdiskussion Zukunftsort Deutschland – Worauf es nach der Wahl ankommt
Die Referent:innen des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e.V. (BDI) werfen einen Blick in die Zukunft und diskutieren über Klimapolitik, Wirtschaft und Innovationen in Deutschland nach der Bundestagswahl. ANMELDUNG
17.09.2021 – 16:00-17:30 Uhr, online
VBW, Podiumsdiskussion Europa im globalen Wettbewerb
Wie kann die EU ihren Wirtschaftsraum im globalen Wettbewerb zukunftsfest machen? Dieser Frage widmen sich die Expert:innen aus Wissenschaft und Politik der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. (VBW). INFOS & ANMELDUNG
19.09.2021 – 17:30-19:00 Uhr, Halle
Körber-Stiftung, Diskussion Wie erreichen wir die Klimaziele 2050?
Oliver Holtemöller (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung), Reiner Klingholz (Demographie-Experte, Autor) und Ulrike Herrmann (Wirtschaftskorrespondentin der Taz) diskutieren darüber, ob das Erreichen der Klimaziele sowie Stabilität für die Wirtschaft vereinbar sind. INFOS
20.09.2021 – 10:00-14:30 Uhr, online
ZVEI, Konferenz KI Security
Referent:innen aus Unternehmen der Technologie- und Sicherheits-Branche berichten über Erfahrungen aus der Praxis und diskutieren über die Einsatzfelder von KI-Technologien in der IT-Sicherheit. INFOS & ANMELDUNG
21.09.2021, 11:15-15:15 Uhr, Madrid/online
EIT Urban Mobility, Presentation Digitalisation and AI: Creating the future of urban mobility
Speakers from government, industry and cities will discuss the role of artificial intelligence in the future of urban mobility. Furthermore, there will be insights into EU measures to promote AI and the latest EIT study on urban mobility in Europe will be discussed. INFOS & REGISTRATION
21.09.2021, 14:15-16:15 Uhr, online
VDMA, Vortrag Startup-Lösungen für den Maschinenbau – Messe 4.0
Neue digitale Technologien und Produkte spielen im Messebereich eine immer größere Rolle. In dieser Veranstaltung des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA) geht es um den möglichen Beitrag von Startups zur Digitalisierung von Messen. INFOS & ANMELDUNG
21.09.2021, 14:30-15:45 Uhr, online
Euractiv, Panel Discussion Fit for 55 on all fronts? Can Europe lead innovation in green maritime?
The EU Commission wants to extend the Emissions Trading System (EU-ETS) to the maritime sector. This event will focus on how the maritime sector can be decarbonized and which innovations are leading the way. REGISTRATION
21.09.2021, 17:00-18:00 Uhr, online
Eco, Discussion Transatlantic Dialogue on Data Transfer: Standard Contractual Clauses
The discussion of the Association of the Internet Industry e.V. (Eco) and the Internet Infrastructure Coalition e.V. (i2Coalition) will focus on the application of the new Standard Contractual Clauses (SCCs) and the state of political development on the protection of personal data on both sides of the Atlantic. REGISTRATION
22.09.2021 – 15:00-16:30 Uhr, online
EUSH, Discussion How buildings will make our cities safe, resilient and sustainable
The EU Science Hub event will focus on the possibilities of adapting buildings to climate change, the possibilities to modernize old buildings and how buildings are affected by climate change. REGISTRATION UNTIL 17.09.2021
Die Europaabgeordneten haben gestern mit großer Mehrheit der überarbeiteten Blue Card-Richtlinie zugestimmt. Dadurch könnten hochqualifizierte Drittstaatsangehörige bald leichter in der EU arbeiten. Die ursprüngliche Richtlinie von 2009 hatte nicht den gewünschten Zuzug von Fachkräften gebracht, weil die Vergabe-Bedingungen zu unattraktiv waren.
Die wesentlichen Neuerungen betreffen Mobilität und Rechte der Bewerber: Statt eines einjährigen Arbeitsvertrages müssen Antragsteller nur noch einen sechsmonatigen Vertrag nachweisen. Auch die Einkommensschwelle wurde herabgesetzt: Das Einkommen muss in Zukunft mindestens dem durchschnittlichen Bruttojahresgehalt des jeweiligen Mitgliedstaates entsprechen und darf nicht höher als das 1,6-Fache davon sein. Bisher mussten Antragsteller ein Einkommen von mindestens 1,5 Bruttogehältern nachweisen. Dieses Kriterium galt als eine der größten Hürden.
Für Antragsteller aus bestimmten Sektoren, darunter die Informations- und Kommunikationstechnologie, wird unter der überarbeiteten Richtlinie nicht nur ihre akademische Erfahrung, sondern auch Berufserfahrung angerechnet. Nachdem sie mindestens ein Jahr in dem Mitgliedstaat gearbeitet haben, in dem sie sich niedergelassen haben, können Inhaber der Blue Card leichter in einen anderen EU-Mitgliedstaat ziehen.
Personen, die Anspruch auf internationalen Schutz haben und sich bereits in einem EU-Mitgliedstaat befinden, können die Blue Card künftig auch in einem anderen Mitgliedstaat beantragen. Auch das Verfahren für Familienzusammenführungen wird erleichtert.
Die Kommission hatte die Überarbeitung der Richtlinie bereits 2016 vorgeschlagen, aber erst im Mai 2021 fanden Parlament und Rat eine Einigung. Bevor die Richtlinie in Kraft treten kann, muss sie der Rat noch annehmen. Dann haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, sie umzusetzen. Jasmin Kohl
Deutschland kann beim Aufbau des Wasserstoffgeschäfts nach Einschätzung von Industrieunternehmen zunächst nicht auf den Einsatz von Erdgas verzichten. “Solange Wasserstoff aus erneuerbaren Energien nicht in ausreichenden Mengen und zu attraktiven Preisen zur Verfügung steht, brauchen wir für den zügigen Marktaufbau auch Wasserstoff aus Erdgas“, sagte der Chef des Öl- und Gaskonzerns Wintershall, Mario Mehren, am Mittwoch auf einem Kongress des Strom- und Gaslobbyverbandes (BDEW) in Berlin.
Wasserstoff spielt eine Schlüsselrolle bei der Energiewende und für die Erreichung der Klimaschutzziele. Er kann etwa in der Stahlindustrie den Einsatz von Kohle ersetzen und für Prozesse in der Chemieindustrie und im Verkehrssektor genutzt werden. Die Bundesregierung will den Aufbau des Marktes mit Milliardensummen unterstützen. Damit das Klima geschont wird, soll der Wasserstoff mit Ökostrom produziert werden und damit “grün” sein. Da die Kapazitäten zunächst nicht reichen, kann auch Erdgas eingesetzt werden. Dies trifft bei Umweltschützern jedoch auf Kritik. Beim Einsatz von Erdgas wird zwar weniger CO2 als bei Kohle erzeugt, aber immerhin noch etwa die Hälfte.
“Ich fände es fatal, wenn Gas nicht die Rolle bekommt, als Brücke zu funktionieren”, sagte der Chef von Siemens Energy, Christian Bruch, auf dem Kongress. Gasturbinen, wie auch sein Konzern sie baut, würden noch viele Jahre laufen. Der Rahmen müsse noch klarer definiert werden. “Wir müssen bereit sein nachzusteuern. Das ist für die Bundesregierung, die kommt, wichtig. Wir brauchen Förderung und ein anderes Marktdesign.” rtr
Russland hat auf die hohen Energiepreise in Europa reagiert und erklärt, eine schnelle Genehmigung von Nord Stream 2 könne der Sorge vor möglichen Gasengpässen im Winter entgegenwirken. Ein Sprecher des russischen Präsidenten Vladimir Putin sagte am Mittwoch, die Ostsee-Pipeline werde die Preisparameter für Erdgas in Europa auch auf dem Spotmarkt deutlich ausgleichen – sofern Deutschland einen baldigen Betrieb ermögliche.
Beobachter sehen in der deutlichen Äußerung des Kremls einen weiteren Versuch, Druck auf das Genehmigungsverfahren auszuüben. Die Preise für Erdgas sind in Europa auf Rekordhoch (Europe.Table berichtete). Grund dafür sind auch die geringer ausfallenden Gaslieferungen aus Russland. Der russische Energiekonzern Gazprom hatte in Erwartung einer baldigen Inbetriebnahme von Nord Stream 2 weniger Kapazitäten in den bestehenden Leitungen durch die Ukraine gebucht. Kritiker sehen darin eine künstliche Verknappung der Energieversorgung.
Nord Stream 2 ist seit vergangener Woche fertiggestellt. Gazprom kündigte an, noch in diesem Jahr den Betrieb aufnehmen zu wollen. Ob der Energiekonzern, Eigentümer der Pipeline und der Nord Stream 2 AG, das Vorhaben allerdings wie geplant umsetzen kann, bleibt aufgrund mehrerer rechtlicher Hürden weiter fraglich. til
Das Bundeswirtschaftsministerium hat erste Projekte für ein europäisches Förderprogramm für die Industrie-Cloud ausgewählt. Ziel des neuen IPCEI-Vorhabens sei es, einen “Unterbau” für die Daten-Infrastruktur Gaia-X zu erreichten, sagte Minister Peter Altmaier (CDU). Für die Förderung hätten sich mehr als 100 Unternehmen mit insgesamt 30 Projekten beworben.
Zu den Interessenten zählen demnach Mittelständler ebenso wie Großunternehmen wie SAP, Volkswagen, Siemens oder die Deutsche Telekom. Die Firmen sollen nun an einem Matchmaking-Prozess teilnehmen, um Partner in anderen EU-Staaten zu finden. Deutschland hat für das IPCEI 750 Millionen Euro aus den Mitteln des EU-Aufbaufonds in Aussicht gestellt. Laut BMWi dürfte sich die gesamte Förderung in der EU auf einen hohen einstelligen Milliardenbetrag summieren.
Das Cloud-IPCEI soll die Entwicklung von Technologien fördern, die eine höhere Interoperabilität und Vertrauenswürdigkeit ermöglichen, weniger Energie verbrauchen und für das sogenannten Edge-Computing genutzt werden können. tho
Der Industrieausschuss des Europäischen Parlaments hat gestern die Dossiers des Fit-for-55-Klimapakets verteilt. Federführend zuständig ist der Ausschuss für die Erneuerbare-Energien-Richtlinie, die an die EVP-Fraktion ging. Auch die Energieeffizienz-Richtlinie wird im ITRE bearbeitet werden, hier werden die Sozialdemokraten den Berichterstatter stellen.
Für die meisten Gesetzestexte aus dem Paket, das die EU-Kommission im Juli vorgestellt hatte, wird der Umweltausschuss zuständig sein. Dessen Vorsitzender Pascal Canfin (Renew) hatte bereits Anfang vergangener Woche die Ausschuss-Koordinatoren der jeweiligen Fraktionen einbestellt, um die Berichte an den Höchstbietenden zu versteigern (wir berichteten). Hierfür werden den Fraktionen zu Beginn der Legislaturperiode Punkte zugeteilt – abgängig von ihrer Größe.
Der Verkehrsausschuss, der federführend für die Richtlinien ReFuelEU Aviation und FuelEU Maritime sowie zur Infrastruktur für alternative Kraftstoffe zuständig sein wird, wird die Aufgaben wohl erst im Oktober verteilen. til
Beatrice “Bebe” Maria Adelaide Marzia Vio ist ein Symbol der Widerstandsfähigkeit, des sich Aufbäumens gegen das Unglück. Sie ist eine Naturgewalt. Ihr Credo ist der Mannschaftsgeist, der Zusammenhalt. Sie ist Paralympics-Siegerin, Welt- und Europameistern. Sie kämpft nicht nur für sich, sie kämpft für alle Behinderten, für eine Kultur der Behinderung, wie sie selbst es ausdrückt.
“Sie ist eine Goldmedaillengewinnerin aus Italien, die in diesem Sommer mein Herz gewonnen hat”, stellte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihren Ehrengast am Mittwoch im EU-Parlament vor. “Noch im April wurde ihr gesagt, dass ihr Leben in Gefahr ist. Sie wurde operiert, sie kämpfte sich zurück, sie hat sich erholt. Und nur 119 Tage, nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war, gewann sie Gold bei den Paralympics. Bebe ist noch so jung und hat schon so viel überstanden.”
Bebe Vio wurde am 4. März 1997 in Venedig geboren. Mit fünf Jahren begann sie zu fechten. Ende 2008, im Alter von elf Jahren, erkrankte sie an fulminanter Meningitis, die eine ausgedehnte Infektion und Nekrose in ihren Unterarmen und Beinen verursachte und Amputationen erforderlich machte. Nach dreieinhalb Monaten im Krankenhaus wurde sie entlassen und ging sofort wieder zur Schule. Sie nahm auch das Fechten wieder auf und bereits 2010 focht sie an Wettkämpfen im Rollstuhl. Sie ist bis heute die einzige Rollstuhlfechterin, die das Florett nicht in der Hand hält, sondern mit einer Prothese führt.
Bereits 2016 holte sie die Goldmedaille bei den Paralympischen Spielen in Rio de Janeiro. Bei der Abschlusszeremonie trug sie die italienische Fahne ins Stadion. Bei den Spielen in Tokio 2021 wiederholte sie ihr Gold-Kunststück, setzte sogar noch eine Silbermedaille im Mannschaftswettkampf obendrauf. Dabei lag sie vier Monate zuvor noch mit einer schweren Bakterienerkrankung im Krankenhaus und wusste nicht, ob sie es jemals nach Tokio schaffen würde. Sie hat es geschafft.
Durch ihre Schicksalsschläge hat Bebe Vio das Anliegen, behinderten Menschen zu helfen. Seit Beginn ihrer Para-Karriere wird sie dabei von ihrer Familie unterstützt. Ihre Mutter Teresa, ihr Vater Ruggero, der ältere Bruder Nicolò und ihre jünger Schwester Maria Sole: Ihr erstes Team, wie sie selbst sagt. Gemeinsam gründete die Familie 2009 die Organisation “art4sport”. Sie wollen Sport als Therapiemöglichkeit für Kinder mit Prothesen etablieren.
Sport, das hat Bebe Vio am eigenen Leib erfahren, hilft dabei, dass sich Menschen mit Behinderungen wieder in die Gesellschaft integrieren und nicht zum Außenseiter werden. Wunden und Prothesen, sagt sie, müssen zur Normalität werden. Für sie und für alle anderen. Bebe Vio, der zehntausende Jugendliche auf Facebook und Instagram folgen, ist zum Idol geworden. Träume können wahr werden. Das ist ihre Botschaft.
Bebe Vio lebt seit vier Jahren in Rom. Dort studiert sie an der John Cabot University Kommunikation und internationale Beziehungen. Besser konnte sie es nicht treffen, denn für Bebe Vio ist Sport nicht nur Wettkampf, sondern vor allem Kommunikation. Kontakt mit Menschen. Zusammenhalt. Mit ihrem Kampfgeist – nicht nur mit dem Florett – ist sie für die Italiener, vor allem für die Jugend, zum Vorbild geworden. Eva Clausen
Sie brauchen einen Lacher? Schauen Sie sich die Rede zur Lage der Union ohne Ton an. Erst dann können Sie die Gestik und Mimik der Kommissionspräsidentin in voller Pracht erleben. Die Tausende Euro, die von der Leyen in die PR-Firma Storymachine gesteckt hat, müssen sich schließlich auszahlen. Nicht überzeugt? Dann blenden Sie wahlweise noch ein paar Schlagworte aus der Rede ein: “Team Europe“, “together“, “stronger” und so weiter.
Es ist schon eine Kunst, eine einstündige Rede mit Floskeln statt konkreten Inhalten zu füllen. An die Rechtsstaatlichkeit erinnern, ohne die Schuldigen beim Namen zu nennen. Von Migranten als Spielbällen sprechen und auslassen, dass gerade eine Untersuchung gegen die EU-Grenzschutzagentur Frontex läuft. Aber davon soll die mühsam einstudierte Gestik ja ablenken.
Dann wäre da natürlich auch noch das absolute Herzstück der Rede: Europas Seele. Zur Erinnerung: Europa ist eigentlich eine Wertegemeinschaft. Weil das in der Realpolitik aber oft zu kurz kommt, und auch die EU-Kommission Werte gerne mal zur Zweckerfüllung biegt, sprechen wir jetzt besser von einer Seele, statt Werten.
Aber was steckt denn nun hinter Europas Seele? In Vorbereitung der SOTEU hat sich die Präsidentin auf eine Soul-Searching-Mission begeben. Sie hat herausgefunden: Der europäische Bauhaus ist die Seele des europäischen Green Deal…
Bauhaus? Das war diese Initiative der EU, um “schönere, nachhaltigere und inklusivere Formen des Zusammenlebens” zu finden. Ob sich die Jugendlichen bei Fridays for Future damit identifizieren, ist fraglich. Stattdessen gibt’s für sie ja noch die “Konferenz zur Zukunft Europas”, bei der sie Gehör finden können. Für die hatte von der Leyen allerdings nur einen Nebensatz übrig. Charlotte Wirth
knapp 60 Minuten Zeit zum Stricken hatte Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager am Mittwochmorgen. Währenddessen hielt ihre Chefin nur wenige Meter entfernt im EU-Parlament in Straßburg die wichtigste Rede des Jahres.
Statt zu stricken, haben wir uns Ursula von der Leyens State of the EU-Rede (SOTEU) genau angeschaut und analysieren in der heutigen Ausgabe die wesentlichen Ankündigungen. Wir schauen auch darauf, was nicht erwähnt wurde.
Der geplanten European Chips Act wurde erwähnt. Er soll Europa technologische Souveränität bringen und ist die Antwort auf ähnliche Initiativen in den USA und China. Till Hoppe hat sich die wichtigsten Elemente und die Reaktionen angeschaut. Eins vorweg: Die Erwartungen an das Gesetzesvorhaben sind riesig.
Neben der SOTEU-Rede wurde in Straßburg gestern auch aktive Politik gemacht, wie Jasmin Kohl berichtet. Die Blue Card-Richtlinie soll das Erteilen einer Arbeitserlaubnis für Nicht-EU-Bürger erleichtern.
Zu guter Letzt hat Charlotte Wirth noch einen etwas anderen Blick auf die SOTEU-Rede, im Apéropa, am Ende des heutigen Europe.Table.
Industriepolitik galt in Europa lange als verpönt – jedenfalls außerhalb Frankreichs. Das hat sich gründlich geändert, wie Peter Altmaier am Mittwoch zufrieden feststellte: Er sei “sehr erfreut”, dass über die Notwendigkeit von Industriepolitik auch im Wahlkampf “Konsens” herrsche. Für seine Industriestrategie hatte der Bundeswirtschaftsminister 2019 noch verbal Prügel kassiert.
Seither hat sich auch die EU-Kommission weitgehend vom Mantra vollständig freier Märkte verabschiedet. Das neue Leitmotiv lautet: technologische Souveränität. Deutlich wird das im “Europäischen Chips-Gesetz”, das Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der EU ankündigte.
Europa hänge von Hochleistungschips aus Asien ab, warnte von der Leyen angesichts der Lieferengpässe in mehreren Branchen. Dies sei nicht nur ein Problem der Wettbewerbsfähigkeit, sondern eben auch der technologischen Souveränität. “Lassen Sie uns unsere ganze Energie darauf richten”, forderte die Kommissionspräsidentin.
Industriekommissar Thierry Breton soll den Chips Act nun bis Ende 2022 ausarbeiten. Der Franzose misst der Halbleiterindustrie größte strategische Bedeutung bei: “Das Rennen um die fortschrittlichsten Chips ist ein Rennen um technologische und industrielle Führerschaft”, schrieb er in einem Post in seinem Kommissarsblog und auf LinkedIn.
So versuchten die USA, ihre Versorgung mit Hochleistungschips mit massiven Investitionen und damit Subventionen im Rahmen des Chips for America Act zu sichern. China bemühe sich, seinen technologischen Rückstand trotz Exportkontrollen wettzumachen.
Breton will dem nun eine “kohärente europäische Vision” entgegensetzen. Zu dem European Chips Act sollten aus seiner Sicht drei Elemente gehören:
Der Chips Act soll das vorhandene Instrumentarium ergänzen und aufeinander abstimmen. Bislang setzen Kommission und EU-Staaten stark auf die Industrie-Allianz Alliance on Processors and Semiconductor und auf sogenannte “Important Project of Common European Interest”-Förderprojekte, um der heimischen Chipindustrie auf die Sprünge zu helfen. Altmaier arbeitet mit Breton und seinem französischen Kollegen Bruno Le Maire an einem zweiten solchen IPCEI für die Mikroelektronik.
Schon im Oktober, so die interne Planung, soll es bei der Kommission für die beihilferechtliche Prüfung prä-notifiziert werden. Die Vorhaben müssten “auf die Straße gebracht werden, und zwar sehr schnell”, so Altmaier. Den Subventionsbedarf beziffert er auf bis zu zehn Milliarden Euro.
Bislang müssen die Mittel für die IPCEIs aus den Mitgliedstaaten kommen. Aus dem EU-Haushalt fließt vor allem Geld für die Forschungsförderung. Breton will nun zusätzlich einen “Europäischen Halbleiterfonds” auflegen, nannte aber keine weitere Einzelheiten. Altmaier reagierte reserviert: Das bisherige System halte er “für eine sehr gute Arbeitsteilung”. Die neue Bundesregierung werde die konkreten Vorschläge bewerten müssen, wenn sie dann vorlägen.
In Europaparlament und Industrie kommen die Pläne von der Leyens und Bretons gut an. “Es ist höchste Zeit, dass wir hier aktiv werden”, sagte der binnenmarktpolitische Sprecher der EVP-Fraktion, Andreas Schwab. Marcel Kolaja, Pirat aus Tschechien (Grüne/EFA): “Was ambitioniert klingt, ist ein notwendiger Schritt. Aber alles hängt davon ab, welche konkreten Schritte die Kommission nun unternehmen will.” Er gehe davon aus, dass die Mitgliedstaaten zur Kooperation bereit seien.
Der Grünen-Industriepolitiker Reinhard Bütikofer wies auf “die Mühen der Umsetzung” hin. Er sehe auch eine geopolitische Dimension. “Ich fände es spannend, wenn die Kommission sich trauen würde, bei ihrem Ziel der Schaffung eines europäischen Chip-Ökosystems gezielt mit Taiwan zusammenzuarbeiten“.
Der Vorsitzende der Geschäftsführung des Branchenverband ZVEI, Wolfgang Weber, verwies auf die wachsende Bedeutung von Mikrochips für viele Bereiche der Wirtschaft. Diese seien für die digitale Transformation und die erfolgreiche Umsetzung des Green Deal essenziell. Daher müssten Chip-Gesetz und Halbleiterallianz “das Mikroelektronik-Ökosystem in Europa stärken und ausbauen”. Der Verband arbeite derzeit an einer eigenen Roadmap, was in Europa zu tun sei.
Bitkom-Präsident Achim Berg betonte, die europäischen Chip-Hersteller müssten verlässlich für den Weltmarkt produzieren. “Sie können nicht auf einen Fingerschnipp hin ihre Lieferungen zu EU-Kunden umlenken.”
Es ist noch nicht lange her, da wäre kaum jemandem in den Sinn gekommen, solche Mahnungen auszusprechen. Mitarbeit: Falk Steiner, Jasmin Kohl
Als Reaktion auf die Corona-Pandemie will Ursula von der Leyen eine “Gesundheitsunion” aufbauen. Als tragende Säule soll dabei eine neue EU-Behörde dienen. Die Health Emergency Preparedness and Response Authority (HERA) soll mögliche gesundheitliche Notlagen rechtzeitig erkennen und die EU-Reaktion koordinieren. Die bisher zuständige EU-Agentur ECDC war mit dieser Aufgabe überfordert.
Zudem soll es eine neue Krisenvorsorge- und Resilienzmission für die gesamte EU geben. “Sie sollte bis 2027 durch Investitionen von Team Europa im Umfang von 50 Milliarden Euro unterstützt werden”, so die Kommissionspräsidentin. Die Summe soll aus mehreren Finanzquellen aufgebracht werden. Details werden erst am Donnerstag bekannt gegeben.
Der Begriff “Team Europa” verweist auf gemeinsame Anstrengungen der EU-Kommission und der Mitgliedsstaaten. Dieser – offenbar noch genauer zu bestimmende – Kreis will auch eine Milliarde Euro investieren, um die mRNA-Produktionskapazitäten in Afrika auszubauen. Die Freigabe der Impfstoff-Patente, wie sie etwa Südafrika fordert, lehnt die EU-Kommission demgegenüber weiter ab. ebo
Von der Leyen erwähnte die eigenen Ambitionen im Kampf gegen den Klimawandel beinahe nur beiläufig, nachdem diese vor einem Jahr noch das Hauptthema der SOTEU-Rede waren. Zwar schmückte sie sich mit den Erfolgen des Green Deals. Dass die meisten Maßnahmen des “Fit for 55”-Pakets, darunter auch der von ihr betonte Klima-Sozialfonds gegen Energiearmut in der EU, noch Jahre benötigen dürften, bis sie in Kraft treten, blieb unerwähnt.
Die Kommissionschefin zog es vor, den Blick auf andere Regionen zu lenken: Sie stellte den globalen Aspekt des Klimaschutzes in den Vordergrund und forderte die USA und China auf, sich stärker dafür einzusetzen. China solle bis Mitte des Jahrzehnts den Kohleausstieg einleiten und die USA gemeinsam mit der EU die Finanzierungslücke schließen, die bei Klimamaßnahmen in den am stärksten gefährdeten Ländern klafft.
Mit Blick auf die Weltklimakonferenz in Glasgow (COP26) kündigte sie an, dass die EU ihre Finanzierung für die weltweite Biodiversität verdoppeln werde. Weitere vier Milliarden Euro (zusätzlich zu den jährlichen 25 Milliarden Dollar) für die Finanzierung von globalen Klimamaßnahmen bis 2027 vorschlagen wolle.
Zudem kündigte Ursula von der Leyen Investitionen in grüne Wasserstoffproduktion in afrikanischen Staaten an. Für die Dekarbonisierungspläne der EU soll Wasserstoff als Energieträger eine entscheidende Rolle spielen. Experten rechnen jedoch mit einem deutlich höheren Bedarf, als durch innereuropäische Produktion gedeckt werden kann. Der CDU-Europaabgeordnete Markus Pieper begrüßt deshalb die Vorschläge von der Leyens. Für die beteiligten afrikanischen Länder biete eine Zusammenarbeit die Chance des Knowhow-Transfers, es handele sich also um eine Win-Win-Situation. til/luk
Im Juli hatten die EU-Außenminister eine Überarbeitung der Konnektivitätsstrategie der EU gefordert, mit einheitlichem Branding (China.Table berichtete). Von der Leyen enthüllte nun den Namen: ”Global Gateway“. Global Gateway solle weltweit zu einer “vertrauenswürdigen Marke” werden, sagte Ursula von der Leyen. Das Ziel benannte sie dabei klar: Chinas aggressivem Infrastrukturausbau im Rahmen der Neuen Seidenstraße entgegentreten. Ein ähnliches Ziel verfolgt auch die geplante EU-Strategie zum Indo-Pazifik-Raum: Es sei ein “Meilenstein”, sagte von der Leyen, auch um die EU als “aktiven Global Player” zu etablieren. Autokratische Regime nutzten die Region jedoch auch im Versuch, ihren Einfluss auszuweiten.
Auf China zielt auch die zweite Initiative ab: ein Importstopp für Produkte aus Zwangsarbeit. Unter anderem das Europaparlament fordert bereits seit längerem ein volles Einfuhr-Verbot für derartige Waren (China.Table berichtete). Von der Leyen zieht nun nach: “Wir werden ein Verbot von Produkten auf unserem Markt vorschlagen, die mit Zwangsarbeit hergestellt wurden. Weil Menschenrechte um keinen Preis käuflich sind”, sagte von der Leyen im Plenum. “Globaler Handel auf der ganzen Welt, das ist gut und notwendig, aber das kann niemals auf Kosten der Würde und Freiheit der Menschen erfolgen.” Ob das Verbot Bestandteil des EU-Lieferkettengesetzes oder ein eigenständiger Rechtsakt wird, sagte Ursula von der Leyen nicht. ari
In der Verteidigungspolitik kündigte von der Leyen zwei Initiativen an. Zum einen soll die Zusammenarbeit mit der Nato ausgebaut werden. Ursula von der Leyen bereitet gemeinsam mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg eine EU-Nato-Erklärung vor, die noch vor Ende dieses Jahres verabschiedet werden soll.
Zum anderen ist unter französischen Ratsvorsitz im Frühjahr 2022 ein “Gipfel zur Europäischen Verteidigung” geplant. Man müsse entscheiden, wie man die Möglichkeiten des EU-Vertrags nutzen könne, erklärte die CDU-Politikerin. Die EU müsse nach dem Debakel in Afghanistan aktiver werden.
Konkret geht es zunächst um die militärische Aufklärung, die in Afghanistan offenkundig versagt hat. Von der Leyen warb für die Idee eines gemeinsamen Lage- und Analysezentrums. Zudem schlug sie eine Mehrwertsteuerbefreiung beim Kauf von Verteidigungsausrüstung vor, die in Europa entwickelt und hergestellt wurde. So könne man die Interoperationalität der Streitkräfte fördern.
Zustimmung signalisierte Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. “Ein deutlicher Sprung nach vorn für die Europäische Verteidigung ist dringend notwendig. Das Fernziel kann dabei eine Europäische Verteidigungsunion sein, wie sie Ursula von der Leyen vorschlägt.” ebo
Unerwartet kam die Ankündigung eines “Cyber Resilience Acts” (CRA): “Wenn alles miteinander vernetzt ist, kann alles gehackt werden”, sagte von der Leyen. Europa müsse bei der Cybersicherheit führend werden und Kräfte bündeln. Der Cyber Resilience Act solle gemeinsame Standards definieren. Zuständig für den CRA wird Binnenmarktkommisssar Thierry Breton sein.
Viel mehr Einzelheiten waren am Mittwoch nicht zu erfahren. Experten nennen als Möglichkeit etwa verpflichtende Mindeststandards für Unternehmen, die nicht zur Gruppe der Kritischen Infrastrukturen gehören. Diese sind bereits heute zu höheren Standards verpflichtet.
Cybersicherheit betreffe immer auch nationale Sicherheitsinteressen, sagt Annegret Bendiek von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Resilienz sei jedoch eine zwingende Voraussetzung für das Funktionieren des gesamten Binnenmarktes: “Es muss jetzt darum gehen, dass der Infrastrukturschutz für den Binnenmarkt eine ausdrückliche Kompetenz der EU wird”. Dies bedeute jedoch nicht, dass die Nationalstaaten keine Mitspracherechte mehr hätten.
Mit dem CRA kommt ein weiteres Vorhaben auf die lange Liste der Cyber-Initiativen: Wie sich der CRA, die Überarbeitung der Netzwerk- und Informationssicherheitsrichtlinie (NIS 2.0), die Cybersicherheits-Verordnung und die Richtlinie über die Widerstandsfähigkeit kritischer Einrichtungen genau zueinander verhalten werden, ist noch unbekannt. fst
Im Streit mit Polen und Ungarn scheint Ursula von der Leyen bereit, den nächsten Schritt zu gehen. Vor den Abgeordneten kündigte sie an, die neue Rechtsstaats-Konditionalität zu nutzen und Verfahren auf den Weg zu bringen, die zu einer Kürzung von EU-Mitteln führen können: In den kommenden Wochen würden die ersten schriftlichen Mitteilungen verschickt, sagte sie. “Wenn es um den Schutz unseres Haushaltes geht, werden wir jeden Fall verfolgen mit allem, was in unserer Macht steht.”
Zu den Werten der EU gehöre auch die Freiheit, sagte von der Leyen. Während der Corona-Pandemie sei die Freiheit der Frauen zu oft eingeschränkt worden, ein Problem sei auch die häusliche Gewalt. Noch 2021 werde die EU-Kommission deshalb ein Gesetz zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen auf den Weg bringen. 2022 ist zudem die Vorlage eines Medienfreiheitsgesetzes geplant.
Das Gesetz gegen Gewalt der Frauen stieß im Europaparlament auf Zustimmung. Kritik gab es dagegen für von der Leyens Kurs gegenüber Polen und Ungarn. “Warum muss das Parlament erst mit einer Klage wegen Untätigkeit drohen, bevor die Kommissionspräsidentin Konsequenzen zieht”, fragte der Chef der SPD-Gruppe im Parlament, Jens Geier. Der neue Rechtsstaatsmechanismus liege noch immer ungenutzt in der Schublade. “Eine Strategie, die Dialog und Handeln verspricht, und dann auf das Handeln verzichtet, ist nutzlos”, sagte Daniel Freund von den Grünen. ebo
Wenige Worte verlor von der Leyen zur Wirtschaftspolitik – abgesehen von einem (Eigen-)Lob für das Krisenmanagement in der Pandemie. Sie kündigte lediglich an, was schon bekannt war: dass die Kommission in den kommenden Wochen die Überprüfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts wiederaufnehmen will, die sie zu Beginn der Corona-Krise unterbrochen hatte. Sie hoffe, “rechtzeitig für 2023 zu einem Konsens über den künftigen Weg” zu gelangen, so Ursula von der Leyen.
Aus der Industrie kommt Kritik: Es sei “enttäuschend”, dass die Kommissionspräsidentin “der Wirtschaft und der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit in ihrer Rede viel zu wenig Raum” gegeben habe, sagte Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Maschinenbauverbandes VDMA. tho
Mit Verweis auf die Corona-Pandemie lobte die Kommissionspräsidentin die Solidarität, mit der die junge Generation älteren Menschen begegnet sei. Als Dank will von der Leyen 2022 zum “Jahr der europäischen Jugend” erklären und diese damit in den Fokus politischer Debatten stellen. Die Beteiligung junger Menschen an der europäischen Debatte, zum Beispiel im Rahmen der Konferenz zur Zukunft Europas, sei enorm wichtig. Wie das gelingen soll, ließ von der Leyen offen.
Die Vorsitzende des Kulturausschusses im Europäischen Parlament, Sabine Verheyen (CDU/EVP) fordert bei der Planung des Jahres, mit Jugendorganisationen und Jugendverbänden zusammenzuarbeiten. Denn: “Erfahrungsgemäß wissen die Jugendlichen am besten, welche Themen, Initiativen und Programme für sie von Relevanz sind”.
Für junge Menschen, “die durchs Netz gefallen sind”, kündigte Ursula von der Leyen ein neues Programm an: “ALMA“. Die Idee erinnert stark an das 2013 eingestellte Leonardo da Vinci-Programm. Mit “ALMA” sollen junge Menschen, die weder eine Arbeit haben noch zur Schule gehen oder in Berufsausbildung sind, wieder die Möglichkeit haben, Berufserfahrung innerhalb der EU zu sammeln. Das Ziel: berufliche Kompetenzen und europäische Identität gleichzeitig entwickeln. koj
17.09.2021 – 12:30-13:15 Uhr, online
BDI, Podiumsdiskussion Zukunftsort Deutschland – Worauf es nach der Wahl ankommt
Die Referent:innen des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e.V. (BDI) werfen einen Blick in die Zukunft und diskutieren über Klimapolitik, Wirtschaft und Innovationen in Deutschland nach der Bundestagswahl. ANMELDUNG
17.09.2021 – 16:00-17:30 Uhr, online
VBW, Podiumsdiskussion Europa im globalen Wettbewerb
Wie kann die EU ihren Wirtschaftsraum im globalen Wettbewerb zukunftsfest machen? Dieser Frage widmen sich die Expert:innen aus Wissenschaft und Politik der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. (VBW). INFOS & ANMELDUNG
19.09.2021 – 17:30-19:00 Uhr, Halle
Körber-Stiftung, Diskussion Wie erreichen wir die Klimaziele 2050?
Oliver Holtemöller (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung), Reiner Klingholz (Demographie-Experte, Autor) und Ulrike Herrmann (Wirtschaftskorrespondentin der Taz) diskutieren darüber, ob das Erreichen der Klimaziele sowie Stabilität für die Wirtschaft vereinbar sind. INFOS
20.09.2021 – 10:00-14:30 Uhr, online
ZVEI, Konferenz KI Security
Referent:innen aus Unternehmen der Technologie- und Sicherheits-Branche berichten über Erfahrungen aus der Praxis und diskutieren über die Einsatzfelder von KI-Technologien in der IT-Sicherheit. INFOS & ANMELDUNG
21.09.2021, 11:15-15:15 Uhr, Madrid/online
EIT Urban Mobility, Presentation Digitalisation and AI: Creating the future of urban mobility
Speakers from government, industry and cities will discuss the role of artificial intelligence in the future of urban mobility. Furthermore, there will be insights into EU measures to promote AI and the latest EIT study on urban mobility in Europe will be discussed. INFOS & REGISTRATION
21.09.2021, 14:15-16:15 Uhr, online
VDMA, Vortrag Startup-Lösungen für den Maschinenbau – Messe 4.0
Neue digitale Technologien und Produkte spielen im Messebereich eine immer größere Rolle. In dieser Veranstaltung des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA) geht es um den möglichen Beitrag von Startups zur Digitalisierung von Messen. INFOS & ANMELDUNG
21.09.2021, 14:30-15:45 Uhr, online
Euractiv, Panel Discussion Fit for 55 on all fronts? Can Europe lead innovation in green maritime?
The EU Commission wants to extend the Emissions Trading System (EU-ETS) to the maritime sector. This event will focus on how the maritime sector can be decarbonized and which innovations are leading the way. REGISTRATION
21.09.2021, 17:00-18:00 Uhr, online
Eco, Discussion Transatlantic Dialogue on Data Transfer: Standard Contractual Clauses
The discussion of the Association of the Internet Industry e.V. (Eco) and the Internet Infrastructure Coalition e.V. (i2Coalition) will focus on the application of the new Standard Contractual Clauses (SCCs) and the state of political development on the protection of personal data on both sides of the Atlantic. REGISTRATION
22.09.2021 – 15:00-16:30 Uhr, online
EUSH, Discussion How buildings will make our cities safe, resilient and sustainable
The EU Science Hub event will focus on the possibilities of adapting buildings to climate change, the possibilities to modernize old buildings and how buildings are affected by climate change. REGISTRATION UNTIL 17.09.2021
Die Europaabgeordneten haben gestern mit großer Mehrheit der überarbeiteten Blue Card-Richtlinie zugestimmt. Dadurch könnten hochqualifizierte Drittstaatsangehörige bald leichter in der EU arbeiten. Die ursprüngliche Richtlinie von 2009 hatte nicht den gewünschten Zuzug von Fachkräften gebracht, weil die Vergabe-Bedingungen zu unattraktiv waren.
Die wesentlichen Neuerungen betreffen Mobilität und Rechte der Bewerber: Statt eines einjährigen Arbeitsvertrages müssen Antragsteller nur noch einen sechsmonatigen Vertrag nachweisen. Auch die Einkommensschwelle wurde herabgesetzt: Das Einkommen muss in Zukunft mindestens dem durchschnittlichen Bruttojahresgehalt des jeweiligen Mitgliedstaates entsprechen und darf nicht höher als das 1,6-Fache davon sein. Bisher mussten Antragsteller ein Einkommen von mindestens 1,5 Bruttogehältern nachweisen. Dieses Kriterium galt als eine der größten Hürden.
Für Antragsteller aus bestimmten Sektoren, darunter die Informations- und Kommunikationstechnologie, wird unter der überarbeiteten Richtlinie nicht nur ihre akademische Erfahrung, sondern auch Berufserfahrung angerechnet. Nachdem sie mindestens ein Jahr in dem Mitgliedstaat gearbeitet haben, in dem sie sich niedergelassen haben, können Inhaber der Blue Card leichter in einen anderen EU-Mitgliedstaat ziehen.
Personen, die Anspruch auf internationalen Schutz haben und sich bereits in einem EU-Mitgliedstaat befinden, können die Blue Card künftig auch in einem anderen Mitgliedstaat beantragen. Auch das Verfahren für Familienzusammenführungen wird erleichtert.
Die Kommission hatte die Überarbeitung der Richtlinie bereits 2016 vorgeschlagen, aber erst im Mai 2021 fanden Parlament und Rat eine Einigung. Bevor die Richtlinie in Kraft treten kann, muss sie der Rat noch annehmen. Dann haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, sie umzusetzen. Jasmin Kohl
Deutschland kann beim Aufbau des Wasserstoffgeschäfts nach Einschätzung von Industrieunternehmen zunächst nicht auf den Einsatz von Erdgas verzichten. “Solange Wasserstoff aus erneuerbaren Energien nicht in ausreichenden Mengen und zu attraktiven Preisen zur Verfügung steht, brauchen wir für den zügigen Marktaufbau auch Wasserstoff aus Erdgas“, sagte der Chef des Öl- und Gaskonzerns Wintershall, Mario Mehren, am Mittwoch auf einem Kongress des Strom- und Gaslobbyverbandes (BDEW) in Berlin.
Wasserstoff spielt eine Schlüsselrolle bei der Energiewende und für die Erreichung der Klimaschutzziele. Er kann etwa in der Stahlindustrie den Einsatz von Kohle ersetzen und für Prozesse in der Chemieindustrie und im Verkehrssektor genutzt werden. Die Bundesregierung will den Aufbau des Marktes mit Milliardensummen unterstützen. Damit das Klima geschont wird, soll der Wasserstoff mit Ökostrom produziert werden und damit “grün” sein. Da die Kapazitäten zunächst nicht reichen, kann auch Erdgas eingesetzt werden. Dies trifft bei Umweltschützern jedoch auf Kritik. Beim Einsatz von Erdgas wird zwar weniger CO2 als bei Kohle erzeugt, aber immerhin noch etwa die Hälfte.
“Ich fände es fatal, wenn Gas nicht die Rolle bekommt, als Brücke zu funktionieren”, sagte der Chef von Siemens Energy, Christian Bruch, auf dem Kongress. Gasturbinen, wie auch sein Konzern sie baut, würden noch viele Jahre laufen. Der Rahmen müsse noch klarer definiert werden. “Wir müssen bereit sein nachzusteuern. Das ist für die Bundesregierung, die kommt, wichtig. Wir brauchen Förderung und ein anderes Marktdesign.” rtr
Russland hat auf die hohen Energiepreise in Europa reagiert und erklärt, eine schnelle Genehmigung von Nord Stream 2 könne der Sorge vor möglichen Gasengpässen im Winter entgegenwirken. Ein Sprecher des russischen Präsidenten Vladimir Putin sagte am Mittwoch, die Ostsee-Pipeline werde die Preisparameter für Erdgas in Europa auch auf dem Spotmarkt deutlich ausgleichen – sofern Deutschland einen baldigen Betrieb ermögliche.
Beobachter sehen in der deutlichen Äußerung des Kremls einen weiteren Versuch, Druck auf das Genehmigungsverfahren auszuüben. Die Preise für Erdgas sind in Europa auf Rekordhoch (Europe.Table berichtete). Grund dafür sind auch die geringer ausfallenden Gaslieferungen aus Russland. Der russische Energiekonzern Gazprom hatte in Erwartung einer baldigen Inbetriebnahme von Nord Stream 2 weniger Kapazitäten in den bestehenden Leitungen durch die Ukraine gebucht. Kritiker sehen darin eine künstliche Verknappung der Energieversorgung.
Nord Stream 2 ist seit vergangener Woche fertiggestellt. Gazprom kündigte an, noch in diesem Jahr den Betrieb aufnehmen zu wollen. Ob der Energiekonzern, Eigentümer der Pipeline und der Nord Stream 2 AG, das Vorhaben allerdings wie geplant umsetzen kann, bleibt aufgrund mehrerer rechtlicher Hürden weiter fraglich. til
Das Bundeswirtschaftsministerium hat erste Projekte für ein europäisches Förderprogramm für die Industrie-Cloud ausgewählt. Ziel des neuen IPCEI-Vorhabens sei es, einen “Unterbau” für die Daten-Infrastruktur Gaia-X zu erreichten, sagte Minister Peter Altmaier (CDU). Für die Förderung hätten sich mehr als 100 Unternehmen mit insgesamt 30 Projekten beworben.
Zu den Interessenten zählen demnach Mittelständler ebenso wie Großunternehmen wie SAP, Volkswagen, Siemens oder die Deutsche Telekom. Die Firmen sollen nun an einem Matchmaking-Prozess teilnehmen, um Partner in anderen EU-Staaten zu finden. Deutschland hat für das IPCEI 750 Millionen Euro aus den Mitteln des EU-Aufbaufonds in Aussicht gestellt. Laut BMWi dürfte sich die gesamte Förderung in der EU auf einen hohen einstelligen Milliardenbetrag summieren.
Das Cloud-IPCEI soll die Entwicklung von Technologien fördern, die eine höhere Interoperabilität und Vertrauenswürdigkeit ermöglichen, weniger Energie verbrauchen und für das sogenannten Edge-Computing genutzt werden können. tho
Der Industrieausschuss des Europäischen Parlaments hat gestern die Dossiers des Fit-for-55-Klimapakets verteilt. Federführend zuständig ist der Ausschuss für die Erneuerbare-Energien-Richtlinie, die an die EVP-Fraktion ging. Auch die Energieeffizienz-Richtlinie wird im ITRE bearbeitet werden, hier werden die Sozialdemokraten den Berichterstatter stellen.
Für die meisten Gesetzestexte aus dem Paket, das die EU-Kommission im Juli vorgestellt hatte, wird der Umweltausschuss zuständig sein. Dessen Vorsitzender Pascal Canfin (Renew) hatte bereits Anfang vergangener Woche die Ausschuss-Koordinatoren der jeweiligen Fraktionen einbestellt, um die Berichte an den Höchstbietenden zu versteigern (wir berichteten). Hierfür werden den Fraktionen zu Beginn der Legislaturperiode Punkte zugeteilt – abgängig von ihrer Größe.
Der Verkehrsausschuss, der federführend für die Richtlinien ReFuelEU Aviation und FuelEU Maritime sowie zur Infrastruktur für alternative Kraftstoffe zuständig sein wird, wird die Aufgaben wohl erst im Oktober verteilen. til
Beatrice “Bebe” Maria Adelaide Marzia Vio ist ein Symbol der Widerstandsfähigkeit, des sich Aufbäumens gegen das Unglück. Sie ist eine Naturgewalt. Ihr Credo ist der Mannschaftsgeist, der Zusammenhalt. Sie ist Paralympics-Siegerin, Welt- und Europameistern. Sie kämpft nicht nur für sich, sie kämpft für alle Behinderten, für eine Kultur der Behinderung, wie sie selbst es ausdrückt.
“Sie ist eine Goldmedaillengewinnerin aus Italien, die in diesem Sommer mein Herz gewonnen hat”, stellte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihren Ehrengast am Mittwoch im EU-Parlament vor. “Noch im April wurde ihr gesagt, dass ihr Leben in Gefahr ist. Sie wurde operiert, sie kämpfte sich zurück, sie hat sich erholt. Und nur 119 Tage, nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war, gewann sie Gold bei den Paralympics. Bebe ist noch so jung und hat schon so viel überstanden.”
Bebe Vio wurde am 4. März 1997 in Venedig geboren. Mit fünf Jahren begann sie zu fechten. Ende 2008, im Alter von elf Jahren, erkrankte sie an fulminanter Meningitis, die eine ausgedehnte Infektion und Nekrose in ihren Unterarmen und Beinen verursachte und Amputationen erforderlich machte. Nach dreieinhalb Monaten im Krankenhaus wurde sie entlassen und ging sofort wieder zur Schule. Sie nahm auch das Fechten wieder auf und bereits 2010 focht sie an Wettkämpfen im Rollstuhl. Sie ist bis heute die einzige Rollstuhlfechterin, die das Florett nicht in der Hand hält, sondern mit einer Prothese führt.
Bereits 2016 holte sie die Goldmedaille bei den Paralympischen Spielen in Rio de Janeiro. Bei der Abschlusszeremonie trug sie die italienische Fahne ins Stadion. Bei den Spielen in Tokio 2021 wiederholte sie ihr Gold-Kunststück, setzte sogar noch eine Silbermedaille im Mannschaftswettkampf obendrauf. Dabei lag sie vier Monate zuvor noch mit einer schweren Bakterienerkrankung im Krankenhaus und wusste nicht, ob sie es jemals nach Tokio schaffen würde. Sie hat es geschafft.
Durch ihre Schicksalsschläge hat Bebe Vio das Anliegen, behinderten Menschen zu helfen. Seit Beginn ihrer Para-Karriere wird sie dabei von ihrer Familie unterstützt. Ihre Mutter Teresa, ihr Vater Ruggero, der ältere Bruder Nicolò und ihre jünger Schwester Maria Sole: Ihr erstes Team, wie sie selbst sagt. Gemeinsam gründete die Familie 2009 die Organisation “art4sport”. Sie wollen Sport als Therapiemöglichkeit für Kinder mit Prothesen etablieren.
Sport, das hat Bebe Vio am eigenen Leib erfahren, hilft dabei, dass sich Menschen mit Behinderungen wieder in die Gesellschaft integrieren und nicht zum Außenseiter werden. Wunden und Prothesen, sagt sie, müssen zur Normalität werden. Für sie und für alle anderen. Bebe Vio, der zehntausende Jugendliche auf Facebook und Instagram folgen, ist zum Idol geworden. Träume können wahr werden. Das ist ihre Botschaft.
Bebe Vio lebt seit vier Jahren in Rom. Dort studiert sie an der John Cabot University Kommunikation und internationale Beziehungen. Besser konnte sie es nicht treffen, denn für Bebe Vio ist Sport nicht nur Wettkampf, sondern vor allem Kommunikation. Kontakt mit Menschen. Zusammenhalt. Mit ihrem Kampfgeist – nicht nur mit dem Florett – ist sie für die Italiener, vor allem für die Jugend, zum Vorbild geworden. Eva Clausen
Sie brauchen einen Lacher? Schauen Sie sich die Rede zur Lage der Union ohne Ton an. Erst dann können Sie die Gestik und Mimik der Kommissionspräsidentin in voller Pracht erleben. Die Tausende Euro, die von der Leyen in die PR-Firma Storymachine gesteckt hat, müssen sich schließlich auszahlen. Nicht überzeugt? Dann blenden Sie wahlweise noch ein paar Schlagworte aus der Rede ein: “Team Europe“, “together“, “stronger” und so weiter.
Es ist schon eine Kunst, eine einstündige Rede mit Floskeln statt konkreten Inhalten zu füllen. An die Rechtsstaatlichkeit erinnern, ohne die Schuldigen beim Namen zu nennen. Von Migranten als Spielbällen sprechen und auslassen, dass gerade eine Untersuchung gegen die EU-Grenzschutzagentur Frontex läuft. Aber davon soll die mühsam einstudierte Gestik ja ablenken.
Dann wäre da natürlich auch noch das absolute Herzstück der Rede: Europas Seele. Zur Erinnerung: Europa ist eigentlich eine Wertegemeinschaft. Weil das in der Realpolitik aber oft zu kurz kommt, und auch die EU-Kommission Werte gerne mal zur Zweckerfüllung biegt, sprechen wir jetzt besser von einer Seele, statt Werten.
Aber was steckt denn nun hinter Europas Seele? In Vorbereitung der SOTEU hat sich die Präsidentin auf eine Soul-Searching-Mission begeben. Sie hat herausgefunden: Der europäische Bauhaus ist die Seele des europäischen Green Deal…
Bauhaus? Das war diese Initiative der EU, um “schönere, nachhaltigere und inklusivere Formen des Zusammenlebens” zu finden. Ob sich die Jugendlichen bei Fridays for Future damit identifizieren, ist fraglich. Stattdessen gibt’s für sie ja noch die “Konferenz zur Zukunft Europas”, bei der sie Gehör finden können. Für die hatte von der Leyen allerdings nur einen Nebensatz übrig. Charlotte Wirth