Table.Briefing: Europe

Schwimmende Windräder + Big-Tech-Lobbyismus + Sebastian Hallensleben

  • Das Potenzial der Floating-Offshore-Windenergie
  • Studie legt Lobby-Strategien von Google, Apple und Co in Brüssel offen
  • Laschet legt Plan für Ausbau der Erneuerbaren vor
  • Förderbanken sollen EU-Taxonomie bewerten
  • Im Portrait: Sebastian Hallensleben, Head of Digitalisation & AI beim VDE 
Liebe Leserin, lieber Leser,

ins Schwimmen kommen, das sollen die Windenergieanlagen. An Land sorgen immer mehr und immer größere Windräder für Konflikte. Auf dem Wasser aber wäre in Europa viel Platz für zusätzliche Kapazität. Doch vorher sind noch einige Probleme zu lösen, hat Timo Landenberger erfahren.

Big Tech steht im Fokus derzeitiger Regulierungsbemühungen der EU. Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft stemmen sich aber gegen strenge Regeln in DSA und DMA – und zwar mit finanzkräftigen Lobbystrategien, wie eine neue Studie von Lobbycontrol und Corporate Europe Observatory zeigt. Die hat sich Till Hoppe für Sie genauer angeschaut.

Im Portrait stellt Ihnen Sarah Schaefer einen Menschen vor, der sowohl in der KI- als auch der elektronischen Identitätspolitik stets an konkreten Lösungen arbeitet: Sebastian Hallensleben vom VDE.

Ihr
Falk Steiner
Bild von Falk  Steiner

Analyse

Schwimmende Windräder: Technologie mit großem Potenzial

Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Europa ist für das Erreichen der Klimaziele unumgänglich. So soll der Anteil der regenerativen Energien am Gesamtverbrauch laut Kommissionsvorschlag bis zum Jahr 2030 von derzeit etwa 20 Prozent auf 40 Prozent ansteigen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Windkraft, wobei der Ausbau an Land bereits jetzt an seine Grenzen stößt: Der Flächenverbrauch ist erheblich und der regionale Widerstand groß.

Auch deshalb setzt die Europäische Kommission zunehmend auf Offshore-Windanlagen. Die Brüsseler Behörde schlägt vor, die Offshore-Kapazitäten von zwölf Gigawatt (November 2020) bis zum Jahr 2030 auf 60 und bis 2050 auf 300 GW zu erhöhen. Das Problem: Die gängige Praxis der sogenannten Bottom-Fixed-Technologie – also Plattformen, die mittels Bohrung fest mit dem Meeresgrund verbunden sind – ist nur bis zu einer Meerestiefe von etwa 50 Metern wirtschaftlich rentabel und teils auch aufgrund der Bodenbeschaffenheit nicht umsetzbar.

Offshore-taugliche Meeresregionen in der EU finden sich deshalb bislang nur in der Nordsee und in Teilen der Ostsee. Dabei ist das Windkraft-Potenzial vor der Atlantik- und Mittelmeerküste enorm. Staaten wie Frankreich, Spanien und Griechenland wollen ebenfalls etwas vom Offshore-Kuchen abhaben und sind dabei, entsprechende Ausbauziele zu erarbeiten. Möglich werden soll das durch den großflächigen Einsatz einer neuen Technologie: schwimmende Windräder. Pilotprojekte dieser Floating-Offshore-Technologie laufen etwa vor den Küsten Schottlands und Portugals. Zahlreiche weitere Windparks sollen folgen.

Ein Drittel der Offshore-Ziele durch schwimmende Windräder

“Das Potenzial ist riesig”, sagt Christoph Zipf, Sprecher vom Windenergieverband Wind Europe. Der Verband rechnet damit, dass ein Drittel der angestrebten 300 GW Offshore-Windenergie bis 2050 durch Floating abgedeckt wird. Zwar sind die Kosten für die neue Technologie mit 200 Euro pro Megawatt noch mehr als doppelt so hoch wie für Bottom-Fixed-Anlagen (85 Euro/MW). Wind Europe rechnet jedoch mit hohen Skaleneffekten durch die Massenproduktion und prognostiziert, dass die beiden Technologien ab etwa 2040 Kostenparität erreichen könnten.

Darauf will sich Jonas Wolff von der Europäischen Investitionsbank (EIB) nicht festlegen. “Wir gehen davon aus, dass der Effekt eintritt. Aber wann, das ist schwer zu sagen.” Schließlich sei die Branche noch in der Demonstrationsphase, in der es darum gehe zu klären, dass die Floating-Technik funktioniere und wie.

Die Erkenntnisse aus laufenden Projekten wie dem Windpark vor der Küste Portugals, den die EIB mit einem Kredit über 60 Millionen Euro finanziert hat, seien aber vielversprechend. “Auch der inzwischen gängigen Offshore-Praxis wurde anfangs nachgesagt, sie sei viel zu teuer und würde sich niemals rechnen”, sagt Wolff zu Europe.Table. “Doch es wurde eine Wertschöpfungskette entwickelt und die Kosten konnten deutlich gesenkt werden. Das wird auch bei der Floating-Technologie funktionieren.”

Geringerer Umwelteinfluss

Zumal die Neuerung weitere Vorteile bereithält, darunter der geringere Umwelteinfluss. Zwar werden auch die schwimmenden Anlagen am Boden verankert. Die Anker seien aber deutlich kleiner als die Trägerstruktur der Bottom-Fixed-Anlagen, hätten somit erheblich geringere Auswirkungen auf den Boden und die Meeresbewohner und seien außerdem leichter wieder zu entfernen, sagt Mareike Leimeister vom Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme.

Auch die Montage sei einfacher. Bottom-Fixed-Anlagen werden dort aufgebaut, wo sie stehen sollen. Von der Bohrung über die Plattform bis zur Errichtung der Türme, Turbinen und Flügel. Die schwimmenden Systeme hingegen werden im Hafen in Trockendocks zusammengebaut und dann per Schlepper an ihren Bestimmungsort gezogen, wo sie mit Stahlseilen am Boden verankert werden.

Das erfordert zwar hohe Investitionen in die Infrastruktur der Häfen – Wind Europe rechnet mit etwa sechs Milliarden Euro bis 2030. Doch die Vorteile überwiegen, wie Leimeister sagt. So würden keine speziellen Installationsschiffe mit Schwerlastkran mehr benötigt, was perspektivisch auch den Einsatz größerer Anlagen mit einer höheren Leistung ermögliche.

Zunächst muss jedoch die Konstruktion der schwimmenden Plattformen weiter optimiert werden, um die Tragfähigkeit zu erhöhen. Sechs verschiedene Varianten dieser Floater sind laut Wind Europe derzeit im Einsatz und werden erprobt. Ähnliches gilt für die Ankersysteme, die die Anlagen auch bei Extremwetter stabilisieren müssen. Und die Netzanschlüsse müssen so konzipiert werden, dass Übertragungsverluste minimiert werden.

Projekt in Norwegen: 200 Meter Wassertiefe

Diesen Lernprozess will auch der Essener Energiekonzern RWE begleiten, der nach eigenen Angaben sein Portfolio an erneuerbaren Energien weiter ausbauen will. “Derzeit arbeiten wir an drei Demonstrationsprojekten in Norwegen, den USA und Spanien”, so eine RWE-Sprecherin. Diese seien wichtig, um den Weg für die kommerzielle Nutzung zu ebnen.

In Norwegen teste das Unternehmen eine Stahlrohr-Tragstruktur mit darunter hängendem Kiel. Für das Pilotprojekt wird eine 3,6-MW-Turbine verwendet, die im Hafen von Grenaa in Dänemark montiert und dann inklusive Plattform zum Teststandort in Norwegen geschleppt und dort installiert wurde. Der Standort befinde sich gut 16 Kilometer vor der Küste bei einer Wassertiefe von 200 Metern. Vor wenigen Tagen sei die Plattform per Kabel mit dem Festland verbunden worden. Noch in diesem Jahr soll der Floater vollständig in Betrieb genommen werden.

Derweil birgt die Technologie nicht nur für Europa großes Potenzial. Durch den flächendeckenden Einsatz weltweit könne das 18-fache des globalen Strombedarfs erzeugt werden, rechnet die Internationale Energie Agentur (IEA) aus. Tiefe Gewässer, die nur durch Floating erschlossen werden können, machen hierbei 80 Prozent aus. So könnten neue Märkte erschlossen werden, neben Europa besonders an der Westküste der USA oder in Asien.

Besonders hoch sei das Potenzial insbesondere dann, wenn dabei die mögliche Kombination von Floating-Offshore-Windparks mit der Produktion von grünem Wasserstoff vor Ort berücksichtigt werde, sagt Mareike Leimeister. “Das hat den Vorteil, dass selbst weit auf hoher See Floating-Windparks installiert werden können, ohne dass ein Leistungskabel gelegt werden muss.”

Denn der Wasserstoff könnte per Schiff ans Festland transportiert werden. Die Anlagen wären dann von der Küste aus gar nicht mehr sichtbar. Damit würde sich auch die absehbare Kritik erübrigen, dass die Anlagen beim Blick auf den Horizont stören.

  • Energie
  • Klima & Umwelt
  • Klimaschutz
  • Windkraft

Big Tech: Studie beleuchtet Lobby-Netzwerk

Dass Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft ihre Interessen in Brüssel offensiv vertreten, ist an sich keine Neuigkeit. Für die großen Digitalkonzerne steht viel auf dem Spiel, da Europaparlament und Rat derzeit über Digital Markets Act und Digital Services Act verhandeln – zwei Gesetzesakte, die die Geschäftsmodelle der US-Konzerne massiv beeinflussen könnten. Die Tech-Unternehmen haben überdies reichlich finanzielle Mittel.

Weniger bekannt ist, auf welchen Wegen die Konzerne ihre Botschaften platzieren. Eine neue Studie von Lobbycontrol und Corporate Europe Observatory beschreibt die Praktiken nun im Detail: “Big Techs Netz des Einflusses in der EU“, heißt der 48-seitige Bericht, der heute vorgestellt wird. Er liefert Einblicke, wie strategisches Lobbying heutzutage funktioniert und welcher Mittel sich die Industrie dabei bedient.

  • Große Budgets: Mehr als fünf Millionen Euro geben Google, Facebook und Microsoft demnach im Jahr für das Lobbying der EU-Institutionen aus – und damit mehr als jedes andere Unternehmen. Apple folgt auf Platz 6 der Rangliste, Amazon auf Rang 15. In Summe investierten die fünf Unternehmen mehr als Dreifache dessen, was die zehn größten Autokonzerne für die Interessenvertretung ausgaben. Die Zahlen fußen auf den Angaben der Firmen im EU-Transparenzregister, die allerdings meist ein bis zwei Jahre als sind.
  • Gut ausgestattete Verbände: Die Verbände der Digitalbranche verfügen demnach ebenfalls über vergleichsweise große Summen: Digital Europe, der größte von ihnen, weist Ausgaben von 1,25 Millionen Euro aus und beschäftigt 15 Lobbyisten.
  • Privilegierte Zugänge: Laut Bericht weist die EU-Kommission 271 Treffen ihrer Mitarbeiter zu DMA und DSA aus, 202 davon mit Industrievertretern. Favorisierter Adressat dabei: der federführende Binnenmarktkommissar Thierry Breton, der 111 von 132 seiner Kontakte mit Lobbyisten aus der Branche hatte. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihr Kabinett hätten sich 24-mal mit Tech-Vertretern getroffen. Die Studienautoren kritisieren ein “enormes Ungleichgewicht” zulasten zivilgesellschaftlicher Organisationen.
  • Spezialisierte Agenturen: Daneben bezahlen die Tech-Firmen Lobby-Agenturen wie Fleishman-Hillard oder FTI Consulting. Google etwa hat allein zwölf Agenturen beauftragt. Auch Anwaltskanzleien spannen die Unternehmen ein.
  • Bezahlte Denker: Allein 14 Think-Tanks mit engen Verbindungen zu den Tech-Konzernen listet die Studie auf. Sie seien “oftmals eine Komponente der Lobbyingstrategien großer Unternehmen”, schreiben die Autoren: Sie könnten “neue Regulierung durch die Veröffentlichung von Studien und Positionspapieren beeinflussen” und dabei “den nützlichen Eindruck von Objektivität und Unvoreingenommenheit erzeugen”. Zudem organisierten die Denkfabriken Veranstaltungen, bei denen Industrievertreter mit hochrangigen EU-Vertretern diskutieren könnten. Als Beispiel nennt der Bericht etwa eine von Google finanzierte Studie des Think-Tanks ECIPE, die vor hohen Wohlstandsverlusten durch eine Ex-ante-Regulierung des Digitalsektors gewarnt hatte.

Allerdings hat der Bericht auch Lücken. Der Fokus liegt eindeutig auf dem Einfluss von Google und Apple. Microsoft und Facebook werden zwar immer wieder erwähnt, aber kaum näher beleuchtet.

Zudem vernachlässigen die Autoren den Trend, über Drittmittelfinanzierung Einfluss auf Forschungseinrichtungen und Universitäten zu nehmen. Diese Praxis hat eine Vielzahl an Instituten und Lehrstühlen entstehen lassen, deren Verhältnis zu Unternehmen teils enger scheint, als unabhängige Forschung dies eigentlich erlaubt. Innerhalb der Kommission sollen unter Mitarbeitern inzwischen sogar Listen zirkulieren, welche Institute zu welchen Themen noch ernst zu nehmen seien.

Grünen-MEP Freund: Lobbyregister verbessern

Angesichts der Praktiken fordern die Studienautoren und andere Experten mehr Transparenz. Das EU-Lobbyregister sei zwar besser als das von der Großen Koalition in Berlin beschlossene Pendant, sagt der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Freund. Allerdings habe es Mängel, etwa was die Aktualität der dort aufgeführten Lobbyausgaben angehe. Lobbycontrol und Corporate Europe Observatory fordern zudem strengere Offenlegungspflichten für Think-Tanks oder Law Firms, die im Auftrag von Unternehmen Einfluss nehmen.

Freund dringt zudem auf ein unabhängiges Ethikgremium, das die Einhaltung der Regeln überwacht und Verstöße auch tatsächlich ahndet. Der Verfassungsausschuss des Europaparlaments hat eine entsprechende Initiative bereits gebilligt. Im September soll nun das Plenum abstimmen.

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  • Digital Services Act
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  • Digitalpolitik
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News

Laschet wirbt mit Plan für Ausbau der Erneuerbaren

CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet hat einen Tag nach dem Triell einen 15-Punkte-Plan zum Ausbau Erneuerbarer Energien vorgelegt. “Um die Pariser Klimaziele zu erreichen und bis 2045 ein klimaneutrales Industrieland zu werden, braucht Deutschland so schnell wie möglich 100 Prozent Erneuerbare Energie“, heißt in dem Papier, das Laschet gemeinsam mit den Parteifreunden Thomas Heilmann, Andreas Jung und Wiebke Winter vorstellte. Viele der Forderungen in dem Papier sind aber nicht ganz neu. Hier einige der Vorschläge:

  • Die EEG-Umlage soll komplett abgeschafft werden, im Rahmen einer “Klimaeffizienzreform”, die die Erneuerbaren von Bürokratie, Abgaben und Steuern befreit
  • Der Ausbau soll durch schnellere Planungsverfahren beschleunigt werden. Bei Windanlagen an Land etwa soll die maximale Verfahrensdauer ein halbes Jahr nicht überschreiten dürfen. Pro Anlage soll überdies nur eine digitale Akte geführt werden. Zugleich will die CDU darauf hinwirken, das EU-Planungs- und Umweltrecht zu “entschlacken”.
  • Der öffentliche Sektor soll mit gutem Beispiel vorangehen und bundeseigene Immobilien und Flächen mit Fotovoltaik, Wärmepumpen und Windkraftanlagen ausgestattet werden.
  • Die Stromnetze sollen kurzfristig auch auf der Verteilnetzebene digitalisiert werden, damit Ein- und Rückspeisung smart geregelt werden können. tho

Förderbanken sollen EU-Taxonomie bewerten

Das Bundesumweltministerium will die Förderbanken dazu bringen, noch mehr zur Erreichung der Nachhaltigkeits- und Klimaziele in der EU beizutragen. Das Ministerium fragt dafür im Rahmen des jährlichen European Sustainable Finance Survey öffentlichen Finanzinstitute aus ganz Europa, wie die EU-Taxonomie für eine nachhaltige Wirtschaft bestmöglich eingesetzt werden kann.

Die Taxonomie enthält eine Liste von Kriterien, anhand derer Wirtschaftsaktivitäten in ihrer Nachhaltigkeit gemessen werden. Laut BMU wurden 134 Finanzinstitute dazu aufgerufen, die Fragen zu beantworten. Sie sollen bewerten, wie sie zu den EU-Klimazielen und zur UN-Nachhaltigkeitsagenda konkret beitragen und inwieweit sie eine nachhaltige Wiederbelebung der Wirtschaft nach der Corona-Pandemie fördern, bittet das Ministerium.

“Förderbanken sind wichtig für den Klimaschutz”

“Förderbanken sind wichtig für den Klimaschutz. Denn das Geld, das wir mit den Corona-Konjunkturprogrammen in der Europäischen Union derzeit in Klimaschutz, Innovation und Zukunfts-Jobs investieren, wird zum Teil über Förderbanken verteilt”, kommentiert Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) die Umfrage. Es komme darauf an, dass öffentliche Banken gezielt den nachhaltigen Umbau fördern und ihre Angebote am Umweltschutz ausrichten. Bis 30. September sollen alle Antworten gesammelt und anschließend ausgewertet werden.

Die Taxonomie-Regeln sind umstritten. Für heftige Diskussionen sorgt derzeit die Frage, ob auch Investitionen in Atomenergie von der EU-Kommission als nachhaltig eingestuft werden sollten (Europe.Table berichtete). luk

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Presseschau

Putting sustainability at the heart of the EU’s trade agenda EURACTIV
Merkel: 3-G-Regel in Zügen kann sinnvolle Maßnahme sein SUEDDEUTSCHE
Klima-Turbo für die nächste Bundesregierung FR
Italien kritisiert Österreich für Afghanistan-Flüchtlingspolitik STANDARD
Some 70,000 people form human chain to protest environmental crisis at Mar Menor ELPAIS
France’s Greens prepare to pick a standard-bearer ECONOMIST
EU threatens to block some Czech payments over conflict-of-interest spat POLITICO
UNO: Verbleites Benzin weltweit abgeschafft STERN
20.000 Haushalte nach Flutkatastrophe immer noch ohne Telefonanschluss HANDELSBLATT

Portrait

Sebastian Hallensleben – “Wir brauchen eine Identitätsinfrastruktur”

Sebastian Hallensleben ist Head of Digitalisation and AI beim VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik.
Sebastian Hallensleben ist Head of Digitalisation and AI beim VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik

Das Interesse an der Astronomie brachte ihn zur Physik, doch nach Studium und Promotion wandte er sich digitalen Themen zu. Heute ist Sebastian Hallensleben vor allem in Fragen der Künstlichen Intelligenz aktiv – auf nationaler und europäischer Ebene, und auch weltweit. 

Beim VDE verantwortet der 46-Jährige den Bereich KI und Digitalisierung. Er ist Leiter der KI-Standardisierung in Europa bei den Normungsorganisationen CEN und CENELEC und Mitglied der externen Expertengruppe des EU-finanzierten Projekts StandICT.eu 2023, das unter anderem eine Beobachtungsstelle für weltweite IKT-Normung betreibt – das European Observatory for ICT Standardisation (EUOS).

Hallensleben beschäftigt zur Zeit vor allem ein Themenbereich, den er als “Trusted Information” und “Trusted Identity” beschreibt: In Zeiten von Bots, die nicht mehr von echten Menschen unterscheidbar seien, müsse eine “Identitätsinfrastruktur” im digitalen Raum aufgebaut werden. “Wir müssen darüber nachdenken, wie wir uns im digitalen Raum als echte Menschen ausgeben oder beweisen können, ohne dabei unseren Klarnamen preisgeben zu müssen.” Es sei wichtig, dass die Privatsphäre der Menschen geschützt bleibe. 

Bislang seien wir für diese Herausforderung nicht gerüstet, sagt Hallensleben. “Das ist eine ganz, ganz große Lücke.” Seine Aufgabe sei es, ein Bewusstsein für das Thema zu schaffen, sowohl bei der Bundesregierung als auch auf EU-Ebene

“Auffallend, wie offen die Ohren in der EU-Kommission waren”

Mit dem VDE hat Hallensleben in den vergangenen Jahren an einem Modell zur Ethik-Kennzeichnung von KI gearbeitet. Zum Thema KI-Regulierung war er im regelmäßigen Austausch mit der Europäischen Kommission. “Ich fand es – im positiven Sinne – auffallend, wie offen die Ohren in der EU-Kommission waren“, sagt Hallensleben. Die Vorschläge, die die Behörde in diesem Frühjahr für neue KI-Vorschriften vorgelegt hat, bewertet er entsprechend positiv. Sinnvoll sei etwa, dass man sich für einen risikobasierten Ansatz entschieden habe, und dass man darauf abziele, die Anwendung zu regulieren und nicht die Technologie.

Über EU-Grenzen hinaus ist Hallensleben ebenfalls aktiv: im KI-Expertenrat der OECD und in einem Gremium zum Thema Ethik von KI und autonomen Systemen in der Internationalen Elektrotechnischen Kommission (IEC). Den Vorsitz des Gremiums teilt er sich mit der Chinesin Tangli Liu. Trotz der offensichtlichen Differenz zu China in Ethik-Fragen von KI sei die Zusammenarbeit in diesem internationalen Gremium sehr produktiv, sagt Hallensleben – unter anderem, weil man die Beschreibung von ethisch relevanten Charakteristika von KI-Systemen von ihrer Bewertung trenne. 

Hallensleben hat viele Jahre im Ausland verbracht. Teile seines Studiums, die Promotion und der Berufseinstieg fanden in England statt, anschließend machte er sich selbstständig und lebte acht Jahre auf den Azoren. Eine Region, die großes Potenzial habe: Die Infrastruktur sei da, die Bevölkerung gut ausgebildet. “Jetzt stellt sich die Frage: Was ist das Geschäftsmodell der Inseln?” Softwareentwicklung und Digitalisierung seien vor diesem Hintergrund ein großes Thema.

Mittlerweile lebt Sebastian Hallensleben in Aachen. Freizeit habe er nicht so viel, räumt er ein. Doch wenn er mal nicht arbeitet, verbringt er gerne Zeit in der Natur. Und er spielt Geige: “Ein richtiges Physiker-Klischee”, sagt er und lacht. Sarah Schaefer

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Apéropa

Das Format war neu: Gleich drei Kanzlerkandidat:innen standen sich am Sonntagabend im sogenannten ersten TV-Triell bei RTL und NTV gegenüber. Das Grundthema: Die Zukunft Deutschlands – und wie Armin Laschet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock diese jeweils gestalten wollen. Doch eines wurde an dem Abend klar: Die deutsche Öffentlichkeit und auch die möglichen Bundeskanzler:innen sind nach wie vor auf die nationale Ebene fixiert – Europa spielte nur eine kleine Nebenrolle.

Das erstaunt umso mehr angesichts des Profils der Kandidat:innen. Alle drei haben so viel Europa im Lebenslauf wie kein einziger Kanzlerkandidat außer Martin Schulz vorher. Annalena Baerbock hat selbst in Brüssel bei der damaligen MEP Elisabeth Schroeter gearbeitet, war Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Europa der Grünen. Armin Laschet war von 1999 bis 2005 sogar selbst Europaabgeordneter. Und Olaf Scholz hat unter anderem als Finanzminister so viel praktische Europapolitik machen dürfen wie wenige andere Politiker. Doch die europapolitischen Bezüge der Bundespolitik wurden am Sonntag kaum thematisiert.

Wenn die EU selbst dann keine Rolle spielt, wenn drei überzeugte Europäer:innen ins Kanzleramt wollen, wie soll das dann künftig werden? Immerhin: Schon Ende Mai erläuterten die drei beim WDR-Europaforum ihre Pläne für die EU. Doch an der Mehrheit der Deutschen dürften Formate, die so speziell auf Europa zugeschnitten sind, eher vorbeigehen. Das Triell wäre eine Gelegenheit gewesen, der breiten Bevölkerung die künftige Rolle Deutschlands in Europa zu vermitteln und aufzuzeigen, dass die Zukunft des Landes eng verbunden ist mit der Zukunft der EU.

Immerhin war Europa mit seiner Randexistenz im RTL-Triell nicht alleine: Auch die Digitalpolitik fand kaum statt. Und dass die Debatte um die künftige Klimapolitik fast ausschließlich mit Deutschlandbezug geführt wurde, dürfte Leser:innen des Europe.Table ebenfalls wenig überzeugt haben. Falk Steiner

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    • Im Portrait: Sebastian Hallensleben, Head of Digitalisation & AI beim VDE 
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    ins Schwimmen kommen, das sollen die Windenergieanlagen. An Land sorgen immer mehr und immer größere Windräder für Konflikte. Auf dem Wasser aber wäre in Europa viel Platz für zusätzliche Kapazität. Doch vorher sind noch einige Probleme zu lösen, hat Timo Landenberger erfahren.

    Big Tech steht im Fokus derzeitiger Regulierungsbemühungen der EU. Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft stemmen sich aber gegen strenge Regeln in DSA und DMA – und zwar mit finanzkräftigen Lobbystrategien, wie eine neue Studie von Lobbycontrol und Corporate Europe Observatory zeigt. Die hat sich Till Hoppe für Sie genauer angeschaut.

    Im Portrait stellt Ihnen Sarah Schaefer einen Menschen vor, der sowohl in der KI- als auch der elektronischen Identitätspolitik stets an konkreten Lösungen arbeitet: Sebastian Hallensleben vom VDE.

    Ihr
    Falk Steiner
    Bild von Falk  Steiner

    Analyse

    Schwimmende Windräder: Technologie mit großem Potenzial

    Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Europa ist für das Erreichen der Klimaziele unumgänglich. So soll der Anteil der regenerativen Energien am Gesamtverbrauch laut Kommissionsvorschlag bis zum Jahr 2030 von derzeit etwa 20 Prozent auf 40 Prozent ansteigen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Windkraft, wobei der Ausbau an Land bereits jetzt an seine Grenzen stößt: Der Flächenverbrauch ist erheblich und der regionale Widerstand groß.

    Auch deshalb setzt die Europäische Kommission zunehmend auf Offshore-Windanlagen. Die Brüsseler Behörde schlägt vor, die Offshore-Kapazitäten von zwölf Gigawatt (November 2020) bis zum Jahr 2030 auf 60 und bis 2050 auf 300 GW zu erhöhen. Das Problem: Die gängige Praxis der sogenannten Bottom-Fixed-Technologie – also Plattformen, die mittels Bohrung fest mit dem Meeresgrund verbunden sind – ist nur bis zu einer Meerestiefe von etwa 50 Metern wirtschaftlich rentabel und teils auch aufgrund der Bodenbeschaffenheit nicht umsetzbar.

    Offshore-taugliche Meeresregionen in der EU finden sich deshalb bislang nur in der Nordsee und in Teilen der Ostsee. Dabei ist das Windkraft-Potenzial vor der Atlantik- und Mittelmeerküste enorm. Staaten wie Frankreich, Spanien und Griechenland wollen ebenfalls etwas vom Offshore-Kuchen abhaben und sind dabei, entsprechende Ausbauziele zu erarbeiten. Möglich werden soll das durch den großflächigen Einsatz einer neuen Technologie: schwimmende Windräder. Pilotprojekte dieser Floating-Offshore-Technologie laufen etwa vor den Küsten Schottlands und Portugals. Zahlreiche weitere Windparks sollen folgen.

    Ein Drittel der Offshore-Ziele durch schwimmende Windräder

    “Das Potenzial ist riesig”, sagt Christoph Zipf, Sprecher vom Windenergieverband Wind Europe. Der Verband rechnet damit, dass ein Drittel der angestrebten 300 GW Offshore-Windenergie bis 2050 durch Floating abgedeckt wird. Zwar sind die Kosten für die neue Technologie mit 200 Euro pro Megawatt noch mehr als doppelt so hoch wie für Bottom-Fixed-Anlagen (85 Euro/MW). Wind Europe rechnet jedoch mit hohen Skaleneffekten durch die Massenproduktion und prognostiziert, dass die beiden Technologien ab etwa 2040 Kostenparität erreichen könnten.

    Darauf will sich Jonas Wolff von der Europäischen Investitionsbank (EIB) nicht festlegen. “Wir gehen davon aus, dass der Effekt eintritt. Aber wann, das ist schwer zu sagen.” Schließlich sei die Branche noch in der Demonstrationsphase, in der es darum gehe zu klären, dass die Floating-Technik funktioniere und wie.

    Die Erkenntnisse aus laufenden Projekten wie dem Windpark vor der Küste Portugals, den die EIB mit einem Kredit über 60 Millionen Euro finanziert hat, seien aber vielversprechend. “Auch der inzwischen gängigen Offshore-Praxis wurde anfangs nachgesagt, sie sei viel zu teuer und würde sich niemals rechnen”, sagt Wolff zu Europe.Table. “Doch es wurde eine Wertschöpfungskette entwickelt und die Kosten konnten deutlich gesenkt werden. Das wird auch bei der Floating-Technologie funktionieren.”

    Geringerer Umwelteinfluss

    Zumal die Neuerung weitere Vorteile bereithält, darunter der geringere Umwelteinfluss. Zwar werden auch die schwimmenden Anlagen am Boden verankert. Die Anker seien aber deutlich kleiner als die Trägerstruktur der Bottom-Fixed-Anlagen, hätten somit erheblich geringere Auswirkungen auf den Boden und die Meeresbewohner und seien außerdem leichter wieder zu entfernen, sagt Mareike Leimeister vom Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme.

    Auch die Montage sei einfacher. Bottom-Fixed-Anlagen werden dort aufgebaut, wo sie stehen sollen. Von der Bohrung über die Plattform bis zur Errichtung der Türme, Turbinen und Flügel. Die schwimmenden Systeme hingegen werden im Hafen in Trockendocks zusammengebaut und dann per Schlepper an ihren Bestimmungsort gezogen, wo sie mit Stahlseilen am Boden verankert werden.

    Das erfordert zwar hohe Investitionen in die Infrastruktur der Häfen – Wind Europe rechnet mit etwa sechs Milliarden Euro bis 2030. Doch die Vorteile überwiegen, wie Leimeister sagt. So würden keine speziellen Installationsschiffe mit Schwerlastkran mehr benötigt, was perspektivisch auch den Einsatz größerer Anlagen mit einer höheren Leistung ermögliche.

    Zunächst muss jedoch die Konstruktion der schwimmenden Plattformen weiter optimiert werden, um die Tragfähigkeit zu erhöhen. Sechs verschiedene Varianten dieser Floater sind laut Wind Europe derzeit im Einsatz und werden erprobt. Ähnliches gilt für die Ankersysteme, die die Anlagen auch bei Extremwetter stabilisieren müssen. Und die Netzanschlüsse müssen so konzipiert werden, dass Übertragungsverluste minimiert werden.

    Projekt in Norwegen: 200 Meter Wassertiefe

    Diesen Lernprozess will auch der Essener Energiekonzern RWE begleiten, der nach eigenen Angaben sein Portfolio an erneuerbaren Energien weiter ausbauen will. “Derzeit arbeiten wir an drei Demonstrationsprojekten in Norwegen, den USA und Spanien”, so eine RWE-Sprecherin. Diese seien wichtig, um den Weg für die kommerzielle Nutzung zu ebnen.

    In Norwegen teste das Unternehmen eine Stahlrohr-Tragstruktur mit darunter hängendem Kiel. Für das Pilotprojekt wird eine 3,6-MW-Turbine verwendet, die im Hafen von Grenaa in Dänemark montiert und dann inklusive Plattform zum Teststandort in Norwegen geschleppt und dort installiert wurde. Der Standort befinde sich gut 16 Kilometer vor der Küste bei einer Wassertiefe von 200 Metern. Vor wenigen Tagen sei die Plattform per Kabel mit dem Festland verbunden worden. Noch in diesem Jahr soll der Floater vollständig in Betrieb genommen werden.

    Derweil birgt die Technologie nicht nur für Europa großes Potenzial. Durch den flächendeckenden Einsatz weltweit könne das 18-fache des globalen Strombedarfs erzeugt werden, rechnet die Internationale Energie Agentur (IEA) aus. Tiefe Gewässer, die nur durch Floating erschlossen werden können, machen hierbei 80 Prozent aus. So könnten neue Märkte erschlossen werden, neben Europa besonders an der Westküste der USA oder in Asien.

    Besonders hoch sei das Potenzial insbesondere dann, wenn dabei die mögliche Kombination von Floating-Offshore-Windparks mit der Produktion von grünem Wasserstoff vor Ort berücksichtigt werde, sagt Mareike Leimeister. “Das hat den Vorteil, dass selbst weit auf hoher See Floating-Windparks installiert werden können, ohne dass ein Leistungskabel gelegt werden muss.”

    Denn der Wasserstoff könnte per Schiff ans Festland transportiert werden. Die Anlagen wären dann von der Küste aus gar nicht mehr sichtbar. Damit würde sich auch die absehbare Kritik erübrigen, dass die Anlagen beim Blick auf den Horizont stören.

    • Energie
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    Big Tech: Studie beleuchtet Lobby-Netzwerk

    Dass Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft ihre Interessen in Brüssel offensiv vertreten, ist an sich keine Neuigkeit. Für die großen Digitalkonzerne steht viel auf dem Spiel, da Europaparlament und Rat derzeit über Digital Markets Act und Digital Services Act verhandeln – zwei Gesetzesakte, die die Geschäftsmodelle der US-Konzerne massiv beeinflussen könnten. Die Tech-Unternehmen haben überdies reichlich finanzielle Mittel.

    Weniger bekannt ist, auf welchen Wegen die Konzerne ihre Botschaften platzieren. Eine neue Studie von Lobbycontrol und Corporate Europe Observatory beschreibt die Praktiken nun im Detail: “Big Techs Netz des Einflusses in der EU“, heißt der 48-seitige Bericht, der heute vorgestellt wird. Er liefert Einblicke, wie strategisches Lobbying heutzutage funktioniert und welcher Mittel sich die Industrie dabei bedient.

    • Große Budgets: Mehr als fünf Millionen Euro geben Google, Facebook und Microsoft demnach im Jahr für das Lobbying der EU-Institutionen aus – und damit mehr als jedes andere Unternehmen. Apple folgt auf Platz 6 der Rangliste, Amazon auf Rang 15. In Summe investierten die fünf Unternehmen mehr als Dreifache dessen, was die zehn größten Autokonzerne für die Interessenvertretung ausgaben. Die Zahlen fußen auf den Angaben der Firmen im EU-Transparenzregister, die allerdings meist ein bis zwei Jahre als sind.
    • Gut ausgestattete Verbände: Die Verbände der Digitalbranche verfügen demnach ebenfalls über vergleichsweise große Summen: Digital Europe, der größte von ihnen, weist Ausgaben von 1,25 Millionen Euro aus und beschäftigt 15 Lobbyisten.
    • Privilegierte Zugänge: Laut Bericht weist die EU-Kommission 271 Treffen ihrer Mitarbeiter zu DMA und DSA aus, 202 davon mit Industrievertretern. Favorisierter Adressat dabei: der federführende Binnenmarktkommissar Thierry Breton, der 111 von 132 seiner Kontakte mit Lobbyisten aus der Branche hatte. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihr Kabinett hätten sich 24-mal mit Tech-Vertretern getroffen. Die Studienautoren kritisieren ein “enormes Ungleichgewicht” zulasten zivilgesellschaftlicher Organisationen.
    • Spezialisierte Agenturen: Daneben bezahlen die Tech-Firmen Lobby-Agenturen wie Fleishman-Hillard oder FTI Consulting. Google etwa hat allein zwölf Agenturen beauftragt. Auch Anwaltskanzleien spannen die Unternehmen ein.
    • Bezahlte Denker: Allein 14 Think-Tanks mit engen Verbindungen zu den Tech-Konzernen listet die Studie auf. Sie seien “oftmals eine Komponente der Lobbyingstrategien großer Unternehmen”, schreiben die Autoren: Sie könnten “neue Regulierung durch die Veröffentlichung von Studien und Positionspapieren beeinflussen” und dabei “den nützlichen Eindruck von Objektivität und Unvoreingenommenheit erzeugen”. Zudem organisierten die Denkfabriken Veranstaltungen, bei denen Industrievertreter mit hochrangigen EU-Vertretern diskutieren könnten. Als Beispiel nennt der Bericht etwa eine von Google finanzierte Studie des Think-Tanks ECIPE, die vor hohen Wohlstandsverlusten durch eine Ex-ante-Regulierung des Digitalsektors gewarnt hatte.

    Allerdings hat der Bericht auch Lücken. Der Fokus liegt eindeutig auf dem Einfluss von Google und Apple. Microsoft und Facebook werden zwar immer wieder erwähnt, aber kaum näher beleuchtet.

    Zudem vernachlässigen die Autoren den Trend, über Drittmittelfinanzierung Einfluss auf Forschungseinrichtungen und Universitäten zu nehmen. Diese Praxis hat eine Vielzahl an Instituten und Lehrstühlen entstehen lassen, deren Verhältnis zu Unternehmen teils enger scheint, als unabhängige Forschung dies eigentlich erlaubt. Innerhalb der Kommission sollen unter Mitarbeitern inzwischen sogar Listen zirkulieren, welche Institute zu welchen Themen noch ernst zu nehmen seien.

    Grünen-MEP Freund: Lobbyregister verbessern

    Angesichts der Praktiken fordern die Studienautoren und andere Experten mehr Transparenz. Das EU-Lobbyregister sei zwar besser als das von der Großen Koalition in Berlin beschlossene Pendant, sagt der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Freund. Allerdings habe es Mängel, etwa was die Aktualität der dort aufgeführten Lobbyausgaben angehe. Lobbycontrol und Corporate Europe Observatory fordern zudem strengere Offenlegungspflichten für Think-Tanks oder Law Firms, die im Auftrag von Unternehmen Einfluss nehmen.

    Freund dringt zudem auf ein unabhängiges Ethikgremium, das die Einhaltung der Regeln überwacht und Verstöße auch tatsächlich ahndet. Der Verfassungsausschuss des Europaparlaments hat eine entsprechende Initiative bereits gebilligt. Im September soll nun das Plenum abstimmen.

    • Digital Markets Act
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    Laschet wirbt mit Plan für Ausbau der Erneuerbaren

    CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet hat einen Tag nach dem Triell einen 15-Punkte-Plan zum Ausbau Erneuerbarer Energien vorgelegt. “Um die Pariser Klimaziele zu erreichen und bis 2045 ein klimaneutrales Industrieland zu werden, braucht Deutschland so schnell wie möglich 100 Prozent Erneuerbare Energie“, heißt in dem Papier, das Laschet gemeinsam mit den Parteifreunden Thomas Heilmann, Andreas Jung und Wiebke Winter vorstellte. Viele der Forderungen in dem Papier sind aber nicht ganz neu. Hier einige der Vorschläge:

    • Die EEG-Umlage soll komplett abgeschafft werden, im Rahmen einer “Klimaeffizienzreform”, die die Erneuerbaren von Bürokratie, Abgaben und Steuern befreit
    • Der Ausbau soll durch schnellere Planungsverfahren beschleunigt werden. Bei Windanlagen an Land etwa soll die maximale Verfahrensdauer ein halbes Jahr nicht überschreiten dürfen. Pro Anlage soll überdies nur eine digitale Akte geführt werden. Zugleich will die CDU darauf hinwirken, das EU-Planungs- und Umweltrecht zu “entschlacken”.
    • Der öffentliche Sektor soll mit gutem Beispiel vorangehen und bundeseigene Immobilien und Flächen mit Fotovoltaik, Wärmepumpen und Windkraftanlagen ausgestattet werden.
    • Die Stromnetze sollen kurzfristig auch auf der Verteilnetzebene digitalisiert werden, damit Ein- und Rückspeisung smart geregelt werden können. tho

    Förderbanken sollen EU-Taxonomie bewerten

    Das Bundesumweltministerium will die Förderbanken dazu bringen, noch mehr zur Erreichung der Nachhaltigkeits- und Klimaziele in der EU beizutragen. Das Ministerium fragt dafür im Rahmen des jährlichen European Sustainable Finance Survey öffentlichen Finanzinstitute aus ganz Europa, wie die EU-Taxonomie für eine nachhaltige Wirtschaft bestmöglich eingesetzt werden kann.

    Die Taxonomie enthält eine Liste von Kriterien, anhand derer Wirtschaftsaktivitäten in ihrer Nachhaltigkeit gemessen werden. Laut BMU wurden 134 Finanzinstitute dazu aufgerufen, die Fragen zu beantworten. Sie sollen bewerten, wie sie zu den EU-Klimazielen und zur UN-Nachhaltigkeitsagenda konkret beitragen und inwieweit sie eine nachhaltige Wiederbelebung der Wirtschaft nach der Corona-Pandemie fördern, bittet das Ministerium.

    “Förderbanken sind wichtig für den Klimaschutz”

    “Förderbanken sind wichtig für den Klimaschutz. Denn das Geld, das wir mit den Corona-Konjunkturprogrammen in der Europäischen Union derzeit in Klimaschutz, Innovation und Zukunfts-Jobs investieren, wird zum Teil über Förderbanken verteilt”, kommentiert Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) die Umfrage. Es komme darauf an, dass öffentliche Banken gezielt den nachhaltigen Umbau fördern und ihre Angebote am Umweltschutz ausrichten. Bis 30. September sollen alle Antworten gesammelt und anschließend ausgewertet werden.

    Die Taxonomie-Regeln sind umstritten. Für heftige Diskussionen sorgt derzeit die Frage, ob auch Investitionen in Atomenergie von der EU-Kommission als nachhaltig eingestuft werden sollten (Europe.Table berichtete). luk

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    Presseschau

    Putting sustainability at the heart of the EU’s trade agenda EURACTIV
    Merkel: 3-G-Regel in Zügen kann sinnvolle Maßnahme sein SUEDDEUTSCHE
    Klima-Turbo für die nächste Bundesregierung FR
    Italien kritisiert Österreich für Afghanistan-Flüchtlingspolitik STANDARD
    Some 70,000 people form human chain to protest environmental crisis at Mar Menor ELPAIS
    France’s Greens prepare to pick a standard-bearer ECONOMIST
    EU threatens to block some Czech payments over conflict-of-interest spat POLITICO
    UNO: Verbleites Benzin weltweit abgeschafft STERN
    20.000 Haushalte nach Flutkatastrophe immer noch ohne Telefonanschluss HANDELSBLATT

    Portrait

    Sebastian Hallensleben – “Wir brauchen eine Identitätsinfrastruktur”

    Sebastian Hallensleben ist Head of Digitalisation and AI beim VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik.
    Sebastian Hallensleben ist Head of Digitalisation and AI beim VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik

    Das Interesse an der Astronomie brachte ihn zur Physik, doch nach Studium und Promotion wandte er sich digitalen Themen zu. Heute ist Sebastian Hallensleben vor allem in Fragen der Künstlichen Intelligenz aktiv – auf nationaler und europäischer Ebene, und auch weltweit. 

    Beim VDE verantwortet der 46-Jährige den Bereich KI und Digitalisierung. Er ist Leiter der KI-Standardisierung in Europa bei den Normungsorganisationen CEN und CENELEC und Mitglied der externen Expertengruppe des EU-finanzierten Projekts StandICT.eu 2023, das unter anderem eine Beobachtungsstelle für weltweite IKT-Normung betreibt – das European Observatory for ICT Standardisation (EUOS).

    Hallensleben beschäftigt zur Zeit vor allem ein Themenbereich, den er als “Trusted Information” und “Trusted Identity” beschreibt: In Zeiten von Bots, die nicht mehr von echten Menschen unterscheidbar seien, müsse eine “Identitätsinfrastruktur” im digitalen Raum aufgebaut werden. “Wir müssen darüber nachdenken, wie wir uns im digitalen Raum als echte Menschen ausgeben oder beweisen können, ohne dabei unseren Klarnamen preisgeben zu müssen.” Es sei wichtig, dass die Privatsphäre der Menschen geschützt bleibe. 

    Bislang seien wir für diese Herausforderung nicht gerüstet, sagt Hallensleben. “Das ist eine ganz, ganz große Lücke.” Seine Aufgabe sei es, ein Bewusstsein für das Thema zu schaffen, sowohl bei der Bundesregierung als auch auf EU-Ebene

    “Auffallend, wie offen die Ohren in der EU-Kommission waren”

    Mit dem VDE hat Hallensleben in den vergangenen Jahren an einem Modell zur Ethik-Kennzeichnung von KI gearbeitet. Zum Thema KI-Regulierung war er im regelmäßigen Austausch mit der Europäischen Kommission. “Ich fand es – im positiven Sinne – auffallend, wie offen die Ohren in der EU-Kommission waren“, sagt Hallensleben. Die Vorschläge, die die Behörde in diesem Frühjahr für neue KI-Vorschriften vorgelegt hat, bewertet er entsprechend positiv. Sinnvoll sei etwa, dass man sich für einen risikobasierten Ansatz entschieden habe, und dass man darauf abziele, die Anwendung zu regulieren und nicht die Technologie.

    Über EU-Grenzen hinaus ist Hallensleben ebenfalls aktiv: im KI-Expertenrat der OECD und in einem Gremium zum Thema Ethik von KI und autonomen Systemen in der Internationalen Elektrotechnischen Kommission (IEC). Den Vorsitz des Gremiums teilt er sich mit der Chinesin Tangli Liu. Trotz der offensichtlichen Differenz zu China in Ethik-Fragen von KI sei die Zusammenarbeit in diesem internationalen Gremium sehr produktiv, sagt Hallensleben – unter anderem, weil man die Beschreibung von ethisch relevanten Charakteristika von KI-Systemen von ihrer Bewertung trenne. 

    Hallensleben hat viele Jahre im Ausland verbracht. Teile seines Studiums, die Promotion und der Berufseinstieg fanden in England statt, anschließend machte er sich selbstständig und lebte acht Jahre auf den Azoren. Eine Region, die großes Potenzial habe: Die Infrastruktur sei da, die Bevölkerung gut ausgebildet. “Jetzt stellt sich die Frage: Was ist das Geschäftsmodell der Inseln?” Softwareentwicklung und Digitalisierung seien vor diesem Hintergrund ein großes Thema.

    Mittlerweile lebt Sebastian Hallensleben in Aachen. Freizeit habe er nicht so viel, räumt er ein. Doch wenn er mal nicht arbeitet, verbringt er gerne Zeit in der Natur. Und er spielt Geige: “Ein richtiges Physiker-Klischee”, sagt er und lacht. Sarah Schaefer

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    Apéropa

    Das Format war neu: Gleich drei Kanzlerkandidat:innen standen sich am Sonntagabend im sogenannten ersten TV-Triell bei RTL und NTV gegenüber. Das Grundthema: Die Zukunft Deutschlands – und wie Armin Laschet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock diese jeweils gestalten wollen. Doch eines wurde an dem Abend klar: Die deutsche Öffentlichkeit und auch die möglichen Bundeskanzler:innen sind nach wie vor auf die nationale Ebene fixiert – Europa spielte nur eine kleine Nebenrolle.

    Das erstaunt umso mehr angesichts des Profils der Kandidat:innen. Alle drei haben so viel Europa im Lebenslauf wie kein einziger Kanzlerkandidat außer Martin Schulz vorher. Annalena Baerbock hat selbst in Brüssel bei der damaligen MEP Elisabeth Schroeter gearbeitet, war Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Europa der Grünen. Armin Laschet war von 1999 bis 2005 sogar selbst Europaabgeordneter. Und Olaf Scholz hat unter anderem als Finanzminister so viel praktische Europapolitik machen dürfen wie wenige andere Politiker. Doch die europapolitischen Bezüge der Bundespolitik wurden am Sonntag kaum thematisiert.

    Wenn die EU selbst dann keine Rolle spielt, wenn drei überzeugte Europäer:innen ins Kanzleramt wollen, wie soll das dann künftig werden? Immerhin: Schon Ende Mai erläuterten die drei beim WDR-Europaforum ihre Pläne für die EU. Doch an der Mehrheit der Deutschen dürften Formate, die so speziell auf Europa zugeschnitten sind, eher vorbeigehen. Das Triell wäre eine Gelegenheit gewesen, der breiten Bevölkerung die künftige Rolle Deutschlands in Europa zu vermitteln und aufzuzeigen, dass die Zukunft des Landes eng verbunden ist mit der Zukunft der EU.

    Immerhin war Europa mit seiner Randexistenz im RTL-Triell nicht alleine: Auch die Digitalpolitik fand kaum statt. Und dass die Debatte um die künftige Klimapolitik fast ausschließlich mit Deutschlandbezug geführt wurde, dürfte Leser:innen des Europe.Table ebenfalls wenig überzeugt haben. Falk Steiner

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