Die Bundestagswahl-Gewinner bringen sich in Stellung: FDP und Grüne treffen sich heute zu ersten Sondierungen, auch die SPD lädt zum Gespräch. Die Union hat eine Zerreißprobe abgewendet, die eine Kampfabstimmung um den Fraktionsvorsitz bedeutet hätte. Stattdessen wurde Ralph Brinkhaus wiedergewählt – für sechs Monate. Wie es um Armin Laschet steht und wie die weiteren Sondierungsvorbereitungen laufen, hat Falk Steiner analysiert.
Ampel oder Jamaika, das ist für den französischen Ökonomen Jean Pisani-Ferry zweitrangig. Ihn interessiert vor allem, welche Parteien die entscheidenden Regierungsämter besetzen. Im Interview erklärt er, warum die SPD in der Verteidigungs- und ein FDP-Finanzminister in der Finanzpolitik zu deutsch-französischen Spannungen führen könnten.
Frankreich ist es, das vor dem Auftakt des Handels- und Technologierates (TTC) den Ärger der anderen EU-Staaten auf sich zieht. Paris geht die gemeinsame Erklärung mit der US-Regierung zu weit, ist damit aber im Rat isoliert. Die EU-Kommission will sich das Event an diesem Mittwoch ohnehin nicht verderben lassen. Vizepräsident Valdis Dombrovskis signalisierte am Vorabend bei einem Treffen mit der US-Handelsbeauftragten Katherine Tai noch Bewegung im Stahl- und Aluminiumstreit.
Armin Laschet hält erstaunlich viel aus. Ralph Brinkhaus aus dem ostwestfälischen Gütersloh, immerhin aus demselben Landesverband, ist von der Fraktion als Vorsitzender für ein halbes Jahr wiedergewählt worden. Das ist länger als von Laschet gewünscht und kürzer als von Ralph Brinkhaus erhofft. Armin Laschet räumte in der Fraktionssitzung Fehler ein.
Und so überlebte der Unions-Kanzlerkandidat auch gestern noch im politischen Berlin. Weiterhin steht ihm zumindest die theoretische Chance offen, ein Jamaika-Bündnis unter seiner Führung zu bilden – das ist mehr, als noch zu Beginn des Tages zu erwarten war. Die Fraktionsführung ist das wohl wichtigste Amt einer potenziellen Oppositionspartei.
Brinkhaus bedankte sich auf seine Art: “Armin Laschet wird bestimmt nicht als Fraktionsvorsitzender kandidieren, wenn die Union in die Opposition geht”, sagte er im Tagesthemen-Interview. Die CSU-Landesgruppe um Alexander Dobrindt hatte, natürlich im Einvernehmen mit Laschets Kontrahent Markus Söder, keinen Hehl daraus gemacht, dass sie nicht bereit ist, Laschet zum Oppositionsführer im Bund zu machen. Und so brauchte dieser einmal mehr Söders Unterstützung für die verkürzte Wahl des Fraktionsvorsitzenden.
Auch aus den Ost-Landesverbänden kam unverhohlene Kritik: Seit der Kandidatenkür habe es Motivationsprobleme bei der Sachsen-CDU gegeben, berichtete etwa Carsten Körber, der Vorsitzende der nun nur noch sechsköpfigen CDU-Landesgruppe im Bundestag.
Ruhe herrscht aufseiten der FDP – hier ist Christian Lindner für den Moment unumstritten. Bei den Grünen versuchte Robert Habeck heute den Eindruck auszuräumen, dass er mit Annalena Baerbock das Fell des Bären bereits final verteilt habe und er Vizekanzler würde. Dies sei jetzt nicht der Zeitpunkt um über Positionen zu sprechen, sagte Habeck.
Die SPD hat ihr Verhandlungsteam für die Vorsondierung zusammengestellt: Neben Olaf Scholz besteht es aus den beiden Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, dem Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich und Generalsekretär Lars Klingbeil. Hinzu kommt die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, die in ihrem Bundesland einer Ampelregierung vorsitzt und aus Mainz FDP-Generalsekretär Volker Wissing bestens kennt.
Wenn FDP und Grüne wollten, könnte noch diese Woche ein erstes Treffen stattfinden, so die Sozialdemokraten. Mützenich nahm die Fraktionssitzung zum Anlass, den potenziellen Koalitionspartnern noch eine Spitze mit auf den Weg zu geben: Beide kleinen Parteien müssten sich klar werden, “dass das Schauspiel, was sie vor vier Jahren hier manchmal auf Balkonen absolviert haben, nicht den Aufgaben gerecht wird”.
Eine Aufforderung, die FDP und Grüne kaum zu brauchen scheinen: Anders als vor vier Jahren, als Jamaika als politisches Projekt über Wochen inszeniert wurde, dringt derzeit wenig über die jeweiligen Positionen nach außen. FDP und Grüne wollen sich am heutigen Mittwoch treffen, um sich zu besprechen. Ort und genauer Teilnehmerkreis sind bislang unbekannt. Dass sie dafür den Ort des inoffiziellen grün-gelben Gesprächskreises “Lebensstern” wählen, erscheint dabei ausgeschlossen: Die gleichnamige Bar des Einstein-Stammhauses in der Berliner Kurfürstenstraße ist nur wenige Meter von der CDU-Zentrale entfernt.
Herr Pisani-Ferry, befürchten Sie eine langwierige Regierungsbildung in Deutschland?
Erfahrungsgemäß kann es lange dauern, wenn man sich an 2017 erinnert. Für Frankreich gibt es keine Dringlichkeit. Auch Europa kann es sich erlauben, abzuwarten. Frankreich ist wegen seiner EU-Präsidentschaft und der Wahlen im kommenden Jahr zwar etwas ungeduldiger. Ich glaube aber nicht, dass es die Kampagne dort verändert: In Frankreich geht es, wie in Deutschland, vor allem um innenpolitische Themen.
Was würde eine Jamaika-Koalition für Frankreich und Europa bedeuten, was eine Ampelkoalition?
Wir müssen sehen, welches die Themen bei den Koalitionen sein werden. Auch die Verteilung der Verantwortlichkeiten ist wichtig – wer wird Außenminister, wer Finanzminister? Ich denke, mit einer Ampelkoalition wird es keine großen Probleme geben. Schwierigkeiten mit der SPD könnten beim Thema Verteidigung auftreten, dort sind die Sozialdemokraten reservierter als die CDU. Bei den Grünen wird es sich um die Atompolitik drehen, und bei der FDP um Budgetregeln und Steuerthemen (Europe.Table berichtete). Auf französischer Seite wird man auf diese Themen besonders achten.
Im Einzelnen: Welche Auswirkungen erwarten Sie auf die Diskussionen um den Stabilitätspakt?
Entscheidend ist weniger, welche Koalition es wird, als die Themen und die Verantwortlichkeiten in dem Bündnis. Wenn man etwa eine Koalition mit Kanzler Olaf Scholz nimmt, könnte der Finanzminister Christian Lindner heißen oder Robert Habeck. Das wäre nicht dasselbe. Wenn man sich auf die Erklärungen verlässt, könnte es mit Lindner komplizierter werden. Aber ich warte ab, welches die konkreten Prioritäten sind. Übrigens hat Bruno Le Maire angedeutet, dass die Reform des Stabilitätspaktes keine Priorität für Frankreich ist.
Und bei der Klimapolitik?
Außer bei einer erneuten Großen Koalition werden wir eine Beschleunigung sehen, durch die Regierungsbeteiligung der Grünen. Der Green Deal wäre sehr präsent, Frankreich würde dadurch unter Druck gesetzt. Bei der Industriepolitik glaube ich hingegen nicht, dass sie das erste Thema einer Koalition würde.
Sollte die neue Bundesregierung eine Investitionsoffensive anschieben, auch in Europa?
Wir brauchen große Investitionen für den Klimaschutz, und auch fürs Digitale. Der Stabilitätspakt kann aber nicht nur ein Investitionspakt sein, er muss sich vor allem um die Frage der öffentlichen Schulden kümmern. Jede Diskussion darüber sollte die Tragfähigkeit der öffentlichen Schulden ins Zentrum rücken.
Braucht es eine Verstetigung des EU-Aufbaufonds?
Priorität ist es, den Aufbaufonds wirksam umzusetzen und ihn auf europäischer Ebene zu beurteilen. Wir können nicht etwas Neues planen, bevor wir nicht mehr Erfahrung über diese Initiative und die Resultate gesammelt haben. Dann erst stellt sich die Frage, ob wir noch weitergehen sollten.
Was erwarten Sie außenpolitisch von der neuen Bundesregierung, besonders mit Blick auf die USA und China?
Bei den Beziehungen zu den USA und China haben Frankreich und Deutschland ähnliche Interessen. Aber die unmittelbaren Sorgen sind anders, etwa in Bezug auf China: Deutschland ist wirtschaftlich abhängiger als Frankreich. Die französische Erwartung an Deutschland ist, dass man bei wichtigen Themen gemeinsam agiert, bei der strategischen Autonomie Europas etwa und in Bezug auf chinesische Investitionen.
Die Europäische Union prüft im Stahl- und Aluminiumstreit mit den USA Lösungen, die Elemente des Einfuhrmonitoring beinhalten. Man sei bereit, sich die Lösungen anzuschauen, die Washington 2019 mit Kanada, Mexiko und anderen Ländern vereinbart hatte, sagte EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis am Dienstag vor einem Treffen mit der US-Handelsbeauftragten Katherine Tai. Einzelheiten nannte er nicht.
Die US-Abkommen mit Kanada und Mexiko sehen eine strenge Überwachung der Importe vor, im Gegenzug hob die Trump-Regierung die zuvor verhängten Zölle auf. Sollten die Einfuhren aus Kanada oder Mexiko “über einen bestimmten Zeitraum hinweg in bedeutendem Maße über die historischen Mengen hinaus ansteigen”, können die USA demnach Konsultationen beantragen. Danach behalten sie sich das Recht vor, erneut Zölle in Höhe von 25 Prozent auf Stahl und 10 Prozent auf Aluminium einzuführen. Die EU hatte eine solche Vereinbarung 2019 abgelehnt.
Dombrovskis sagte, dass die Zeit für eine Einigung langsam knapp werde. Diese müsse bis Anfang November erzielt werden, da es wahrscheinlich einen Monat dauern würde, bis sie umgesetzt wird. Danach würde die Übergangsregelung auslaufen, die derzeit die Strafmaßnahmen aussetzt. “Wir sind bereit, uns anzuschauen, welche Arten von verschiedenen Lösungen es gibt und was im Fall der EU möglicherweise nützlich ist”, so der Vizepräsident der Kommission.
Die Trump-Regierung verhängte die sogenannten “Section 232”-Zölle gegen EU-Produkte im März 2018 mit der Begründung, dass die steigenden Stahl- und Aluminium-Importe die nationale Sicherheit der USA bedrohten, da sie die einheimischen Produzenten schwächten. Im Gegenzug verhängte die EU Zölle auf in den USA hergestellten Bourbon-Whiskey, Motorräder und andere US-Produkte.
Beide Seiten einigten sich im Mai darauf, den Streit nicht weiter zu verschärfen, und Verhandlungen zur Beilegung des Konflikts aufzunehmen. Brasilien und Südkorea haben sich mit den Vereinigten Staaten auf eine Kontingentregelung geeinigt, die zollfreie Einfuhren bis zu einer bestimmten Menge ermöglicht. rtr
Im Jahr 2020 ist die weltweite Stromerzeugung aus Kernenergie so stark zurückgegangen wie nie zuvor. Das geht aus dem World Nuclear Industry Status Report (WNISR) hervor, der am Dienstag veröffentlicht wurde. Zugleich hat die Kernkraftkapazität Mitte 2021 einen neuen Höchststand erreicht.
Wie der jährlich erscheinende Bericht zeigt, sinkt der Marktanteil der Atomkraft kontinuierlich und liegt bei derzeit rund zehn Prozent. Allein die Wasserkraft hat in den letzten drei Jahrzehnten mehr Strom erzeugt als die Kernkraft.
2020 wurde in der EU laut WNISR erstmals auch mit anderen erneuerbaren Energien, insbesondere Wind, Sonne und Biomasse, mehr Strom erzeugt als mit der Kernenergie. Einschließlich der Wasserkraft erzeugten die regenerativen Quellen mehr Strom als alle fossilen Brennstoffe zusammen.
Dass der Ausbau der Kapazitäten dennoch weltweit weiter zunimmt, liegt dem Bericht zufolge vor allem an China. Vier von fünf Reaktor-Neubauten im vergangenen Jahr gehen auf das Konto der Wirtschaftsmacht. Erstmals wurde in China mehr Atomstrom erzeugt als in Frankreich, womit das Land Rang zwei hinter den USA einnimmt. til
Der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments hat am Dienstag seine Position zur Verringerung der Methanemissionen festgelegt. In dem Bericht fordern die Abgeordneten die Kommission auf, in einem neuen Gesetz verbindliche Maßnahmen und Reduktionsziele festzuschreiben.
Dabei sollen von Landwirtschaft über Abfallwirtschaft bis Industrie und Energie alle Methan emittierenden Sektoren abgedeckt werden. Einen entsprechenden Legislativvorschlag hatte die Kommission für Mitte Dezember angekündigt.
Daneben drängen die Abgeordneten auf ein verbindliches globales Abkommen über Methan auf der bevorstehenden Weltklimakonferenz in Glasgow. In einer gemeinsamen Erklärung hatten die EU und die USA bereits angekündigt, bei der COP26 einen “global methane pledge” auf den Weg bringen und möglichst viele weitere Staaten dafür gewinnen zu wollen.
Die Reduktion von Methanemissionen sei eine der kosteneffizientesten Strategien, um den Klimawandel zu verlangsamen und gleichzeitig die Luftqualität zu verbessern und die Gesundheit der Bürger zu schützen, so der Ausschuss. Die größte Emissionsquelle bildet die Landwirtschaft. Dennoch gilt die Reduktion in diesem Sektor als schwierig, da die Emissionen in erster Linie durch Viehhaltung verursacht werden.
Auch bei der Deponierung von Abfällen entstehen, neben der Boden- und Wasserverschmutzung, viele Treibhausgase. Die Abgeordneten fordern verbindliche EU-Ziele für die Industrie und eine Überarbeitung der Abfall- und Deponierichtlinie.
Im Energiesektor wollen die Ausschussmitglieder eine bessere Überwachung der Gaspipelines, sodass Leckagen früher erkannt und repariert werden. Da mehr als 80 Prozent des in der EU verbrauchten Erdöls und Erdgases aus Drittländern stammt, müsse der Import fossiler Brennstoffe von der Einhaltung der EU-Vorschriften abhängig gemacht werden.
Methan verursacht zwar in Summe weniger Emissionen als CO2, ist laut Berechnungen des Weltklimarats IPCC aber bis zu 28-mal klimawirksamer. Über den Bericht des Umweltausschusses stimmt voraussichtlich Ende Oktober das Plenum des Parlaments ab. til
Griechenland hat mit Frankreich einen Vertrag über die Lieferung von drei Fregatten im Wert von rund drei Milliarden Euro abgeschlossen. Zudem besteht die Option auf eine weitere Fregatte der französischen Staatswerft Naval Group. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis und Präsident Emmanuel Macron verkündeten die Vereinbarung am Dienstag in einer Pressekonferenz. Dabei handele es sich um “einen mutigen ersten Schritt hin zu strategischer Autonomie Europas”, sagte Macron.
Um den Auftrag hatte sich auch eine britische Werft beworben. Vor knapp zwei Wochen hatte Australien einen Multi-Milliarden-Auftrag für U-Boote der Naval Group zugunsten der USA und Großbritanniens storniert. Paris reagierte wütend, und forderte unter anderem die Verschiebung der ersten Sitzung des Handels- und Technologierates zwischen der EU und den USA. Diese findet aber wie geplant an diesem Mittwoch in Pittsburgh statt.
Macron forderte in Athen, die Europäer dürften nicht naiv sein bei der Wahrung eigener Interessen. “Wenn wir unter Druck von Staaten geraten, die eine härtere Haltung einnehmen, müssen wir reagieren und zeigen, dass wir die Mittel und den Willen haben, uns zu verteidigen.” Der Aufbau einer europäischen Verteidigungsunion diene nicht dafür, einen Ersatz zur Allianz mit den USA zu schaffen. Aber die Europäer müssten innerhalb der Nato die Verantwortung für ihren eigenen Schutz übernehmen. rtr/tho
Der Ton im Streit zwischen der Ukraine und Ungarn wegen des Streits über ein Erdgas-Abkommen mit Gazprom wird rauer. Beide Länder bestellten am Dienstag jeweils den Botschafter des anderen Landes ein. Die Ukraine schaltete zudem die EU-Kommission ein, um zu prüfen, ob der Vertrag mit den europäischen Energiegesetzen vereinbar sei.
Energieminister German Galuschtschenko sollte noch im Tagesverlauf EU-Energiekommissarin Kadri Simson treffen, wie ein Sprecher der EU-Kommission ankündigte. Russland warnte seinerseits die Ukraine davor, sich bei dem Abkommen mit Ungarn einzumischen. Es würden weder Rechte noch Standards gebrochen, sagte der Sprecher des russischen Präsidialamtes, Dmitri Peskow.
Ab dem 1. Oktober liefert Gazprom dem EU-Mitglied Ungarn jährlich 4,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas, was in etwa der Hälfte des Jahresbedarfs entspricht. Der Transport läuft über zwei Routen: 3,5 Milliarden Kubikmeter sollen über Serbien fließen und eine Milliarde über Österreich. Damit entgehen der Ukraine Durchleitungsgebühren. Zudem fürchtet das Land um seine eigene Energieversorgung.
Die Ukraine warf Ungarn vor, politisch motiviert zu handeln. Ungarns Außenminister Peter Szijjarto konterte, die Ukraine mische sich ein. Das Abkommen habe keine politischen Gründe. Die klassische Route für russisches Erdgas führt durch die Ukraine. Russland sucht aber andere Wege, um die Ukraine zu umgehen und setzt deswegen auf Pipelines wie Nord Stream nach Deutschland und Turkstream in die Türkei. rtr
Zwischen China und dem EU-Staat Tschechien braut sich ein Disput über die potenzielle Beteiligung der Volksrepublik an einer Ausschreibung für den Ausbau eines tschechischen Atomkraftwerks zusammen: Der tschechische Präsident Miloš Zeman hatte zu Beginn der Woche ein Gesetz unterzeichnet, das chinesischen Unternehmen die Beteiligung am Bau eines neuen Blocks des Kernkraftwerks Dukovany im Südosten des Landes verbietet, wie das tschechische Radio berichtete. Peking ist damit nicht einverstanden.
Das sogenannte Low-Carbon-Gesetz war zuvor von beiden Kammern des tschechischen Parlaments verabschiedet worden. Es schließt unter anderem chinesische sowie auch russische Unternehmen von der Liste potenzieller Baubeteiligter aus. Denn laut der Gesetzgebung dürfen nur Technologien aus Ländern, die dem internationalen Abkommen über staatliche Aufträge von 1996 beigetreten sind, beim Bau und im späteren Betrieb des AKW Dukovany verwendet werden – weder Russland noch China sind jedoch dem Bericht zufolge Unterzeichner des Abkommens.
Peking reagierte prompt: China erwarte von Tschechien eine Neubewertung der Entscheidung, sagte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums am Dienstag laut der russischen Presseagentur Tass. Tschechien solle zu den Regeln des freien Marktes zurückkehren, lautete demnach die Aufforderung. ari
Einen Tag vor dem Beginn des “EU-US Trade and Technology Council” (TTC) hat die chinesische Regierung nach eigenen Angaben Brüssel gegenüber eine Zusammenarbeit im Technologie-Bereich angeboten. Chinas Außenminister Wang Yi habe sich mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell über die Förderung der Zusammenarbeit in den Bereichen der technologischen Innovation, Finanzen, Energie und Landwirtschaft ausgetauscht, teilte die chinesische Seite nach einem Videogespräch am Dienstag mit.
Die Volksrepublik und die Europäische Union sollten zudem über einen gemeinsamen Aufbau der “Belt and Road”-Initiative und deren EU-Pendant, die Konnektivitätsstrategie (seit SOTEU umbenannt zu “Global Gateway”), sprechen, hieß es in der Erklärung. In der Pressemitteilung der EU wurde das Thema nicht erwähnt. Das erste Treffen des TTC ist für heute in Pittsburgh angesetzt (China.Table berichtete).
Borrell und Wang sprachen zudem über eine Kooperation bei der Herstellung von Impfstoffen und der weltweiten Versorgung damit sowie über Taiwan, Menschenrechte in Xinjiang und Hongkong, das neue Sicherheitsbündnis Aukus und über die EU-Indo-Pazifik-Strategie. Wang sagte laut der chinesischen Erklärung, China sei “bereit, einen Menschenrechtsdialog zu führen”, aber “keine Menschenrechtslehrer” zu akzeptieren. Die EU setze sich für die Wiederaufnahme des EU-China-Menschenrechtsdialogs ein, hieß es in der EU-Erklärung. Demnach äußerte Borrell “seine Hoffnung, dass das nächste Treffen noch vor Ende des Jahres stattfinden könne.” ari
Der Ausschuss für Industrie und Energie des Europäischen Parlaments hat am Dienstag für die Anpassung der Kriterien bei der Auswahl förderfähiger Energie-Infrastrukturprojekte abgestimmt. Dabei sprachen sich die Abgeordneten auch für das schrittweise Auslaufen fossiler Gase aus.
Zu den sogenannten Projects of common interest (PCI) gehören etwa Hochspannungsleitungen, Pipelines, Energiespeicher oder intelligente Netze, die neben dem Erhalt von EU-Geldern auch in den Genuss beschleunigter Verwaltungsverfahren kommen.
Mit der Überarbeitung der Richtlinien soll die TEN-E-Verordnung für grenzüberschreitende Infrastruktur mit den Zielen des Green Deal in Einklang gebracht werden. So sprachen sich die Abgeordneten unter anderem für die Finanzierung von Wasserstoffinfrastrukturen wie Elektrolyseuren sowie für die CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) aus.
Projekte, die auf Erdgas basieren, sollen keine EU-Förderung mehr erhalten. Beschleunigte Genehmigungsverfahren und staatliche Finanzierungshilfen sollen für die Übergangsphase jedoch weiterhin möglich sein, was im Ausschuss für Kontroversen sorgte und bei Umweltverbänden auf Kritik stößt.
Zwar bekannten sich die Abgeordneten zu einer Stärkung der Nachhaltigkeitskriterien. Daneben müssten die Projekte aber weiterhin anhand ihres Beitrags zur Energiesicherheit, zur Marktintegration und zur Erschwinglichkeit für die Endverbraucher bewertet werden, um Energiearmut zu verhindern. til
Digitale Daten als Grundlage für KI seien eine wichtige Ressource im Kampf gegen den Klimawandel, schreibt Geoff Mulgan im Standpunkt. Doch zurzeit würden sie in weiten Teilen von privaten Unternehmen unter Verschluss gehalten. Um das zu ändern, brauche es politischen Willen.
Daten und Technologien wie künstliche Intelligenz (KI) werden voraussichtlich eine sehr große Rolle im Kampf gegen den Klimawandel spielen. Doch dazu müssen wir das Datenmanagement grundlegend ändern. Wir werden uns von den derzeit vorherrschenden kommerziellen, proprietären Modellen verabschieden müssen.
Die Digitalisierung mag zwar klimafreundlich erscheinen, aber Aktivitäten in der digitalen Welt und im Internet sind bereits für rund 3,7 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen verantwortlich, was in etwa dem Anteil des Flugverkehrs entspricht. In den Vereinigten Staaten entfallen etwa 2 Prozent des gesamten Stromverbrauchs auf Rechenzentren.
Noch um einiges schlechter sind die Zahlen für KI. Einer Schätzung zufolge werden beim Training eines Algorithmus für maschinelles Lernen 284.000 Kilogramm CO2 freigesetzt – das Fünffache des lebenslangen Kraftstoffverbrauchs eines durchschnittlichen Autos. Angesichts des rasanten KI-Wachstums ist mit einem starken Anstieg dieser Emissionen zu rechnen. Und der vielleicht schlimmste Übeltäter ist Blockchain, die Technologie hinter Bitcoin. Allein das Bitcoin-Mining, also der Rechenprozess zur Verifizierung von Transaktionen, hinterlässt einen CO2-Fußabdruck, der etwa dem von ganz Neuseeland entspricht.
Big Tech selbst hat nur langsam begonnen, sich mit der Klimakrise auseinanderzusetzen. Apple ist so ein Beispiel. Stets unter Druck, immer wieder neue Generationen von iPhones oder iPads herauszubringen, zeigte man sich in der Vergangenheit an Umweltproblemen notorisch uninteressiert, obwohl das Unternehmen in hohem Maße zum Problem des Elektroschrotts beiträgt.
Auch Facebook schwieg lange zu dem Thema, bevor es Ende letzten Jahres ein Online-Klimainformationszentrum ins Leben rief. Und bei Amazon herrschte ebenfalls Funkstille, bis im Jahr 2020 der mit 10 Milliarden Dollar dotierte Bezos Earth Fund eingerichtet wurde. Diese Entwicklungen sind durchaus zu begrüßen. Aber was hat da so lange gedauert?
Die verspätete Reaktion von Big Tech ist Ausdruck eines tieferliegenden Problems. Es existiert eine Fülle von Daten – der Treibstoff aller KI-Systeme – über Vorgänge in Energienetzen, Gebäuden und Verkehrssystemen. Allerdings befinden sich fast alle dieser Daten in Firmeneigentum und werden von den Unternehmen sorgfältig unter Verschluss gehalten. Um diese kritische Ressource optimal nutzen zu können, müssen diese Datensätze geöffnet, standardisiert und zur gemeinsamen Nutzung geteilt werden.
Daran wird bereits gearbeitet. Die Plattform C40 Knowledge Hub bietet ein interaktives Dashboard zur Nachverfolgung globaler Emissionen; NGOs wie Carbon Tracker nutzen Satellitendaten, um Kohle-Emissionen abzubilden; und das “Icebreaker One“-Projekt soll Anlegern dabei helfen, die vollständigen Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf den CO2-Ausstoß nachzuvollziehen. Diese Initiativen stecken allerdings noch in den Kinderschuhen, sind fragmentiert und durch die verfügbaren Daten begrenzt.
Für die Freigabe von wesentlich mehr Daten ist politischer Wille notwendig. Auf Grundlage von Daten, die als “Gemeingut” genutzt werden, kann KI eingesetzt werden, um ganzen Städten oder Ländern bei der Reduktion ihrer Emissionen zu helfen. Wie eine im Jahr 2019 publizierte wissenschaftliche Arbeit von Fachleuten für maschinelles Lernen zeigt, mangelt es nicht an Ideen, wie diese Technologie eingesetzt werden kann.
Das bringt uns jedoch zu einer zweiten großen Herausforderung: Wer wird Eigentümer dieser Daten und Algorithmen sein oder sie verwalten? Im Moment hat niemand eine gute, schlüssige Antwort darauf. In den nächsten zehn Jahren werden wir neue und verschiedene Arten von Datentrusts konzipieren müssen, um Daten in einer Vielzahl von Kontexten zu kuratieren und gemeinsam zu nutzen.
So sind in Sektoren wie Verkehr und Energie öffentlich-private Partnerschaften wahrscheinlich der beste Ansatz, während in Bereichen wie der Forschung rein öffentliche Einrichtungen besser geeignet sind. Das Fehlen solcher Institutionen ist einer der Gründe, warum so viele Smart-City-Projekte scheitern. Ob Alphabets Sidewalk Labs in Toronto oder Replica in Portland – sie sind nicht in der Lage, die Öffentlichkeit von ihrer Vertrauenswürdigkeit zu überzeugen.
Außerdem werden wir neue Regularien brauchen. Eine Möglichkeit besteht darin, die gemeinsame Nutzung von Daten zu einer Standardbedingung für die Erteilung einer Betriebsgenehmigung zu machen. Privatunternehmen, die Strom erzeugen, 5G-Netze verwalten, städtische Straßen nützen oder eine Baugenehmigung beantragen, müssten relevante Daten in einer entsprechend standardisierten, anonymisierten und maschinenlesbaren Form bereitstellen.
Das derzeitige Unvermögen zur Mobilisierung künstlicher Intelligenz ist einerseits Ausdruck der Dominanz von Geschäftsmodellen zur Datensammlung, aber auch eines tiefen Ungleichgewichts der öffentlichen institutionellen Strukturen. Die Europäische Union verfügt beispielsweise über große Finanzinstitutionen wie die Europäische Investitionsbank, aber über keine vergleichbaren Einrichtungen, die auf die Abstimmung des Daten- und Wissensflusses spezialisiert sind. Wir haben den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank, aber keinen Weltdatenfonds.
Dieses Problem ist nicht unlösbar. Doch es muss anerkannt und ernst genommen werden. Vielleicht gelingt es dann, einen winzigen Teil der enormen Finanzmittel, die derzeit in grüne Investitionen fließen, in Richtung der so dringend benötigten Finanzierung grundlegender Daten- und Wissenszusammenführung zu lenken.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier, in Kooperation mit Project Syndicate
Die Fotos erinnern ein wenig an die Ölpreiskrise von 1973, nur eben in Farbe: lange Fahrzeugschlangen vor den Zapfsäulen, frustrierte Autofahrer, die unverrichteter Dinge umkehren müssen. Seit vier Tagen schon machen massive Lieferengpässe dem Vereinigten Königreich zu schaffen, zeitweise ging an zwei Dritteln der Tankstellen das Benzin aus.
Die Royal Army mobilisierte bereits 150 Fahrer von Tanklastern, um die Engpässe zu lindern. Denn knapp ist nicht der Sprit in den Raffinerien; knapp sind die Lkw-Fahrer, die ihn zu den Tankstellen transportieren. Die Regierung in London hat deshalb angekündigt, 5000 zeitlich befristete Visa für Fahrer aus dem Ausland auszustellen.
Viel bewirken dürfte das Angebot aber nicht, jedenfalls wenn man der deutschen Speditionsbranche folgt. Nach dem Brexit hätten 14.000 Fahrer aus dem EU-Ausland die rechtliche Grundlage für ihre Weiterbeschäftigung verloren, sagt der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Spedition und Logistik, Frank Huster. “Der Arbeitsmarkt auf dem europäischen Kontinent hat diese Beschäftigten dankbar aufgenommen – sie sind für eine Neubeschäftigung im Vereinigten Königreich jetzt verloren“. tho
Die Bundestagswahl-Gewinner bringen sich in Stellung: FDP und Grüne treffen sich heute zu ersten Sondierungen, auch die SPD lädt zum Gespräch. Die Union hat eine Zerreißprobe abgewendet, die eine Kampfabstimmung um den Fraktionsvorsitz bedeutet hätte. Stattdessen wurde Ralph Brinkhaus wiedergewählt – für sechs Monate. Wie es um Armin Laschet steht und wie die weiteren Sondierungsvorbereitungen laufen, hat Falk Steiner analysiert.
Ampel oder Jamaika, das ist für den französischen Ökonomen Jean Pisani-Ferry zweitrangig. Ihn interessiert vor allem, welche Parteien die entscheidenden Regierungsämter besetzen. Im Interview erklärt er, warum die SPD in der Verteidigungs- und ein FDP-Finanzminister in der Finanzpolitik zu deutsch-französischen Spannungen führen könnten.
Frankreich ist es, das vor dem Auftakt des Handels- und Technologierates (TTC) den Ärger der anderen EU-Staaten auf sich zieht. Paris geht die gemeinsame Erklärung mit der US-Regierung zu weit, ist damit aber im Rat isoliert. Die EU-Kommission will sich das Event an diesem Mittwoch ohnehin nicht verderben lassen. Vizepräsident Valdis Dombrovskis signalisierte am Vorabend bei einem Treffen mit der US-Handelsbeauftragten Katherine Tai noch Bewegung im Stahl- und Aluminiumstreit.
Armin Laschet hält erstaunlich viel aus. Ralph Brinkhaus aus dem ostwestfälischen Gütersloh, immerhin aus demselben Landesverband, ist von der Fraktion als Vorsitzender für ein halbes Jahr wiedergewählt worden. Das ist länger als von Laschet gewünscht und kürzer als von Ralph Brinkhaus erhofft. Armin Laschet räumte in der Fraktionssitzung Fehler ein.
Und so überlebte der Unions-Kanzlerkandidat auch gestern noch im politischen Berlin. Weiterhin steht ihm zumindest die theoretische Chance offen, ein Jamaika-Bündnis unter seiner Führung zu bilden – das ist mehr, als noch zu Beginn des Tages zu erwarten war. Die Fraktionsführung ist das wohl wichtigste Amt einer potenziellen Oppositionspartei.
Brinkhaus bedankte sich auf seine Art: “Armin Laschet wird bestimmt nicht als Fraktionsvorsitzender kandidieren, wenn die Union in die Opposition geht”, sagte er im Tagesthemen-Interview. Die CSU-Landesgruppe um Alexander Dobrindt hatte, natürlich im Einvernehmen mit Laschets Kontrahent Markus Söder, keinen Hehl daraus gemacht, dass sie nicht bereit ist, Laschet zum Oppositionsführer im Bund zu machen. Und so brauchte dieser einmal mehr Söders Unterstützung für die verkürzte Wahl des Fraktionsvorsitzenden.
Auch aus den Ost-Landesverbänden kam unverhohlene Kritik: Seit der Kandidatenkür habe es Motivationsprobleme bei der Sachsen-CDU gegeben, berichtete etwa Carsten Körber, der Vorsitzende der nun nur noch sechsköpfigen CDU-Landesgruppe im Bundestag.
Ruhe herrscht aufseiten der FDP – hier ist Christian Lindner für den Moment unumstritten. Bei den Grünen versuchte Robert Habeck heute den Eindruck auszuräumen, dass er mit Annalena Baerbock das Fell des Bären bereits final verteilt habe und er Vizekanzler würde. Dies sei jetzt nicht der Zeitpunkt um über Positionen zu sprechen, sagte Habeck.
Die SPD hat ihr Verhandlungsteam für die Vorsondierung zusammengestellt: Neben Olaf Scholz besteht es aus den beiden Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, dem Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich und Generalsekretär Lars Klingbeil. Hinzu kommt die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, die in ihrem Bundesland einer Ampelregierung vorsitzt und aus Mainz FDP-Generalsekretär Volker Wissing bestens kennt.
Wenn FDP und Grüne wollten, könnte noch diese Woche ein erstes Treffen stattfinden, so die Sozialdemokraten. Mützenich nahm die Fraktionssitzung zum Anlass, den potenziellen Koalitionspartnern noch eine Spitze mit auf den Weg zu geben: Beide kleinen Parteien müssten sich klar werden, “dass das Schauspiel, was sie vor vier Jahren hier manchmal auf Balkonen absolviert haben, nicht den Aufgaben gerecht wird”.
Eine Aufforderung, die FDP und Grüne kaum zu brauchen scheinen: Anders als vor vier Jahren, als Jamaika als politisches Projekt über Wochen inszeniert wurde, dringt derzeit wenig über die jeweiligen Positionen nach außen. FDP und Grüne wollen sich am heutigen Mittwoch treffen, um sich zu besprechen. Ort und genauer Teilnehmerkreis sind bislang unbekannt. Dass sie dafür den Ort des inoffiziellen grün-gelben Gesprächskreises “Lebensstern” wählen, erscheint dabei ausgeschlossen: Die gleichnamige Bar des Einstein-Stammhauses in der Berliner Kurfürstenstraße ist nur wenige Meter von der CDU-Zentrale entfernt.
Herr Pisani-Ferry, befürchten Sie eine langwierige Regierungsbildung in Deutschland?
Erfahrungsgemäß kann es lange dauern, wenn man sich an 2017 erinnert. Für Frankreich gibt es keine Dringlichkeit. Auch Europa kann es sich erlauben, abzuwarten. Frankreich ist wegen seiner EU-Präsidentschaft und der Wahlen im kommenden Jahr zwar etwas ungeduldiger. Ich glaube aber nicht, dass es die Kampagne dort verändert: In Frankreich geht es, wie in Deutschland, vor allem um innenpolitische Themen.
Was würde eine Jamaika-Koalition für Frankreich und Europa bedeuten, was eine Ampelkoalition?
Wir müssen sehen, welches die Themen bei den Koalitionen sein werden. Auch die Verteilung der Verantwortlichkeiten ist wichtig – wer wird Außenminister, wer Finanzminister? Ich denke, mit einer Ampelkoalition wird es keine großen Probleme geben. Schwierigkeiten mit der SPD könnten beim Thema Verteidigung auftreten, dort sind die Sozialdemokraten reservierter als die CDU. Bei den Grünen wird es sich um die Atompolitik drehen, und bei der FDP um Budgetregeln und Steuerthemen (Europe.Table berichtete). Auf französischer Seite wird man auf diese Themen besonders achten.
Im Einzelnen: Welche Auswirkungen erwarten Sie auf die Diskussionen um den Stabilitätspakt?
Entscheidend ist weniger, welche Koalition es wird, als die Themen und die Verantwortlichkeiten in dem Bündnis. Wenn man etwa eine Koalition mit Kanzler Olaf Scholz nimmt, könnte der Finanzminister Christian Lindner heißen oder Robert Habeck. Das wäre nicht dasselbe. Wenn man sich auf die Erklärungen verlässt, könnte es mit Lindner komplizierter werden. Aber ich warte ab, welches die konkreten Prioritäten sind. Übrigens hat Bruno Le Maire angedeutet, dass die Reform des Stabilitätspaktes keine Priorität für Frankreich ist.
Und bei der Klimapolitik?
Außer bei einer erneuten Großen Koalition werden wir eine Beschleunigung sehen, durch die Regierungsbeteiligung der Grünen. Der Green Deal wäre sehr präsent, Frankreich würde dadurch unter Druck gesetzt. Bei der Industriepolitik glaube ich hingegen nicht, dass sie das erste Thema einer Koalition würde.
Sollte die neue Bundesregierung eine Investitionsoffensive anschieben, auch in Europa?
Wir brauchen große Investitionen für den Klimaschutz, und auch fürs Digitale. Der Stabilitätspakt kann aber nicht nur ein Investitionspakt sein, er muss sich vor allem um die Frage der öffentlichen Schulden kümmern. Jede Diskussion darüber sollte die Tragfähigkeit der öffentlichen Schulden ins Zentrum rücken.
Braucht es eine Verstetigung des EU-Aufbaufonds?
Priorität ist es, den Aufbaufonds wirksam umzusetzen und ihn auf europäischer Ebene zu beurteilen. Wir können nicht etwas Neues planen, bevor wir nicht mehr Erfahrung über diese Initiative und die Resultate gesammelt haben. Dann erst stellt sich die Frage, ob wir noch weitergehen sollten.
Was erwarten Sie außenpolitisch von der neuen Bundesregierung, besonders mit Blick auf die USA und China?
Bei den Beziehungen zu den USA und China haben Frankreich und Deutschland ähnliche Interessen. Aber die unmittelbaren Sorgen sind anders, etwa in Bezug auf China: Deutschland ist wirtschaftlich abhängiger als Frankreich. Die französische Erwartung an Deutschland ist, dass man bei wichtigen Themen gemeinsam agiert, bei der strategischen Autonomie Europas etwa und in Bezug auf chinesische Investitionen.
Die Europäische Union prüft im Stahl- und Aluminiumstreit mit den USA Lösungen, die Elemente des Einfuhrmonitoring beinhalten. Man sei bereit, sich die Lösungen anzuschauen, die Washington 2019 mit Kanada, Mexiko und anderen Ländern vereinbart hatte, sagte EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis am Dienstag vor einem Treffen mit der US-Handelsbeauftragten Katherine Tai. Einzelheiten nannte er nicht.
Die US-Abkommen mit Kanada und Mexiko sehen eine strenge Überwachung der Importe vor, im Gegenzug hob die Trump-Regierung die zuvor verhängten Zölle auf. Sollten die Einfuhren aus Kanada oder Mexiko “über einen bestimmten Zeitraum hinweg in bedeutendem Maße über die historischen Mengen hinaus ansteigen”, können die USA demnach Konsultationen beantragen. Danach behalten sie sich das Recht vor, erneut Zölle in Höhe von 25 Prozent auf Stahl und 10 Prozent auf Aluminium einzuführen. Die EU hatte eine solche Vereinbarung 2019 abgelehnt.
Dombrovskis sagte, dass die Zeit für eine Einigung langsam knapp werde. Diese müsse bis Anfang November erzielt werden, da es wahrscheinlich einen Monat dauern würde, bis sie umgesetzt wird. Danach würde die Übergangsregelung auslaufen, die derzeit die Strafmaßnahmen aussetzt. “Wir sind bereit, uns anzuschauen, welche Arten von verschiedenen Lösungen es gibt und was im Fall der EU möglicherweise nützlich ist”, so der Vizepräsident der Kommission.
Die Trump-Regierung verhängte die sogenannten “Section 232”-Zölle gegen EU-Produkte im März 2018 mit der Begründung, dass die steigenden Stahl- und Aluminium-Importe die nationale Sicherheit der USA bedrohten, da sie die einheimischen Produzenten schwächten. Im Gegenzug verhängte die EU Zölle auf in den USA hergestellten Bourbon-Whiskey, Motorräder und andere US-Produkte.
Beide Seiten einigten sich im Mai darauf, den Streit nicht weiter zu verschärfen, und Verhandlungen zur Beilegung des Konflikts aufzunehmen. Brasilien und Südkorea haben sich mit den Vereinigten Staaten auf eine Kontingentregelung geeinigt, die zollfreie Einfuhren bis zu einer bestimmten Menge ermöglicht. rtr
Im Jahr 2020 ist die weltweite Stromerzeugung aus Kernenergie so stark zurückgegangen wie nie zuvor. Das geht aus dem World Nuclear Industry Status Report (WNISR) hervor, der am Dienstag veröffentlicht wurde. Zugleich hat die Kernkraftkapazität Mitte 2021 einen neuen Höchststand erreicht.
Wie der jährlich erscheinende Bericht zeigt, sinkt der Marktanteil der Atomkraft kontinuierlich und liegt bei derzeit rund zehn Prozent. Allein die Wasserkraft hat in den letzten drei Jahrzehnten mehr Strom erzeugt als die Kernkraft.
2020 wurde in der EU laut WNISR erstmals auch mit anderen erneuerbaren Energien, insbesondere Wind, Sonne und Biomasse, mehr Strom erzeugt als mit der Kernenergie. Einschließlich der Wasserkraft erzeugten die regenerativen Quellen mehr Strom als alle fossilen Brennstoffe zusammen.
Dass der Ausbau der Kapazitäten dennoch weltweit weiter zunimmt, liegt dem Bericht zufolge vor allem an China. Vier von fünf Reaktor-Neubauten im vergangenen Jahr gehen auf das Konto der Wirtschaftsmacht. Erstmals wurde in China mehr Atomstrom erzeugt als in Frankreich, womit das Land Rang zwei hinter den USA einnimmt. til
Der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments hat am Dienstag seine Position zur Verringerung der Methanemissionen festgelegt. In dem Bericht fordern die Abgeordneten die Kommission auf, in einem neuen Gesetz verbindliche Maßnahmen und Reduktionsziele festzuschreiben.
Dabei sollen von Landwirtschaft über Abfallwirtschaft bis Industrie und Energie alle Methan emittierenden Sektoren abgedeckt werden. Einen entsprechenden Legislativvorschlag hatte die Kommission für Mitte Dezember angekündigt.
Daneben drängen die Abgeordneten auf ein verbindliches globales Abkommen über Methan auf der bevorstehenden Weltklimakonferenz in Glasgow. In einer gemeinsamen Erklärung hatten die EU und die USA bereits angekündigt, bei der COP26 einen “global methane pledge” auf den Weg bringen und möglichst viele weitere Staaten dafür gewinnen zu wollen.
Die Reduktion von Methanemissionen sei eine der kosteneffizientesten Strategien, um den Klimawandel zu verlangsamen und gleichzeitig die Luftqualität zu verbessern und die Gesundheit der Bürger zu schützen, so der Ausschuss. Die größte Emissionsquelle bildet die Landwirtschaft. Dennoch gilt die Reduktion in diesem Sektor als schwierig, da die Emissionen in erster Linie durch Viehhaltung verursacht werden.
Auch bei der Deponierung von Abfällen entstehen, neben der Boden- und Wasserverschmutzung, viele Treibhausgase. Die Abgeordneten fordern verbindliche EU-Ziele für die Industrie und eine Überarbeitung der Abfall- und Deponierichtlinie.
Im Energiesektor wollen die Ausschussmitglieder eine bessere Überwachung der Gaspipelines, sodass Leckagen früher erkannt und repariert werden. Da mehr als 80 Prozent des in der EU verbrauchten Erdöls und Erdgases aus Drittländern stammt, müsse der Import fossiler Brennstoffe von der Einhaltung der EU-Vorschriften abhängig gemacht werden.
Methan verursacht zwar in Summe weniger Emissionen als CO2, ist laut Berechnungen des Weltklimarats IPCC aber bis zu 28-mal klimawirksamer. Über den Bericht des Umweltausschusses stimmt voraussichtlich Ende Oktober das Plenum des Parlaments ab. til
Griechenland hat mit Frankreich einen Vertrag über die Lieferung von drei Fregatten im Wert von rund drei Milliarden Euro abgeschlossen. Zudem besteht die Option auf eine weitere Fregatte der französischen Staatswerft Naval Group. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis und Präsident Emmanuel Macron verkündeten die Vereinbarung am Dienstag in einer Pressekonferenz. Dabei handele es sich um “einen mutigen ersten Schritt hin zu strategischer Autonomie Europas”, sagte Macron.
Um den Auftrag hatte sich auch eine britische Werft beworben. Vor knapp zwei Wochen hatte Australien einen Multi-Milliarden-Auftrag für U-Boote der Naval Group zugunsten der USA und Großbritanniens storniert. Paris reagierte wütend, und forderte unter anderem die Verschiebung der ersten Sitzung des Handels- und Technologierates zwischen der EU und den USA. Diese findet aber wie geplant an diesem Mittwoch in Pittsburgh statt.
Macron forderte in Athen, die Europäer dürften nicht naiv sein bei der Wahrung eigener Interessen. “Wenn wir unter Druck von Staaten geraten, die eine härtere Haltung einnehmen, müssen wir reagieren und zeigen, dass wir die Mittel und den Willen haben, uns zu verteidigen.” Der Aufbau einer europäischen Verteidigungsunion diene nicht dafür, einen Ersatz zur Allianz mit den USA zu schaffen. Aber die Europäer müssten innerhalb der Nato die Verantwortung für ihren eigenen Schutz übernehmen. rtr/tho
Der Ton im Streit zwischen der Ukraine und Ungarn wegen des Streits über ein Erdgas-Abkommen mit Gazprom wird rauer. Beide Länder bestellten am Dienstag jeweils den Botschafter des anderen Landes ein. Die Ukraine schaltete zudem die EU-Kommission ein, um zu prüfen, ob der Vertrag mit den europäischen Energiegesetzen vereinbar sei.
Energieminister German Galuschtschenko sollte noch im Tagesverlauf EU-Energiekommissarin Kadri Simson treffen, wie ein Sprecher der EU-Kommission ankündigte. Russland warnte seinerseits die Ukraine davor, sich bei dem Abkommen mit Ungarn einzumischen. Es würden weder Rechte noch Standards gebrochen, sagte der Sprecher des russischen Präsidialamtes, Dmitri Peskow.
Ab dem 1. Oktober liefert Gazprom dem EU-Mitglied Ungarn jährlich 4,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas, was in etwa der Hälfte des Jahresbedarfs entspricht. Der Transport läuft über zwei Routen: 3,5 Milliarden Kubikmeter sollen über Serbien fließen und eine Milliarde über Österreich. Damit entgehen der Ukraine Durchleitungsgebühren. Zudem fürchtet das Land um seine eigene Energieversorgung.
Die Ukraine warf Ungarn vor, politisch motiviert zu handeln. Ungarns Außenminister Peter Szijjarto konterte, die Ukraine mische sich ein. Das Abkommen habe keine politischen Gründe. Die klassische Route für russisches Erdgas führt durch die Ukraine. Russland sucht aber andere Wege, um die Ukraine zu umgehen und setzt deswegen auf Pipelines wie Nord Stream nach Deutschland und Turkstream in die Türkei. rtr
Zwischen China und dem EU-Staat Tschechien braut sich ein Disput über die potenzielle Beteiligung der Volksrepublik an einer Ausschreibung für den Ausbau eines tschechischen Atomkraftwerks zusammen: Der tschechische Präsident Miloš Zeman hatte zu Beginn der Woche ein Gesetz unterzeichnet, das chinesischen Unternehmen die Beteiligung am Bau eines neuen Blocks des Kernkraftwerks Dukovany im Südosten des Landes verbietet, wie das tschechische Radio berichtete. Peking ist damit nicht einverstanden.
Das sogenannte Low-Carbon-Gesetz war zuvor von beiden Kammern des tschechischen Parlaments verabschiedet worden. Es schließt unter anderem chinesische sowie auch russische Unternehmen von der Liste potenzieller Baubeteiligter aus. Denn laut der Gesetzgebung dürfen nur Technologien aus Ländern, die dem internationalen Abkommen über staatliche Aufträge von 1996 beigetreten sind, beim Bau und im späteren Betrieb des AKW Dukovany verwendet werden – weder Russland noch China sind jedoch dem Bericht zufolge Unterzeichner des Abkommens.
Peking reagierte prompt: China erwarte von Tschechien eine Neubewertung der Entscheidung, sagte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums am Dienstag laut der russischen Presseagentur Tass. Tschechien solle zu den Regeln des freien Marktes zurückkehren, lautete demnach die Aufforderung. ari
Einen Tag vor dem Beginn des “EU-US Trade and Technology Council” (TTC) hat die chinesische Regierung nach eigenen Angaben Brüssel gegenüber eine Zusammenarbeit im Technologie-Bereich angeboten. Chinas Außenminister Wang Yi habe sich mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell über die Förderung der Zusammenarbeit in den Bereichen der technologischen Innovation, Finanzen, Energie und Landwirtschaft ausgetauscht, teilte die chinesische Seite nach einem Videogespräch am Dienstag mit.
Die Volksrepublik und die Europäische Union sollten zudem über einen gemeinsamen Aufbau der “Belt and Road”-Initiative und deren EU-Pendant, die Konnektivitätsstrategie (seit SOTEU umbenannt zu “Global Gateway”), sprechen, hieß es in der Erklärung. In der Pressemitteilung der EU wurde das Thema nicht erwähnt. Das erste Treffen des TTC ist für heute in Pittsburgh angesetzt (China.Table berichtete).
Borrell und Wang sprachen zudem über eine Kooperation bei der Herstellung von Impfstoffen und der weltweiten Versorgung damit sowie über Taiwan, Menschenrechte in Xinjiang und Hongkong, das neue Sicherheitsbündnis Aukus und über die EU-Indo-Pazifik-Strategie. Wang sagte laut der chinesischen Erklärung, China sei “bereit, einen Menschenrechtsdialog zu führen”, aber “keine Menschenrechtslehrer” zu akzeptieren. Die EU setze sich für die Wiederaufnahme des EU-China-Menschenrechtsdialogs ein, hieß es in der EU-Erklärung. Demnach äußerte Borrell “seine Hoffnung, dass das nächste Treffen noch vor Ende des Jahres stattfinden könne.” ari
Der Ausschuss für Industrie und Energie des Europäischen Parlaments hat am Dienstag für die Anpassung der Kriterien bei der Auswahl förderfähiger Energie-Infrastrukturprojekte abgestimmt. Dabei sprachen sich die Abgeordneten auch für das schrittweise Auslaufen fossiler Gase aus.
Zu den sogenannten Projects of common interest (PCI) gehören etwa Hochspannungsleitungen, Pipelines, Energiespeicher oder intelligente Netze, die neben dem Erhalt von EU-Geldern auch in den Genuss beschleunigter Verwaltungsverfahren kommen.
Mit der Überarbeitung der Richtlinien soll die TEN-E-Verordnung für grenzüberschreitende Infrastruktur mit den Zielen des Green Deal in Einklang gebracht werden. So sprachen sich die Abgeordneten unter anderem für die Finanzierung von Wasserstoffinfrastrukturen wie Elektrolyseuren sowie für die CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) aus.
Projekte, die auf Erdgas basieren, sollen keine EU-Förderung mehr erhalten. Beschleunigte Genehmigungsverfahren und staatliche Finanzierungshilfen sollen für die Übergangsphase jedoch weiterhin möglich sein, was im Ausschuss für Kontroversen sorgte und bei Umweltverbänden auf Kritik stößt.
Zwar bekannten sich die Abgeordneten zu einer Stärkung der Nachhaltigkeitskriterien. Daneben müssten die Projekte aber weiterhin anhand ihres Beitrags zur Energiesicherheit, zur Marktintegration und zur Erschwinglichkeit für die Endverbraucher bewertet werden, um Energiearmut zu verhindern. til
Digitale Daten als Grundlage für KI seien eine wichtige Ressource im Kampf gegen den Klimawandel, schreibt Geoff Mulgan im Standpunkt. Doch zurzeit würden sie in weiten Teilen von privaten Unternehmen unter Verschluss gehalten. Um das zu ändern, brauche es politischen Willen.
Daten und Technologien wie künstliche Intelligenz (KI) werden voraussichtlich eine sehr große Rolle im Kampf gegen den Klimawandel spielen. Doch dazu müssen wir das Datenmanagement grundlegend ändern. Wir werden uns von den derzeit vorherrschenden kommerziellen, proprietären Modellen verabschieden müssen.
Die Digitalisierung mag zwar klimafreundlich erscheinen, aber Aktivitäten in der digitalen Welt und im Internet sind bereits für rund 3,7 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen verantwortlich, was in etwa dem Anteil des Flugverkehrs entspricht. In den Vereinigten Staaten entfallen etwa 2 Prozent des gesamten Stromverbrauchs auf Rechenzentren.
Noch um einiges schlechter sind die Zahlen für KI. Einer Schätzung zufolge werden beim Training eines Algorithmus für maschinelles Lernen 284.000 Kilogramm CO2 freigesetzt – das Fünffache des lebenslangen Kraftstoffverbrauchs eines durchschnittlichen Autos. Angesichts des rasanten KI-Wachstums ist mit einem starken Anstieg dieser Emissionen zu rechnen. Und der vielleicht schlimmste Übeltäter ist Blockchain, die Technologie hinter Bitcoin. Allein das Bitcoin-Mining, also der Rechenprozess zur Verifizierung von Transaktionen, hinterlässt einen CO2-Fußabdruck, der etwa dem von ganz Neuseeland entspricht.
Big Tech selbst hat nur langsam begonnen, sich mit der Klimakrise auseinanderzusetzen. Apple ist so ein Beispiel. Stets unter Druck, immer wieder neue Generationen von iPhones oder iPads herauszubringen, zeigte man sich in der Vergangenheit an Umweltproblemen notorisch uninteressiert, obwohl das Unternehmen in hohem Maße zum Problem des Elektroschrotts beiträgt.
Auch Facebook schwieg lange zu dem Thema, bevor es Ende letzten Jahres ein Online-Klimainformationszentrum ins Leben rief. Und bei Amazon herrschte ebenfalls Funkstille, bis im Jahr 2020 der mit 10 Milliarden Dollar dotierte Bezos Earth Fund eingerichtet wurde. Diese Entwicklungen sind durchaus zu begrüßen. Aber was hat da so lange gedauert?
Die verspätete Reaktion von Big Tech ist Ausdruck eines tieferliegenden Problems. Es existiert eine Fülle von Daten – der Treibstoff aller KI-Systeme – über Vorgänge in Energienetzen, Gebäuden und Verkehrssystemen. Allerdings befinden sich fast alle dieser Daten in Firmeneigentum und werden von den Unternehmen sorgfältig unter Verschluss gehalten. Um diese kritische Ressource optimal nutzen zu können, müssen diese Datensätze geöffnet, standardisiert und zur gemeinsamen Nutzung geteilt werden.
Daran wird bereits gearbeitet. Die Plattform C40 Knowledge Hub bietet ein interaktives Dashboard zur Nachverfolgung globaler Emissionen; NGOs wie Carbon Tracker nutzen Satellitendaten, um Kohle-Emissionen abzubilden; und das “Icebreaker One“-Projekt soll Anlegern dabei helfen, die vollständigen Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf den CO2-Ausstoß nachzuvollziehen. Diese Initiativen stecken allerdings noch in den Kinderschuhen, sind fragmentiert und durch die verfügbaren Daten begrenzt.
Für die Freigabe von wesentlich mehr Daten ist politischer Wille notwendig. Auf Grundlage von Daten, die als “Gemeingut” genutzt werden, kann KI eingesetzt werden, um ganzen Städten oder Ländern bei der Reduktion ihrer Emissionen zu helfen. Wie eine im Jahr 2019 publizierte wissenschaftliche Arbeit von Fachleuten für maschinelles Lernen zeigt, mangelt es nicht an Ideen, wie diese Technologie eingesetzt werden kann.
Das bringt uns jedoch zu einer zweiten großen Herausforderung: Wer wird Eigentümer dieser Daten und Algorithmen sein oder sie verwalten? Im Moment hat niemand eine gute, schlüssige Antwort darauf. In den nächsten zehn Jahren werden wir neue und verschiedene Arten von Datentrusts konzipieren müssen, um Daten in einer Vielzahl von Kontexten zu kuratieren und gemeinsam zu nutzen.
So sind in Sektoren wie Verkehr und Energie öffentlich-private Partnerschaften wahrscheinlich der beste Ansatz, während in Bereichen wie der Forschung rein öffentliche Einrichtungen besser geeignet sind. Das Fehlen solcher Institutionen ist einer der Gründe, warum so viele Smart-City-Projekte scheitern. Ob Alphabets Sidewalk Labs in Toronto oder Replica in Portland – sie sind nicht in der Lage, die Öffentlichkeit von ihrer Vertrauenswürdigkeit zu überzeugen.
Außerdem werden wir neue Regularien brauchen. Eine Möglichkeit besteht darin, die gemeinsame Nutzung von Daten zu einer Standardbedingung für die Erteilung einer Betriebsgenehmigung zu machen. Privatunternehmen, die Strom erzeugen, 5G-Netze verwalten, städtische Straßen nützen oder eine Baugenehmigung beantragen, müssten relevante Daten in einer entsprechend standardisierten, anonymisierten und maschinenlesbaren Form bereitstellen.
Das derzeitige Unvermögen zur Mobilisierung künstlicher Intelligenz ist einerseits Ausdruck der Dominanz von Geschäftsmodellen zur Datensammlung, aber auch eines tiefen Ungleichgewichts der öffentlichen institutionellen Strukturen. Die Europäische Union verfügt beispielsweise über große Finanzinstitutionen wie die Europäische Investitionsbank, aber über keine vergleichbaren Einrichtungen, die auf die Abstimmung des Daten- und Wissensflusses spezialisiert sind. Wir haben den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank, aber keinen Weltdatenfonds.
Dieses Problem ist nicht unlösbar. Doch es muss anerkannt und ernst genommen werden. Vielleicht gelingt es dann, einen winzigen Teil der enormen Finanzmittel, die derzeit in grüne Investitionen fließen, in Richtung der so dringend benötigten Finanzierung grundlegender Daten- und Wissenszusammenführung zu lenken.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier, in Kooperation mit Project Syndicate
Die Fotos erinnern ein wenig an die Ölpreiskrise von 1973, nur eben in Farbe: lange Fahrzeugschlangen vor den Zapfsäulen, frustrierte Autofahrer, die unverrichteter Dinge umkehren müssen. Seit vier Tagen schon machen massive Lieferengpässe dem Vereinigten Königreich zu schaffen, zeitweise ging an zwei Dritteln der Tankstellen das Benzin aus.
Die Royal Army mobilisierte bereits 150 Fahrer von Tanklastern, um die Engpässe zu lindern. Denn knapp ist nicht der Sprit in den Raffinerien; knapp sind die Lkw-Fahrer, die ihn zu den Tankstellen transportieren. Die Regierung in London hat deshalb angekündigt, 5000 zeitlich befristete Visa für Fahrer aus dem Ausland auszustellen.
Viel bewirken dürfte das Angebot aber nicht, jedenfalls wenn man der deutschen Speditionsbranche folgt. Nach dem Brexit hätten 14.000 Fahrer aus dem EU-Ausland die rechtliche Grundlage für ihre Weiterbeschäftigung verloren, sagt der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Spedition und Logistik, Frank Huster. “Der Arbeitsmarkt auf dem europäischen Kontinent hat diese Beschäftigten dankbar aufgenommen – sie sind für eine Neubeschäftigung im Vereinigten Königreich jetzt verloren“. tho